In den an Max-Weber-Jubiläen reichen Jahren seit 2014 ist die Biografie des soziologischen Klassikers immer wieder in den Fokus gerückt und bis in den letzten Winkel seines Privatlebens ausgeleuchtet worden. Dagegen richtet der Band von Gangolf Hübinger den Blick konsequent auf die Ideenwelt von Max Weber und geht einen anderen methodischen Weg. Es handelt sich nämlich keineswegs um eine weitere Biografie, sondern um eine Sammlung von wissenschafts- und intellektuellengeschichtlichen Aufsätzen zur Person und zum Werk Max Webers, die trotz aller Vielfalt der behandelten Themen einer leitenden Fragestellung folgt. So geht es Hübinger vor allem darum, herauszufiltern, welche zeitgenössischen „Impulse“ (S. 6) es waren, die Weber geprägt und dessen intellektueller Biografie die Richtung gegeben haben.

Max Webers Denken wird im Zusammenhang mit der „‚Kulturschwelle‘ um 1900“ (S. 2) betrachtet und damit konsequent historisiert. Die spezifische Intellektualität des Soziologen sei ohne den Erfahrungsraum der „kulturelle[n] Doppelrevolution um 1900“ (S. 136) nicht nachzuvollziehen, also die Prägung durch eine zunehmende Verwissenschaftlichung der Wahrnehmung der Gesellschaft und die sich gleichzeitig vollziehende Demokratisierung der Massen sowie die Entfaltung eines „dynamische[n] Massenmarkt[s] für frei rivalisierende geistige Produkte“ (S. 137). In diesem konzeptionellen Rahmen präsentiert Hübinger einen „Gelehrten-Intellektuellen“ (S. 4), der in der „offenen Spannung zwischen strenger wissenschaftlicher Selbstdistanzierung und passionierter politisch-publizistischer Intervention“ gelebt und sich zwischen den Polen einer „bürgerliche[n] Radikalität“ und eines „wissenschaftliche[n] Intellektualismus“ (S. 5) bewegt habe.

Auch wenn sich nicht sämtliche Aufsätze des Bandes ganz in diesen Rahmen einspannen lassen, kann der Leser relevante „Stationen“ der intellektuellen Biografie Webers und die Entwicklung von dessen Ideen in den Jahren der klassischen Moderne nachvollziehen. Ein erstes Kapitel widmet sich knapp der Gelehrtenbiografie und der Genese des Werks des Protagonisten. Webers wissenschaftliche Entwicklung wird mittels einer Analyse seines (oftmals eher sperrigen) Umgangs mit der Sprache erörtert. Deutlich wird ferner, dass Webers Werk und seine Initiativen in hohem Maße durch die Wissenschaftstrends des späten Kaiserreichs geprägt wurden, das nicht zuletzt eine „Epoche des geordneten Handbuchwissens“ (S. 76) gewesen sei.

Ein zweites Kapitel präsentiert Weber als „Ideenkämpfer“ (S. 4), der mit seinem Werk zur „Intellektualisierung der Welt“ (S. 117) beigetragen und eine ganz eigene Konzeption des Intellektuellen entfaltet habe. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Rolle des Kampfes und des Staats in den von Weber entwickelten „Ordnungen des politischen Wissens“ (S. 159). Dabei bietet Hübinger gewissermaßen Gruppenporträts von zeitgenössischen Intellektuellen, die deutlich machen, dass Weber nicht als Klassiker heroisiert werden darf, sondern als Teil der Wissenschaftskultur seiner Zeit zu betrachten ist. Dazu trägt auch eine vergleichende Studie zu Weber und Robert Michels bei, die sich – wie viele Aufsätze des Bandes – auf die Auswertung von Briefen stützt.

Das vierte Kapitel zeichnet Facetten des politischen Engagements Webers in den Jahren des Ersten Weltkriegs nach. Konsequent werden Webers Vorstellungen von der Demokratie und der Neuordnung Deutschlands in den Kontext der Zeit eingeordnet, Webers politisches Weltbild mit dem von anderen Intellektuellen verglichen (zum Beispiel mit Gustav Stresemann, Ernst Troeltsch oder Alfred Weber). Immer wieder richtet Hübinger den Blick auf verschiedene Akteure des intellektuellen Feldes (so etwa auf Verleger wie Eugen Diederichs), ohne die Webers Rolle und Position in der kulturellen Doppelrevolution des Kaiserreichs nicht zu verstehen wäre. Besonders relevant ist schließlich das Kapitel, welches sich mit dem Kreis der Anhänger und Bewunderer von Max Weber und dessen „Konfliktliberalismus“ (S. 325) befasst. Derartige Gruppenbildungen sind für das Verständnis der Wirkung Webers als Soziologe und politischer Denker von zentraler Bedeutung, doch bislang weitaus weniger erforscht worden, als es die ausdifferenzierte und zu einer regelrechten Industrie angewachsene Weber-Philologie erwarten ließe.

Auch wenn in diesem Kapitel der Übergang zur Rezeptionsgeschichte fließend ist, sprengen manche der Aufsätze (etwa der Text über Mario Rainer Lepsius’ sozialmoralische Milieus oder Ausführungen zu Rolf Dahrendorfs Konzeption vom Intellektuellen als „engagiertem Beobachter“) ein wenig den konzeptionellen Rahmen des Bandes. Gleichwohl vermag das Plädoyer für eine Historisierung des Werkes von Weber in der Epoche um 1900 vollkommen zu überzeugen. Der Band Hübingers stellt einen bedeutsamen Beitrag zur Max-Weber-Forschung dar, der neue Perspektiven eröffnet und dem Interesse an Webers Werk wichtige Impulse vermitteln dürfte.