1 Einleitung

Eine Frage, die Philosophen seit jeher beschäftigt, ist die nach einem „guten Leben“. Die Wurzeln der Lebenskunst liegen in der griechischen Antike. Damals war die Lebenskunst eine praktisch ausgeübte philosophische Lebensform, deren Ziele z. B. Vortrefflichkeit und Glückseligkeit (eudaimonía) waren. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich der Lebenskunstbegriff immer wieder, worüber Schmid (2012) und Fellmann (2009) einen guten Überblick geben. Grundsätzlich versteht Schmid (2012), der die Lebenskunst in den letzten Jahren grundlegend systematisiert hat, unter der heutigen Lebenskunst „die Möglichkeit und die Anstrengung, das Leben auf eine reflektierte Weise zu führen und es nicht einfach nur dahingehen zu lassen“ (S. 10). In den letzten Jahren wurde somit nach und nach ein modernes Verständnis von Lebenskunst entwickelt, deren Elemente persönliche Werte, Authentizität sowie Selbstbestimmtheit sind und welche eine gute Lebensqualität und persönliches Wohlbefinden zum Ziel haben (Dohmen, 2003; Veenhoven 2003; Schmid 2000, 2012). Zusammengefasst kann man unter einer modernen Lebenskunst demnach die Fähigkeit eines Menschen verstehen, das eigene Leben individuell und aktiv zu gestalten. Durch die Anwendung von nützlichen Strategien und das Ausnutzen der eigenen Handlungsoptionen können Menschen ein zufriedenes und erfüllendes Leben führen. Welche wichtigen Strategien man dazu braucht, wurde auf der Grundlage von philosophischen Überlegungen und psychologischer Forschung kürzlich anschaulich dargestellt (Stumpp-Spies und Schmitz 2017). Die Entwicklung eines psychologischen Modells von Lebenskunst war hierbei ein erster wichtiger Schritt, an den sich die Konzeption und Evaluierung eines daraus abgeleiteten Fragebogens anschließen konnte. Der Art-of-Living Questionnaire (AOLQ) eröffnet nun in Zukunft die Möglichkeit, bei einem Coachee zunächst einen aktuellen Status von Lebenskunst zu erheben und im Anschluss daran eine mögliche Veränderung seines Lebenskunstwertes nach einem erfolgten Coaching zu messen.

Dass eine intensive Zusammenarbeit mit einem Coach persönliche Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in eine positive Richtung lenken und das Wohlbefinden fördern kann, ist laut Grant und Palmer (2002, zitiert nach Passmore et al. 2013) eine der Grundannahmen des psychologischen Coachings und damit auch eine wichtige Grundlage für die hier vorliegende Arbeit: „Coaching Psychology is for enhancing well-being and performance in personal life and work domains, underpinned by models of coaching grounded in established adult learning or psychological approaches“ (S. 4).

Diese Grundannahme war für uns Anlass und Motivation, ein solches Coaching-Programm für Lebenskunst zu entwickeln und an einer Probanden-Stichprobe empirisch zu überprüfen. Das genaue Vorgehen wird im Weiteren wie folgt dargestellt: Zunächst werden verschiedene Coaching-Disziplinen bzw. Coaching-Perspektiven beschrieben, um daran anschließend den in dieser Untersuchung verwendeten Ansatz und die eingesetzten Interventionen zu schildern. Danach werden drei Forschungsfragen formuliert, die Stichprobe beschrieben und der methodische Ablauf der Interventionen dargestellt. Im letzten Teil folgen dann das Evaluationsinstrument, die Ergebnisse und die Diskussion. Abschließend werden danach die Grenzen der Studie aufgezeigt, Schlussfolgerungen gezogen und ein Ausblick gegeben.

2 Coaching und seine Subdisziplinen

2.1 Coaching

In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich die Forschung zum Thema Coaching und seiner Effizienz sprunghaft. Einen guten Überblick über die Definitionsbandbreite des Begriffs „Coaching“ geben hierzu Passmore et al. (2013) in ihrem Beitrag „The Psychology of Coaching and Mentoring“ im Whiley Blackwell Handbook of the Psychology of Coaching and Mentoring. Hier findet sich u. a. eine relativ allgemein gefasste Bestimmung des Coaching-Begriffs von Passmore und Fillery-Travis von 2011, welche die wichtigsten Kennzeichen von Coaching auf einer Metaebene zusammenfasst: „A socratic based future focused dialogue between a facilitator (coach) and a participant (coachee/client), where the facilitator uses open questions, summaries and reflections which are aimed at stimulating the self-awareness and personal responsibility of the participant“ (Passmore et al. 2013, S. 3). Diese Definition bleibt zwar etwas vage und lässt viel Raum für eigene Interpretationen, z. B. zu welchen Themen offene Fragen gestellt werden sollen und was genau reflektiert wird, sie gibt aber zumindest Antworten auf die wichtigsten Fragen eines Coachings: Was findet wie statt und für wen? Grant und Stober formulierten schon einige Jahre zuvor, nämlich 2006, eine Definition von Coaching, welche sowohl stärker auf die Beziehung zwischen Coach und Coachee eingeht als auch explizit die Zielgerichtetheit eines Coaching-Prozesses thematisiert: „A collaborative and egalitarian relationship between a coach, who is not necessarily a domain-specific specialist, and client, which involves a systematic process that focuses on collaborative goal setting to construct solutions and employ goal attainment process with the aim of fostering the on-going self-directed learning and personal growth of the client“ (Passmore et al. 2013, S. 2). Beide Definitionen enthalten wichtige Elemente, die in der so formulierten Art und Weise auch für ein Lebenskunst-Coaching gelten können.

Aber selbst in Unternehmen und Organisationen, dem ursprünglichen „Mutterland“ des Coachings, geht es heute nicht mehr ausschließlich um ein optimales Funktionieren und das Erbringen persönlicher Bestleistungen von Mitarbeitern und Führungskräften zum Wohle der Firma. Heute geht es darüber hinaus auch um die Gesundheit und das Wohlbefinden ebendieser Mitarbeiter (Green und Spence 2014). Deshalb entwickelten sich in den letzten Jahren zunehmend Subdisziplinen von Coaching, die eine starke Verbindung zur Psychologie, deren Theorien, Methoden und Ansätzen haben. Und diese Subdisziplinen, wie z. B. Coaching Psychology und Life Coaching, haben auch das Wohlbefinden eines Coachees zum Ziel.

