Sollte sich das produzierende Unternehmen dazu entscheiden, sich nicht an einer existierenden Plattform zu beteiligen, sondern selbst Plattformanbieter werden zu wollen, hat es ausgehend von bereits angebotenen Smart Services drei strategische Optionen zur Etablierung einer Plattform [7]. Diese Strategien führen zur Etablierung einer Smart-Data-Plattform, einer Smart-Product-Plattform oder einer Matching-Plattform.
Smart-Data-Plattform
Mittels einer Smart-Data-Plattform erhebt ein Plattformanbieter Daten auf der Ebene seiner intelligenten Produkte, ermöglicht Dritten jedoch nur den Zugriff auf bereinigte oder aggregierte Daten. Potenzielle Anbieter auf der Plattform können die vorverarbeiteten Daten analysieren und den Kunden darauf basierend eigene Mehrwertdienste anbieten. Es ist für sie jedoch nicht möglich, auf maschinenspezifische Daten zuzugreifen, sodass die Nutzung einzelner Maschinen nicht ausgewertet werden kann. Hierdurch bewahrt sich der Plattformanbieter einen exklusiven Zugang zu den produktbezogenen Kernbedürfnissen seiner Kunden, während Drittanbieter komplementäre Leistungen anbieten.
Ein Anwendungsbeispiel für eine Smart-Data-Plattform stellt die Plattform „DENIOS CONNECT“ der DENIOS AG aus Bad Oeynhausen dar. DENIOS produziert und vertreibt Raumsysteme zur sicheren und gesetzeskonformen Gefahrstofflagerung. Um Smart Services anbieten zu können, wurden diese Raumsysteme weiterentwickelt und mit Sensorik und weiteren elektronischen Komponenten ausgestattet. Auf Basis eines Prototyps zum intelligenten Lagermanagement erfasst und analysiert die Plattform Daten über die Art der gelagerten Gefahrstoffe, die Ein- und Auslagerung der Gefahrstoffe sowie die Stellplatzbelegung. Der Kunde profitiert unter anderem davon, dass Informationen zu den Gefahrstoffen (wie beispielsweise benötigte Schutzausrüstung) direkt vor Ort verfügbar sind und durch das System geprüft werden. Zudem unterstützen intelligente Regalsysteme die gesetzeskonforme Lagerung der Gefahrstoffe und erlauben, dass die Auslastung des Lagers jederzeit überprüft werden kann. Wie an diesem Beispiel deutlich wird, hätte DENIOS Zugriff auf die Daten jedes intelligenten Produktes, in diesem Fall eines jeden intelligenten Raumsystems, und könnte diese Daten verwenden, um für den Kunden Smart Services zu erbringen.
Gleichzeitig könnte DENIOS aggregierte Daten Dritten zur Verfügung stellen, die darauf basierend Mehrwertdienste anbieten können. Ein Beispiel können externe Dozenten sein, die Schulungen im Umgang mit Gefahrstoffen auf die Kombination und Mengen der gelagerten Gefahrstoffe zuschneiden und so für den Kunden personalisieren können. Auch kann ein Benchmarking von Kunden basierend auf der Kombination von Gefahrstoffen und deren Handling etabliert werden. Während DENIOS seinen Kunden den Benchmark zur eigenen Bewertung verfügbar machen kann, könnte DENIOS auch Dritten Zugriff auf diese aggregierten Daten gewähren. So wäre es vorstellbar, dass Versicherer Interesse an einem Zugriff auf die Daten haben, um den Kunden individuelle Angebote unterbreiten zu können.
