Liebe Leser,

Thema der ersten Ausgabe der Zeitschrift Knie Journal sind die Beinachsenkorrekturen, denn an keinem anderen Operationsverfahren lassen sich die verschiedenen Facetten unseres Spezialgebietes so gut erkennen wie an diesem.

Die Bedeutung der Beinachse für die Entwicklung unikompartimenteller degenerativer Knorpelschäden ist lange bekannt. Die valgisierende Tibiakopfosteotomie hat mittlerweile einen festen Stellenwert in der operativen Arthrosetherapie. Sogar ein Cochrane Review aus dem Jahr 2014 kommt zu der Aussage: „Valgus high tibial osteotomy reduces pain and improves knee function in patients with medial compartmental osteoarthritis of the knee“ [1]. Mittlerweile existiert sogar eine Studie mit nichtoperativen Vergleichsgruppen („unloader brace“ oder „usual care“), die eine Überlegenheit der valgisierenden Tibiakopfosteotomie in der Arthrosetherapie zeigt [8]. Diese Studien sind insbesondere mit Blick auf die Kostenträger und öffentliche Entscheidungsträger von hoher Relevanz, um das Operationsverfahren in Zukunft weiter zur rechtfertigen. Bei vielen sinnvollen Operationsverfahren sind wir als behandelnde Ärzte aufgrund fragwürdiger Ergebnisse kontrollierter Studien bereits in die Defensive geraten (z. B. Meniskusoperationen; [5]). Das scheint bei der kniegelenksnahen Osteotomie nicht der Fall zu sein.

Auch wenn neuere Metaanalysen zeigen, dass die Unterschiede zwischen medial öffnender oder lateral schließender Osteotomie nur gering ausfallen [2], hat sich aufgrund verschiedener Faktoren (geringeres Risiko für N.-peroneus-Schäden, reproduzierbarere Korrektur) die mediale „Open-wedge“-Osteotomie als Standardverfahren zur Therapie der unikompartimentellen Gonarthrose am Knie etabliert. Dennoch ist die Differenzialindikation zum unikompartimentellen Gelenkersatz nicht immer einfach. Alter, Aktivität, Grad der Arthrose und auch die Beschaffenheit der Deformität spielen hier eine Rolle. So sind kniegelenksnahe Umstellungsosteotomien gerade für den aktiven jüngeren Patienten eine gute Alternative zum unikompartimentellen Gelenkersatz, da die Lockerungs- und Revisionsraten nach Kniegelenksersatz in dieser Patientengruppe hoch sind.

Auch die spätere endoprothetische Versorgung und die möglicherweise erhöhten Risiken müssen schon bei der Indikation zur Umstellungsosteotomie berücksichtigt werden. Ein aktuelles systematisches Review hat gezeigt, dass die klinischen Ergebnisse einer Knieendoprothese nach beiden Verfahren sich zwar nicht unterscheiden, eine Revision nach Schlittenprothese jedoch mehr Revisionskomponenten und höhere Inlays erfordert [4].

Die Indikation zur kniegelenksnahen Umstellungsosteotomie bleibt jedoch nicht nur auf die unikompartimentelle Gonarthrose beschränkt. Auch bei posttraumatischen Deformitäten (z. B. fehlverheilte Tibiakopffraktur; [3]) oder auch bei Instabilitäten [6] können Korrekturosteotomien erforderlich sein. Im Gegensatz zu den Instabilitäten liegen zur Osteotomie bei posttraumatischen Deformitäten entsprechend der Individualität der Verletzung nur wenige Studien vor.

Zur Bedeutung knöcherner Deformitäten für die Entstehung und Therapie von Instabilitäten des Kniegelenkes existieren mittlerweile zahlreiche Studien [6]. Dabei müssen Achsabweichungen in der Frontalebene (Varusdeformität), aber auch Deformitäten in der Sagitalebene („Slope“-Fehler) berücksichtigt werden. Entsprechend komplex sind hier die Indikation sowie die Wahl der geeigneten operativen Technik.

Leider ist die Akzeptanz der kniegelenksnahen Osteotomie bei den Patienten oft begrenzt. Ein Grund ist sicher, dass früher lange Entlastungszeiten notwendig waren, die neben Komplikationen (Thrombose) auch eine hohe postoperative Morbidität bedingten. Durch die Verwendung winkelstabiler interner Plattenfixateure ist heute sogar bei öffnenden Osteotomien eine frühfunktionelle Nachbehandlung möglich. Neuere Studien zeigen sogar, dass oft eine frühe Vollbelastung möglich ist [7]. Dadurch wird die Akzeptanz dieses Verfahrens bei vielen Patienten steigen.

Diese im Rahmen des Editorials skizzierten Themen wollen wir in diesem Haft beleuchten und hoffen, dass Ihnen die gewonnen Informationen in der täglichen klinischen Praxis helfen.

Ihr

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Prof. Dr. Wolf Petersen, Berlin