2.2 Life coaching

In den o. g. Definitionen fehlt jedoch dieses eben erwähnte Element, welches ein wichtiger Teil eines Life Coachings ist: Das Wohlbefinden. Dieses Wohlbefinden nehmen Green et al. (2006) in ihre Definition von Life Coaching mit auf: „Life coaching is a systematized structured approach to helping people make changes in their lives, and has become a popular means of helping non clinical populations set and research goals and enhance their well-being“ (S. 142).

Auch das von uns entwickelte Lebenskunst-Coaching soll mittels eines systematischen und strukturierten Vorgehens darauf abzielen, Menschen bei Veränderungen in ihrem Leben zu unterstützen und damit zu größerem Wohlbefinden führen. Dass Lebenskunst mit Wohlbefinden zusammenhängt konnte in der Evaluation des AOLQ bereits gezeigt werden (Stumpp-Spies und Schmitz 2017).

2.3 Coaching und Positive Psychologie

Green und Spence (2014) erachten es als durchaus möglich, Coaching als eine Form der Angewandten Positiven Psychologie zu sehen. Für die Positive Psychologie und die Wirksamkeit der daraus entwickelten Interventionen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an empirischen Belegen (Seligman et al. 2005; Sin und Lyubomirsky 2009; Mazzucchelli et al. 2010). Wissenschaft und Forschung haben damit eine solide empirische Grundlage geschaffen, die in der Praxis des Coachings Anwendung finden kann.

In den letzten Jahren gab es auch tatsächlich schon eine Verschmelzung der beiden Begriffe „Positive Psychologie“ und „Coaching“ zu „Positive Psychology Coaching (PPC)“ und Green et al. konzipierten 2006 eine erste kontrollierte Studie zur Effektivität eines kognitiv-behavioralen, lösungsorientierten „life coaching group program“. Diese und eine weitere Studie von Spence und Grant aus dem Jahr 2007 enthielten zwar noch keine spezifischen Interventionen aus der Positiven Psychologie, hatten aber zumindest schon einige ihrer Konstrukte als abhängige Variablen definiert: Das Streben nach Zielen, das Wohlbefinden und die Hoffnung (Hoffnung nur in der Studie von Green et al.). Green und Spence (2014) bemängeln, dass es in vielen Einsatzbereichen leider immer noch eine relativ weit verbreitete Trennung der beiden Ansätze gibt: „Whilst both positive psychology and coaching psychology can be utilized to enhance well-being and optimal functioning across a variety of settings, these approaches appear to operate largely in isolation from each other“ (S. 280) und wünschen sich für die praktische Arbeit in unterschiedlichen Kontexten ein stärkeres Zusammenwirken der beiden Richtungen.

Dass Überschneidungen, sogar mit Therapie, durchaus sinnvoll sein könnten, macht Biswas-Diener (2009) deutlich: „In this respect, coaching shares much in common with cognitive, behavioral and solution-focused therapy“ (S. 546). Viele Techniken und Interventionen, die erfolgreich im therapeutischen Kontext eingesetzt werden und dort wirken, finden ebenso einen wirkungsvollen Einsatz im Coaching.

Für das gesamte Coaching und dessen Subdisziplinen gilt einheitlich die Forderung nach einer stärker empirisch ausgelegten Forschung, da es daran noch mangelt: „We would argue that all coaching practice should be evidenced based“ (Passmore et al. 2013, S. 5). Um die Effizienz von Coaching zu messen, reichen retrospektive Einschätzungen mittels Feedbackfragebögen nicht aus. Einen Überblick über den aktuellen Stand der empirischen Coachingforschung, zur Wirksamkeit und zu den Wirkfaktoren von Coaching geben Kotte et al. (2016). Sie kommen in den von ihnen vorgestellten vier Metaanalysen zu dem Ergebnis, dass Coaching zwar wirkt, aber dass noch weitere Forschung bezüglich Wirksamkeit und Wirkfaktoren notwendig ist.

3 Festlegung wichtiger übergeordneter Prinzipien des Coaching-Konzepts für Lebenskunst

Unser Anliegen war es nun, ein möglichst integratives Konzept aus den o. g. Disziplinen und den dort verwendeten empirisch belegten Methoden, Techniken und Interventionen zu konzipieren. Das Ziel sollte sein, die Lebenskunst von Probanden zu erhöhen und damit deren Wohlbefinden zu fördern. Dabei sollte es aber, im Unterschied zu Studien im Rahmen der Positiven Psychologie, nicht um Einzelinterventionen gehen (Sin und Lyubomirsky 2009). Wir wollten vielmehr ein integratives und holistisches Konzept verfolgen, bei dem mehrere Interventionen miteinander kombiniert werden sollten.

Dieser integrative und holistischen Grundsatz sollte darüber hinaus auch bei der Durchführung des Coachings gelten: Beraterische Elemente sollten mit Trainingselementen verknüpft werden. Der Coach sollte dem Coachee sowohl beraterisch zur Seite stehen, was z. B. die Beantwortung von Fragen oder die Auswahl bestimmter Interventionen anbelangt, als auch unterstützend, wie z. B. beim Durchführen und Einüben der Interventionen. Das Verhältnis der beraterischen Anteile und der Trainingsanteile sollte dabei variieren können, da jeder Coachee individuell gefördert werden sollte. Das Pendel sollte also je nach Bedarf des Coachees einmal mehr nach der einen Seite oder mehr nach der anderen Seite ausschlagen können (vgl. Migge 2014).

In einem ersten Schritt legten wir zunächst fest, welche Prinzipien für den gesamten Coaching-Prozess gelten sollten und stellen diese in Abb. 1 dar.

Abb. 1
figure 1

Grundlegende Prinzipien

Die Schwerpunkte sollten grundsätzlich auf dem systemischen und dem lösungsfokussierten Ansatz liegen. Da der Coach, der das Lebenskunst-Coaching durchführen sollte, einen systemisch geprägten Hintergrund hat, sollten die Grundannahmen des Konstruktivismus gelten: Realitäten sind nicht vorgegeben, sondern werden erst durch einen Beobachter erzeugt, der dem, was er beobachtet, eine bestimmte Bedeutung gibt. Dies bezieht auch immer neurologische Prozesse mit ein: Das Gehirn verarbeitet und speichert subjektiv Wahrgenommenes und Erlebtes ab. Es gibt demnach also keine objektiven Realitäten, sondern nur subjektive bzw. „erfundene“ (von Glasersfeld 1991; Watzlawick 1981; von Foerster 1981). Über die Annahmen dieses radikalen Konstruktivismus hinaus bezieht der soziale Konstruktivismus in die Konstruktion von Wirklichkeit zudem noch soziale Beziehungen und das Medium der Sprache mit ein: „Menschliche Wirklichkeit wird in Prozessen menschlicher Kommunikation gemeinsam, gesellschaftlich konstruiert, in einem jeweils spezifischen historischen Kontext“ (von Schlippe und Schweitzer 2016, S. 122).

