1 Einleitung

Die Rolle von Kundinnen und Kunden im Wertschöpfungsprozess hat sich in der jüngeren Vergangenheit vom reinen Konsum von Produkten und Dienstleistung hin zu einer potenziellen Ressource verschoben. Digitale Technologien haben die Einbindung von Kundinnen und Kunden in die Wertschöpfung, unter dem Begriff Co-Creation bekannt, maßgeblich erleichtert und bestimmen, wie Teilnehmende diese Einbindung erleben. So können Unternehmen Kundinnen und Kunden in virtuelle Welten einladen, um dort, zum Beispiel mittels Ideenwettbewerben oder in Design-Thinking-Prozessen, neue Produkte zu entwerfen oder bestehende Entwürfe zu testen (Kohler et al. 2011; Ruess und Wingartz 2020). Fortschritte in der Virtual Reality (VR)-Technologie können solche Co-Creation-Erlebnisse, insbesondere in Produktentwicklungsprozessen, weiter verbessern (Kostis und Ritala 2020; Vogel et al. 2020). So ermöglicht VR Kundinnen und Kunden beispielsweise, Objekte mit Hilfe verschiedener virtueller Interaktionswerkzeuge zu gestalten und zu konfigurieren, wodurch sie ihre Bedürfnisse flexibel artikulieren können.

Die bestehende Forschung zu Co-Creation hat gezeigt, dass ein positives Co-Creation-Erlebnis entscheidend für die Qualität und Quantität der Co-Creation-Ergebnisse ist (Füller et al. 2011). Um die Vorteile von Co-Creation bestmöglich zu nutzen, müssen Unternehmen also das Erlebnis der Teilnehmenden optimieren – beispielsweise über VR. Bisher ist aber unklar, wie sich der Einsatz von VR auf die Co-Creation-Erlebnisse der Kundinnen und Kunden auswirkt. Dieser Frage möchten wir in diesem Artikel nachgehen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Immersion, d. h. das vollständige geistige Eintauchen in eine virtuelle Aufgabe, als eine der Haupteigenschaften von VR-Erlebnissen (Teichmann und Fromme 2019). Zudem konzentrieren wir uns auf die Produktentwicklung als einen der Hauptanwendungsfälle von Co-Creation. Konkret möchten wir die folgende Frage beantworten: Wie wirkt sich die Immersion auf Co-Creation-Erlebnisse der Kundinnen und Kunden in der Entwicklung neuer Produkte in VR aus?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Laborstudie durchgeführt, in der Probandinnen und Probanden mithilfe einer speziell angepassten VR-Software ein Hotelzimmer entwerfen sollten. Über eine anschließende Befragung konnten wir ermitteln, dass die durch VR erzeugte Immersion die Zufriedenheit mit dem Co-Creation-Erlebnis positiv beeinflusst. In den folgenden Kapiteln erläutern wir zunächst die wichtigsten Konzepte dieses Artikels. Anschließend gehen wir näher auf die Methodik der Studie ein, bevor wir die Ergebnisse sowie wichtige Implikationen für die Praxis darlegen.

2 Co-Creation

2.1 Kundeneinbindung in die Produktentwicklung

Unser Beitrag baut auf den bestehenden Erkenntnissen zur Einbindung von Kundinnen und Kunden in Produktentwicklungsprozesse und die sich dadurch ergebenden Vorteile auf. Das übergreifende Konzept der Co-Creation bezeichnet die Beteiligung von Konsumentinnen und Konsumenten an der Wertschöpfung am Markt (Zwass 2010). Zusätzlich dazu, dass Firmen durch Co-Creation Zugang zu vielfältigen Ideen und Wahrnehmungen erhalten, können sie auch von den tiefgreifenden Einblicken in die Kundenbedürfnisse profitieren. Co-Creation-Prozesse können sowohl in physischen als auch in virtuellen Umgebungen stattfinden, wobei virtuelle Umgebungen die Einbindung einer größeren Zahl von Teilnehmenden erleichtert. Nambisan und Nambisan (2008) beschreiben fünf mögliche Rollen von Kundinnen und Kunden in virtuellen Co-Creation-Prozessen (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Kundenrollen in virtuellen Co-Creation-Prozessen. (Nambisan und Nambisan 2008)

