Was macht eine Festschrift zum Thema „Staatsanwaltschaften Koblenz und Trier (1820–2020)“ zu einem Werk, das über den engen Kreis eines regional- und rechtshistorisch interessierten Publikums von allgemeinem historisch-politischen Interesse ist?

Mindestens drei Gründe sprechen für die allgemeine Relevanz der Schrift. Erstens handelt es sich um einen transnationalen Gegenstand, an dem Vergleich und Verflechtung auf dem Gebiet des Rechts und der Justizorganisation von der Französischen Revolution bis ins beginnende 20. Jahrhundert studiert werden können. Die napoleonische Gesetzgebung, die bis 1819 in den linksrheinischen Gebieten galt, hatte auch im Strafrecht grundlegende Errungenschaften der Revolution eingeführt: die Gleichheit und Freiheit der Person, die Beseitigung ständischer Ungleichheit, die Trennung von Justiz und Verwaltung, die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverfahren, eine von den Gerichten unabhängige Staatsanwaltschaft, das Anklageprinzip und die freie Verteidigung im Strafverfahren, sowie die Aburteilung von Verbrechen durch Geschworenengerichte (Assisen). Eine Abkehr vom französischen Recht hätte, wie Franz Dorn feststellt, „einen herben Rückschritt im materiellen wie im Verfahrensrecht“ (S. 5) bedeutet. Dazu kam es aber nicht. Im Gegenteil: Unter dem Einfluss des bürgerlichen Liberalismus in den Rheinlanden und des reformorientierten Friedrich Carl von Savigny wurde weitgehend mit dem französischen Recht, nunmehr Rheinisches Recht genannt, auch die Institution der Staatsanwaltschaft zur Kontrolle der Gerichtsbarkeit beibehalten, die zuvor vom Inquisitionsprozess des Ancien Régime bestimmt war. Im Zuge der Bürgerlichen Revolution 1848 wurden schließlich das Anklageverfahren und die Institution der Staatsanwaltschaft aus dem rheinisch-französischen Recht für Preußen und zahlreiche andere deutsche Staaten übernommen (Eike Alexander von Boetticher). Die historische, durch die gemeinsame Rezeption des französischen Rechts, insbesondere im Bereich des Strafverfahrens und der Staatsanwaltschaft, begründete Ähnlichkeit erleichtert bis zum heutigen Tag den internationalen Austausch und die Rechtshilfe zwischen den Rheinbezirken und Luxemburg (Robert Biever, Georges Oswald).

Zweitens liefert der Band regionalhistorisches Material zur Geschichte der Strafverfolgung im Nationalsozialismus und deren Nachwirkungen. Die nationalsozialistische Forcierung der Exekutive als ideologischer Speerspitze des Regimes zeigte sich im relativen Machtzuwachs der Staatsanwaltschaft und der mit dieser kooperierenden (politischen) Polizei im Verhältnis zu der noch von tradierten Unabhängigkeitsvorstellungen geprägten Gerichtsbarkeit (Lena Haase). Die Frage, inwieweit sich in dieser politischen Inpflichtnahme der Staatsanwaltschaft durch die Exekutive ein strukturelles, über die Diktatur des Nationalsozialismus hinausweisendes Problem zeigt, liegt nahe und hätte weitere Ausführung verdient. Auch in den Rheinbezirken wurde nach 1933 das Jugendstrafrecht verschärft. In Folge diente es zunehmend dem Ausschluss sogenannter ‚Gemeinschaftsfremder‘ von der ‚Gemeinschaft der Volksgenossen‘ (Thomas Grotum). Ebenso wurden als ‚jüdisch‘ angesehene Staatsanwälte der Rheinbezirke vom nationalsozialistischen Regime ihres Amtes enthoben (Hans Friedrich Müller). Ein ideologisch motivierter Oberstaatsanwalt betrieb erfolgreich die strafrechtliche Verurteilung eines Amtsträgers wegen „homosexueller Handlungen“ (Franziska Leitzgen).

Schließlich wirft, drittens, das Bemühen um die Absetzung vom nationalsozialistischen Unrecht nach 1945 ein schärferes Licht auf die rechtsstaatlichen Anforderungen und deren Grenzen. Dazu gehörte die Verhängung von Todesstrafen und der Einsatz körperlicher Gewalt bei Vernehmungen während der französischen Besatzungszeit (Christian Soulier). Ein besonders engagierter, im Unterschied zum Gros seiner Amtskollegen erst nach 1945 eingesetzter Staatsanwalt, erwirkte Verurteilungen von Wachmannschaften des SS-Sonderlagers Hinzert (Beate Welter). Nicht zuletzt auf die Tätigkeit der Zentralen Stelle der Justizverwaltungen der Länder zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg 1958 war es zurückzuführen, dass das Landgericht Koblenz 1962 den Leiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz wegen Beihilfe zum Mord im Zuge des Holocaust verurteilen konnte (Thomas Wimmer). Schließlich greift Petra Terhoeven in einem sorgfältig argumentierenden, aus erstmals gesichteten Quellen gearbeiteten Beitrag einen Moment auf, in dem die Staatsanwaltschaft Trier in das Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit geriet: die Ermittlungen um den Tod des RAF-Häftlings Holger Meins in der Strafanstalt Wittlich im November 1974. Der Trierer Staatsanwalt hatte, zusätzlich massiv unter Druck gesetzt wegen des von Meins’ Verteidigern erhobenen Mordvorwurfs gegen staatliche Amtsträger, die Umstände von Meins’ Tod zu ermitteln. Er erfüllte die Aufgabe „akribisch“ und „gewissenhaft“, wie Terhoeven aufgrund genauer Quellenanalyse bescheinigt. Einschränkend fügt sie hinzu, dass allerdings die Ermittlung – im Nachhinein gesehen – die Verletzungen der Sorgfaltspflichten durch den Wittlicher Anstaltsarzt nicht hinreichend würdigte. Ein „unabhängiges Gericht“, folgert Terhoeven, hätte dazu weit mehr Spielraum gehabt. Damit berührt sie ein Grundproblem, das sich in der 200-jährigen Geschichte der Staatsanwaltschaft immer wieder stellte: die potenzielle politische Beeinflussung eines Organs der deutschen Justiz durch die Exekutive. Dies wird nun auch vom Europäischen Gerichtshof kritisch bewertet und bleibt eine zentrale Zukunftsfrage der deutschen Staatsanwaltschaft.