Liebe Leserin, lieber Leser,

Wenn im Herbst die K 2013 in Düsseldorf ihre Pforten öffnet, wird die Kunststoffbranche wieder das hohe Lied auf ihre Polymerwerkstoffe anstimmen. Dass es sich dabei noch vor wenigen Jahrzehnten um Ersatzwerkstoffe handelte, mit denen die von Rüstung, Krieg und Zerstörung gebeutelten Ressourcen der Montanindustrie geschont werden sollten, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Aus dem Ersatz ist ein eigenständiges Feld, aus der Not eine Tugend geworden.

Neben der technischen Innovation war auch viel Marketingarbeit erforderlich, um vermeintlich billige Plastikanwendungen als hochwertige Kunststofflösungen zu positionieren. Doch die dabei erzielten Erfolge drohen aktuell unter dem Primat von Controlling und „Geiz ist geil“ aufgeweicht zu werden. Jeder Ingenieur weiß, dass er die Anforderungen, die ein Bauteil zu erfüllen hat, exakt kennen muss, um diese in ein Eigenschaftsprofil für den einzusetzenden Werkstoff transformieren zu können. Je präziser und beanspruchungsgerechter das Profil definiert wird, umso effizienter kann die Werkstoffauswahl erfolgen. Wesentliche Voraussetzung ist aber, dass der Konstrukteur die Eigenschaften verschiedener Werkstoffe zumindest von den Grundsätzen her kennt und den Mut hat, diese Kenntnis auch anzuwenden. Ist dieses nicht der Fall, wird er stets zu den schon immer eingesetzten Werkstoffen greifen und damit unter Umständen bedeutende Potenziale verschenken.

Dem Anspruch, technisch und ästhetisch hochwertige Produkte für den Endverbraucher zu fertigen, kann aber nur dann genügt werden, wenn die Basis dieser Produkte, nämlich die erforderlichen Werkstoffe und die aus ihnen hergestellten Komponenten, selbst diesem Anspruch gerecht werden. Der Sprödbruch eines zu windig ausgelegten Fünf-Cent-Bauteils, der zu einer 100-Euro-Reparatur führt, ist geeignet, überwunden geglaubte Vorurteile gegenüber Ersatzstoffen neu zu entfachen.

Dabei liegt es nicht am Kunststoff selbst, wenn er infolge einer zu billigen Konstruktion an seine Grenzen kommt. Auch zu fein ausgewalzte Aluminiumfolie oder Spülbecken, für die so dünner Nirostastahl verwendet wird, dass sich der Wasserhahn nur wackelig anschrauben lässt, sind Beispiele dafür, wie dem Verbraucher der Glaube an den technischen Fortschritt vermiest werden kann. So gesehen scheint es einmal mehr an der Zeit, daran zu erinnern, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch wirtschaftlich Sinn macht. Und dass es im Zweifel der Ingenieur mit seinem Fachwissen um eine beanspruchungsgerechte Konstruktion sein sollte, der bei der Bauteilauslegung das letzte Wort hat.