Im Folgenden fokussieren wir uns auf die Rolle der Kundinnen und Kunden als Produktdesigner/in im Rahmen der Produktentwicklung. Die Entwicklung benutzerorientierter Produkte ist in wettbewerbsintensiven Märkten von großer Bedeutung, da ein guter Fit mit den Bedürfnissen des Marktes entscheidend für den Produkterfolg ist. Je früher Unternehmen ihre Kundinnen und Kunden in Produktentwicklungsprozesse einbeziehen, desto wertvoller ist deren Feedback. Produktentwicklungsprozesse erstrecken sich typischerweise von der Ideenfindung über das Design und die Entwicklung bis hin zum Testen von Prototypen und Produkten. Alle drei Phasen bieten das Potenzial, Kundinnen und Kunden mittels digitaler Technologien einzubinden (Zwass 2010). In der Phase der Ideenfindung laden Firmen Kundinnen und Kunden dazu ein, neue Ideen für Produktinnovationen oder -verbesserungen einzubringen oder bestehende Ideen zu selektieren, zu evaluieren und weiter auszuarbeiten. Für die Entwicklung des Fahrzeugmodells Mio hat der Automobilhersteller Fiat beispielsweise über 11.000 Kundenideen über eine eigens eingerichtete Website eingesammelt (Solon 2010). In der Design- und Entwicklungsphase werden Ideen in konkrete Produkte oder Prototypen übersetzt. Um Kundinnen und Kunden in diese Phase einzubinden, können Unternehmen ihnen eine virtuelle Entwicklungsumgebung und einen Lösungsrahmen vorgeben, innerhalb dessen Kundinnen und Kunden dann Produkte nach ihren Wünschen gestalten können (Thomke und von Hippel 2002). Auf diese Weise konnte Swarovski zum Beispiel mehr als 3000 Designvorschläge für neue Produkte generieren und tiefe Einblicke in aktuelle Kundenbedürfnisse und Trends erhalten (Füller et al. 2011). Nicht zuletzt können Kundinnen und Kunden auch zum Testen von Prototypen und Produkten beitragen. So nutzt das Marktforschungsunternehmen Ipsos digitale Produktsimulationen, um Kundinnen und Kunden Produkte erproben und evaluieren zu lassen (Ipsos 2021).

2.2 Erfolgsfaktoren von Co-Creation-Erlebnissen

Die zentrale Herausforderung der Kundeneinbindung besteht in allen drei Phasen des Produktentwicklungsprozesses darin, den Kundinnen und Kunden ein überzeugendes Co-Creation-Erlebnis zu bieten. Unter den Erfolgsfaktoren, die Co-Creation-Erlebnisse ausmachen, sind laut bestehender Forschung drei besonders relevant: Handlungskompetenz, Autonomie und Vergnügen (Füller et al. 2011; Voorberg et al. 2015). Der Begriff der Handlungskompetenz bezeichnet Gefühle, die aus einer positiven Beurteilung einer erledigten Aufgabe entstehen. Dies ist der Fall, wenn Kundinnen und Kunden ihre eigenen Erwartungen an die Lösung der zu erledigende Aufgabe am Ende erfüllt oder übererfüllt haben (Füller et al. 2011). Autonomie bezieht sich auf die wahrgenommene Freiheit bei der Erledigung einer Aufgabe, also auf das Gefühl der Kundinnen und Kunden, auf ihre eigene Art und Weise vorgehen zu dürfen und nicht in ein bestimmtes Vorgehen gedrängt zu werden (Dahl und Moreau 2007). Vergnügen stellt indes auf die Freude an einer Aufgabe ab. Menschen nehmen kreative Aufgaben eher als vergnüglich war, da sie einen intrinsischen Nutzen daraus ziehen, solche Aufgaben zu erledigen (Füller et al. 2011).

