In der aktuellen zeitgeschichtlichen Forschung wird immer wieder bedauert, dass es in Bezug auf die ostdeutschen entwicklungspolitischen Aktivitäten noch immer große Lücken gibt; für das westdeutsche entwicklungspolitische Engagement sieht es bei der historischen ‚Aufarbeitung‘ besser aus. Hierüber hat es schon zuzeiten der deutschen Zweistaatlichkeit mehrere, auch kritische Studien gegeben. In der DDR wurde die eigene Entwicklungspolitik, die so nicht genannt, sondern als „Solidarität“ bezeichnet wurde, nicht eingehend wissenschaftlich untersucht. Das bedeutet nicht, dass hierzu noch keine Studien, vor allem zum südlichen Afrika, schon in den 1990er Jahren vorgelegt worden sind. Auffallend ist jedoch, dass diejenigen Publikationen jüngeren Datums häufig auf originäre Quellenauswertung und oftmals auf Quellenkritik verzichtet haben, sodass noch eine Reihe bislang nicht beachteter Archivbestände der wissenschaftlichen Auswertung harren. Vergleiche zwischen den beiden deutschen ‚Entwicklungspolitiken‘ sind nicht zuletzt deshalb nach drei Jahrzehnten deutscher staatlicher Einheit immer noch rar und wirken – wenn sich doch jemand auf dieses Forschungsthema einlässt – zum Teil befremdlich, vor allem aufgrund von vermuteter politischer Voreingenommenheit der Verfasser.

Dieses ‚weiße Feld‘ versucht nunmehr Eric Burton bei Beachtung des internationalen Forschungsstandes mit seiner voluminösen, auf der Auswertung umfangreichen Aktenmaterials sowie – was besonders hervorgehoben werden sollte – auf Zeitzeugengesprächen basierenden Publikation mit Farbe zu beleben. Er tut dies vornehmlich am Beispiel Tansanias in der Zeit von 1961 bis 1990. In der Tat lässt sich hier die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz äußerst intensiv nachvollziehen. Prallen doch hier die differierenden politischen Interessen der beiden ‚Deutschländer‘ aufeinander, was die tansanische Seite oftmals in Bedrängnis oder zum Lavieren brachte. Oft genug wussten die Tansanier daraus allerdings auch ihre Vorteile zu ziehen.

Unikaten Charakter dürfte die vorliegende Studie, die auf einer 2018 an der Universität Wien verteidigten Dissertation basiert, deshalb besitzen, weil sie ganz explizit die Interessen und Aktivitäten der „dritten Akteure“, nämlich der tansanischen Politiker, in diesem politischen Prozess adäquat einbezieht. Denn die tansanischen Verhandlungs- und Gesprächspartner konnten – wie übrigens auch andere politische Führungskräfte in Afrika – mit der Konkurrenz der Deutschen durchaus gut umgehen.

Beim Aufbau eines „afrikanischen Sozialismus“ schätzte man in Daressalam insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren die entwicklungspolitischen Expertisen, Kredite und Stipendien aus Ost und West. Bei aller Ausnutzung des oftmals skurrile Ausmaße annehmenden Konkurrenzgebahrens der Deutschen existierte auch ein mehr oder minder kollegiales Verhältnis unter den deutschen Entwicklungshelfern aus Ost und West; allerdings eher unter denjenigen des ‚Fußvolkes‘. Das ist ein bisher noch nicht ausreichend thematisiertes Phänomen in der ost-/west-/deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Denn nicht nur die ostdeutschen, sondern ebenso die westdeutschen Entwicklungshelfer hatten Kontaktverbote und die Beamten standen in der Pflicht, solche Begegnungen mit ‚den anderen‘ Deutschen zu melden.

Zwar war die tansanische Seite zuweilen skeptisch ob des Verhaltens der Deutschen. Aber sie wusste durchaus die Rivalitäten und konkurrierenden Ideen zu nutzen – im Wesentlichen bis zum Ende der DDR. Das „eingeübte“ Kalte-Kriegs-Denken blieb in einigen Köpfen der Deutschen und nicht zuletzt bei einigen Historikern bis heute erhalten. So wurde nach 1990 der Antrag einiger Ostberliner Historiker, dem langjährigen tansanischen Staatschef Julius Nyerere die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität zu verleihen, mit Verweis auf dessen „sozialistische Ambitionen“ abgelehnt, was allerdings im vorliegenden Buch nicht thematisiert wird.