Für die Umsetzung einer Smart-Data-Plattform muss ein Plattformanbieter zunächst analysieren, welche Art von aggregierten Daten aus seinem Smart-Service-System für Dritte interessant sein könnten. Da die Daten nicht auf Maschinenebene analysiert werden können, müssen sich auch basierend auf den aggregierten und bereinigten Daten Mehrwertdienstleistungen anbieten lassen können. Vor allem in Nischen bzw. bei sehr spezifischen Daten, wie in unserem Anwendungsbeispiel zur Gefahrstofflagerung, können auch aggregierte Daten interessante Einblicke liefern. Bei aggregierten Daten, die nicht einem bestimmten Kontext zugeordnet werden können (zum Beispiel einer Branche, einem Anwendungsgebiet, einer Fertigungsart), ist die Interpretierbarkeit dieser Daten eingeschränkt, wodurch auch deren Verwendbarkeit für Mehrwertdienste erschwert ist. Wurden geeignete Daten identifiziert, die auf einer Plattform angeboten werden können, sollte geprüft werden, ob bereits Plattformen existieren, die vergleichbare Daten und Dienstleistungen bereitstellen. Insbesondere sollte auch geprüft werden, ob vergleichbare Daten auf Plattformen verfügbar sind, die auf den Handel von Daten spezialisiert sind. Es ist sicherzustellen, dass Anbieter und Kunden durch die zusätzlichen Leistungen einen Mehrwert erzielen, an dem der Plattformbetreiber partizipiert.
Smart-Product-Plattform
Im Vergleich zur Smart-Data-Plattform ist eine Smart-Product-Plattform dadurch gekennzeichnet, dass Dritte auf Daten auf Maschinenebene zugreifen können, um Mehrwertdienste anzubieten. Der Plattformanbieter kann jedoch durchaus Einschränkungen in den für Dritte verfügbaren Daten vornehmen, sodass ausschließlich er selbst auf bestimmte Daten zugreifen und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil sichern kann.
Ein Beispiel für eine Smart-Product-Plattform ist die WAGO Cloud der WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG aus Minden. WAGO stellt Komponenten für die elektrische Verbindungstechnik sowie elektronische Komponenten für die dezentrale Automatisierungstechnik her. Einige dieser Komponenten ermöglichen es, Daten von Maschinen und Anlagen, in denen sie eingesetzt werden, zentral zu sammeln und zu analysieren. WAGO gewährt den Kunden über die WAGO Cloud Zugriff auf die angebundenen Komponenten sowie die Möglichkeit, an diesen Komponenten per Fernzugriff Einstellungen vorzunehmen. Darüber hinaus können sich die Kunden über personalisierbare Dashboards die erfassten Daten, wie beispielsweise Füllstände oder Energieverbräuche, aufbereitet anzeigen lassen oder Alarme bei Eintritt von bestimmten Zuständen definieren.
WAGO könnte nun die Plattform für ausgewählte externe Partner öffnen, die den Kunden auf den Daten basierende Mehrwertdienste anbieten. Ein Beispiel könnten Beratungsunternehmen sein, die produzierende Unternehmen im Hinblick auf Energieeinsparpotenziale oder Prozessoptimierungen beraten. Durch den maschinenspezifischen Zugriff auf Daten können sie auf Basis von maschinellem Lernen Fehlerquellen identifizieren und gezielt Verbesserungsmaßnahmen ableiten. Auch Prognosen, beispielsweise zu Energieverbräuchen oder produzierten Stückzahlen, sowie Simulationen von unterschiedlichen Szenarien sind für den Kunden wertvolle Leistungen, die durch Dritte angeboten werden können. Werden auf der Smart-Product-Plattform zunächst ausgewählte Partner zugelassen, kann der Anbieter – hier WAGO – zunächst selbst das Leistungsspektrum der Drittparteien steuern und so gezielt Leistungsangebote auswählen, die sie selbst nicht erbringen wollen. So schaffen diese Leistungsangebote einen Mehrwert für den Kunden gegenüber dem eigenen Angebotsportfolio, unterliegen aber noch vergleichsweise stark der Kontrolle und Steuerung durch den Plattformanbieter.
