Zusammenfassung
Hintergrund
Das Thema Schmerz hat die Menschheit seit Anbeginn beschäftigt. Das Verständnis dieses subjektiven, von körperlichen, emotionalen, geistigen und kulturellen Faktoren abhängigen Phänomens ist von vitalem Interesse, aber bis heute unvollkommen.
Die Akupunktur ist eines der ältesten und effektivsten Verfahren der Schmerztherapie und ist gleichzeitig in ihrem historischen Verständnis Grenzbereich zwischen Körper, Emotion, Geist und Kultur.
Zielsetzung
Durch die Darstellung und Analyse der historischen Entwicklung soll aufgezeigt werden, dass ein modernes Verständnis von Schmerz und Akupunktur letztendlich zu einem integrativen therapeutischen Ansatz führen kann. Damit kann die Akupunktur mit ihrer Physiologie und ihrem Menschenbild ein Steigbügel die Entwicklung eines umfassenden Konzepts der Schmerztherapie sein.
Methode
Neben einem umfassenden Literaturstudium gehen in die vorliegende Untersuchung langjährige praktische Erfahrung mit der Therapie akuter und chronischer Schmerzen ein. Intensive theoretische und praktische Auseinandersetzung mit der Akupunktur und verwandten Verfahren, eigene klinische und Grundlagenforschung sowie medizin-historische und sinologische Erkenntnisse sind die weitere universitäre Grundlage dieser Arbeit.
Ergebnisse
Im ersten Teil werden die Ergebnisse der historischen Analyse vom Altertum bis in das 19. Jahrhundert dargelegt. Es zeigt sich, dass die Interpretation von Schmerz in der Geschichte sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Welt immer eine Synthese aus subjektiver Empfindung kulturell vermittelter, geistiger und philosophischer Grundhaltung dargestellt. Bereits ab dem 16. Jahrhundert hat eine gegenseitige Beeinflussung beider Welten stattgefunden. Im 18. und 19. Jahrhundert hatte die Akupunktur in Europa bereits eine erste Hochzeit, welche dann aber aufgrund des pharmakologischen Fortschrittes mit Entwicklung potenter Analgetika und Anästhetika jäh endete, sowohl in Europa als auch in China.
Diskussion und Ausblick
Die im Laufe der beschriebenen Geschichtsabschnitte vom Altertum bis ins lange 19. Jahrhundert zu beobachtende Rationalisierung des Schmerzverständnisses und die damit verbundene Loslösung vom Subjekt bedingte zum Ende des 19. Jahrhunderts ein deutlich höheres Ansehen der westlich geprägten pharmakologischen Schmerztherapie im Vergleich zur Akupunktur, sowohl in Europa als auch im Osten. Es mag postuliert werden, dass diese Entwicklung der heute unabdingbaren umfassenden bio-psycho-sozialen Sichtweise noch entgegensteht.
Notwendig wäre aber die Entwicklung eines effektiven Entsprechungssystems mit bestmöglicher Integration naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unter gleichzeitiger Annahme der Subjektivität des Schmerzleidens.
In den folgenden Teilen sollen die Entwicklungen des Schmerzverständnisses, der modernen Schmerztherapie und der verschiedenen Akupunkturansätze im 20. und 21. Jahrhundert beschrieben werden, um schließlich an einem Modell einen Weg zur Lösung der diversen Dilemmata aufzuzeigen.
Abstract
Background
The issue ‘pain’ has preoccupied mankind from the very beginning. Still, this individual phenomenon, which depends on physical, emotional, spiritual, and cultural factors, has yet to be fully understood, but is of vital interest.
Acupuncture is one of the oldest and most effective means of pain therapy. In its theory, it provides an interface for body, emotion, mind, and culture.
Aim
By portraying and analyzing the historical evolution it will be shown that a modern understanding of both pain and acupuncture can lead to an integrative therapeutic approach, and that acupuncture—due to its physiological concepts and its idea of man—can lead to an all-encompassing approach in pain therapy.
Methods
In-depth study of literature, long-time practical experience in the therapy of acute and chronic pain, intensive study of acupuncture in historical context, as well as practical, own clinical and basic research, and knowledge in medical history as well as sinology, thereby joining the competences of two university institutes.
Results
The first part analyzes the history from ancient times up to the 19th century. It is found that within the course of history, the interpretation of pain has always been a synthesis of individual sensation and cultural, philosophical concepts in both the Eastern and Western world, and that by the time of the 16th century, both worlds had come to influence each other. In the 18th and 19th centuries, acupuncture experienced its first heyday in Europe, which came to an abrupt ending due to the pharmacological breakthrough discoveries of potent analgesics, both in Europe and in China.
Discussion
The rationalization of the concepts of pain in the historical course from ancient times until the 19th century, and its dissociation from the individual lead to an increase in reputation of modern pharmacological pain therapy over acupuncture, both in Europe and the East. It may be postulated that still today, the results of this historical process stand in the way of the evolution of a much needed, all-encompassing approach including biological, psychological, and sociological factors. It would be necessary to establish an effective theoretical system integrating scientific findings while at the same time paying tribute to the subjectivity of pain.
The following parts trace the development of the understanding of pain, modern pain therapy, and various approaches by acupuncture in the 20th and 21st centuries in order to finally, using a model, show a way out of this dilemma.
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Tiplt, A., Irnich, D. Akupunktur und Schmerz — Eine Historie in 3 Teilen. Dtsch Z Akupunkt 53, 17–22 (2010). https://doi.org/10.1016/j.dza.2010.01.001
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