Dass sich ein zufriedenstellendes Co-Creation-Erlebnis positiv auf die Qualität und Quantität der Ideen im Co-Creation-Prozesses auswirkt, ist bereits bekannt (Füller et al. 2011). Unternehmen können mittels Co-Creation also bessere und mehr Ideen für ihre Produktentwicklung erhalten. Offen ist hingegen, welchen Einfluss die drei zuvor genannten Erfolgsfaktoren auf die Zufriedenheit mit dem Co-Creation-Erlebnis haben. Wir gehen auf Basis vorhergehender Forschung davon aus, dass Spaß das Co-Creation-Erlebnis positiv beeinflusst (Nambisan und Baron 2009). Gleiches gilt für Autonomie, da große Freiheitsgrade bei der Gestaltung von Produkten viele verschiedene Lösungen ermöglichen. Dadurch fühlen sich Kundinnen und Kunden mit den von ihnen kreierten Lösungen enger verbunden. Große Handlungskompetenz im Co-Creation-Kontext geht wiederum mit einem Gefühl der Erfüllung einher (Füller 2010), was ebenfalls zu einem gelungenen Co-Creation-Erlebnis beitragen dürfte. Auf diese Weise tragen die genannten Faktoren dazu bei, dass Kundinnen und Kunden gerne an Co-Creation-Prozessen teilnehmen und kreative Ideen produzieren, die einerseits dem Unternehmen nutzen und andererseits den Teilnehmenden bereits durch den Co-Creation-Prozess einen Mehrwert bieten. Die Teilnahme am Co-Creation ist für die Teilnehmenden dadurch unabhängig von der Umsetzung der entwickelten Idee lohnend.

3 Immersion und Virtual Reality in der Co-Creation

3.1 Entstehung von Immersion

VR gehört zur Klasse der immersiven Systeme, zu der auch Augmented Reality und Augmented Virtuality gehören (Milgram und Kishino 1994). VR bezeichnet dabei Kombinationen von Hard- und Software, mit denen simulierte, virtuelle 3D-Welten erstellt werden können, die zumindest den visuellen Sinn der Nutzenden vollständig umfassen, sodass die Wahrnehmung der realen Umgebung zurücktritt (Biocca und Delaney 1995).

Aus Nutzersicht sind die drei wichtigsten Merkmale von VR-Anwendungen ihre Interaktivität sowie das Erzeugen von Telepräsenz und Immersion (z. B. Steuer 1992; Walsh und Pawlowski 2002). Interaktivität bezeichnet verschiedene Formen der Interaktion mit virtuellen Objekten. Telepräsenz hat ihren Ursprung im Konzept der Präsenz, d. h. in der subjektiven Erfahrung, psychisch an einem Ort zu sein, auch wenn man sich physisch an einem anderen befindet (Witmer und Singer 1998). Immersion verstehen wir im Kontext von VR als einen mentalen Zustand der totalen Konzentration auf virtuelle Aufgaben, während die reale Umgebung, die nicht mit der Aufgabe in Zusammenhang steht, vergessen wird.

Das hohe Niveau an Immersion, das VR bietet, entsteht durch die wahrgenommene Interaktivität und Telepräsenz, die VR ermöglicht. Hierbei ist es wichtig anzumerken, dass wir Immersion als eine subjektive psychische Wahrnehmung verstehen, nicht als objektiv messbare Eigenschaft einer Technologie. Letztere Sichtweise wird in der Forschung seit vielen Jahren ebenfalls vertreten (z. B. Slater 1999) und impliziert, dass es VR-Systeme gibt, die mehr oder weniger immersiv sind, weil sie mehr oder weniger Sensoren verwenden oder ein größeres oder kleineres Sichtfeld haben. Dieser Argumentation folgend, könnte man Immersion objektiv über die technologischen Spezifikationen eines VR-Systems bewerten, anstatt die subjektive Wahrnehmung einer VR-Anwendung durch die Nutzenden zu messen. Dies würde aber auch bedeuten, dass sich verschiedene VR-Anwendungen, z. B. ein elaboriertes Rennspiel und ein einfaches Quizspiel, in ihrer Immersion kaum unterscheiden könnten, sofern sie auf demselben VR-System laufen. Aufgrund dieser Überlegungen folgen wir der Auffassung von Witmer und Singer (1998), dass Immersion ein psychischer Geisteszustand ist, der durch VR-Systeme hervorgerufen werden kann, aber subjektiv gemessen werden muss.