Burton geht in seinem weitgehend sehr gut lesbaren Buch in seiner Betrachtungs- und Beurteilungsweise einen Schritt weiter. Mit globalhistorischem Blick untersucht er eine Reihe von thematischen Feldern und bezieht so weit wie möglich die deutlich werdenden oder vermuteten Interessen damaliger Akteure in den konkreten Arenen der Entwicklungsarbeit unter besonderer Beachtung der entwicklungspolitischen Verflechtungen zwischen Tansania und den beiden deutschen Staaten mit ein. Eine seiner wichtigsten Erkenntnisse besteht darin, dass er die visionären Zukunftsentwürfe in Politik und Alltag sowohl bezüglich eines „afrikanischen Sozialismus“ als auch der entwicklungspolitischen Unterstützungen der tansanischen Bevölkerung möglichst genau untersucht. Er gelangt zu der begründeten Feststellung, dass das Primat der Politik der ökonomischen Krisenbewältigung letztendlich unterliegen musste. Die in vielfacher Weise vom Verfasser belegten Schlussfolgerungen hat er in drei Komplexe unterteilt: Widersprüche eines Entwicklungsstaates, Akteure sowie Arenen. Diese sind wiederum übersichtlich in Unterkapitel aufgegliedert.

Bevor sich Burton jedoch mit den inhaltlichen Fragen auseinandersetzt, führt er mit Vorwort und Einleitung, wie es sich für eine gute Dissertation gehört, in die Thematik ein. Auch Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Sach‑, Personen- und Ortsregister am Ende des Bandes sind exzellent bearbeitet und erleichtern die Benutzung des Buches enorm.

Wenn etwas Kritisches zu diesem Buch gesagt werden sollte, dann sei auf die Tatsache verwiesen, dass es nicht auf den damaligen Stand der DDR-Geschichtswissenschaft über die Geschichte, Kultur und Tradition Tansanias eingeht. Denn immerhin begleitete die DDR-Wissenschaft, wie wohl in kaum einem anderen Land Afrikas, die Aktivitäten im Bereich des dortigen entwicklungspolitischen Engagements. Die meisten der vorgelegten kolonialhistorischen Forschungen wurden nicht nur in Tansania geschätzt, sondern auch international gewürdigt. Dahingegen geht der Autor auf die relevanten Veröffentlichungen von einigen westdeutschen Wissenschaftlern zur Geschichtsschreibung dieser ehemaligen deutschen Kolonie sowie auf die davon letztendlich beeinflusste Politik ein oder setzt sich zumindest damit auseinander. Dieses Ungleichgewicht der Beachtung und Auswertung des zeitgenössischen wie späteren geschichtswissenschaftlichen Kenntnisstandes ist zu bedauern, geht doch so ein Teil der Argumentationskraft Burtons verloren. Denn ein kritischer Blick von heute auf die Versäumnisse, Fehler und Falscheinschätzungen der Vergangenheit ist leicht getan.

Der Rezensent hätte sich zudem mehr und detaillierte Ausführungen zu den Hinweisen über die persönlichen Begegnungen, Ablehnungen, Interaktionen, Einstellungen von den Helfern aus Ost- und Westdeutschland gewünscht, die in den vom Verfasser mit damaligen Akteuren geführten Interviews zum Ausdruck kommen. Aber vielleicht kann man solche und weitere interessante Themen und Fragestellungen in seinen nächsten Arbeiten erwarten. Denn das Buch ragt aufgrund Burtons Sachkompetenz weit über andere Fachbücher, die sich bisher mit dieser Thematik mit der einen oder anderen Schwerpunktsetzung befassten, heraus. Es wäre zu wünschen, dass sich der Verfasser mit diesem Themenbereich, selbstverständlich mit erweiterter Fragestellung, auch weiterhin beschäftigen wird beziehungsweise kann.

Das Buch von Eric Burton wird in der Afrikageschichtsschreibung wie in den historisch begründeten Analysen von Formen des entwicklungspolitischen Engagements zur Standardliteratur gehören (müssen).