Wichtig war also, dass der Coach versuchte, zunächst einmal die Wirklichkeit des Probanden zu verstehen, um mit diesem langfristig an dessen Veränderungen und Zielen arbeiten zu können. Das Verstehen sollte aber auch beim Probanden eine wichtige Rolle spielen, da es eine zentrale Bedeutung hat: „Understanding is closely related to purpose and plays a vital role in meaningful life (…) Finally, to understand the demands of each situation as well as one’s own proper role in that situation is important for deciding on responsible actions. Understanding is also related to a sense of coherence“ (Wong und Wong 2012, S. 599).

Der Proband sollte zu jedem Zeitpunkt verstehen, worum es in diesem Coaching geht und was ihn erwartet. Dies sollte das Herstellen von Zusammenhängen und auch die Motivation beim Probanden fördern, sich in den Prozess einzulassen und eine Veränderung auch zu wollen. Eine hohe Motivation (vor allem eine intrinsische) ist förderlich, wenn es um die Verbesserung des Wohlbefindens geht (Schueller 2010; Lyubomirsky et al. 2011).

Wenn nun aber Veränderung stattfinden soll, muss zunächst geklärt werden, worin diese Veränderung für ein Gegenüber bestehen soll. Dazu müssen Fragen gestellt und Ziele festgelegt werden. In unserem Lebenskunst-Coaching sollten Fragetechniken und auch andere Interventionen (z. B. Reframing, Skalierung) zum Einsatz kommen, die sich schon lange in der Praxis bewährt haben. Diese gründen sich im Wesentlichen auf den systemischen sowie den lösungsfokussierten Ansatz (von Schlippe und Schweitzer 2016; Simon und Rech-Simon 2004; de Shazer und Dolan 2008). Zudem sollte stets ressourcenorientiert und nicht defizitorientiert gearbeitet werden.

Die Förderung sollte in Einzelsitzungen und nicht im Rahmen eines Gruppen-Coachings stattfinden. Unser Ziel war, mit jedem Probanden ganz speziell seine Lebenskunst in den Fokus zu nehmen, um in einem intensiven Einzel-Coaching in enger Zusammenarbeit mit dem Coach eine vom Coachee gewünschte Veränderung der Strategien bzw. ein besseres Ausschöpfen seiner Optionen zu erreichen. Die möglichen Verbesserungen, die ein Proband erreichen konnte, sollten dann am Ende nicht nur beschrieben, sondern tatsächlich gemessen werden.

4 Forschungsfragen

Nachdem aus philosophischer Sicht seit jeher die Annahme bestanden hatte, dass Lebenskunst prinzipiell lernbar ist, haben wir 3 Forschungsfragen formuliert, die in folgende Hypothesen mündeten:

H1

Lebenskunst ändert sich ohne Förderung über die drei Messzeitpunkte nicht signifikant.

H2

Lebenskunst ist förderbar.

H2a

Lebenskunst in der EG steigt signifikant von t1 zu t2 bzw. von t2 zu t3.

5 Methoden

5.1 Stichprobe und Design

An der Untersuchung nahmen insgesamt 40 Probanden teil (N = 23 weiblich). Die Probanden waren zwischen 26 und 79 Jahre alt (M = 49,35, S = 11,37) und hatten zwischen 0 und 3 Kinder (M = 1,38, S = 0,93). 20 der Probanden waren Akademiker. Die Mehrheit war verheiratet (N = 29), gefolgt von ledig (N = 8), geschieden (N = 2) und verwitwet (N = 1). Die Probanden in der Experimentalgruppe waren signifikant jünger (M = 45,40, S = 8,91) und hatten signifikant weniger Kinder (M = 1,05, S = 0,89) als Probanden in der Wartekontrollgruppe (Alter: M = 53,30, S = 12,37; Kinder: M = 1,70, S = 0,87). In der Experimentalgruppe waren zudem weniger Akademiker als in der Wartekontrollgruppe (N = 8 vs. 12).

Der Festlegung der Stichprobengröße lag zunächst die Frage zugrunde, welche Anzahl an Probanden von einem Coach in einem intensiven Coachingprozess in einem absehbaren Zeitraum von etwa einem Jahr gefördert werden könnte. Die Zahl wurde daraufhin von uns auf 20 Probanden festgelegt. Die Größe der Wartekontrollgruppe entsprach derjenigen der Experimentalgruppe.

Die Teilnehmer wurden alle durch Aushänge und Inserate gewonnen. Die Voraussetzungen zur Teilnahme waren, dass die Probanden neugierig auf sich selbst sein und gleichzeitig den Eindruck haben sollten, dass sie sich positive Veränderungen für ihr Leben wünschen. Zudem sollten sie die Bereitschaft haben, sich auf einen intensiven Coaching-Prozess von mehreren Monaten einzulassen und sollten motiviert sein, sich mit dem Thema Lebenskunst intensiv auseinanderzusetzen.

Die Teilnehmer wurden zufällig einer der zwei Bedingungen zugeordnet (20 in der Interventionsgruppe, 20 in der Wartekontrollgruppe). Somit hatte die Studie ein 2 (Bedingungen: Interventionsgruppe vs. Wartekontrollgruppe) × 3 (Messzeitpunkte: t1, t2, t3) Design. Aus ethischen Gründen hatten die Teilnehmer in der Wartekontrollgruppe die Möglichkeit, nach Beendigung der Studie ebenfalls eine Lebenskunstintervention zu erhalten. Diese Information erhielten sie zu dem Zeitpunkt, als sie der Wartekontrollgruppe zugeteilt wurden.

Während der Studie nahmen die Teilnehmer in der Interventionsgruppe an 10 Sitzungen mit der Erstautorin als Coach teil. Zwischen den Sitzungen gab es jeweils einen Abstand von etwa 3 Wochen. Vor der 1., nach der 5. und nach der 10. Sitzung füllten die Probanden der Interventionsgruppe jeweils den Fragebogen (AOLQ) aus, welchen sie entweder in Papierform oder elektronisch erhielten. Je nach Wunsch der Probanden. Die Fragebögen wurden von beiden Probandengruppen jeweils zu Hause ausgefüllt. Die Instruktion des Coaches zu den Bedingungen des Ausfüllens war, dass sich die Probanden einen ruhigen Moment aussuchen sollten, in dem sie sich einigermaßen entspannt und wohl fühlen. Sie sollten des Weiteren bitte darauf achten, dass sie wirklich alle Items beantworten, da das für die Untersuchung sehr wichtig sei. Alle Fragebögen wurden von den Probanden vollständig ausgefüllt.

