In Deutschland ist Mitte April ein offener Brief an die Bundesregierung gesandt worden, welcher ein Umdenken im COVID-Management anmahnt — nicht von Querdenkern, nicht von Infektiologen, Virologen oder Epidemiologen, sondern von Aerosolforschern. Viele werden zugeben müssen, dass sie bisher nichts von der Existenz von Aerosolforschern wussten, erst recht nicht, dass diese etwas Wichtiges zu COVID-19 zu sagen haben. Es ist aber eine Tatsache, dass die mit Abstand meisten COVID-Infektionen durch Aerosole übertragen werden.

Aerosole sind schwebende Tröpfchen. Nur sehr, sehr kleine Tröpfchen können schweben, ihr winziger Durchmesser macht sie aber auch leicht vergänglich. Aerosole sind bedroht von Austrocknung und Verdünnung. Im Sonnenlicht vergehen sie innerhalb von Sekunden. In geschlossenen Räumen ohne Belüftung können sie sich dagegen über Stunden halten, vor allem bei hoher Luftfeuchtigkeit. Besonders hohe Konzentrationen werden erreicht, wenn mehrere Personen in einem kleinen, schlecht beheizten und schlecht belüfteten Raum atmen, reden, singen, lachen, husten oder niesen.

Gerhard Scheuch, einer der Aerosolpioniere, sagt, dass COVID-19-Patienten besonders viel Aerosol ausscheiden. Wenn also solch eine Person in einem kleinen geschlossenen Raum atmet, ist die Aerosolkonzentration schon nach wenigen Minuten so groß, dass sich eine andere Person durch die bloße Anwesenheit in diesem Raum mit COVID-19 infizieren kann. Würde die infizierte Person ihr Aerosol im Freien ausatmen, könnte nie eine ansteckende Aerosolkonzentration entstehen.

Enormes Wissen

Was die Eigenschaften von Aerosolen sind, wovon diese abhängen, wie sie gebildet werden und wie sie wieder verschwinden, das ist das wissenschaftliche Feld der Aerosolforschung. Aerosolforscher brauchte und braucht man besonders für die Entwicklung von inhalativen Medikamenten, wie sie für die chronischen Atemwegserkrankungen seit Jahrzenten zur Verfügung stehen und stets weiterentwickelt werden. Daher hat die Aerosolforschung auch bereits ein enormes Wissen angehäuft. Diese Aerosolforscher behaupten nun, dass das Tragen von Masken im Freien keinen Sinn ergibt. Dagegen sind sie in geschlossenen Räumen sinnvoll, auch wenn sie nicht perfekt schützen. Vielmehr käme es darauf an, die Aerosolkonzentrationen in geschlossenen Räumen niedrig zu halten. Das gelingt, wie wir alle wissen, durch regelmäßiges Lüften (Stoß- oder Querlüften). Wenn man nicht immer ans Lüften denken möchte, so installiert man eine kontrollierte Raumlüftung. Wenn das nicht möglich ist, setzt man Luftfiltergeräte mit einem ausreichenden Luftdurchsatz ein. Obwohl solche Überlegungen auch für private Wohnungen wichtig sind, bekommen sie erst für öffentliche Räume, etwa Kindergärten, Schulen und Amtsräume bei Bahn und Post eine essenzielle Bedeutung.

Renaissance des Jugendstils

„Dunkel und dunstig“ ist der Nährboden für die Corona- Infektion, „hell und luftig“ ist das Gegenmittel. Das galt übrigens in gleicher Weise für die Tuberkulose. Dem Bedürfnis nach Licht und Luft wurde in der Tuberkulose-Blütezeit vor gut 100 Jahren architektonisch mit besonders hohen Räumen mit großen Fenstern begegnet. Wenn uns COVID-19 noch länger erhalten bleibt und uns die Masken zu lästig und die Luftwechselanlagen auf die Dauer zu laut und teuer sind, werden wir vielleicht eine Renaissance des Jugendstils erleben — von der Aerosolforschung inspiriert.

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Dr. Horst Olschewski