Liebe Leserinnen und Leser,

im Sport ist das Auf und Ab gang und gäbe, und Gewinnen und Verlieren wird von klein auf gelernt: Man kann nicht immer auf der Sonnenseite stehen, aber mag auch nicht dauernd als Verlierer*in vom Platz oder von der Matte gehen oder aus dem Becken steigen. Das Sportler*innen wohlbekannte Wellenbad der Gefühle hat in den vergangenen Monaten auch die Vertreter*innen des gemeinnützigen, organisierten Sports erfasst: Noch Ende des vergangenen Jahres war die Stimmung angesichts drohender einschneidender Mittelkürzungen des Bundes für die Kinder- und Jugendarbeit im Sport (und auch für den Spitzensport) am Tiefpunkt: Nachdem der Regierungsentwurf für 2024 im Vergleich zum Vorjahr 19 % weniger Mittel für den Kinder- und Jugendplan des Bundes vorsah, wäre die Arbeit im Kinder- und Jugendsport existenziell gefährdet gewesen.

Daher waren die Deutsche Sportjugend (dsj) und Mitgliedsorganisationen intensiv und laut im politischen Berlin unterwegs. Die umfassende Lobbyarbeit vor und hinter den Kulissen hat Wirkung gezeigt: Die Kürzungen im Haushalt der dsj um 1 Mio. € für 2024 wurden rückgängig gemacht. Ein großer Erfolg. Nicht vergessen werden darf dabei, dass noch offene Kürzungen bei den Freiwilligendiensten massive Auswirkungen für den Kinder- und Jugendsport haben könnten. Hier besteht Gefahr, dass jeder dritte Platz künftig wegfallen könnte. Die Finanzierung der Freiwilligendienste war bei Erstellung dieses Vorworts noch nicht gesichert, und offen ist auch, wie sich die Haushaltsdebatten in den kommenden Jahren gestalten werden. Daher gilt es zu nuancieren: Nicht alles ist in Butter, aber wir haben uns die Butter nicht vom Brot nehmen lassen, um es salopp zu formulieren. Der finanzielle Status des Kinder- und Jugendsports in diesem Jahr ist jedenfalls hart erkämpft.

Auch deswegen sind wir sehr froh über weitere positive Signale, die fast schon als Aufbruchsstimmung gewertet werden können: Nach dem ersten Bewegungsgipfel des Bundes im Dezember 2022 in Berlin ist einiges vorangekommen für eine Gesellschaft, in der qualitativ hochwertige Bewegungs‑, Spiel- und Sportangebote zum Alltag von Kindern und Jugendlichen selbstverständlich dazugehören. Inzwischen wurden bei einem zweiten Bewegungsgipfel viele gute Ideen für den „Entwicklungsplan Sport“ diskutiert, eine federführend vom Bundesministerium des Innern und für Heimat geführte Offensive zur Förderung von Sport und Bewegung. Forum Kinder- und Jugendsport führte dazu ein großes Interview mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Basis des Entwicklungsplans sollen Ergebnisse bilden, die von fünf Arbeitsgruppen erarbeitet wurden. Die AG „Freude an Bewegung und Sport früh verankern“ suchte dabei nach Wegen, Kinder und Jugendliche über Angebote und mithilfe guter Rahmenbedingungen für Bewegung, Spiel und Sport zu begeistern. Der organisierte Sport und die Wissenschaft haben ihre Hausaufgaben gemacht, nun ist die Politik gefordert, gemeinsam für die Entwicklung des Sports im Allgemeinen und des Kinder- und Jugendsports im Besonderen einzutreten, um das Entwickelte umzusetzen.