Die Abstände zwischen den drei Zeitpunkten des Ausfüllens wurden bei der Wartekontrollgruppe gleich groß gehalten wie bei der Interventionsgruppe. Teilnehmer der Wartekontrollgruppe starteten zeitgleich mit Teilnehmern der Interventionsgruppe. Es starteten allerdings nicht alle Probanden gleichzeitig, sondern sie begannen zeitlich etwas versetzt. 20 Probanden parallel auf einmal zu fördern, wäre für einen Coach alleine nicht zu leisten gewesen. Alle 20 Probanden nahmen konsequent an dem Programm teil, keiner brach frühzeitig ab. Alle Coachings in der Interventionsgruppe wurden von demselben Coach durchgeführt.

5.2 Intervention

Unser Lebenskunst-Coaching sollte in zwei große Teile aufgespalten werden: Die Förderung von Metastrategien und die Förderung von individuellen Strategien.

Die statistische Überprüfung des o. g. Fragebogens hatte im Vorfeld 6 Subskalen identifiziert, welche einen sehr großen Einfluss auf Lebenskunst haben. Uns erschien es deshalb sinnvoll, dass alle Probanden zunächst eine Förderung in diesen sechs Metastrategien bekommen sollten, da ihnen eine so zentrale Bedeutung zukommt. Die sechs Strategien ließen sich gut in Zweierpaaren zusammenfassen und mit dazu passenden positiven Interventionen verbinden. Dies ist in Tab. 1 dargestellt. Die ersten beiden Strategien sind ein Paar, die zweiten beiden und die dritten beiden.

Tab. 1 Förderung der Metastrategien und die dazugehörigen Methoden/Interventionen

Es sollte darüber hinaus einen zweiten Teil geben, der sich ganz individuell auf den Probanden bezog und bei dem dieser aktiv bezüglich der Themen mitbestimmen konnte (Tab. 2).

Tab. 2 Förderung der individuellen Strategien und die dazugehörigen Methoden/Interventionen

Darauf gehen wir weiter unten noch genauer ein.

Eine Übersicht zum Ablauf des Coaching-Prozesses gibt das Interventionsschema für die Experimentalgruppe, welches in Abb. 23 und 4 zu sehen ist.

Abb. 2
figure 2

Interventionsschema für die Probanden der Experimentalgruppe (Sitzungen 1–5)

Abb. 3
figure 3

Interventionsschema für die Probanden der Experimentalgruppe (Sitzung 6)

Abb. 4
figure 4

Interventionsschema für die Probanden der Experimentalgruppe (Sitzungen 7–10)

Diesbezüglich einige Erläuterungen zu den Inhalten der einzelnen Sitzungen:

5.2.1 Sitzung 1

Der Proband bekommt sein erstes Lebenskunstprofil, kann sehen, wie die Ausprägungen seiner Strategien sind und kann sich im Vergleich zu einer Referenzgruppe mit seiner Lebenskunst einordnen.

Sowohl Strategien, die der Proband schon erfolgreich einsetzt als auch die Strategien, bei denen der Proband selbst noch Verbesserungsbedarf sieht, können innerhalb kurzer Zeit identifiziert werden. Dies ist beispielhaft in Abb. 5 zu sehen.

Abb. 5
figure 5

Beispiel eines Auswertungsprofils eines Probanden

5.2.2 Sitzung 2

Die Inhalte der 2. Sitzung sind in Abb. 2 dargestellt. Der Fokus liegt in dieser Sitzung darauf, zunächst mit dem Probanden zu identifizieren, welche Strategien er bereits erfolgreich einsetzt und welche Ressourcen er dafür nutzt. Zwei Interventionen werden in diesem Zusammenhang eingesetzt. Einmal die anerkennende Bestandsaufnahme von Ben-Shahar (2007) und der Ressourcenkreisel von von Schlippe (2009). Bei letzterem „sitzt“ der Proband am Ende in seinen Ressourcen, welche, jeweils auf ein Blatt geschrieben, in einem Kreis um ihn herum ausgelegt werden. Auf diese Art und Weise bekommt der Proband neben der kognitiven Auseinandersetzung noch zusätzlich ein „Bild“ seiner Ressourcen sowie ein Gefühl dazu: Er fühlt, wie es ist, von hilfreichen Ressourcen umgeben zu sein und er sieht, auf was er alles, auch in schwierigen Situationen, zurückgreifen kann.

Neben der Ressourcenarbeit stehen in der 2. Sitzung die Entwicklung und Formulierung realistischer Ziele für einen erfolgreichen Coaching-Prozess auf der Agenda (Willutzki 2009).

Nach der Sitzung bekommt der Proband eine Aufgabe für zu Hause, die das in der Sitzung Erarbeitete noch einmal thematisch aufgreift und für eine Intensivierung des Gelernten sorgen soll. Hier hat der Proband die Aufgabe, in Anlehnung an die Positive Psychologie (vgl. Seligman et al. 2005), jeden Abend rückblickend drei Dinge bzw. Situationen zu notieren, die er gut gemeistert hat. Dazu soll er die von ihm eingesetzten Ressourcen notieren.

5.2.3 Sitzung 3–5

Die Förderung der Metastrategien und die dabei verwendeten Interventionen sind in Tab. 1 dargestellt.

Das Informationsmaterial zu jeder Sitzung darf der Proband mit nach Hause nehmen (zum Nachlesen oder aber auch als Erinnerungsstütze für die Zeit nach dem Coaching). Ein Beispiel dazu: Für das Thema Begeisterung bekommt der Proband Informationen dazu, warum Begeisterung so wichtig ist, in welchen Situationen sie entstehen kann und welche neueren Forschungsergebnisse (z. B. aus der Hirnforschung) es bezüglich ihrer Bedeutung gibt. Zudem wird die Verbindung zu Aneignung von Wissen geschaffen, welches das zweite Thema der 4. Sitzung ist: Warum ist Begeisterung beim Lernen so wichtig, was ist ein Flow, wann entsteht er beim Lernen usw.?

