Zusammenfassung
Der Beitrag versammelt Repräsentationen von Jagdhunden in Literatur, Malerei und Fotografie (Homer, Thomson, Landseer, Ebner-Eschenbach, Faulkner, Usborne). In ebenso komparatistischer wie medienkomparatistischer Differenzierung werden Jagdhunde mit Blick auf ihre zeit- und kulturgeschichtlichen Prägungen, sprich: als Ausdruck kultureller Diskursformationen gelesen. Dabei rücken Kernfragen, das heißt neuralgische Punkte von Mensch-Tier-Begegnungen (encounters) sowie ästhetische Verhandlungsräume in den Blick, die in den vorgestellten Fallbeispielen um Aspekte der Verdinglichung, der Anthropomorphisierung, der Mythologisierung und der Tiertötung kreisen. Gerade weil sich Jagdhunde charakteristischerweise auf einer ambulanten Grenze zwischen Tieren und Menschen bewegen, sind sie, so führt die Autorin vor, in besonderer Weise dazu geeignet, ästhetische Inszenierungen und Reflexionen von Mensch-Tier-Beziehungen anzuregen. Schließlich sind Jagdhunde nicht einfach nur ‚Grenztiere‘, wie es allgemein für Hunde gilt. Vielmehr eröffnen sie einen Schwellenraum, in dem nicht nur Mensch-Tier-Differenzen, sondern vor allem auch moralische und emotionale Zugehörigkeiten ausgehandelt werden, die die Jagd als speziesistische Kulturpraktik vorführen und nicht eben selten in einer elementaren Begründungskrise zeigen.
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Die künstlerische Inszenierung, mittels derer ein Mensch ‚menschlicher‘ in Begleitung eines Tieres wirkt, ist uns auch aus der Malerei – zum Beispiel durch Tizians berühmtes, 1533 entstandenes Doppelporträt Karl V. mit Ulmer Dogge bekannt. Zur Tradition des Doppelporträts und deren Weiterführung durch Tizian führt ebenfalls Schröder aus: „Der Hund, als treuer Begleiter seines Herren, ergänzt im neuen Typus des Doppelporträts die Persönlichkeit des Porträtierten. Er unterstreicht dessen Stand und Rang, er ist Statussymbol und zugleich Ausdruck einer neuen Gefühlssymbiose von Mensch und Tier. Tizian hat den Hund auf der höchsten gesellschaftlichen Ebene ins Porträt integriert und die Zuneigung des Menschen zu seinem Hund sichtbar gemacht. Tizian malt Karl V. nicht nur zu Pferd in der Pose des Feldherren mit Helm und Rüstung, als Sieger gegen die protestantischen Fürsten der Schlacht von Mühlheim, im dramatischen Licht und als Verkörperung von Adel, Macht und Herrschaft. Er malt den mächtigsten Herren des 16. Jahrhunderts auch im königlichen Gewand mit seinem Hund, einer weiß grauen Dogge. Der Herrscher legt wie beiläufig die Hand auf den zu ihm aufblickenden Hund. Der schmiegt seinen Kopf vertraulich an den Fürsten. Die Hand ist das einzig Private, das Tizian in die herrschaftliche Pose des Kaisers einfließen lässt“ (Schröder 136).
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Diese Passage im dritten Buch von Ovids Metamorphosen erzählt von dem Göttersohn und erfahrenen Jäger Aktäon, der die Jagdgöttin Diana und ihre Nymphen in einer Grotte im Wald beim Baden überrascht. Zur Strafe verwandelt ihn Diana in einen Hirschen, der von seiner eigenen Hundemeute verfolgt und zerfleischt wird (Ovid 82–84).