Nachdem unter dem Dach der dsj-Kampagne „MOVE for Health“ in einem wissenschaftlichen Modul erforscht worden ist, welche Potenziale Bewegung, Spiel und Sport für die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben, wie der Sportverein eine attraktive Lebenswelt im Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sein kann und was Herausforderungen und Gelingensbedingungen für den Sport von sozial benachteiligten Gruppen sowie von Heranwachsenden im Ganztag sind, scheint die Situation für die Kinder- und Jugendsportforschung positiv. Es geht weiter mit der Forschung im Rahmen von „MOVE for Health“, wenn auch mit gekürztem Budget, der Entwicklungsplan Sport sieht aller Voraussicht eine zweite SPRINT-Studie zur Situation des Sports in der Schule in Deutschland vor (die wurde 2006 veröffentlicht!). Auch das Deutsche Jugendinstitut plant, gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des dsj-Forschungsverbundes sowie des Forschungsverbundes Kinder- und Jugendsport NRW ein eigenes Sportmodul in sein umfassendes Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A) aufzunehmen.

Offenbar scheint sich bei den politisch Verantwortlichen die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass nach der Coronapandemie systematische Daten zu den Rahmenbedingungen für ein bewegtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nötig sind. Damit wird ein zentrales Anliegen des Kinder- und Jugendsports umgesetzt. Dass sich übergeordnete Institutionen „unserer“ Themen annehmen, ist essenziell; alleine können der Sport und die Kinder- und Jugendsportforschung kaum das Rad herumreißen. Sie können aber im Zusammenspiel mit anderen einflussreichen Playern als zentrale Multiplikatoren die Aufbruchsstimmung aufnehmen und an die jungen Menschen weitergeben. Das scheint angesichts des erkennbar zunehmenden Bewegungsmangels der jungen Generation und der Menschen insgesamt notwendiger denn je, wie auch unser Interview mit den Wissenschaftlerinnen Yolanda Demetriou und Anne Kerstin Reimers zeigt, die ein „Bewegungs-Zeugnis“ zur körperlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen für Deutschland erstellt haben.

In dieser Ausgabe werden weitere Themen mit großer aktueller Relevanz betrachtet. Wichtig für einen Jugendverband und eine politisch denkende Organisation ist vor allem der Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, zum Beispiel im Vorfeld der anstehenden Europawahlen. Unser „aktuelles Stichwort“ kommt deswegen von Meike Breuer und Jan Friedrich, die Rechtsradikalität und das Präventionspotenzial des Sports adressieren.

Die vorliegende Ausgabe bietet wieder interessante Forschungsergebnisse. Im ersten Forschungsbeitrag haben Britta Fischer und Jan-Peter Brückner die Motivation und Intention zum Sporttreiben in der Freizeit analysiert und dabei das Trainer*innenverhalten und den Schulsport in den Blick genommen. Den in unserer Zeitschrift üblichen Dialogbeitrag dazu bildet eine Diskussionsrunde mit drei jungen Engagierten der Sportjugend Coesfeld zum Themenfeld Motivation.

Ein zweiter Forschungsbeitrag von Nadine Albrecht und Maike Tietjens beschreibt eine Pilotstudie zur Entwicklung einer bewegungsunterstützenden, psychosozialen Intervention mit boxspezifischen Elementen zur Stärkung des Selbstkonzepts jugendlicher Mädchen. Ergänzend dazu sprachen wir mit dem Box-Experten Farid Vatanparast, Initiator und Leiter eines vielbeachteten vereinsbasierten Sport- und Bildungskonzepts. Um die Mädchenförderung geht es im zweiten Dialogbeitrag von Jörg Schulz von der Deutschen Schulschachstiftung. Am Beispiel des Schachsports zeigt er, was Camps für Mädchen und eine an ihren Wünschen orientierte Förderung bewirken können.

Dritter Forschungsbeitrag in diesem Heft ist schließlich eine Arbeit von Ida Noetzel, Linda Becker, Elisabeth Gräfin von Plettenberg und Miriam Kehne, sie haben den Forschungsstand zu Bewegung, Spiel und Sport im schulischen Ganztag in Deutschland untersucht. Das Scoping-Review kommt genau zur richtigen Zeit, um vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz ab 2026 systematische Forschungsprojekte zu diesem wichtigen Thema auf den Weg zu bringen.

