Dieses schlanke Buch hat es in sich. Auch wenn es kein Lehrbuch oder Einführungstext sein will und noch weniger eine Enzyklopädie von Bewusstseinsformen, so ist es doch ein beinahe konkurrenzloser Einstieg in Arten und Weisen, die Welt ‚global‘ zu betrachten. Der historische Ansatz beweist dabei seine Vorzüge, denn statt einer linearen Abfolge immer ‚globalerer‘ Sichtweisen, die in heutigen Anschauungen gipfelt, hat man es mit einer eher kumulativen Entwicklung zu tun. Ältere Auffassungen scheinen hinter späteren durch und bleiben abrufbar. David Kuchenbuch wählt weder den Weg einer lexikalisch basierten Begriffsgeschichte, noch ordnet er sich einer bestimmten Richtung der Ideengeschichte zu, deren Prinzipien er orthodox anwenden würde. Er beschreibt die Wechselwirkung zwischen realen Veränderungen und deren Reflexion in wissenschaftlichen Analysen, politischen Programmen und kollektiv wirksamen Denkschemata.

Etwas überraschend beginnt das Buch nicht mit Überlegungen darüber, was das „globale Bewusstsein“ des Untertitels bedeuten könnte, sondern mit „Globalismus“ als politischem Kampfbegriff, genauer: mit Spielarten von Globalisierungskritik. Vor ihr soll „Globalismus“ als analytischer Begriff gerettet werden. Das ist ein riskantes Manöver, weil man leicht in die tautologische Falle tappt, darunter ein Denken in „globalen Bezügen“ zu verstehen, oder weil der suggestiven Metapher der „Vernetzung“ schnell zu hohe kategoriale Erwartungen aufgebürdet werden. Kuchenbuch findet einen Ausweg, indem er im Anschluss an Willibald Steinmetz globales Denken als Praxis weiträumig ausgreifenden Vergleichens bestimmt. Dieses kann ebenso zu hierarchischen Differenzierungen (vor allem einem ‚westlichen‘ Superioritätsbewusstsein) führen wie zu Annahmen von einer Weltgemeinschaft, die von allgemein geteilten Interessen und Visionen getragen wird. Eine solche Aufmerksamkeit für das Komparative verschwindet im Verlauf des Buches zuweilen im Hintergrund, doch bleibt die Dialektik von Divergenz und Konvergenz ein verlässlicher Kompass.

Anders als vergleichbare Darstellungen (mit engerem Fokus auf zwischenstaatliche Beziehungen etwa Jens Bartelson: Becoming International, Cambridge 2023) beginnt Kuchenbuch mit seinem historischen Durchgang nicht um 1500, sondern präzise im Jahr 1882. In der Epoche der Ersten Globalisierung, die (ungefähr) damals begann, prägten sich zwei „Modi der Globalitätsdiagnostik“ (S. 35) heraus: „Weltmarkt“ und „Rückständigkeit“. Ein dritter Modus trat bald hinzu: geopolitische Analysen von Raumerschließung und Großmächtekonkurrenz. Bis 1914 hatte globalistisches Denken auch Disziplinen wie Demografie und Statistik erfasst; überall wurden Vergleiche im Weltmaßstab unternommen.

Die Jahre zwischen den Weltkriegen lassen sich dann als „eine Zeit der Gegenläufe und Ambivalenzen“ (S. 78) charakterisieren. Kosmopolitismus und Nationalismus waren bei aller Gegensätzlichkeit oft miteinander verschränkt, etwa im Völkerbund. Die 1920er und 1930er Jahre waren eine Art von Hundert-Blumen-Periode des globalistischen – jetzt genauer: „konnektivistischen“ – Denkens, in der einflussreiche Ideen der Zeit nach 1945 ihre Wurzeln hatten. Damals entstanden das worldmaking des Antikolonialismus und das Bild einer gefährdeten Menschheit im gemeinsamen Schicksalsboot, das später besonders eindrücklich von dem norwegischen Ethnologen und Forschungsreisenden Thor Heyerdahl (1914–2002) propagiert wurde.

