Der deutsche Leser – und nicht nur er – assoziiert beim Thema ‚Steuer – Italien‘ wohl in erster Linie Bestechung, Steuerflucht und brutale Razzien der Guardia di Finanza in den Urlaubsorten der Reichen und Schönen. Vielleicht weiß er auch, dass in Italien bis in die 1980er Jahre direkte Steuern vielfach von Steuerpächtern eingezogen wurden, und noch Ältere erinnern sich womöglich, dass nur wenig früher an den Ortseingängen noch Zollstellen waren, die dort von LKWs städtische Zuschlagsteuern kassierten. Und möglicherweise wurde ihm in den 1990er Jahren ja auch in Neapel oder anderswo im Süden nach dem Besuch eines Ladens oder Restaurants von „accompagnatori fiscali“ angeboten, sie die nächsten 500 Meter zu begleiten, um nötigenfalls den kontrollierenden ‚Finanzern‘ einen Kassenbon vorweisen zu können. Von allen diesen Dingen ist in Lars Döpkings Buch auch die Rede, aber es liefert keine Chronique scandaleuse, sondern seriöse Forschung.

Angebracht ist vielleicht am Beginn eine Triggerwarnung, denn Historiker fühlen sich von diesem Buchtitel wohl eher angesprochen als andere Disziplinen, er verheißt schließlich eine Geschichte. Aber hier wird nicht erzählt, ‚wie es eigentlich gewesen‘, sondern hier wird von einem historischen Soziologen – einer in Deutschland sehr seltenen Spezies – erprobt, wie sich Kontingenzen in einen theoretisch anspruchsvollen Deutungsrahmen einpassen lassen. Es geht gerade nicht um die Fortschreibung der beiden Großerzählungen über die Geschichte des Steuerstaates, weil Döpking sich mit seinem Lehrer und Doktorvater Wolfgang Knöbl einig ist, dass diese theoretisch verfehlt sind. Stattdessen ist sein Ziel, die von ihm entdeckten beziehungsweise definierten drei fiskalpolitischen Wendepunkte als Ergebnis des je unterschiedlichen Zusammenwirkens („Konjunktionen“ nennt das Döpking, der auch sonst eine Vorliebe für leicht zu ersetzende Fremdwörter an den Tag legt und so die Lektüre erschwert) der vier Makroprozesse Professionalisierung, Durchstaatlichung, Politisierung und Geofiskalisierung zu deuten. Besonders mit dem letzten Prozessbegriff, einer Wortschöpfung des Autors, werden Historiker ihre liebe Not haben; gemeint sind „die Beziehungen, die Steuerstaaten mit anderen steuererhebenden Verbänden nicht nur auf inter-, sondern auch auf sub- und supranationaler Ebene eingehen“ (S. 98; in einfacher Sprache: der Umgang von Regierungen mit steuererhebenden Institutionen von der Kommune bis zur EU).

Döpking präsentiert nicht einfach eine andere Geschichte Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg aus der ungewohnten Fiskalperspektive, sondern zeichnet unter bewusster Weglassung vieler einschlägiger beziehungsweise erwartbarer Sachverhalte nach, wie es zu den drei fiskalpolitischen Wendepunkten – ein vierter nach 2011 sei noch nicht sicher erkennbar – gekommen ist. Es geht nicht um eine Geschichte, sondern um eine Theorie steuerstaatlicher Transformation.

Da der Rezensent Historiker ist, verschiebt er den Akzent ein wenig, denn die Geschichtswissenschaft muss sich mit dieser Theorie nicht zwingend befassen. Die drei fiskalpolitischen Wendepunkte markieren drei steuerpolitische Phasen Italiens, die von der politischen Geschichte natürlich alles andere als losgelöst sind. Insofern erfährt der Leser einiges zur Geschichte des Landes seit 1945, freilich immer sub specie fiscalitatis.

Die erste Phase dauerte von 1945 bis 1970, in deren Zentrum die legge Vanoni von 1951 steht. Ezio Vanoni war von 1948 bis 1956 Finanz- beziehungsweise Haushaltsminister und prägte diese Phase ungemein. Er musste das vom Faschismus ererbte, heruntergekommene Finanzwesen ordnen und im Interesse der Währungsstabilität die Staatsfinanzen kräftigen (mit dem Ergebnis, dass Anfang der 1950er Jahre die italienische Lira international als Muster an Geldwertstabilität galt) sowie den Fortgang der Industrialisierung befördern. Vanoni systematisierte die Einkommensteuern, reformierte die Umsatzsteuern und führte eine Steuer auf Vermögen und Kapitalerträge ein; ferner mussten ab 1951 alle Zensiten jährlich eine Steuererklärung abgeben (das hatte Vanoni in Deutschland kennengelernt, wo er von 1928 bis 1930 als Rockefeller-Stipendiat Finanzwissenschaft studiert hatte). Zur Durchsetzung modernisierte er die Steuerverwaltung und unternahm auch einiges, um die Steuerehrlichkeit zu steigern. Döpking setzt die Akzente etwas anders, wenn er schreibt, Vanonis Ziel sei nicht die fiskalische Nutzenmaximierung gewesen, sondern er habe „Fiskus und Zensiten auf Augenhöhe“ bringen wollen (S. 443). Wie auch immer, die Steuererträge stiegen von 1950 bis 1970 deutlich: von 23,8 auf beinahe 100 Milliarden Euro (S. 122; alle Beträge umgerechnet und inflationsbereinigt). Doch in den 1960er Jahren erlahmte der Reformeifer erheblich, da der dann tonangebende rechte Flügel der Christdemokraten daran kein Interesse hatte.

