Die vorliegende, kulturhistorische Dissertation von Antonio Vera, der bereits mehrere Publikationen zur gegenwärtigen Organisationskultur der Polizei vorweisen kann, befasst sich mit der wichtigsten polizeinahen Fachzeitschrift der 1920er und 1930er Jahre. Unter dem programmatisch breiten Titel erschien die Zeitschrift „Die Polizei“ (ZDPol) bereits seit 1904. Mit der Novemberrevolution 1918 wurde die Polizei als zentrales „Instrument staatlicher Herrschaft“ – so schon der Untertitel der Dissertation – jedoch unter einen starken Reformdruck gestellt, der sich auch in der fachwissenschaftlich-berufsständischen Debatte innerhalb der ZDPol wiederspiegelte (S. 38 f.). Vera konzipiert seine Dissertation interdisziplinär und bezieht sich auf etablierte herrschafts- und polizeisoziologische Theorien. Hiermit soll die Selbstdarstellung der Polizei als „Hüterin der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ beziehungsweise „Gesetzeshüterin“ hinterfragt und der Fokus auf die herrschaftserhaltende Funktion der Polizei gelegt werden (S. 47 ff.). Soziologisch ordnet sich Vera insofern in die auf Max Weber zurückgehende Theorietradition ein, der – ebenfalls im Kontext der Novemberrevolution – das moderne Begriffsverständnis des Gewaltmonopols erarbeitete. Dieses liege nicht etwa bei der Polizei an sich, sondern beim Staat, der zur Ausübung des „Monopol[s] legitimen physischen Zwangs“ Institutionen wie die Polizei erschaffe (S. 52). Die Polizei sei also nicht primär als Stifterin von Ordnung zu betrachten, sondern eher als Zwangsinstitution und Akteur in Klassenkonflikten (S. 63).

Völlig neu ist eine herrschaftssoziologisch inspirierte Beschäftigung mit der deutschen Polizeigeschichte freilich nicht. Besonders der Historiker Alf Lüdtke und der Soziologe Wolfgang Knöbl sind in dieser Hinsicht Orientierungspunkte für Vera (S. 53). Laut dem Autoren seien organisationskulturellen Faktoren innerhalb dieser Debatte jedoch noch zu wenig Beachtung geschenkt worden (S. 72–77), weswegen sich Vera wie erwähnt der ZDPol als Spiegel der Polizeikultur in der Weimarer Republik und NS-Zeit zuwendet (S. 39).

Die methodische Einordnung der interdisziplinären Arbeit ist erwartungsgemäß schwierig. Aus historiographischer Sicht sind die Ausführungen über die einbezogenen soziologischen Theorien und vor allem der folgende Abriss der Polizeigeschichte seit dem Altertum bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges (S. 78–154) zu lang geraten. Erst mit den Ausführungen zur Entwicklung der Kriminalitätsstatistik in der Zwischenkriegszeit beginnt die eigentliche Quellenarbeit (S. 154–166). Auch bietet Vera keine klassische Geschichte der Zeitschrift ZDPol, was zur Folge hat, dass die redaktionellen Hintergründe der besprochenen Artikel im Unklaren bleiben und ebenfalls nicht klar wird, warum die ZDPol bereits zu Beginn der 1930er Jahre aufhörte eine Diskussionsplattform für widerstrebende Vorstellungen über Polizeiarbeit und die Rolle der Polizei in der jungen Demokratie zu sein. Vera konstatiert ein auffälliges „Schweigen“ der Zeitschrift, die sich kaum mehr über die politische Lage und vor allem die Demontage der Demokratie äußerte (S. 429 f.). Spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten entwickelte sich die ZDPol zu einer rein polizeitechnischen Publikation, die zudem als nationalsozialistisches Propagandaorgan diente (S. 435–446).

Die Stärken der Dissertation liegen jedoch nicht in den Betrachtungen zu den 1930er Jahren, sondern in Veras Ausführungen zu den 1920ern. Unmittelbar nach der Novemberrevolution und bis zum Ende der 1920er Jahre bestand ein beträchtliches Reformpotential innerhalb der deutschen Polizei und vielgestaltige Reformansätze wurden in den Spalten der ZDPol debattiert. Veras Ansatz, die Polizei als „Instrument staatlicher Herrschaft“ zu betrachten, ist durchaus förderlich, da er hiermit deutlich machen kann, dass die demokratische Umformung des Staates eben auch eine Umformung von dessen Herrschaftsinstrumenten notwendig machte. Dies wurde bereits im Dezember 1918 von dem Breslauer-Polizeiinspekteur und Polizeigewerkschafter Heinrich Eiben in der ZDPol anerkannt und eine Wandlung der Polizei des „Klassenstaates“ zu einer „Polizei der Demokratie“ gefordert (S. 170–173). Eiben blieb weiterhin ein sehr aktiver Autor der ZDPol und kehrt in Veras Untersuchung mehrfach als Kritiker einer militarisierten Polizei wieder. Über die Rolle der Polizei bei der Aufstandsbekämpfung wurde also durchaus kontrovers in der ZDPol debattiert, wobei Vera unter anderem die ausgewogenen Beiträge von Hermann Schützinger als argumentativ überzeugend hervorhebt (S. 246–250 und 355–358).

An diesem Beispiel lässt sich abschließend ein Kritikpunkt an Veras Arbeit festmachen, der die Kontextualisierung seiner Ergebnisse betrifft. Es wird das Sprechen über die Polizei in der führenden polizeinahen Fachzeitschrift untersucht, aber nicht die breitere gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Polizei als Instrument demokratischer Herrschaft berücksichtigt. So ist es Vera nicht möglich zu erkennen, dass die reformwilligen Kräfte innerhalb der Polizei nicht so isoliert von der Bevölkerung waren, wie es der Autor mitunter darstellt (S. 572). Schützinger etwa war eine Führungsfigur im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, was Benjamin Ziemann schon 2013 festgestellt hatte, dessen Publikationen Vera aber nicht berücksichtigte. Schützinger, wie auch das Reichsbanner insgesamt, bemühten sich um eine aktive Unterstützung der Polizeikräfte und warben beispielsweise für einen Eintritt der Reichsbannerjungmitglieder in den bewaffneten Staatsdienst, auch um die Demokratisierung der Polizei zu unterstützen. Solche Aspekte wären für Veras Ergebnis, dass mindestens in den 1920ern eine beachtliche demokratische Strömung innerhalb der deutschen Polizei bestanden hat (S. 564 f.), durchaus wichtig gewesen. Insgesamt kann Veras Dissertation das etwas in die Jahre gekommene Standardwerk zur Schutzpolizei in der Weimarer Republik von Peter Lessmann-Faust nicht ersetzen – und will dies wahrscheinlich auch gar nicht.