Für die zweite Nachkriegszeit kann Kuchenbuch auf seiner eindrucksvollen Habilitationsschrift „Welt-Bildner. Arno Peters, Richard Buckminster Fuller und die Medien des Globalismus, 1940–2000“ (Wien 2021) aufbauen. Geht dieses Werk sehr ins Detail, so gelingt ihm in „Globalismen“ die kunstvolle Verdichtung einer vielfältigen Diskursszenerie. Von Margaret Meads und Claude Lévi-Strauss’ Anthropologie reicht die Kette der vignettenartig scharf beleuchteten Positionen über den Ur-Neoliberalismus Friedrich August von Hayeks und die verschiedensten Weltregierungsvisionen bis zu den kollidierenden Ansprüchen für die Universalität des jeweils eigenen Systems in den beiden Lagern des Kalten Krieges. Selten wirkt das additiv, immer wieder überraschen knapp skizzierte Beobachtungen: zur Bedeutung von Überflugs- und Landerechten in einer amerikanisierten Weltgesellschaft und überhaupt zur seinerzeit heftig geführten Air-Age-Debatte, zum Umkippen von Technikoptimismus in Untergangsfurcht angesichts drohender atomarer Selbstvernichtung oder zur frühen Ambivalenz von UN und UNESCO.

In den späten 1960er und den 1970er Jahren entstand dann „unser heutiges Globalitätsempfinden“ (S. 118). Das war die Zeit neuer Techniken der Erdbeobachtung, der (Wieder‑)Entdeckung der Biosphäre und ihrer fragilen Vielfalt, eines Entwicklungsuniversalismus als geläuterter Wiederaufnahme älterer Zivilisierungsmissionen sowie erster Debatten über globale Verteilungsgerechtigkeit. Ein Denken in Kreisläufen verbreitete sich in zahlreichen Wissenschaften. „Weltsystem“ bei Immanuel Wallerstein, „Dependencia“ bei lateinamerikanischen und afrikanischen Ökonomen oder „Interdependenz“ in der US-Politikwissenschaft waren terminologische Signale der Zeit. 1972 tagte die erste Umweltkonferenz der UN, und der Club of Rome veröffentlichte seinen Bestseller „Die Grenzen des Wachstums“. Ernst F. Schumacher predigte 1973 in „Small Is Beautiful“ eine romantisierte Bescheidenheit. Im selben Jahr leitete eine dramatische Erhöhung des Ölpreises eine Serie von externen Schocks und internen Verteilungskämpfen ein. Kuchenbuch wundert sich darüber, „wie sehr wir noch heute Debatten der 1970er Jahre führen“ (S. 174).

Das letzte Kapitel, das die Periode von 1989 bis 2008 behandelt, ist eine Spur unsicherer im Zugriff als der zentrale Teil des Buches. Doch wie könnte man auf wenigen Seiten die Entwicklung des globalen Kapitalismus nebst der Reflexion darüber in Politik, Sozialwissenschaft und allgemeinem Bewusstsein angemessen diskutieren? Im Epilog wird eine Gewichtsverlagerung von linker zu rechter Globalisierungskritik registriert. Vor allem eine Variante des linksutopischen Globalismus sei inzwischen historisch ad acta gelegt: die „Erwartung einer durch dezentrale digitale Vernetzung befriedeten und befreiten Welt“ (S. 223). Die Schlussgedanken schwanken zwischen melancholischem Abschied von Globalisierungsillusionen und Vertrauen in „die Wirklichkeit erzeugende Kraft globalistischer Deutungen“ (S. 228).

Es ist ein Wunder, was in diesem Buch alles untergebracht wurde, ohne dass der Eindruck des Überfrachteten und Undurchdachten entstünde. Mit leicht geschultertem Theoriegepäck ist es geschickt disponiert und geschmeidig geschrieben. Seltene Oberflächlichkeit lässt sich aus Platzmangel erklären, die vorzüglich ausgewählte Bibliografie führt jedoch hilfreich auf den Weg der Vertiefung. Im Gegensatz zu einer allzu zahlreichen Literatur, die sich dem Globalen mit dem vermeintlich passenden Gestus des Grandiosen nähert, ist „Globalismen“ ein bescheidenes Buch, das dennoch unter der Hand zu einer kurzen Geschichte nicht nur der Globalismen, sondern auch der Globalisierungen geworden ist. Es fehlt ihm wenig mehr als ein Register.