Es folgten „die Vingt Glorieuses des italienischen Steuerstaats (1971–1991)“ (Titel Kapitel V), bewirkt durch die 1971 beschlossene grande riforma tributaria. Die sich bis 1974 gesetzgeberisch hinziehenden Fiskalreformen „ließen keinen Stein der Steuerordnung auf dem anderen und veränderten ihre Geltung und Effekte massiv“ (S. 198; ein nützlicher tabellarischer Vergleich mit früher auf S. 207). Döpking vergleicht sie mit den Erzbergerschen Reformen von 1920. Drei Säulen stützen die Reform: „das Herzstück“ (S. 204), eine reformierte Einkommensteuer, begünstigt eher Wohlhabende (ab jetzt sind Zinseinkünfte von Staatsanleihen steuerfrei), eine neue Gewerbesteuer ist industriefreundlich und bevorteilt die in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen (von denen es in Italien seit dem Faschismus besonders viele gibt) und die neue Mehrwertsteuer entlastet wie überall die Firmen auf Kosten der Endverbraucher. Die Wirkung war enorm: Es verdoppelte sich die im internationalen Vergleich bisher niedrige Steuerquote und es verdreifachten sich die Einnahmen auf 354 Milliarden Euro. Solche Zuwächse seien historisch „äußerst selten“ (S. 210). Vom ‚Ende des Booms‘ blieb der Fiskus unberührt, gleichwohl wuchsen auch in Italien seine Bäume nicht in den Himmel. Der Druck vonseiten der internationalen Finanzwirtschaft, den von Brüssel ausgehenden Maßnahmen zur Harmonisierung und die unaufhaltsame ‚Föderalisierung‘ des Landes setzten dem Erreichten zu, noch viel mehr jedoch die sich seit 1973 formierende, sehr landesspezifische Konstellation der um die Steuerordnung ringenden Kräfte partitocrazia (Politiker und politisierte Bürokratie), evasori (in einer „Machtbeziehung“ zum Fiskus Stehende, insbesondere die Selbstständigen) und tartassati (in einer „Herrschaftsbeziehung“ Stehende, nämlich Arbeiter und Angestellte), also die Vertreter des Staates und zwei Fiskalklassen. Döpkings vielleicht originellste Leistung ist seine Beschreibung des zwei Jahrzehnte währenden Ringens dieser drei Gruppen, von denen die partitocrazia am erfolgreichsten war, was sie schließlich zum gemeinsamen Feind der beiden Fiskalklassen machte und letztlich den Untergang der Ersten Republik herbeigeführt hat (S. 310ff.).

In der Zweiten Republik ist der Steuerstaat ein grundsätzlich anderer. Die dritte steuerpolitische Transformation wurde von neuen Parteien und vom Maastricht-Vertrag bestimmt und trägt neoliberale wie zeitweise – zu Zeiten der Regierung Silvio Berlusconis – libertäre Züge (denen das Ende der „mani-pulite“-Ermittlungen zuzuschreiben ist). Außerdem führt der Wechsel der nun bipolaren Kräfteverhältnisse zu häufigen fiskalpolitischen Wendungen, die hier nicht nacherzählt werden können.

Es folgt ab 2011 eine Politik der Austerität, die fiskalpolitisch derart unnachsichtig geführt wird, dass es Anfang 2012 zu gewaltsamen Konflikten bis hin zu Geiselnahmen und öffentlichkeitswirksam inszenierten Suiziden vom Bankrott bedrohter Selbstständiger kommt, die nach vier Jahren Krise zahlungsunfähig waren. Bevor noch die Politik reagiert, sinken nach Mario Draghis „Whatever it takes“-Rede am 26. Juli 2012 im Euroraum die Zinsen und machen die Schulden billiger.

Im Schlusskapitel liefert Döpking zwar eine ‚große Erzählung‘ – „die Geschichte des italienischen Steuerstaats ist […] eine der Expansion fiskalischer Herrschaft“ (S. 441) –, macht aber nicht schon daraus eine Theorie steuerstaatlicher Transformation, denn die Entwicklung seit 1945 sei „weder einer inneren Notwendigkeit noch einer Serie von Zufällen geschuldet“ (S. 445). Er leitet diese stattdessen aus dem Wechselspiel der vier Makroprozesse ab, das die Vorgänge von Fall zu Fall gestaltet und „den Steuerstaat als von makroskopischen Prozessen geformtes soziales Gebilde [zeigt], in dem die Chancen auf Ordnungsgeltung mindestens ebenso stark variieren wie ihr Inhalt“ (S. 446).

Für Historiker mag das banal klingen, denn ihre Disziplin verfügt über keine Prozesstheorie – daran sind Christian Meier und Wolfgang J. Mommsen vor Zeiten gescheitert und seither hat sich niemand mehr daran versucht –, sodass sie weiterhin aller Mühen enthoben sind, wenn sie, was sie unentwegt tun, von Prozessen sprechen. Aber wenn man das hier Geschilderte nicht als Prozess versteht, sondern als Abfolge kontingenter Vorgänge eines leider viel zu oft ausgeklammerten Politikbereichs, so ist unsereins mit diesem Beitrag zur italienischen Geschichte seit 1945 aus ungewohnter Perspektive sehr gut bedient.