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Ein alternatives Konzept zur ‚Vermenschlichung‘ eines Jagdhundes findet sich in Marlen Haushofers Roman Die Wand (1963). Die namenlose Heldin dieses Romans lebt ebenfalls in einer ausgesprochen engen Lebensgemeinschaft mit ihrem Jagdhund Luchs sowie mit Katzen, einer Kuh und einem Stier. Im Gegensatz zu Ebner-Eschenbachs Hauptfigur führt die Lebensgemeinschaft von Haushofers Protagonistin jedoch nicht allein zu einer ‚Vermenschlichung‘ des Tieres, sondern auch zu ihrer eigenen ‚Vertierlichung‘: „In jenem Sommer vergaß ich ganz, daß Luchs ein Hund war und ich ein Mensch. Ich wußte es, aber es hatte jede trennende Bedeutung verloren“ (265). An einer anderen Stelle heißt es: „Die Schranken zwischen Tier und Mensch fallen sehr leicht. Wir sind von einer einzigen großen Familie, und wenn wir einsam und unglücklich sind, nehmen wir auch die Freundschaft unserer entfernten Vettern gern entgegen. Sie leiden wie ich, wenn ihnen ein Schmerz zugefügt wird, und wie ich brauchen sie Nahrung, Wärme und ein bißchen Zärtlichkeit“ (235).
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Vgl. dazu die einschlägige Erörterung bei Frans de Waal, der den anthropozentrischen Anthropomorphismus wie folgt erklärt: „Die sprechenden Tiere im Fernsehen, die satirische Darstellung von Personen des öffentlichen Lebens als Tiere und die naive Zuschreibung menschlicher Eigenschaften bei Tieren haben wenig mit dem zu tun, was wir über die Tiere selbst wissen. In einer Tradition, die auf Volkserzählungen, Aesop und La Fontaine zurückgeht, dient ein Anthropomorphismus dieser Art menschlichen Zwecken: dem Spott, der Pädagogik, der moralischen Ermahnung und der Unterhaltung. Zu einem großen Teil bedient er zudem das liebevolle Klischee vom Tierreich als einem friedlichen und gemütlichen Paradies. Die Tatsache, daß Tiere sich in Wirklichkeit gegenseitig töten und verschlingen, an Hunger und Krankheit sterben oder einander gleichgültig sind, passt nicht in dieses idealisierte Bild. Der massive Versuch der Unterhaltungsindustrie, Tieren ihre häßliche Seite zu nehmen, ist treffend als ‚Bambifizierung‘ bezeichnet worden“ (74).
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Zur Klassifizierung des Hundes als „Grenztier“ führt Borgards aus: „Der Hund ist für die moderne Zoologie zwar einerseits eindeutig ein wirkliches, natürliches Tier. Andererseits jedoch erscheint er zugleich als Ergebnis eines menschlichen Eingriffs in die Natur, als ein kulturell gestaltetes Lebewesen, als ein produziertes Tier, das aus einem züchterischen Differenzierungsprozess vom Wolf abgespalten worden ist. In keinem anderen Tier steckt so viel Arbeit wie im Hund. Für die Zoologie erwächst daraus die Konsequenz, dass der Hund zu einem Grenzphänomen zwischen natürlicher Gegebenheit und menschlicher Erfindung wird. Für die Anthropologie erwächst daraus die Konsequenz, dass der Hund zu einem Grenzphänomen zwischen dem Animalischen und dem Humanen wird“ (Borgards, „Tier“ 486).
Literatur
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Borgards, Roland. „Hund.“ Metzler Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer und Joachim Jacob, Metzler, 2008.
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Brehm, Alfred Edmund. Illustrirtes Thierleben: Eine allgemeine Kunde des Thierreichs. Bd. 1, Hildburghausen, 1864.
Cartmill, Matt. Das Bambi-Syndrom: Jagdleidenschaft und Misanthropie in der Kulturgeschichte. 1993. rororo, 1995.
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Haraway, Donna J. When Species Meet. U of Minnesota P, 2008.
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Lorenz, Konrad. Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen. 1949. DTV, 1998.
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Waal, Frans de. Der Affe und der Sushimeister: Das kulturelle Leben der Tiere. 2001. DTV, 2005.
Waldenfels, Bernhard. Der Stachel des Fremden. Suhrkamp, 1990.
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Lillge, C. (2019). Über Jäger und Jagdhunde: Literarische und bildkünstlerische Verhandlungen einer Mensch-Tier-Begegnung. In: Böhm, A., Ullrich, J. (eds) Animal Encounters. Cultural Animal Studies, vol 4. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04939-1_19
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