Den Vorgaben für Innovationsnetzwerke entsprechend ist SmartHybrid ein Netzwerk, das sich aktuell aus fünf Universitäten, einer Fachhochschule und über 30 Praxisunternehmen zusammensetzt. Ziel ist es, die regionale Wirtschaft, insbesondere Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) und Hidden-Champions zu stärken und dabei Potenziale für die überregionale Wettbewerbsfähigkeit zu eröffnen. Während häufig in Kollaborationen dezentrale Akteure zusammengebracht werden, arbeiten in SmartHybrid vor allem Akteure aus einem engeren geografischen Kreis zusammen – hier beschränkt auf das Land Niedersachsen. Thematisch fokussiert sich das Netzwerk auf das Feld der hybriden Wertschöpfung, das durch eine Vielzahl interdisziplinärer Fragestellungen wie etwa aus der Dienstleistungsforschung, der Produktentwicklung, der Produktionsplanung oder dem Software Engineering geprägt ist. Dies bedarf der Integration verschiedener Konstruktionsdisziplinen und Partner. Zentrale Bedeutung für die Forschung in SmartHybrid haben dabei digitale Technologien wie das Internet of Things, cyber-physische Systeme, Virtual und Augmented Reality oder der 3D-Druck, durch deren Integration in Geschäftsprozesse neue digitale Geschäftsmodelle entwickelt werden.
Struktur und Akteure im Innovationsnetzwerk
Für die Realisierung des Innovationsnetzwerkes sind Partner mit verschiedenen Funktionen eingebunden. Zu den präsentesten Akteuren zählen Universitäten und Fachhochschulen sowie die Industrie. Auf Seiten der Hochschulen werden dabei vor allem Aufgaben hinsichtlich des Gebens von Impulsen, die sich aus aktuellen Erkenntnissen und Forschungsrichtungen der Wissenschaft speisen (z. B. Publikationen, Lotsengespräche und Podiumsdiskussionen auf einschlägigen Konferenzen), sowie des Spezifizierens und Erforschens aktueller Herausforderungen und konkreter IT-Artefakte forciert. In einer engeren Zusammenarbeit mit der Praxis können auf diese Weise konkrete Probleme identifiziert werden, die von einzelnen Unternehmen oder gar ganzen Branchen adressiert werden müssen (Relevanz, Hevner et al. 2004). Dies stellt wiederum die Basis für die Entwicklung neuer Lösungsansätze unter Anwendung wissenschaftlicher (Forschungs‑)Methoden dar (Rigorosität, Hevner et al. 2004). SmartHybrid ist in sechs Teilprojekten organisiert, die jeweils eine spezifische Facette der hybriden Leistungsbündelung betrachten, zu denen Dienstleistungen, Produkte, Produktion, Software, Elektrotechnik und Geschäftsprozesse zählen. Die Teilprojekte sind an jeder Einrichtung mit einer wissenschaftlichen Leitung durch einen Professor und eine operative Projektleitung durch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter besetzt und werden meist durch bereits promoviertes Personal unterstützt. Da das Integrieren der disziplinzentrierten Teilergebnisse sowie die Kommunikation und Koordination innerhalb und außerhalb des Netzwerkes eine große Herausforderung darstellt, wurde über die Teilprojekte hinaus eine zentrale Koordinationsstelle für das Netzwerk eingerichtet, die sich mit organisatorischen (z. B. Meilensteintreffen und kontinuierliche Vermittlung der Projektergebnisse) als auch inhaltliche Aspekten (z. B. Integration dezentraler, disziplinspezifischer Ergebnisse) befasst.
Die Industrie bzw. Wirtschaft ist größtenteils in Form von kleinen, aber auch mittelständischen Unternehmen eingebunden, die über viele Anwendungsbereiche und Branchen hinweg agieren, wie etwa Mobilitätswirtschaft, Digital- und Kreativwirtschaft, Land- und Ernährungswirtschaft oder Produktionswirtschaft. Diese Heterogenität erlaubt neben der originären Innovation auch die Cross-Innovation, indem etwa Lösungsansätze von Domänenexperten auf neue Bereiche adaptiert werden (Exaptation, Gregor und Hevner 2013). Zudem kann so das Generalisieren von Ergebnissen erfolgen, indem spezifische IT-Artefakte (z. B. Software) nicht nur in Nischen, sondern in größeren Anwendungsgebieten getestet werden. Die Vielzahl und Breite bringt jedoch gleichermaßen Herausforderungen für den Innovationsverbund mit sich, denn die Praxispartner werden in derartigen Verbünden als „Value Partner“ betrachtet und nicht explizit gefördert. Der Freiraum, flexibel Kooperationen zu etablieren, birgt daher auch die Verantwortung, bereits früh die praktische Relevanz zu kommunizieren und wirtschaftliche Partner für Ideen gewinnen zu können, um hinreichend aktive Beteiligung sicherzustellen. In SmartHybrid hat jedes Partnerunternehmen eine Zuordnung zu einem der sechs Teilprojekte, die bei Bedarf oder bei abweichenden Fragstellungen an entsprechende Forschungspartner vermitteln. Auf diese Weise können beispielsweise Interviewstudien über die isolierten Bereiche hinweg durchgeführt werden (z. B. Anforderungen an die Umsetzung hybrider Produkte im Zeitalter der Digitalisierung, Hagen et al. 2018).