Interaktivität und Telepräsenz tragen nun auf unterschiedliche Art zu diesem subjektiven Empfinden von Immersion bei. Im Fall von Interaktivität ist sich die Forschung einig, dass die Fähigkeit, mit einer Umgebung zu interagieren, anstatt sie nur passiv zu beobachten, dazu führt, dass man sich in dieser Umgebung präsent fühlt (Steuer 1992; Witmer und Singer 1998). Das bedeutet: Interaktivität steigert Telepräsenz. Zusätzlich bewirkt Kontrolle über die eigenen Handlungen, dass Nutzende eher in Aktivitäten eintauchen (Csíkszentmihályi 1990), was wiederum heißt: Interaktivität erhöht Immersion.

Telepräsenz bezieht sich wie oben beschrieben auf das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein, als man tatsächlich ist. Immersion bezieht sich auf das Eintauchen in Aktivitäten, die man an diesem anderen Ort durchführt. Wir gehen davon aus, dass sich eine Person zuerst an einem anderen Ort präsent fühlen muss, um in VR-Aktivitäten einzutauchen. Andernfalls hindern Ablenkungen aus der realen Welt diese Person daran, in die virtuelle Welt einzutauchen. Als plakatives Beispiel, was das bedeutet, kann eine Unterrichtsstunde in der Grundschule dienen. Nehmen wir an, man würde einen Klassenraum in VR simulieren, in dem eine Lehrkraft eine Stunde lang Rechenaufgaben im Zahlenraum von 0 bis 100 erklärt. Damit ein Gefühl der Immersion unter den Nutzenden entstünde, müssten diese sich zunächst auf die Situation einlassen und sich trotz der eintönigen virtuellen Umgebung fühlen, als wären sie in einem Klassenraum. Erst auf dieser Basis könnte die Interaktion mit der Lehrkraft und das Lösen der Aufgaben die Immersion erzeugen.

3.2 Co-Creation-Erlebnisse in Virtual Reality

Bezogen auf die drei Erfolgsfaktoren, die Co-Creation-Erlebnisse ausmachen, steigert Immersion sowohl die Handlungskompetenz als auch die Autonomie und das Vergnügen von Teilnehmenden der Co-Creation. Die Gründe hierfür sind folgende:

  • Immersion steigert die Handlungskompetenz: VR ermöglicht es, eine virtuelle Umgebung zu schaffen, in der Kundinnen und Kunden natürlich agieren können. Das ist besonders hilfreich, wenn es um Kompetenzsteigerung der Nutzenden geht, z. B. in der medizinischen Ausbildung (Seymour et al. 2002). Wir gehen daher davon aus, dass sich Kundinnen und Kunden durch VR tiefer auf eine Aufgabe konzentrieren können und die Ausführung einer Aufgabe schneller erlernen können, wobei hierfür auch andere Faktoren eine Rolle spielen können, wie zum Beispiel die Handhabbarkeit oder die Tendenz zum Schwindel in VR-Anwendungen (Sagnier et al. 2020). Insgesamt sollte die durch VR induzierte Immersion im Vergleich zu einer Co-Creation-Aufgabe außerhalb von VR jedoch zu einem höheren Maß an wahrgenommener Handlungskompetenz führen.

