Was hat es mit der Doppelung „Erfahrung und Empirie“ auf sich? Sollte es sich dabei etwa um nichts weiter als einen spitzfindigen Pleonasmus handeln, wäre die Frage schnell erledigt: Es wäre Geschwätz und man könnte sich höchstens noch wundern, wer für die Spiegelfechterei verantwortlich wäre oder was ihn zu dieser motivierte. Allerdings liegt bei der infrage stehenden Wendung „Erfahrung und Empirie“ alles andere als ein spitzfindiger Pleonasmus vor. Stattdessen kündigt sich in dieser Konjunktion, in der dieselbe Sache durch zwei unterschiedliche Begriffe angesprochen wird, eine grundlegende Schwierigkeit interdisziplinärer Forschung an. Wenn in der Philosophie von der Erfahrung gehandelt wird, während in der Psychologie aber von der Empirie die Rede ist, obwohl beide Disziplinen mit diesen Begriffen auf ähnliche Weise umgehen, wie können sie sich einander dann noch verstehen. In ein Gleichnis gebracht, in dem den Disziplinen ihre eigenen Sprachen entsprechen, lautet die Frage, ob einer, der „philosophisch“ spricht, einen anderen, der „psychologisch“ spricht, verstehen kann und umgekehrt. So wird ersichtlich, dass hinter der Wendung „Erfahrung und Empirie“ nichts anderes als die Frage nach dem Dialog zwischen Philosophie und Psychologie steckt.

Beide Begriffe, „Erfahrung“ und „Empirie“, sind in aller Munde. In der Philosophie wird die Erfahrung von so unterschiedlichen Ausrichtungen wie dem Empirismus und der Phänomenologie als basale Erkenntnisquelle und Rechtfertigungsgrundlage jeder Wissenschaft veranschlagt, während in der Psychologie jede Theorie nur insoweit Wert hat, als sie sich in der Empirie bewährt, während das, was sich empirisch zeigt, auch dann schon von Interesse ist, wenn noch keine theoretische Einordnung möglich ist oder unternommen wurde, sodass empirische Studien zu ihrem bevorzugten wissenschaftlichen Medium geworden sind. Trotz des hohen Stellenwertes der Begriffe „Erfahrung“ und „Empirie“, bleibt ihr Gehalt zumeist implizit und ihr Gebrauch operativ.

Im Versuch zu einer expliziten und thematischen Auseinandersetzung mit Erfahrung und Empirie durch Philosophie und Psychologie zu gelangen, wurde vom 19.–22.09.2023 durch die Arbeitsgemeinschaft Philosophie & Psychologie eine Konferenz mit dem Titel „Erfahrung und Empirie“ an der Universität Heidelberg abgehalten. Der Leitgedanke dieser Veranstaltung war es, Philosophinnen und Philosophen sowie Psychologinnen und Psychologen anlässlich dieses für sie grundsätzlichen Sachgebiets miteinander ins Gespräch zu bringen. Vermöge dieses interdisziplinären Formats wurden Erfahrung und Empirie begrifflich bestimmt, kritisiert, auf ihre Forschungspotenziale in Theorie, Wissenschaft und Praxis befragt und anhand ausgewählter Themenbereiche wie z. B. der Fremderfahrung und der Ästhetik diskutiert. Einige der Beiträge dieser Heidelberger Konferenz sind in der vorliegenden Heftausgabe, die denselben Namen trägt, zusammengetragen.

Die Arbeitsgemeinschaft Philosophie & Psychologie ist ein Bund von Forscherinnen und Forschern, die um den Dialog zwischen Philosophie und Psychologie bemüht sind. Von besonderem Interesse sind dabei die inter- und transdisziplinären Forschungsperspektiven, die sich aus der thematischen Tuchfühlung der beiden Disziplinen ergeben. Aus diesem Grund begreift sich die Arbeitsgemeinschaft als ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch, das keiner einzelnen Schule oder Denkart verpflichtet ist. Ihre Vision ist es, den philosophisch-psychologischen Diskurs in seiner ganzen Weite Raum bieten und in seiner inhaltlichen Fülle abbilden zu können. Dieser bewusst offenen Forschungshaltung entspricht, dass keine der Disziplinen der jeweils anderen als vor- oder übergeordnet verstanden wird, sodass das Programm der Arbeitsgemeinschaft weder einseitig auf eine philosophische Psychologie noch einseitig auf eine psychologische Philosophie zugespitzt werden kann. Philosophie und Psychologie stehen einander nicht als Herrin und Magd gegenüber, sondern begegnen einander auf Augenhöhe, sprich als gleichberechtigte Parteien mit teilweise konvergierenden Interessen.

Vor diesem Hintergrund entwickelt die Arbeitsgemeinschaft Philosophie & Psychologie ein Programm zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Psychologie (www.phi-psy.de). Neben der Heidelberger Konferenz, deren Beiträge in dieser Heftausgabe versammelt sind, zählt hierzu die Kollegwerkstatt der Arbeitsgemeinschaft. Nachdem während ihres ersten Termins vom 26.–28.04.2023 im Schloss Wahn der Universität zu Köln die Frage behandelt wurde, wie die philosophische Psychologie empirisch forschen kann, wird der zweite Termin der Kollegwerkstatt, der vom 06.–08.05.2024 am selben Ort stattfinden wird, den Themenkomplex von Motivation, Volition und Aktion aus philosophischen und psychologischen Perspektiven beleuchten. Der übergeordnete Zweck der Kollegserie ist demjenigen der Heftausgabe verwandt und besteht darin, ein maximalistisches Verständnis von philosophisch-psychologischer Kooperation zu erarbeiten, das die gesamte Spannbreite von theoretischer Grundlagenforschung bis zu empirischen Spezialuntersuchungen abdeckt. Außerdem betreibt die Arbeitsgemeinschaft Philosophie & Psychologie ein breit gefächertes Onlineprogramm. Dieses umfasst Fipsi, den philosophisch-psychologischen Podcast, ein digitales Forschungskolloquium sowie einen Lesekreis und richtet sich an die Studierendenschaft, den wissenschaftlichen Nachwuchs und Berufsakademiker und -akademikerinnen gleichermaßen wie an die interessierte Öffentlichkeit.

Fühlen Sie sich angesprochen und seien Sie herzlich dazu eingeladen, sich bei den Vorstandsmitgliedern zu melden. Es bestehen vielfältige Möglichkeiten, sich zu beteiligen und im philosophisch-psychologischen Zwiegespräch das Wort zu ergreifen. Letzten Endes lebt das wechselseitige Befruchtungsverhältnis von Philosophie und Psychologie von der persönlichen Initiative einzelner Forscherinnen und Forscher.

Hannes Wendler, Ruben Ellinghaus, Andrea Lailach-Hennrich und Jörg Disse