Darüber hinaus sind insbesondere zu Vernetzungs- und Multiplikationszwecken politische Akteure und Verbände involviert. Zur Erhöhung des Knowhow-Transfers arbeitet SmartHybrid etwa eng mit zwei landesweit agierenden Netzwerkpartnern zusammen, der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen, der gemeinsamen Interessenvertretung der Wirtschaft in Niedersachsen sowie dem Netzwerk Industrie 4.0 des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Diese helfen dabei, Inhalte und Angebote für Unternehmen im ganzen Land Niedersachsen zugänglich zu machen.
Ergebnisarten im Innovationsnetzwerk
Basierend auf dem Geflecht der beschriebenen Akteure und Rollen können gemeinsam und fächerübergreifend Ergebnissen und innovative Ansätze für etwa Forschung, Lehre und Praxis erzielt werden. Zu den Ergebnistypen zählen vor allem die folgenden:
Anschließende Konsortialprojekte: Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren trägt nicht nur zur Lösung der im Netzwerk vorab spezifizierten Aufgaben und zur Erreichung der Arbeitsziele bei, sondern hilft auch bei der Identifizierung aktueller Herausforderungen und fachbereichsübergreifenden Forschungslücken, die vertieft werden können. Um diese Aspekte zu verfolgen, ergeben sich aus dem eigentlichen Netzwerk neue Forschungsvorhaben, die mit geeigneten Partnern beantragt bzw. bearbeitet werden. Aus SmartHybrid heraus konnte beispielsweise ein Projekt zur Entwicklung ressourcenschonender Service- und Ersatzteilstrategien für den Maschinenbau begonnen werden, welches das weiterführende Kooperationsinteresse von Partnern der Produktentwicklung und Dienstleistungsforschung manifestiert.
Pilotstudien und Spin-Offs: Obwohl die Gesamtergebnisse aus dem Innovationsnetzwerk durch Publikationen und Wissenstransfer einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, können einzelne oder integrierte Ergebniskomponenten für spezielle Praxisunternehmen von besonderer Relevanz sein. So ergeben sich aus verschiedenen Lotsengesprächen mit Unternehmen etwa Pilotstudien, in denen ausgewählte Partner einzelne Arbeiten praktisch vertiefen. Des Weiteren besteht das Potenzial für Spin-Offs, in denen Industriepartner einzelne erfolgreiche Projektergebnisse eigenständig weiterverfolgen. In SmartHybrid wird beispielsweise Gestaltungswissen aus der Entwicklung und Evaluation von Softwarelösungen für die digitale Unterstützung von Design-Thinking-Projekten durch Praxispartner weiterverwendet (vgl. Abschn. 4.2).
Cross-sektorale Innovation: Innovationspotenziale ergeben sich nicht nur durch den Transfer zwischen Forschungseinrichtungen und Industrie, sondern auch durch die Kommunikation innerhalb des Netzwerks. Forschende können auf diese Weise von den Vorgehensweisen und Ansätzen der anderen Disziplinen lernen (z. B. ingenieur-orientiertes Vorgehen der Produktentwicklung in Bereichen der Dienstleistungserstellung) und Praxisunternehmen können profitieren, indem bereits etablierte Lösungen adaptiert oder aus Erfahrungen gelernt werden kann. Diese Potenziale sind nicht immer ersichtlich und kommen oft erst durch den intensiven und kreativen Austausch zustande. In SmartHybrid ergab sich zum Beispiel eine unerwartete Cross-Innovation-Möglichkeit für die Lebensmittelindustrie, nachdem prädiktive Wartungsstrategien des Maschinenbaus („Predictive Maintenance“) vorgestellt wurden (vgl. Abschn. 4.1).
Kooperative Lehrformate: Neben den direkt beteiligten Akteuren ergeben sich durch die Kollaborationen auch für Externe wie Studierende neue Angebote. Dazu zählen interdisziplinäre Lehrveranstaltungen wie kooperative Studienprojekte zur Erarbeitung spezifischer Fragestellungen oder sogar neue Vorlesungsreihen wie etwa die Ringvorlesung „Digitaler Wandel in Unternehmen und Verwaltungen“. In diesen Formaten können Forschungseinrichtungen, Praxispartner, Studierende und die Öffentlichkeit in den Austausch kommen und von Impulsen aus anderen Bereichen lernen.
Publikationen und Wissenstransfer: Das Netzwerk erlaubt einerseits die Zusammenarbeit mit Forschenden, die mit weiteren Domänen, deren Methodik und Theorien vertraut sind, sowie anderseits die Veröffentlichung von interdisziplinären Artikeln, (auch) in Publikationsorganen, die nicht zum Kerngebiet des eigenen Fachbereichs zählen. In SmartHybrid wurden prominente Ansätze und Methoden der Wirtschaftsinformatik, wie etwa die Entwicklung von Taxonomien (Nickerson et al. 2013), für Forschungsarbeiten im Kontext der Produktentwicklung und -individualisierung angewendet (Gembarski et al. 2017).
Interdisziplinäre wissenschaftliche Ausbildung: Die Kooperation von verschiedenen Hochschulformen eröffnet neue Wege zur Promotion wie z. B. für das wissenschaftliche Personal von Fachhochschulen, die im engen Austausch mit Universitäten stehen. Außerdem können für spezifische Promotionsvorhaben Impulse von Expertinnen und Experten aus dem Netzwerk gegeben werden oder gar geeignete Gutachterinnen und Gutachter aus dem Themenfeld rekrutiert werden. (Abb. 1).