Mit der Selbstanerkennung der Weimarer Republik haperte es bekanntlich sehr. Zentral dafür waren die Umstände des Kriegsendes und der Versailler Vertrag, sie ließen die Deutschen nicht zum Frieden zurückfinden. Der Anteil des katholischen Kirchenpersonals an diesem Unglück, das heißt die Rolle der Religion im „Zusammenhang von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont von Krieg und Frieden“ (S. 487) ist bislang noch kaum untersucht und schon gar nicht mit dem Mittel einer weit gefassten Diskursanalyse, die auch Bilder und Praktiken einschließt. Dies wiederum zwingt zu einem regional begrenzten Untersuchungsfeld. Die Autoren der hier zu besprechenden Publikation wählten München aus, weil dort – trotz „Persönlichkeiten und Gruppierungen von welthistorischem Rang“ (S. 6) und trotz katholischer Dominanz – das katholische Milieu nicht tonangebend war, das politische Spektrum von der Friedensbewegung bis zur NSDAP reichte und auffallend viele Geistliche bis zum Hitlerputsch 1923 aktive Nationalsozialisten waren; auf Letzteres hat vor Jahren bereits der von Antonia Leugers ebenfalls in der Neuen Politischen Literatur (NPL 56 (2011), H. 2, S. 292f.) vorgestellte Derek Hastings aufmerksam gemacht. „Die Stadt ist spannend wegen jener Spannungen, die den Selbstgewissheiten der klassischen Katholizismusforschungen nicht entsprechen“ (S. 10).

Die Theologin und Historikerin Leugers, von der dieses Konzept stammt, stand noch nie im Verdacht, der offiziösen Katholizismusforschung nahezustehen; Andreas Holzem, Tübinger Lehrstuhlinhaber für katholische Kirchengeschichte, bot Leugers für ihr DFG-Projekt ein paar Jahre Obdach und schrieb die Druckfassung des Buches. Leitbegriff ist das von Leugers geprägte Oxymoron „Kriegsfrieden“ (die Schreibweise soll die diskursiv hergestellte Friedlosigkeit signalisieren), der den die Köpfe der Menschen beherrschenden Unfrieden im Frieden bezeichnen soll, die steuernde mentale Disposition der ganz großen Mehrheit zwischen 1918 und 1939. Die Religion, so die These, spielte dabei eine entscheidende, bisher aber verkannte Rolle. Sie wird in zehn Kapiteln mit geradezu erdrückendem Materialaufwand untermauert, denen sich zwei weitere mit Dokumenten und Tabellen zur katholischen Infrastruktur und zum rechtsradikalen Kirchenpersonal anschließen.

Der Gang der Untersuchung beginnt mit dem übermächtigen Kriegsdiskurs im Ersten Weltkrieg, beobachtet dann die unterschiedlichen Symbolsprachen der beiden großen, nämlich erzbischöflichen und sozialdemokratischen Gedenkveranstaltungen 1921 auf dem Münchener Königsplatz und betrachtet im folgenden Kapitel aussagekräftige Kriegerdenkmäler aller drei Religionsgemeinschaften und von Veteranenverbänden. Daran schließt sich eine Analyse von Wahlplakaten und Karikaturen zwischen 1921 und 1937 an, gefolgt von publikumswirksamen Reden des Jahres 1922. Den schweren Stand des Friedensdiskurses gegen Ende der Weimarer Republik untersucht Kapitel 7, auf das der Blick auf Reden und Schreiben über ‚Versailles‘ in drei Querschnitten zwischen 1919 und 1934 folgt, bis schließlich anhand zweier gegensätzlicher Biografien, einer pazifistischen Lehrerin und eines militaristischen Priesters, die Macht sprachlicher Rahmungen vorgeführt wird. Den Abschluss bilden unter der nicht hilfreichen Überschrift „Zur Topografie des Diskurses über Krieg und Frieden“ kritische Bemerkungen zu Theologie und Pazifismus jener Epoche, die nachdenklich machen.

Aus übergeordneter Perspektive ist natürlich bei Weitem nicht alles hier Gebotene neu, aber in dieser Dichte und lokalen Konkretheit umso anschaulicher. Buchstäblich gilt das für die klugen Beobachtungen zur Erinnerung an die Gefallenen, die beiden Gedenkveranstaltungen, die zwei völlig entgegengesetzte Deutungen des Krieges boten, und die Kriegerdenkmäler. Schon hier wird klar, dass sich bereits Anfang der 1920er Jahre ein Kriegsfriedensdiskurs durchsetzte, dessen Bestandteile mehrfach codiert waren und als religiös autorisierte mit Gewinn in die politische Sphäre übertragen, ja völlig säkularisiert werden konnten. Die NSDAP profitierte davon letzten Endes am meisten. Eher weniger geben die Wahlplakate für den Untersuchungsgegenstand her, denn sie offenbarten damals eher Positionen der Männlichkeit. Noch mehr gilt das für den Ertrag der Analyse der Karikaturen. Viel Aufschluss bietet dagegen das Kapitel über die Reden auf dem Münchener Katholikentag im August 1922, bei denen sich, wie eine sehr sorgfältige Interpretation der diskursiven Handlungen zweifelsfrei ergibt, der Erzbischof, Michael Kardinal von Faulhaber, ganz anders als der Katholikentagspräsident Konrad Adenauer als „Sprachrohr der Verfassungs- und Friedensverächter“ (S. 319) zu erkennen gab. Die davon ausgelösten Irritationen veranlassten den Kardinal in seiner Predigt am Allerseelentag 1922 zu einer scharfen Kritik am blindwütigen Hass namentlich „gegen unsere jüdischen Mitbürger“ (zit. S. 324), die ihm nun von der anderen Seite Kritik einbrachte, ihn aber nicht zu einer substanziellen Auseinandersetzung mit den von ihm ausgelösten Spannungen veranlasste.