  • Immersion steigert die Autonomie: Menschen fühlen sich bei Co-Creation-Aufgaben autonom, wenn sie frei wählen können, was und wie sie gestalten möchten. Das steht im Gegensatz zu dem Gefühl, gezwungen zu sein, Dinge auf eine bestimmte Weise zu tun (Füller et al. 2011). Im Falle der Immersion, also wenn Teilnehmende in eine Aktivität eintauchen, kann wahrgenommene Autonomie selbst dann entstehen, wenn der Lösungsraum der Aktivität beschränkt ist (Csíkszentmihályi 1990). Damit sollten VR und das mit ihr verbundene Gefühl von Immersion zu einem höheren Level an Autonomie führen.

  • Immersion steigert das Vergnügen: Sich vollständig auf eine Aufgabe zu fokussieren und in sie einzutauchen, bedeutet nicht notwendigerweise, dass man diese Aufgabe auch als vergnüglich empfindet. Deutlich wird das etwa bei stupiden, sich beständig wiederholenden Aufgaben (Csíkszentmihályi 1990). Ein Eintauchen in komplexeren Aufgaben, wie sie im Co-Creation-Umfeld üblich sind, bringt Teilnehmenden jedoch generell Spaß (Csíkszentmihályi 1990).

Insgesamt lassen sich unsere Überlegungen in einen Teil zur Entstehung von Immersion in VR, einen Teil zur Wirkung von Immersion auf die Erfolgsfaktoren von Co-Creation-Erlebnissen und einen Teil zur Wirkung der Erfolgsfaktoren auf die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden trennen. Abb. 1 fasst unsere Überlegungen zusammen.

Abb. 1
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Überlegungen zum Einfluss von VR auf Co-Creation-Erlebnisse

4 Aufbau und Methodik der Studie

Um die Entstehung von Immersion in VR und ihre vermutete Wirkung auf Co-Creation-Erlebnisse zu untersuchen, haben wir eine Laborstudie durchgeführt, die einen Produktentwicklungsprozess unter Einbindung von Kundinnen und Kunden mittels VR simuliert. In der Studie haben wir die Teilnehmenden gebeten, im Rahmen eines fiktiven Ideenwettbewerbs ein Hotelzimmer mit einer VR-Software zu entwerfen. Bei der Software handelte es sich um eine speziell angepasste Version der Anwendung Room Designer VR, die auch über die Softwareplattform Steam verfügbar ist. Alle Teilnehmenden haben die Aufgabe alleine gelöst. Es gab keine Zusammenarbeit. Die Gestaltung und Einrichtung eines Hotelzimmers eignete sich besonders als Aufgabe, da die meisten Menschen schon einmal in einem Hotel gewesen und somit potenzielle Hotelkundinnen und -kunden sind. Die Teilnehmenden konnten zur Erfüllung der Aufgabe innerhalb der Software auf eine große Auswahl vorgefertigter Möbel und Dekorationselemente zugreifen und diese in einem virtuellen Hotelzimmer platzieren. Außerdem konnten die Teilnehmenden die Farbe und die Textur der Wände und Böden festlegen. Abb. 2 vermittelt einen Eindruck der virtuellen Umgebung. Zur Bedienung der Software trugen die Teilnehmenden die VR-Brille Vive von HTC und erhielten einen kabellosen Controller. Während der Einrichtung des Hotelzimmers konnten sich die Teilnehmenden in einem Quadrat von zwei mal zwei Metern bewegen und dadurch auch durch das virtuelle Hotelzimmer gehen.

Abb. 2
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Screenshot aus der VR-Software zur Gestaltung eines Hotelzimmers

Im Anschluss an diese Aufgabe haben wir die Teilnehmenden zu ihrem Co-Creation-Erlebnis befragt. Für die Befragung haben wir etablierte psychometrische Messinstrumente verwendet, um die von uns vermuteten Zusammenhänge zwischen der Immersion in VR und den Eigenschaften eines Co-Creation-Erlebnisses überprüfen zu können. Bei den meisten Messinstrumenten handelte es sich um reflektive Konstrukte erster Ordnung. Lediglich Immersion setzte sich formativ aus den Unterkonstrukten Versunkenheit und Fokussierung zusammen. Die Teilnehmenden mussten fast alle Aussagen auf einer siebenstufigen Likert-Skala von „1 – Stimme überhaupt nicht zu“ bis „7 – Stimme voll zu“ bewerten. Lediglich bei Zufriedenheit handelte es sich um ein siebenstufiges semantisches Differential. Tab. 2 listet die verwendeten Konstrukte samt ihren Quellen auf.

