Aktuelle Forschung auf den Punkt gebracht Behinderungen sind in Gesellschaft und Wissenschaft oft ein Tabuthema. Dementsprechend gibt es bisher wenige Untersuchungen, die sich auf die Betroffenen fokussieren. Wir haben ausgewählte Studienergebnisse für Sie zusammengefasst.

Erhöhtes Risiko ab der Geburt

Frauen mit Behinderungen haben ein erhöhtes Risiko für prä- und perinatale Komplikationen. Wie es um die Neugeborenen steht, wurde nun bei über 220.000 Geburten untersucht. Im Vergleich zu Kindern gesunder Mütter hatte der Nachwuchs von Frauen mit Behinderungen ein um fast 60 % höheres Risiko für eine Komplikation. Dazu zählten unter anderem eine Frühgeburt, ein geringes Geburtsgewicht, die Behandlung auf der Intensivstation und Atemwegserkrankungen. Auch die Wahrscheinlichkeit für den Tod eines Neugeborenen war um mehr als das Zweifache erhöht. Gleason JL et al. (2023) Int J Epidemiol, 52(1), 203-213

Eingeschränkter Spielspaß

Um Spielplätze für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen zugänglich zu machen, bedarf es verschiedener Komponenten wie eines rollstuhlgerechten Bodenbelags oder vielseitiger Spielgeräte. Laut einer Untersuchung haben jedoch nur rund ein Fünftel der Spielplätze solche inklusiven Merkmale. Kinder mit Bewegungseinschränkungen und Sehbehinderung sind dabei besonders benachteiligt. So gibt es nur bei 1 % der Geräte befahrbare Wege; auf keinem der untersuchten Spielplätze existieren Tasthilfen oder Leitsysteme. Weber E et al. (2023) Bonn, Frechen: Aktion Mensch e. V., FIBS gGmbH

Fehlinformiert durch Vorurteile

Wenn Ärzt*innen die pränatale Diagnose „Down-Syndrom“ vermitteln, erleben Eltern dies überwiegend negativ. In einer Umfrage berichteten Paare, dass sie zwar meistens über medizinische Aspekte informiert wurden, aber in weniger als 40 % der Fälle über psychosoziale Themen. Nur 20-30 % der Eltern nahmen die Gesprächsinhalte als ausgewogen und verständlich wahr. Laut Forschenden könnte dies an Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung liegen. Diese würden sich unbewusst äußern, zum Beispiel durch Bedauern der Diagnose. Sie waren aber auch offensichtlich präsent, etwa als Fehlinformationen über die Lebenserwartung und Versorgung der Kinder. Meredith S et al. (2024) Disabil Health J, 17(1), 101514

Stillen: Kurz und ohne Unterstützung

Bisher wurden die Auswirkungen von Behinderungen der Mutter auf die Stillrate und -dauer kaum untersucht. Deshalb analysierten Wissenschaftler*innen kürzlich das Stillverhalten dieser Frauen im Krankenhaus und in den ersten sechs Monaten nach der Geburt. Insbesondere bei geistiger Behinderung und mehreren Einschränkungen stillten Mütter im Krankenhaus seltener, erhielten dabei weniger Unterstützung durch das Personal und hatten seltener die Möglichkeit für Haut-an-Haut-Kontakt mit dem Baby. Darüber hinaus war allgemein bei einer Behinderung das Risiko größer, innerhalb des ersten halben Jahres aufzuhören, ausschließlich oder überhaupt zu stillen. Brown HK et al. (2023) Lancet Public Health, 8, e47-56; Brown HK et al. (2023) Int Breastfeed J, 18(1), 7

Hoher Förderbedarf an Schulen

Laut der UN-Behindertenrechtskonvention soll das Bildungssystem so gestaltet werden, dass es sich flexibel an die Bedürfnisse von Kindern anpassen kann. Doch wie inklusiv sind deutsche Schulen wirklich? 2021 und 2022 gab es rund 580.000 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Am häufigsten wurde in Gesamtschulen inklusiv unterrichtet, nur 6,5 % der geförderten Schüler*innen besuchten ein Gymnasium. Während die Förderquote kontinuierlich steigt (aktuell 7,8 %), ist die Exklusionsquote seit dem Jahr 2009 nur um einen halben Prozentpunkt auf 4,3 % gesunken . Elf Bundesländer schränken den Zugang zu allgemeinen Schulen für Kinder mit Förderbedarf sogar ein. Klemm K et al. (2023) Gütersloh: Bertelsmann Stiftung