Nach jeder Sitzung bekommt der Proband eine Aufgabe für zu Hause, die das in der Sitzung Erarbeitete noch einmal thematisch aufgreift und für eine Intensivierung sorgen soll.

Der proaktive Plan (s. Tab. 1) zieht sich als ein wichtiges Element wie ein roter Faden durch das gesamte Coaching. Dort können von den Probanden immer wieder neue Dinge hinzugefügt werden, die während des Coaching-Prozesses herausgearbeitet werden, so dass am Ende ein möglichst genaues „best possible self“ (Wunsch-Ich) entsteht. Der Coach dokumentiert jede Sitzung und vermerkt in Sitzung 3–5 auch, welche Aufgaben der Proband gerne erledigt hat und welche evtl. weniger gerne bzw. welche dem Probanden schwerer gefallen sind.

5.2.4 Sitzung 6

Reflektion des bisherigen Prozesses und Festlegung der Themen für den zweiten Teil des Coachings. Formulierung von realistischen Zielen bezogen auf diese ausgewählten Themen bzw. Strategien (Abb. 4).

5.2.5 Sitzung 7–9

Die Individuelle Förderung und die dabei verwendeten Interventionen sind in Tab. 2 dargestellt.

In diesen individuellen Teil fließen die neuesten Erkenntnisse der Positiven Psychologie mit ein, nämlich dass die Präferenz des Probanden bezüglich einer Intervention eine Rolle spielt für zukünftige Interventionen bzw. dass der Proband mitentscheiden können soll, welche Intervention ausgewählt wird (Schueller 2014, 2011, 2010).

Dies erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Intervention in Zukunft freiwillig fortgeführt wird (Giannopoulos und Vella-Brodrick 2011).

In diesen zweiten Teil der Förderung bezieht der Coach aus diesem Grund sowohl die Erfahrungen und Rückmeldungen des Probanden als auch seine eigenen Beobachtungen aus den Protokollen des ersten Teils der Förderung mit ein. Er bietet deshalb dem Probanden eher eine Intervention an, die einer Intervention aus dem im ersten Teil der Förderung ähnelt, wenn der Proband diese Art von Intervention positiv bewertet hatte. Dieses Vorgehen erhöht die Partizipation des Probanden und erkennt seine Autonomie an (Schueller 2011).

Nach jeder Sitzung bekommt der Proband eine Aufgabe für zu Hause, die das in der Sitzung Erarbeitete noch einmal thematisch aufgreift und für eine Intensivierung sorgen soll.

5.2.6 Sitzung 10

Einige Tage vor der 10. Sitzung soll der Proband ein Vademecum anfertigen (Kapp 2009). Dies kann ein Bild, eine Collage oder auch lediglich eine Liste mit Stichpunkten sein.

Dieses Vademecum wird für eine gemeinsame Reflektion des Coachings-Prozesses genutzt. Dabei soll der Proband die drei bis fünf wichtigsten Erkenntnisse aufführen, die er aus dem Coaching für sich mitnimmt. Zudem soll in das Vademecum einfließen, an welchen Strategien der Proband weiterarbeiten möchte (wenn möglich schon mit konkreten Ideen und nächsten Schritten für die Umsetzung). Mit weiteren Ideen für die Intensivierung des Gelernten wird der Proband nach der 10. Sitzung entlassen.

Nach dieser Sitzung bekommt der Proband zusätzlich einen Feedbackbogen mit nach Hause, anhand dessen er das Coaching allgemein, die Zusammenarbeit mit dem Coach und auch die eingesetzten Interventionen bewerten kann.

5.3 Evaluationsinstrument

Wir haben die Wirksamkeit der Intervention mit dem AOLQ von Stumpp-Spies und Schmitz (2017) erfasst. Der Fragebogen umfasst 22 Subskalen mit jeweils 4 Items. Einige Beispiele daraus: Skala Zuversicht (Ankeritem: „Über die Zukunft mache ich mir im Allgemeinen keine großen Sorgen.“), Skala selbstbestimmte Lebensgestaltung (Ankeritem: „Nach neuen Lebenszielen suche ich aktiv, wenn Situationen sich ändern.“), Skala Begeisterung (Ankeritem: „Tätigkeiten, die mich begeistern, suche ich mir immer wieder ganz bewusst.“), Skala Aneignung von Wissen (Ankeritem: „Ich nutze oft Möglichkeiten, um etwas dazuzulernen.“), Skala Partnerschaft/Familie (Ankeritem: „Ich lebe in einer zufriedenstellenden Partnerschaft.“), Skala Liebesbeziehung (Ankeritem: „Durch eine offene Kommunikation schaffe ich eine gute Grundlage in einer Paarbeziehung.“). Alle Items werden auf einer Skala zwischen 1 = trifft überhaupt nicht zu bis 6 = trifft vollkommen zu gemessen. Stumpp-Spies und Schmitz (2017) identifizierten 6 Subskalen, die einen sehr großen Einfluss auf Lebenskunst haben – sie alleine erklären über 50 % der Varianz von Lebenskunst – und die deshalb als Kurzform der Lebenskunstskala genommen werden können. Die Skalenreliabilität der Gesamtskala bzw. der Kurzform für unsere Stichprobe bei allen 3 Messzeitpunkten ist exzellent bzw. gut (Cronbachs Alpha, Gesamtskala: t1 = 0,88, t2 = 0,90, t3 = 0,91; Kurzform: t1 = 0,79, t2 = 0,79, t3 = 0,80).

6 Ergebnisse

H1

Lebenskunst ändert sich ohne Förderung über die drei Messzeitpunkte nicht signifikant.

Eine Varianzanalyse für abhängige Stichproben über die drei Messzeitpunkte hinweg mit Lebenskunst als abhängige Variable zeigt, dass sich Lebenskunst in der Wartekontrollgruppe nicht signifikant über die Zeit ändert – weder für die Gesamtskala, F(2, 38) = 0,80, p = 0,42, η2 = 0,04, noch für die Kurzform, F(2, 38) = 0,66, p = 0,52, η2 = 0,03 (deskriptive Statistiken für alle Messzeitpunkte sind in Tab. 3 dargestellt). Unsere Ergebnisse bestätigen also, dass Lebenskunst sich ohne Förderung nicht signifikant über die Zeit ändert.

Tab. 3 Mittelwerte (Standardabweichungen) und Effektgrößen der Lebenskunstskalen für alle drei Messzeitpunkte

H2

Lebenskunst ist förderbar.