Tab. 2 Verwendete psychometrische Messinstrumente

Die 135 Teilnehmenden waren im Schnitt 28,6 Jahre alt und zu 54,1 % weiblich. Zum Zeitpunkt der Studie besaßen 58,1 % einen Studienabschluss und 55,6 % studierten. Auf Basis dieser Daten haben wir im nächsten Schritt die Reliabilität und Validität der eingesetzten Messinstrumente überprüft und einzelne Aussagen der Messinstrumente entfernt, um valide und reliable Messungen zu erhalten. Mittels dieser Messungen konnten wir dann die vermuteten Zusammenhänge in einer varianzanalytischen Strukturgleichungsanalyse in SmartPLS 3 (Ringle et al. 2015) überprüfen.

5 Immersion als Treiber des Co-Creation-Erlebnisses

Die Ergebnisse der Strukturgleichungsanalyse stützen die vermuteten Zusammenhänge in großen Teilen. Dies drückt sich dadurch aus, dass alle bis auf einen Pfadkoeffizienten zwischen den Konstrukten im Strukturgleichungsmodell (siehe Abb. 3) statistisch signifikant, also mit einer gewissen Irrtumswahrscheinlichkeit (von maximal 1 % (p < 0,01) in unserem Falle) nicht null sind. Ein positiver Pfadkoeffizient bedeutet, dass die beiden durch den Pfad verbundenen Konstrukte (in unserem Forschungsmodell zum Beispiel Immersion und Vergnügen) positiv miteinander korrelieren. Erhöht sich der Wert des Ursprungskonstrukts (Immersion), so erhöht sich in diesem Fall auch der Wert des Zielkonstrukts (Vergnügen).

Abb. 3
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Ergebnisse der varianzanalytischen Strukturgleichungsanalyse

Aus unseren Ergebnissen lassen sich folgende Erkenntnisse gewinnen. Zunächst erweisen sich die Telepräsenz und Interaktivität des Co-Creation-Erlebnisses in VR als Treiber der erlebten Immersion. Je interaktiver die Teilnehmenden die Gestaltung des Hotelzimmers empfanden und je mehr sie sich dabei an einen anderen Ort versetzt fühlten, desto tiefer waren sie auch in der Aufgabe versunken und konnten sich auf diese konzentrieren. Unsere Ergebnisse zeigen weiterhin, dass Immersion starke und signifikant positive Einflüsse auf das Vergnügen, die Handlungskompetenz, und die Autonomie als Kernkomponenten von Co-Creation-Erlebnissen hat. Je immersiver die Teilnehmenden das Co-Creation-Erlebnis empfanden, desto mehr Spaß hatten sie daran und desto kompetenter und freier fühlten sie sich bei der Erfüllung der Aufgabe. Vergnügen und Autonomie haben wiederum einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Erlebnis. Für die Handlungskompetenz konnten wir diesen Zusammenhang hingegen nicht feststellen. In Ergänzung zur Überprüfung der vermuteten Zusammenhänge haben wir außerdem die Erklärungskraft des Forschungsmodells analysiert, die das Bestimmtheitsmaß R2 misst. Im Ergebnis konnte das Modell 40,8 % der Varianz in der Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Co-Creation-Erlebnis erklären. Die analysierten Einflussfaktoren sind also von substanzieller Bedeutung. Dies spiegelt sich auch in der Stärke der untersuchten Effekte wieder, die sich aus Cohen’s f2 ergibt. Diese Werte, die Tab. 3 auflistet, weisen auf einen besonders starken Effekt der Immersion auf das Vergnügen sowie auf moderate Effekte der Immersion auf die Handlungskompetenz und die Autonomie sowie des Vergnügens auf die Zufriedenheit hin.

