figure z

Liebe Leserinnen und Leser,

Kinder lernen mehr und bereitwilliger als Erwachsene – und beide lernen am wenigsten, wenn man ihnen Vorträge hält und am ehesten durch konkretes Vorleben und Abschauen. Bezogen auf das Medizinstudium bedeutet das, dass eine Vorlesung eher wenig zum Erwerb von Kompetenzen beiträgt. Diesem Umstand wird auch an den Universitäten dadurch Rechnung getragen, dass die meisten Medizinstudiengänge eine große Anzahl von Vorlesungen beinhalten – wenn jedes Mal nur wenig behalten wird, summiert es sich trotzdem bis zum Staatsexamen.

Erfahrungslernen wird durch eine unterstützende Person mit Vorbildfunktion gefördert

Je nach theoretischem Hintergrund wird das Lernen durch Nachahmung und Beteiligung als Erfahrungslernen, situatives Lernen oder „hidden curriculum“ (verstecktes Curriculum) bezeichnet. Es trägt vor allem auch dazu bei, Einstellungen und Haltungen zu vermitteln, um z. B. in ethischen Konfliktsituationen entscheiden zu können. Damit Erfahrungslernen gut funktioniert, braucht es idealerweise eine Person, die unterstützt, für Fragen und Feedback zur Verfügung steht und im besten Fall in gewisser Hinsicht ein gutes Vorbild ist. Diese Bedingungen finden sich im Medizinstudium manchmal zufällig. Strukturell und organisatorisch ist dieses Setting aber am ehesten im Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin mit der 1‑zu-1-Betreuung der Studierenden im Praxisalltag gegeben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Blockpraktikum Allgemeinmedizin an vielen Standorten sehr gut evaluiert wird. Auch das berücksichtigen Approbationsordnung und Universitäten: Bei einer so hochwirksamen Veranstaltung genügt es, dass sie nur einmal und nur 2 Wochen lang stattfindet.

Das Blockpraktikum scheint dennoch fest im Langzeitgedächtnis verankert zu sein: Nicht wenige der Quereinsteiger in die Allgemeinmedizin erinnern sich nach einigen Jahren in der Klinik an ihre positiven Erfahrungen im Blockpraktikum und wechseln zur allgemeinmedizinischen Weiterbildung.

Da die studentische Betreuung in den Lehrpraxen ohnehin sehr gut ist, sind die Didaktikkurse für die Lehrpraxen der Charité nicht als Verbesserungsmaßnahme gedacht, sondern sollen eher der Inspiration und dem Erfahrungsaustausch dienen. Im letzten Didaktikkurs haben wir über die praktischen Möglichkeiten diskutiert, Erfahrungslernen und „Vorbild Sein“ im Praxisalltag zu nutzen und zu unterstützen. Ein Beispiel, das von einer Lehrärztin genannt wurde, war der sehr klar abgrenzende Umgang mit rassistischen Äußerungen im Wartezimmer oder am Empfang. Es folgte eine ganze Reihe ähnlicher Erfahrungsberichte, darunter auch die Idee, am nächsten Tag mit den Studierenden die möglicherweise resultierenden negativen Internetbewertungen durchzusehen und dazu Stellung zu nehmen. Zwei Tage später wurde die offizielle DEGAM-Pressemitteilung zum Thema Menschenfeindlichkeit verbreitet, die damit öffentlich macht, was in vielen Praxen bereits geschieht: eine klare Positionierung gegen Menschenfeindlichkeit. Sie finden das Statement auch abgedruckt in dieser AusgabeFootnote 1.

Didaktikkurse der Charité für Lehrpraxen dienen der Inspiration und dem Erfahrungsaustausch

Die Studierenden hören und sehen diesem Umgang sicher aufmerksam zu und nehmen die Botschaft mit – nachhaltiger als in jeder Vorlesung. Und hoffentlich – obwohl die Datenschutzbestimmungen eigentlich dafür sorgen sollten, dass das, was am Empfang gesagt wird, vertraulich bleibt – hören auch möglichst viele Patient:innen mit.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen mit vorsichtigem Optimismus eine gute Frühlingszeit

Herzlich grüßt

Sabine Gehrke-Beck