Um überprüfen zu können, ob Lebenskunst förderbar ist, verglichen wir die Lebenskunstwerte innerhalb der Experimentalgruppe bezüglich der drei Messzeitpunkte mittels einer Varianzanalyse für abhängige Stichproben. Die Ergebnisse zeigen, dass Lebenskunst sich über die Zeit hinweg signifikant verändert, sowohl für die Gesamtskala (22 Subskalen) F(2, 38) = 40,61, p < 0,01, η2 = 0,68 als auch die Kurzform, F(2, 38) = 56,90, p < 0,01, η2 = 0,75 (deskriptive Statistiken für alle Messzeitpunkte sind in Tab. 3 dargestellt). Somit wird unsere zweite Hypothese bestätigt – Lebenskunst ist förderbar.

H2a

Lebenskunst in der EG steigt signifikant von t1 zu t2 bzw. von t2 zu t3.

Um die Hypothesen H1 und H2a zu testen, berechneten wir eine Varianzanalyse (ALM mit Messwiederholung) mit Messzeitpunkt (Innersubjekteffekt) und Experimentalbedingung (Zwischensubjekteffekt) als unabhängige Variablen und Lebenskunst als abhängige Variable. Die Ergebnisse bestätigen unsere Hypothesen. In der Wartekontrollgruppe blieb die Lebenskunst über die drei Messzeitpunkte weitestgehend unverändert. In der Experimentalgruppe dagegen steigt die Lebenskunst über die Zeit, was sich auch in dem signifikanten Interaktionseffekt zwischen Messzeitpunkt und Experimentalbedingung bemerkbar macht, F(2, 76) = 27,103, p < 0,01, η2 = 0,42 (Gesamtskala) bzw. F(2, 76) = 29,539, p < 0,01, η2 = 0,44 (Kurzform) (siehe auch Abb. 6 bzw. 7).

Abb. 6
figure 6

Lebenskunst (Gesamtskala)

Abb. 7
figure 7

Lebenskunst (Kurzform)

Post-hoc-Analysen in der Experimentalgruppe bestätigen die o. g. Befunde. Die Lebenskunst verändert sich signifikant von t1 zu t2, t(19) = 4,668, p < 0,01 (22 Subskalen) bzw. t(19) = 5,324, p < 0,01 (6 Subskalen), und von t2 zu t3, t(19) = 4,564, p < 0,01 (22 Subskalen) bzw. t(19) = 5,146, p < 0,01. Vergleichbare Analysen in der Kontrollgruppe sind nicht signifikant.

6.1 Exploratorische Analysen

Im Laufe der Interventionen entstand der Eindruck, dass es einen idealen Ausgangswert an Lebenskunst geben könnte. Profitieren Probanden, die einen mittleren Ausgangswert bei der Ausgangsmessung aufweisen, möglicherweise am meisten vom Lebenskunst-Coaching? Um diese Frage exploratorisch zu beleuchten, berechneten wir für Personen in der Experimentalgruppe eine Regressionsanalyse mit dem Ausgangswert von Lebenskunst bzw. der multiplikativen Interaktion des Ausgangswertes und der Experimentalbedingung als Prädiktoren und der Veränderung in Lebenskunst zwischen dem ersten und dritten Messzeitpunkt als Kriterium. Während der Ausgangswert keinen signifikanten Einfluss auf die Veränderung von Lebenskunst über die Zeit hat (Gesamtskala: b = 0,16, SE = 0,09, p = 0,09; Kurzform: b = 0,01, SE = 0,05, p = 0,02), hat die Interaktion zwischen dem Ausgangswert und der Experimentalbedingung einen signifikanten Effekt (Gesamtskala: b = 0,11, SE = 0,02, p < 0,01; Kurzform: b = 0,95, SE = 0,09, p < 0,01) – in der Experimentalgruppe profitieren Probanden mit einem vergleichsweise niedrigeren Ausgangswert am meisten von der Förderung.

Denkbar ist aber auch, dass dieser Effekt nicht linear, sondern umkehrt u‑förmig ist. Das heißt die Förderung von Lebenskunst ist am effektivsten für Personen mit einem mittleren Ausgangswert – Personen mit einem niedrigen bzw. hohen Ausgangswert profitieren weniger von der Förderung. Diese Möglichkeit haben wir mit der o. g. Regressionsanalyse überprüft, indem wir stattdessen einen quadratischen Interaktionsterm des Ausgangswertes und der Experimentalbedingung in die Regression aufnahmen. Die Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass der Effekt umkehrt u‑förmig ist (Gesamtskala: b = 0,03, SE = 0,01, p < 0,01; Kurzform: b = 1,08, SE = 0,12, p < 0,01).

Wir führten zudem exploratorische Analysen mit den Feedbackbogen-Daten durch, um herausfinden zu können, welche Variablen die Effektivität der Förderung beeinflussen. Dazu berechneten wir die bivariate Korrelation zwischen den jeweiligen Fragebogen-Items und der Veränderung von Lebenskunst zwischen dem ersten und dritten Messzeitpunkt. Folgende Effekte sind signifikant: Probanden, die im Schnitt die Interventionen hilfreicher fanden (Mittelwert der Angaben auf Items 9–18), zeigten eine größere Veränderung von Lebenskunst über die Zeit (r = 0,48, p = 0,03). Die Förderung war auch effektiver für Probanden, welche den Coach besser bewertet haben (r = 0,47, p = 0,04). Probanden, die eine Mitbestimmung als wichtiger bewertet haben (r = 0,51, p = 0,02) sowie diejenigen, die einen guten Kontakt zum Coach schätzten (r = 0,47, p = 0,04), zeigten ebenfalls eine größere Veränderung in Lebenskunst über die Zeit.