Tab. 3 Effektstärken der untersuchten Zusammenhänge

6 Handlungsempfehlungen

Unsere Erkenntnisse haben bedeutende Implikationen für die Gestaltung und Umsetzung von Produktentwicklungsprozessen unter Einbindung von Kundinnen und Kunden. Zunächst zeigen die Ergebnisse im Allgemeinen, dass der Einsatz von VR für die Verbesserung solcher Prozesse sehr erfolgsversprechend ist. Manche Unternehmen machen sich dies bereits zunutze, wie z. B. BMW bei der Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle (BMW 2016). Die Anwendung von Co-Creation in VR ist im Übrigen nicht auf die Produktentwicklung beschränkt, sondern kann beispielsweise auch die Planung von Arbeitsplätzen in Fabriken unterstützen (Kostis und Ritala 2020). Auch für den Handel, z. B. mit Mode, bietet VR die Chance, Kundinnen und Kunden umfassende Eindrücke von Produkten zu vermitteln, die bisher nur virtuell vorhanden sind (Teichmann und Fromme 2019). Zusätzlich eignet sich die Anwendung von VR auch zur Entwicklung von Prototypen in Design Thinking Prozessen, zum Beispiel zur Gestaltung intelligenter Haushaltsgegenstände (Vogel et al. 2020).

Bei der konkreten Umsetzung von Co-Creation in VR ist die Interaktivität der VR-Anwendung ein entscheidender Hebel, wie unsere Ergebnisse zeigen. Unternehmen sollten Co-Creation-Erlebnisse möglichst interaktiv gestalten, da dies die Immersion stärkt, was sich wiederum positiv auf Co-Creation-Erlebnisse auswirkt. Interaktivität bedeutet, dass die Kundinnen und Kunden mit ihren Handlungen einen merklichen Einfluss auf die Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgabe nehmen können und Rückmeldungen auf ihre Handlungen erhalten. Praktisch können Unternehmen die Interaktivität von Co-Creation-Erlebnissen in VR dadurch steigern, dass Teilnehmende mit virtuellen Objekten und virtuellen Räumen interagieren und diese manipulieren können (Bailenson et al. 2008). In unserer Studie wurde die Interaktivität durch eine große Auswahl an verfügbaren Objekten gefördert. Diese Objekte konnten die Teilnehmenden zugleich frei im Raum platzieren, wobei eine Physik-Engine dafür sorgte, dass die Objekte den Naturgesetzen unterlagen, weshalb zu gewagte Konstruktionen auch einstürzen konnten. Zugleich sollten die Kundinnen und Kunden während des Co-Creation Erlebnisses von äußeren Einflüssen möglichst abgeschirmt sein, um sich voll und ganz in die virtuelle Welt hineinversetzen zu können.

Das Co-Creation-Erlebnis wird insbesondere durch Vergnügen, Autonomie und Handlungskompetenz geprägt. Unsere Ergebnisse in Bezug auf das Vergnügen sind intuitiv verständlich: Wenn Kundinnen und Kunden Spaß haben, trägt das unmittelbar zu ihrer Zufriedenheit bei. Der Einfluss von Vergnügen auf das Co-Creation-Erlebnis stellte sich in unserer Studie als besonders stark heraus. Unternehmen sollten auf diesen Aspekt daher besonderen Augenmerk legen. Eine immersive VR-Anwendung kann wiederum zum Vergnügen beitragen, wie der starke Effekt von Immersion auf Vergnügen in unserer Studie zeigt. Diese Ergebnisse decken sich mit Studien zur Nutzung von VR-Anwendungen in anderen Kontexten, wie zum Beispiel Videospielen (Ijaz et al. 2020). Das bedeutet, dass die Einflussfaktoren auf Immersion, wie zum Beispiel die Interaktivität, indirekt auch für Vergnügen sorgen. Zusätzlich können Unternehmen spielerische Elemente, wie z. B. die Vergabe von Punkten für gelungene Handlungen oder erfüllte Teilaufgaben, in Co-Creation-Erlebnisse integrieren.