Für die Umsetzung einer Smart-Product-Plattform muss ein Plattformanbieter sicherstellen, dass die Kunden bereit sind, Daten auf Maschinenebene für Drittanbieter auf der Plattform verfügbar zu machen. Im Vergleich zur Smart-Data-Plattform, auf der durch die Aggregation bzw. Bereinigung der Daten eine gewisse Anonymität und Abstraktion vom Kerngeschäft erreicht wird, entstehen bei den Kunden von Smart-Product-Plattformen oft Bedenken in Bezug auf die Datensicherheit und ob aus den verfügbaren Daten Rückschlüsse auf Firmengeheimnisse oder essenzielles Wissen hergestellt werden könnten. Der Plattformanbieter muss also sicherstellen, dass die Daten seiner Kunden entsprechend geschützt werden, Dritte aber gleichwohl in ausreichendem Maße auf Daten zugreifen können, um ihre Mehrwertdienste anzubieten.
Matching-Plattform
Eine Matching-Plattform ist im Vergleich zu den beiden vorgenannten Plattformtypen dadurch gekennzeichnet, dass sie keine direkte Verbindung zum intelligenten Produkt und den dort erhobenen Daten hat. Das Leistungsangebot der Plattform besteht vielmehr darin, eine Kundennachfrage mit dem Leistungsangebot dritter Parteien zusammenzubringen.
Zur Veranschaulichung der Matching-Plattform wird noch einmal die DENIOS AG herangezogen. Als Basis für den Einstieg in die Plattformökonomie bietet DENIOS seinen Kunden einen intelligenten Condition-Monitoring-Service für ihre vernetzten Raumsysteme an. Die Kunden können über die Plattform auf ein Dashboard zugreifen, auf dem jederzeit der aktuelle Status des Raumsystems, aber auch historische Werte einsehbar sind. Relevant ist hier zum Beispiel die Temperatur im Lager, die bei einigen Gefahrstoffen immer in einem definierten Wertebereich liegen muss. Auch ob die Lüftung funktionsfähig ist oder die Tür offen steht, ist eine relevante Information für die Kunden. Als Bestandteil des Condition-Monitoring-Service können Kunden im Bedarfsfall direkt über die Plattform eine Wartungsanfrage an DENIOS stellen.
Hier eröffnet sich nun für DENIOS das Potenzial, die Plattform für qualifizierte Partner zu öffnen. Bei einer Wartungsanfrage über die Plattform findet dann ein Matching zwischen der Anfrage und einem in der Nähe befindlichen, verfügbaren und qualifizierten Dienstleister statt, der die Wartung zügig durchführen kann. Gerade wenn lokal keine eigenen Servicetechniker verfügbar sind oder dem Kunden ein Leistungsversprechen in Bezug auf eine festgelegte Reaktionszeit gegeben wurde, ist es unter Umständen erforderlich, weiteren Partnern Zugriff auf die Plattform zu gewähren, um die eingehenden Anfragen auch bedienen zu können. Dies ist insbesondere bei steigender Auftragszahl der Fall.
Für die Umsetzung einer Matching-Plattform muss ein Plattformanbieter eine wertschaffende Vermittlerrolle innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerks einnehmen. Plattformanbieter können davon profitieren, dass externe Anbieter komplementäre Leistungen zu ihrem eigenen Kerngeschäft erbringen. Da eine Matching-Plattform jedoch keinen direkten Bezug zum intelligenten Produkt oder den dort generierten Daten erfordert, könnten mittelfristig jedoch konkurrierende Plattformen mit einem stärkeren Produktbezug entstehen. In diesem Fall sollte der Plattformanbieter erwägen, ein Multi-Homing zuzulassen. Darüber hinaus besteht bei Matching-Plattformen eine erhöhte Gefahr für das Entstehen von Meta-Plattformen, die Angebote mehrerer ähnlicher Plattformen bündeln.
Zusammenfassung
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Smart-Data-Plattformen stellen aggregierte, bereinigte Daten bereit
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Smart-Product-Plattform ermöglichen den Zugriff auf maschinenspezifische Daten
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Matching-Plattformen etablieren digitale Marktplätze ohne direkten Produktbezug