7 Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, ein erstes Coaching-Konzept zur Förderung von Lebenskunst zu entwickeln. Zu Lebenskunst gibt es bislang so gut wie keine empirischen Untersuchungen, obwohl deren Grundlagen und die philosophischen Überlegungen bis ins antike Griechenland zurückreichen und die Lebenskunst in der Philosophie eine lange Tradition hat. Diese Studie sollte nun erste Hinweise darauf geben, ob Lebenskunst erlernbar ist und mit professioneller Unterstützung gefördert werden kann. In diesem Zusammenhang sollten drei Hypothesen überprüft werden: Dass Lebenskunst sich ohne Förderung über die Zeit nicht signifikant verändert, dass Lebenskunst förderbar ist und dass die Experimentalgruppe eine positive Veränderung von t1 zu t2 bzw. von t2 zu t3 zeigt. Nach der Konzeption eines Lebenskunst-Coachings fanden 10 Einzelsitzungen mit 20 Probanden statt. Die Zeitdauer unseres Coachings mit im Durchschnitt 25 h ging über ein normales Coaching, welches in der Regel zwischen 6 und 12 h umfasst, hinaus. Dieser Schritt erschien uns sinnvoll, da Lebenskunst ein sehr komplexes Konstrukt mit vielen Variablen ist. Dieser Komplexität sollte durch einen erweiterten zeitlichen Rahmen Rechnung getragen werden, um ein ganzheitliches Arbeiten möglich zu machen. Die Ergebnisse zeigten, dass alle drei o. g. Hypothesen von den Daten gestützt werden. Da die empirische Forschung zu Lebenskunst noch am Anfang ist, kann bedauerlicherweise kein Vergleich zu Ergebnissen früherer Studien gezogen werden. Das Einordnen in einen Forschungszusammenhang ist somit schwierig. Kürzlich entwickelten Lang und Schmitz (2016) zwar ein Training für Lebenskunst, das in einem schulischen Kontext zur Anwendung kommen kann, aber dieses basiert lediglich auf kurzen Interventionen und umfasst nur zwei Sitzungen von jeweils 90 min. Es ist zwar deshalb nicht mit dem hier vorgestellten Lebenskunst-Coaching vergleichbar, konnte jedoch ebenfalls erste vielversprechende Hinweise bezüglich der Lernbarkeit von Lebenskunst geben.

Das von uns entwickelte Lebenskunst-Coaching zeigt, wie bereits oben erwähnt, eine Ähnlichkeit mit dem Life Coaching. Bezüglich des Life Coachings kritisiert Jarosz (2016) allerdings, dass es dort seit Jahren eine zu große und uneinheitliche Anzahl von Life-Coaching-Ansätzen gibt, die sowohl bei den Coaches als auch bei den Coachees oftmals für Verwirrung sorgen. Deshalb fordert sie nach Sichtung der evidenz-basierten Literatur zu Life Coaching zunächst eine einheitliche Definition dieses Begriffs. Darüberhinaus mahnt sie aber auch an, endlich eine einheitliche Charakterisierung von Life Coaching vorzunehmen, um klar festzulegen, welche Änderungen im Verhalten, dem Leben und dem Wohlbefinden eindeutig auf Life Coaching zurückzuführen sind.

Eine solche Charakterisierung ist für die Förderung von Lebenskunst durch die Entwicklung eines Modells und des daraus hervorgehenden Art-of-Living Questionnaire (AOLQ) (Stumpp-Spies und Schmitz 2016) bereits begonnen worden. Innerhalb kürzester Zeit konnte im Rahmen unserer Studie mithilfe dieses Fragebogens ein Ist-Zustand von Lebenskunst bei einem Coachee ermittelt und in einem Profil dargestellt werden. Die Ziele des Coachings wurden dann unter Zuhilfenahme der ermittelten Werte festgelegt. Im Anschluss daran fanden die Sitzungen mit Interventionen, die mehrheitlich aus der Positiven Psychologie bzw. dem systemischen Ansatz stammen, statt. Dieser Ablauf des Coaching-Prozesses war in unserer Untersuchung für alle Probanden gleich: Im ersten Teil wurden die Metastrategien gefördert und im zweiten Teil die individuellen Strategien. Ob es diesbezüglich in Zukunft auch Variationen geben sollte, kann durchaus diskutiert werden. So wäre z. B. vorstellbar, dass Probanden mit niedrigen Werten in den Metastrategien mehr als drei Sitzungen zu diesen Metastrategien bekommen. Vorstellbar wäre auch, die Gesamtzahl der Sitzungen bei Probanden mit niedrigen Profilen zu erhöhen. Denn im Prinzip geht es auf einer übergeordneten Ebene nicht nur um eine Veränderung von Strategien, die Entfaltung des eigenen Potentials und um die Ausnutzung von Optionen, sondern darüber hinaus um eine nachhaltige Veränderung individueller Verhaltens- und Denkmuster. Und Muster lassen sich durch kurzfristige Interventionen nicht langfristig verändern. Aus diesem Grund hatten wir von vorneherein den Zeitraum pro Proband und Coaching auf etwa ein halbes Jahr festgelegt. Es sollte zwischen den Sitzungen genug Zeit sein, damit die Interventionen wirken können und die Probanden auch Zeit hatten, Gelerntes umzusetzen und aufrecht zu erhalten.

Geprüft werden müsste zukünftig auch, ob bei Probanden mit extrem niedrigen Ausgangsprofilen ein Lebenskunst-Coaching überhaupt sinnvoll oder ob in solchen Fällen eventuell eher eine Therapie ratsam wäre. Wir vermuten, dass es im sehr niedrigen Bereich der Werte einen fließenden Übergang zu einem Therapiebedarf gibt.

Auch wäre eine Nacherhebung sinnvoll, um zu schauen, ob bzw. wie lange die Effekte eines Lebenskunst-Coachings anhalten. Die Probanden wurden zwar dazu ermuntert, bestimmte Interventionen fortzuführen (z. B. die Tagesbilanz der eingesetzten Ressourcen), aber eine Überprüfung der Nachhaltigkeit wäre sicher eine wichtige Ergänzung.

Zukünftige Studien könnten sich unter anderem damit beschäftigen, welche Subskalen genügen, um Lebenskunst möglichst ökonomisch, aber dennoch mit ausreichender Reliabilität, zu erheben bzw. zu fördern.

Deutlich wird, dass es bezüglich all dieser angeführten Punkte noch weiterer empirischer Forschung bedarf, um unsere obigen Hypothesen zur Lebenskunstförderung auf einer noch breiteren Basis zu bestätigen.

In Anlehnung an die Untersuchung von Kotte et al. (2016) zeigte sich auch bei der vorliegenden Untersuchung, dass die Coach-Coachee-Beziehung einen Einfluss darauf hat, ob bzw. wie sehr ein Coachee von einem Coaching profitiert. Hier wären langfristig z. B. Untersuchungen hilfreich um herauszufinden, welche Voraussetzungen ein guter Lebenskunst-Coach mitbringen sollte.

7.1 Grenzen der Studie

Die vorliegende Studie basiert auf einer sehr kleinen Stichprobe. Da das gesamte Coaching jedoch von ein und demselben Coach durchgeführt wurde, wäre eine größere Probandenzahl in unserem Fall nicht zu bewältigen gewesen. Leider nahmen auch nur wenige Männer an der Untersuchung teil. Es ist also möglich, dass die von uns gefundenen Effekten nicht auf die Gesamtpopulation generalisierbar sind. Spätere Studien sollten daher eine größere und repräsentativere Stichprobe gewinnen, um eine Gefährdung der Validität zu minimieren.