Unter der Überschrift „Destruktive Kommunikation 1928–1932“ wird der Pazifismus verhandelt, in dessen Mittelpunkt der „Friedensbund Deutscher Katholiken“ stand, der sich keinerlei Unterstützung durch die (bayerische) Amtskirche erfreute, dem es aber auch nicht gelang, die für den Kriegsfriedensdiskurs zentralen Begriffe ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Ehre‘ zu besetzen. Den Grund nennen die Autoren im Schlusskapitel: Indem die Pazifisten „die militärische Wirklichkeit der Schlachtfelder nur als ‚Wahnsinn‘“ (S. 489) bezeichneten, verlangten sie von den Soldaten, ihr Tun als komplett widersinnig zu erinnern, was angesichts des Erlebten vollkommen wirklichkeitsfremd war.

Die unverarbeitete Niederlage fand in ‚Versailles‘ ihr negativ besetztes „Begriffsgehäuse“ (S. 396), hier ging es um ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Ehre‘. Die Grenzen des Sagbaren waren darum eng gezogen, wie gezeigt wird. Die Argumentation läuft auf die These hinaus, dass der zwischen 1918 und 1933 dominierende Kriegsfriedensdiskurs zur Machtergreifung „erheblich“ beigetragen (S. 479), aber nicht zwangsläufig zum Kriegsausbruch 1939 geführt habe. Gleichwohl sei von Anbeginn an mit dem Begriffsgehäuse ‚Versailles‘ eine „in die Zukunft gerichtete Utopie, die umfassende Revision des Ergebnisses von 1918/19“, verbunden gewesen (S. 425), die von den Nationalsozialisten „am konsequentesten genutzt“ worden sei (S. 426). Die Kirchen – hier ist ausnahmsweise von beiden Konfessionen die Rede – konnten nicht etwa wegen des totalitären Charakters des ‚Dritten Reichs‘ nicht dagegen protestieren, sondern weil sie „seit 1914 im Kriegsdiskurs und fortgesetzt seit 1918 im Friedensdiskurs den Begriff der Gerechtigkeit mit den politischen Ansprüchen und Reklamationen des Vaterländischen verknüpft hatten“ (ebd.).

Diese Kritik führt zum Schlusskapitel, wo sich der Diskurs über Krieg und Frieden nach einem Durchgang durch die hergebrachten geschichtswissenschaftlichen Argumentationsmuster einem theologiegeschichtlichen zuwendet und den Kirchen einen „eklatanten Mangel an theologischer Fantasie“ attestiert, weil sie für die „zunehmend irrelevant“ werdende Lehre vom gerechten Krieg keinen Ersatz fanden (S. 490). „Die Kirchen als Großsysteme des Religiösen hatten keine Idee des Friedens, die eine Hinnahme und Annahme der Niederlage mit einer Idee von Zukunft und Versöhnung hätte verknüpfen können“ (ebd.). So blieb die Sprache der Trauer stets mit der Sprache des Ressentiments verknüpft und die des Friedens mit der „Gier nach Revision“ (ebd.). Auf katholischer Seite war dies eine Folge der „rigiden Enge des auf scholastische Rechtgläubigkeit fixierten Ultramontanismus“ (S. 491), während auf evangelischer Seite an anderer Stelle der durch und durch politisierte Nationalprotestantismus als Schuldiger ausgemacht wird. Man könnte dagegen einwenden, dass es etwa mit Papst Benedikt XV. oder Dietrich Bonhoeffer auch andere Stimmen zum Thema ‚Frieden‘ gab, denen die Völkerverständigung am Herzen lag, und dass mindestens die protestantische Universitätstheologie der 1920er Jahre viele Zeichen des Aufbruchs erkennen ließ, aber das ändert nichts am berechtigten Urteil über die Amtskirchen. Als der Krieg in den Köpfen und in der Öffentlichkeit weitertobte, spielten Religionsdiskurse überwiegend eine friedensverhindernde Rolle. Dieses wichtige Buch erinnert die Geschichtswissenschaft wieder einmal an das große Gewicht der Religion bei der Deutung der Vergangenheit.