Eine gesteigerte Autonomie ist in Co-Creation-Prozessen wichtig, um den Kundinnen und Kunden Raum für die Entfaltung eigener Ideen zu geben und ihnen nicht das Gefühl zu vermitteln, dass sie gezwungen sind, Dinge auf eine bestimmte Art und Weise zu tun (Füller et al. 2011). Das beinhaltet auch, die Gestaltungsmöglichkeiten des zu entwickelnden Produktes nicht zu sehr einzuschränken, sondern den Kundinnen und Kunden möglichst große Freiräume zu gewähren, um Ideen zu explorieren, zu testen und anzupassen (Thomke 1998). Sofern nötig, lässt sich in VR der Lösungsraum für Ideen durch die Gestaltung der virtuellen Umgebung aber auch so begrenzen, dass die Unternehmen die Ideen schnell in die Praxis überführen können und Teilnehmende trotzdem eine hohe wahrgenommene Autonomie innerhalb der virtuellen Umgebung erleben. Am Beispiel unsere Studie heißt das, dass die Teilnehmenden einen – wenn auch sehr weitläufig – begrenzten Lösungsraum für die Aufgabe vorfanden und besonders extravagante Einrichtungsgegenstände gegebenenfalls nicht verfügbar waren. Dennoch hatten die Teilnehmenden das Gefühl, im Co-Creation-Erlebnis autonom handeln zu können.

Schließlich gilt die Handlungskompetenz der Kundinnen und Kunden als Erfolgsfaktor für Co-Creation-Prozesse. Dazu gehört, sich nicht in der Aufgabe verloren zu fühlen, sondern ein gewisses Maß an Kompetenz zu entwickeln, und die Aufgabe mit Vertrauen in die eigene Arbeit zu absolvieren. In Co-Creation-Prozessen können komplizierte Benutzeroberflächen dazu führen, dass den Kundinnen und Kunden das Gefühl, etwas erreichen zu können, abhandenkommt. Mit VR lässt sich der Produktentwicklungsprozess für die Nutzenden trotz zahlreicher Auswahlmöglichkeiten deutlich immersiver und damit natürlicher und angenehmer umsetzen. Beim Gestalten des Hotelzimmers in unserer Studie mussten sich die Teilnehmenden beispielsweise durch mehrschichtige Menüs arbeiten, was dank einer dreidimensionalen Darstellung der Menüs und einer direkten Anzeige von Objekten im Zimmer aber recht intuitiv gelang. Hätten die Teilnehmenden die gleiche Aufgabe auf einer Website erledigen müssen, wäre alleine die Menüführung deutlich komplexer gewesen. Allerdings konnten wir in unserer Studie keinen Einfluss der Handlungskompetenz auf die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden mit dem Co-Creation-Erlebnis feststellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Handlungskompetenz vernachlässigt werden sollte, denn unsere Studienergebnisse schließen anderweitige positive Effekt der Handlungskompetenz, z. B. auf das Ergebnis eines Produktentwicklungsprozesses, nicht aus.

Neben den positiven Wirkungen eines immersiven Co-Creation-Erlebnisses ist jedoch zu beachten, dass die Gestaltung der virtuellen Umgebung auch Einfluss auf das Verhalten der Teilnehmenden und damit ihrer Ideen haben kann (Ruess und Wingartz 2020). Unternehmen müssen bei der Gestaltung von Co-Creation-Erlebnissen in VR also sicherstellen, dass die virtuelle Repräsentation des Produktes in den relevanten Eigenschaften mit dem physischen Produkt übereinstimmt und die virtuelle Umgebung einen realistischen Nutzungskontext des Produktes simuliert. Zudem kann eine zu starke Ausweitung des Bewegungs- und Handlungsspielraums in VR auch zu negativen Nebenerscheinungen wie Schwindel oder Übelkeit führen, die wiederum die Immersion schmälern (Sagnier et al. 2020). Diese Nebenerscheinungen sollten Unternehmen bei der Erstellung einer VR-Anwendung für Co-Creation unbedingt bedenken, etwa indem abrupte Bewegungen vermieden werden.