Eine breite Palette an Gegenständen thematisieren die Fachbeiträge in diesem Heft. In ihnen geht es etwa um die Teilhabe am Sport für psychisch kranke Kinder und Jugendliche (Matthias Marckhoff et al.), um Inklusion an der Schnittstelle von schulischem Ganztag und Verein (Judith Frohn, Natascha Dauben, Petra Cwierdzinski), um Diskriminierung in Schwimmbädern und den Umgang damit (Axel Dietrich, Emil Ludwig), um Unterstützungsbedarfe informell sporttreibender Kinder und Jugendlicher (Christian Hübner) oder um erste Schritte für den Vereinssport auf dem Weg zu einem präventiven Konzept gegen Antisemitismus (Thomas Görtz, Ulf Gebken).

Einen Block bildet unsere Dokumentation des Fachgesprächs zu „Leistung, Sport und Aufwachsen“ im Oktober 2023 in Frankfurt am Main. Mit Stefan Meier, Thomas Jaitner und Ralf Sygusch haben drei Wissenschaftler ihre Ausführungen in Beiträgen zusammengefasst. Schließlich hat Katharina Morlang für diese Ausgabe noch einen Kommentar zu einer aktuellen und partizipativ angelegten dsj-Kampagne für nachhaltige Sport(groß)veranstaltungen verfasst.

Bevor wir zum Ende kommen, möchten wir die Gelegenheit für ein herzliches Willkommen und einen großen Dank nutzen: Luca Wernert, seit 2018 Mitglied im dsj-Vorstand, ergänzt künftig unsere Runde der Herausgeber*innen als Sprecher für die Fachbeiträge und deren Editor-in-Chief. Ein Rolle, die bisher unser Mitbegründer Peter Lautenbach innehatte, der uns in diesem Gremium weiter beratend zur Seite stehen wird.

Zu guter Letzt ein weiteres, sehr wichtiges Dankeschön: Denn ohne das wertvolle, freiwillige Engagement unserer Gutachter*innen im Peer-Review-Verfahren der Forschungsbeiträge wäre Forum Kinder- und Jugendsport in dieser Form nicht möglich. Herzlichen Dank allen, die mit ihrer wichtigen Arbeit in den Jahren 2022 und 2023 auf diese Weise zum Gelingen dieser Zeitschrift beigetragen haben:

  • Ahmet Derecik

  • Andrea Szukala

  • Anne Strotmeyer

  • Anne-Christin Roth

  • Cathleen Grunert

  • Christa Kleindienst-Cachay

  • Daniel Rode

  • Fabienne Bartsch

  • Hagen Wäsche

  • Hans Peter Brandl-Bredenbeck

  • Jessica Schmeling (*Maier)

  • Jessica Süßenbach

  • Johanna Korte

  • Johannes Vollmer

  • Jürgen Schwier

  • Katharina Morlang

  • Lucas Schole

  • Michael Mutz

  • Miriam Kehne

  • Petra Gieß-Stüber

  • Rolf Schwarz

  • Rüdiger Heim

  • Silvester Stahl

  • Stefan Hansen

  • Stefan Meier

  • Steffen Greve

  • Tim Bindel

  • Ulrike Burrmann

  • Vera Volkmann

  • Verena Freytag

  • Wiebke Langer

  • Wolf-Dietrich Brettschneider

Wir wünschen Ihnen und Euch viele neue Informationen und Anregungen und viel Freude beim Lesen!

Stefan Raid

(für die Institutionellen Herausgeber*innen)

Nils Neuber

(für die Herausgeber*innen der Forschungsbeiträge)

Peter Lautenbach

(für die Herausgeber*innen der Fachbeiträge)