Sport ist sicherlich nicht der Bereich, den man sofort mit dem Thema Digitalisierung in Verbindung bringt. Professor Sascha L. Schmidt, Lehrstuhlinhaber an der WHU – Otto Beisheim School of Management, erwartet jedoch grundlegende technologisch bedingte Veränderungen in der Art und Weise wie Sport in Zukunft ausgeübt, konsumiert und gemanaged wird.

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FormalPara Sascha L. Schmidt

ist Professor, Lehrstuhlinhaber und Leiter des Center for Sports and Management (CSM) an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Düsseldorf. Zudem ist er als Affiliate Professor am Laboratory for Innovation Science der Harvard University sowie als Senior Lecturer des MIT Sport Entrepreneurship Bootcamps aktiv.

Sehr geehrter Herr Professor Schmidt, Sport ist nicht unbedingt der erste Bereich, der einem in den Sinn kommt, wenn über Digitalisierung und neue Technologien gesprochen wird. Wie stark wird sich der Sport in den kommenden Jahren verändern?

Tatsächlich ist die Sportindustrie eine der innovativsten Branchen. Mit den Fortschritten in den Bereichen Hardware, Software und Datenanalyse hat sich das Tempo der Innovation auf und außerhalb des Spielfeldes beschleunigt. Technologie und Sport stehen in einer dynamischen Beziehung zueinander. Der Sport dient einerseits als Versuchsfeld oder „Labor“ für neue Technologien. Aus diesem Grund ist eine wachsende Sport-Technologielandschaft mit Einhörnern (ein Startup-Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar wird als Einhorn bezeichnet) wie FanDuel, DraftKings, Dream11, Hupu oder Peloton zu beobachten. Andererseits sind neue Technologien die Hauptquelle für Disruption im Sport. Die Art und Weise, wie Sport von den Athleten ausgeübt, von Fans konsumiert, vom Management monetarisiert und von Verbänden reguliert wird, wird durch den Einsatz technologischer Innovationen revolutioniert.

Genau darüber geht es auch in Ihrem neuen Buch „21st Century Sports: How Technologies Will Change Sports in the Post-digital Age“. Was ist die Idee dahinter?

Wir möchten mit dem Buch einen Blick in die Zukunft wagen: Wie wird der Sport der Zukunft aussehen? Wie werden moderne Technologien den Sport der Zukunft beeinflussen? Wie wird sich dadurch der Sportkonsum verändern? Welche neuen Geschäftsmodelle werden entstehen und welche werden verschwinden? Und wie wird der Sport der Zukunft unsere Gesellschaft beeinflussen? Wir haben eine Sammlung von Essays zusammengestellt, in denen führende Experten auf ihrem Gebiet die Auswirkungen relevanter Technologien auf den Sport der Zukunft und umgekehrt bewerten – sowohl auf als auch neben dem Platz.

Wer sollte sich das Buch zulegen?

Das primäre Zielpublikum dieses Buches sind Sportbusiness-Experten und Fachleute verwandter Branchen (Medien, Unterhaltung, Hightech), die an der digitalen Transformation der Branche beteiligt und auf der Suche nach neuen Ideen und Inspirationen für ihre eigenen beruflichen Aufgaben sind. Dieses wissenschaftlich fundierte, aber leicht verständliche Buch soll besonders relevante Technologien wie z. B. Künstliche Intelligenz, Robotik, Blockchain, Quantencomputing und deren Auswirkungen auf den Sport erläutern. Wir wollen Orientierungs- und Entscheidungshilfen geben sowie Ansätze für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft des Sportbusiness beschreiben.

Beginnen wir mit den Implikationen technischer Neuerungen auf das Sportmanagement. Welche konkreten Anwendungsfälle werden wir in Zukunft beobachten können?

Zunächst einmal werden technologische Innovationen gezielt eingesetzt werden, um die Effizienz von Sportbetrieben zu steigern. Hierbei geht es um die Verbesserung von Prozessen bei der Ausrichtung von Turnieren, Ligen, einzelnen Rennen oder anderen großen Sportveranstaltungen. Zudem helfen maßgeschneiderte Tools Managern und Trainern im sportlichen Bereich, um beispielsweise Talente nach messbaren Metriken zu finden, zu rekrutieren und zu entwickeln. Künstliche Intelligenz wird in der Lage sein, Scouting-Berichte, Spielstatistiken, Leistungstests, Trainingsbelastungen, Verletzungsberichte, Persönlichkeitsprofile zu synthetisieren und auf dieser Datenbasis Spielerentwicklungen zu prognostizieren. Darüber hinaus können technische Lösungen für Medienunternehmen, Sponsoren oder Investoren hilfreich sein. Derzeit sehen wir zum Beispiel neu entstehende Plattformen wie Rallyme, die Marken mit Teams und Athleten verbinden und Marktplätze für Einzelathleten oder Teams schaffen. Schließlich können neue Technologien Sportkonsumenten ein besseres Erlebnis bieten.