Das Coaching war, wie oben erwähnt, zeitlich sehr aufwendig. Spätere Forschung könnte beispielsweise der Frage nachgehen, ob die gleichen Ergebnisse eventuell mit einem weniger intensiven Coaching-Prozess erzielt werden könnten.

Eine Regression zur Mitte könnte bei der Verbesserung der Lebenskunst über die Zeit vermutet werden. Allerdings wurde deutlich, dass die Interventionen eine wichtige Rolle gespielt haben müssen, da sehr gute Ergebnisse erreicht werden konnten. Auch hier könnte jedoch eine größere Stichprobe nützlich sein, um die Ergebnisse abzusichern.

Die Ergebnisse hinsichtlich eines „Idealprofils“ sind exploratorisch. Sie zeigen jedoch, dass es möglicherweise lohnenswert ist, vor der Intervention zu schauen, welcher Coachee am meisten davon profitieren könnte. Weitere Forschung könnte dieser Frage intensiver nachgehen, sodass in Zukunft Personen, die nur in geringem Maße von den Interventionen profitieren würden, nicht an der Intervention teilnehmen. Gerade für Personen mit einem sehr niedrigen Ausgangsprofil stellt ein Lebenskunst-Coaching möglicherweise in dieser Form eine Überforderung dar bzw. müsste entsprechend angepasst werden.

8 Schlussfolgerungen und Ausblick

Der Philosoph Wilhelm Schmid ist der Ansicht, dass der moderne Mensch grundsätzlich dazu in der Lage ist, sein Leben so zu gestalten, dass es für ihn selbst „bejahenswert“ ist (Schmid 2000). Dies ist Schmids Verständnis einer modernen und reflektierten Lebenskunst. Achenbach (2001) spricht diesbezüglich gar von einer „Lebenskönnerschaft“. Beiden geht es nicht um ein „schönes“ bzw. „leichtes“ Leben, sondern darum, das Leben in all seinen Facetten und Herausforderungen, lebensklug zu gestalten. Dies stellt in ihrer Ausrichtung tatsächlich eine neue Perspektive der Lebenskunst dar, denn in den vergangenen Jahrhunderten war Lebenskunst überwiegend normativ geprägt. Philosophen machten sich Gedanken darüber, wie der Mensch sein Leben zu führen hat (vgl. Werle 2000). Als Mittel zur Umsetzung galten Gebote und Verbote und es wurden Verhaltensanweisungen bzw. -verschreibungen gegeben. Ob die sieben Weisen im alten Griechenland, die Stoiker oder Immanuel Kant im Rahmen seiner Moralphilosophie und seiner Kritik der praktischen Vernunft: Das Augenmerk lag immer wieder auf Normen und Regeln und das Individuum sollte sich der Gemeinschaft unterordnen. Die moderne Lebenskunst von Wilhelm Schmid hingegen hat einen individuellen und optativen Charakter (Schmid 2012). Sie gibt nichts normativ vor, sondern soll für Menschen Anleitung zu einer klugen Lebensführung sein, keine Vorschrift. Aus diesem Grund schien ebendiese Lebenskunst von Wilhelm Schmid für die Entwicklung eines Lebenskunst-Coachings eine gute und brauchbare Basis und wir konnten in einem ersten Schritt zeigen, dass Menschen, die dafür wichtigen Strategien lernen und erfolgreich zum Einsatz bringen können. Das von uns konzipierte Coaching-Konzept dient hierfür als holistischer, komprimierter und transparenter Leitfaden. Obwohl der Ansatz, historisch bedingt, auf einer sehr breiten und komplexen Basis beruht (dem ganzen Leben!), konnte durch eine gute Strukturierung ein planvolles Vorgehen entwickelt werden, das schon nach wenigen Sitzungen statistisch belegte positive Effekte bei den Probanden erzielen konnte.

Eine noch offene Frage in diesem Zusammenhang wäre allerdings, ob es tatsächlich immer (nur) um Ressourcen und Strategien geht, welche positive Effekte haben oder ob nicht noch andere Dinge eine Rolle spielen, wenn ein Mensch sein Leben nicht so gestalten kann, dass er damit zufrieden ist. Diesbezüglich sind wir der Ansicht Wongs (2011), der fragt: „What to do about the negative?“ (S. 69) und der die Positive Psychologie zu einer Weiterentwicklung auffordert: Sie soll sich zukünftig nicht nur um den Aufbau des „Besten“ (z. B. best possible self) kümmern, sondern soll auch hinderliche Faktoren betrachten.

Welche „Einsatzorte“ eines solchen Lebenskunst-Coachings sind nun denkbar? Zunächst kann es in einem privaten bzw. familiären Rahmen zum Einsatz kommen: Durch die analytische Betrachtung aller für die Lebenskunst wichtigen Faktoren werden Einflüsse und deren Interaktionen schnell sichtbar und Muster erkannt. Diese Muster können dann in einem individuellen Coaching gezielt thematisiert, unterbrochen und verändert werden.

Vorstellbar wäre aber auch ein Einsatz in einem beruflichen Kontext, denn die meisten der Probanden unserer Studie wünschten im individuellen Teil des Coachings eine Auseinandersetzung mit ihrer beruflichen Situation. Eine starke wechselseitige Beeinflussung von Privatem und Beruflichem wurde deutlich: Oft waren z. B. die als schlecht erlebten Beziehungen zum Chef oder den Kollegen ein Thema, manchmal auch die Arbeitssituation oder die Arbeitsbelastung an sich. Dadurch wiederum fühlten sich die Probanden in ihrem Privatleben massiv beeinflusst. Aktuelle Studien der Krankenkassen belegen eine statistisch signifikante Zunahme der psychosomatischen Erkrankungen von Arbeitnehmern in den letzten Jahren. Wie sehr ein Mitarbeiter eine psychische Belastung auch als psychische Beanspruchung erlebt, hat zu einem großen Teil etwas mit den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen und Strategien zu tun. Diese zu stärken ist eines der Hauptanliegen des Lebenskunst-Coachings. Aus diesem Grund ist deshalb auch eine Anwendung z. B. im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bzw. des betrieblichen Gesundheitsmanagements vorstellbar. So könnte z. B. ein Lebenskunst-Coaching durchaus einen präventiven Charakter haben und, außer im privaten Umfeld, auch in Unternehmen zum Einsatz kommen.