Was genau meinen Sie damit?

Unsere Zukunftsstudie Bundeliga-Konsum hat beispielsweise gezeigt, dass bereits ein Drittel der Generation Z, also junger Menschen der Geburtsjahre 1997 bis 2009, regelmäßig einen zweiten Bildschirm nutzen, wenn sie ein Fußballspiel verfolgen. Dadurch sind schließlich andere Services, wie etwa Spielerstatistiken oder Ergebnisse eines Parallelspiels gefragt. Einige Neuerungen gehen jedoch noch viel weiter. In den nächsten Jahren werden auch Datenbrillen und intelligente Kontaktlinsen ihren Einzug in unseren Stadionalltag halten. Dann muss der Zuschauer nicht einmal mehr sein Handy benutzen, um Statistiken in sein Spielerlebnis zu integrieren. Zudem werden neue technologische Errungenschaften für eine zunehmende Vermischung von realer und virtueller Fußballwelt führen. Es ist absehbar, dass wir nicht mehr mit bloßem Auge erkennen können, ob wir Fußballstars im Fernsehen oder in einer Fußballsimulation sehen. Zudem werden wir als Avatar mit persönlichen Leistungsdaten gegen unsere Lieblingsspieler virtuell antreten können.

Aber auch in der realen Welt werden neue Technologien den Fußballkonsum bereichern und verändern. Wie weit es dabei geht, ist schwer abzuschätzen. Letztlich entscheiden aber immer noch die Sportkonsumenten, was sie wollen.

Am Anfang der Wertschöpfungskette bleiben jedoch die Athleten. Ohne sie gäbe es keine Wettkämpfe, Teams, Clubs oder Ligen. Ausrüster könnten niemanden ausstatten, Trainer niemanden trainieren und Agenturen könnten niemanden vermarkten. Werden sich auch Athleten in Zukunft verändern?

Heutzutage wenden sich Sportler, egal ob Profi‑, Amateur- oder Freizeitsportler, zunehmend neuen Technologien zu, um das Beste aus ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten herauszuholen. Neue Technologien werden aber nicht nur die Leistung der Sportler verbessern, sondern auch zu ganz neuen Sportarten und Athletenkategorien führen. Grundsätzlich erwarten wir in Zukunft neue Athletenkategorien, die natürlich stark von der jeweiligen Sportart abhängen.

Was verbirgt sich hinter diesen neuen Kategorien?

Zunächst einmal werden wir auch in Zukunft Athleten erleben, wie wir sie heute kennen, die zum Beispiel auf einem Tennisplatz nach den offiziellen Regeln des Internationalen Tennisverbands gegeneinander antreten. Sie werden im Wettbewerb nicht durch technische Hilfsmittel unterstützt, greifen aber auf diese im Training zurück. So werden in etwa zehn Jahren Trainingsmatches gegen „übermenschliche“ künstliche Intelligenz, das Üben des Flow-Status und endlose Szenarienläufe mit digitalen Zwillingen möglich sein. In den 2040er- und 2050er-Jahren könnte auch ein Training gegen „virtuelle Athleten“ oder gegen humanoide Roboter, die das Spiel realer Konkurrenten simulieren, Realität werden.

Daneben wird sich wahrscheinlich eine neue Kategorie „technologieunterstützter“ Athleten herausbilden. Wir nehmen an, dass zu dieser Kategorie körperlich gesunde und ehemals beeinträchtigte Paralympics-Athleten gehören werden. Wettkämpfe könnten dann nach einem neuen System strukturiert werden, bei dem die Athleten nach Art und Anzahl der Körpermodifikationen kategorisiert werden. Mithilfe computerisierter Körperteile, wie beispielsweise menschlich gesteuerten Roboterprothesen, werden technisch unterstützte Athleten ein höheres Leistungsniveau im Wettkampf erreichen als herkömmliche Athleten. Cyborgs könnten in einem Tennismatch beispielsweise längere Ballwechsel spielen oder durch High-Tech-Prothesen deutlich höhere Ballgeschwindigkeiten erzielen.

Sie sprechen hier tatsächlich von Cyborgs im Sport, also von Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine?

Ja. Im medizinischen Kontext ist die Verwendung von binnenkörperlicher Technologie heute bereits Standard. Menschen mit technischen Implantaten wie Herzschrittmachern, künstlichen Gliedmaßen, Prothesen oder Implantaten in Auge und Ohr sind definitionsgemäß bereits Cyborgs.

Welche weiteren Kategorien von Sportlern sehen Sie noch in der Zukunft?

In der fernen Zukunft wird es Roboterathleten geben. Zum Beispiel könnten dann in einer eigenen Liga Roboterteams gegeneinander Fußball spielen. Maschine gegen Maschine. Deutlich früher werden jedoch humanoide Roboter im Sport als Sparringspartner – gesteuert über Hirnwelleninterface oder Blicksysteme – oder als Trainer eingesetzt werden.

Eine weitere Kategorie bilden die intellektuellen Athleten, die über besondere Fähigkeiten in Bezug auf Reaktionsgeschwindigkeit, Wahrnehmungs- oder Gedächtnisleistungen verfügen. Die Entwicklung und Ausdifferenzierung des mentalen Leistungssports wird maßgeblich vom Wachstum der wettbewerbsorientierten Spielindustrie und damit von E‑Sports abhängen.

Schließlich ist noch eine weitere Kategorie von virtuellen Athleten denkbar. Diese müsste sich jedoch erst noch herausbilden, weil entsprechende Sportarten und die dazu erforderlichen Technologien heute noch nicht verfügbar sind. Der Wettbewerb findet hier dann letzten Endes zwischen Softwareingenieuren statt, ein Phänomen, was wir heute bereits im Motorsport mit autonomen und von künstlicher Intelligenz gesteuerten Rennwagen beobachten.

Wir haben viel über neue Technologien und Athletenkategorien gesprochen, auf die wir uns in Zukunft einstellen können. Schauen wir mal auf das Hier und Jetzt: Worauf sollten Manager heute schon unter keinen Umständen verzichten?

Auf einen zielgerichteten Umgang mit Daten und Algorithmen. Billy Beane hat es mit „Moneyball“ vorgemacht. Durch seine Idee, Spieler aufgrund eigen entwickelter Leistungsdaten zu bewerten und nicht aufgrund persönlicher, subjektiv geprägter Einschätzungen von Scouts und Trainern, fand er eine Lücke im Baseball-Markt. So identifizierte er unterbewertete Spieler und stellte sich ein schlagfertiges Team zu einem Bruchteil des Geldes zusammen, was die Konkurrenz ausgab. Mittlerweile sind Scoutingsysteme im Einsatz, die in Sekundenschnelle geeignete Spieler identifizieren, wenn man die Software mit den gewünschten Spielerparametern und Anforderungen füttert – Videos, Leistungsdaten und Statistiken inklusive. In naher Zukunft wird es Softwarelösungen geben, die Vorschläge für die besten Ergänzungen zum aktuellen Kader machen. Diese auf künstlicher Intelligenz basierten Systeme lernen maschinell, sich immer weiter zu verbessern. Diese Technologie wird die Arbeit von Scouts aber keinesfalls obsolet machen. Lediglich die Aufgabenbereiche werden sich verschieben. Daten müssen interpretiert, Vorschläge der Software intensiv analysiert und Menschen nach wie vor charakterlich eingeschätzt werden.

Wird es auch im Amateursport ähnlich tief greifende Veränderungen geben?

Durch den rasanten Fortschritt werden technische Innovationen schneller günstiger und können sich so auch im Amateurfußball durchsetzen. Wearables bezeichnen beispielsweise Computertechnologien, die man am Körper oder am Kopf trägt. Zu den ersten Entwicklungen in diesem Bereich zählten einfache Fitness-Armbänder, die beim Laufen per GPS die Wegstrecke gemessen und an ein Smartphone übertragen haben. Diesen folgten Brustgurte, die zusätzlich Puls- und Blutdruckdaten erfassten. Heute laufen Fußballer aller Ligen beim Training inzwischen mit GPS-Westen über den Platz, die ihre Laufwege und Distanzen auf den Meter genau aufzeichnen. Die Leistungsdaten von Spielern können dann vollautomatisiert erfasst und weiterverarbeitet werden, wodurch sich neue Vermarktungsmöglichkeiten ergeben – auch in Amateurligen. Nicht zuletzt hängen Firmen wie Sporttotal oder Soccerwatch intelligente Kameras in Amateurstadien auf, um die Spiele über OTT-Plattformen zu streamen. Mithilfe von Motion-Tracking-Technologien können bald auch Leistungsdaten von Amateursportlern vollautomatisiert erfasst werden.

Was ist Ihr abschließender Rat an Entscheidungsträger im Sport?

Leider haben auch wir keine Glaskugel, die uns verlässlich die Zukunft voraussagt. Ob und wann die geschilderten technologischen Innovationen den Sport revolutionieren, ist gar nicht so entscheidend. Erfolgskritisch ist, sich ständig mit Zukunftsszenarien auseinanderzusetzen, um dadurch „future ready“ zu werden. Es geht darum, eine Art „Ersatzerfahrung“ für den Zeitpunkt aufzubauen, wenn disruptive Veränderungen anstehen, die nicht mithilfe von Erfahrungen aus der Vergangenheit bewältigt werden können. Aber bei aller Zukunftseuphorie ist auch Vorsicht geboten. Technologien an sich bedeuten nämlich noch keinen Mehrwert für den Sport. Nur wenn mithilfe neuer Technologien bestehende Schmerzpunkte adressiert oder Bedürfnisse befriedigt werden können, ergibt ihr Einsatz Sinn. Wenn Sportkonsumenten eine Technologie nicht wollen, wird sie sich langfristig auch nicht durchsetzen.