Das Werden der Schweizer Nation war ein vielschichtiger Prozess. Welche Rolle dabei die Naturwissenschaften spielten, ist Gegenstand des vom Schweizer Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts „Raumerschließung und Forschungsförderung. Zur Interaktion zwischen Naturwissenschaft und Bundesstaat im 19. und 20. Jahrhundert“. Die an der Professur für Technikgeschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entstandene Dissertation von Franziska Hupfer fragt dabei konkret nach dem Verhältnis von Wissenschaft, Staat und Nation am Beispiel der meteorologisch-klimatologischen Wissensproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Staat versteht sie dabei primär den 1848 gegründeten Bundesstaat, der anfangs nur über schwach ausgebaute Institutionen verfügte. Wenige Jahre später, 1863, rief die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft (SNG) ein landesweites Wetterbeobachtungsmessnetz ins Leben, das bereits 1881 als Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt (SMZ) in den staatlichen Behördenapparat integriert wurde. Nach Hupfers These ist die SMZ als Ausdruck und Katalysator einer Transformation des meteorologisch-klimatologischen Wissensfeldes zu identifizieren, wobei sich fortwährend wissenschaftliche, staatliche und nationale Interessen überlagerten.

Die Arbeit ist nicht durchgängig chronologisch gegliedert, sondern im darstellenden Bereich in drei Teile aufgespalten. Der erste Teil befasst sich mit der SMZ, deren Entwicklung sowie ihrer nationalen und internationalen Verflechtung. Der zweite Teil behandelt die Techniken der Wissensproduktion, ausgehend von Wetterbeobachtungen hin zur Entwicklung physikalischer Atmosphärenmodelle. Der dritte Teil widmet sich der Nützlichkeit und praktischen Anwendung des gewonnenen meteorologischen Wissens. Am Aufbau irritiert etwas, dass Quellenübersicht und Forschungsstand erst nach dem Schlusswort angeführt werden und dadurch wie nachgeschoben wirken.

Methodisch stützt sich Hupfer auf Mitchell Ash, der Wissenschaft und Staat spezifische Ressourcen zuordnet, die in bestimmten Konstellationen für die andere Partei von Nutzen sein können. Konkret bekam bereits die SNG für den Aufbau des Messnetzes erhebliche Subventionen und als staatliche Meteorologiebehörde konnte die SMZ in den Jahren 1880 bis 1914 ihren Etat verfünffachen. Doch auch der Bundesstaat konnte von den Ressourcen der SMZ profitieren. Auf nationaler Ebene konnte das statistische Erfassen von Witterungsdaten zu einem ‚nationalen Projekt‘ erklärt werden, da die topografischen Verhältnisse in der Schweiz einmalig seien und die Schweiz damit einen großen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Erklärung von Witterungsphänomenen beitragen könne. Der dezentrale Aufbau des Messnetzes mit vielen freiwilligen Beiträgern wurde wiederholt als mit dem republikanischen Grundgerüst der Schweizer Nation in Deckung gebracht. Auch gegenüber den Kantonen hatte das Arrangement den Vorteil, dass die SMZ auf internationaler Ebene als natürlicher Ansprechpartner für Kooperationen angesehen wurde. Die teilweise noch parallel weitergeführten Messnetze auf kantonaler Ebene wurden Schritt für Schritt in das nationale Messnetz überführt und stärkten so die Institutionen des Bundesstaates.

Die bundesstaatliche Finanzierung barg für die Meteorologie aber auch Risiken. Die Forderung nach praktischem Nutzen wurde oft an die SMZ herangetragen, etwa durch die Erstellung von Wetterprognosen. Zu diesem Punkt hatten die Mitarbeiter der SMZ unterschiedliche Einstellungen. Während einige den ignorance claim bedienten und ausführten, für die Erstellung von Prognosen sei das Wissen über die Vorgänge in der Atmosphäre noch zu wenig erforscht – und für eben diese Erforschung zusätzliche Mittel forderten, – waren andere offen für die Forderung der Regierung, landwirtschaftliches Handeln besser zu planen. Beiden Seiten war aber bewusst, wie riskant die Prognosetätigkeit für den wissenschaftlichen Ruf der SMZ werden konnte, zumal die SMZ damals versuchte, sich von abergläubigen, nicht-wissenschaftlichen, häufig auf lokalem Beobachtungswissen beruhenden Vorhersagepraktiken abzugrenzen beziehungsweise ihre Form der Wissensgenerierung als überlegen herauszustellen. Dieser Form der ‚Expertenprüfung‘ begegnete die SMZ mit zunächst kurzen Prognosezeiträumen und schwammigen Formulierungen.

Insgesamt stellt Hupfer jedoch nachvollziehbar heraus, dass im Widerstreit zwischen Nützlichkeitsanspruch der Wetterbeobachtung und wissenschaftlichem Erkenntnisstreben letzteres im Zeitablauf tendenziell an Einfluss gewann. Aus den Tatsachen über klimatische Verhältnisse sollten Gesetzmäßigkeiten der Atmosphäre entdeckt werden. Lange Zeit sah es die SMZ als ihre Aufgabe an, den Einfluss der Alpen auf das Wetter zu klären, erkannte dann aber zunehmend, dass sich das meteorologische Geschehen nur zufriedenstellend erklären lässt, wenn die Physik der Atmosphäre ausreichend verstanden wird. Das am Anfang der SMZ stehende Messnetz wurde zwar weiterbetrieben, dazu gesellten sich jedoch ‚wissenschaftlichere‘ Formen der Wissensgenerierung, wie etwa unbemannte Ballaufstiege ab 1903. Die Schweiz wurde so Teil eines internationalen Diskurses, da mittels Simultanaufstiegen von Wetterballons in mehreren europäischen Ländern Momentaufnahmen der Atmosphäre geschaffen wurden, aus denen sich Wissen über Wetterlagen gewinnen ließ. Mit dem Anspruch der konkreten Nützlichkeit führt Hupfer dies am Beispiel des für die Landwirtschaft schädlichen Hagels aus. Die atmosphärischen Voraussetzungen zur Hagelbildung waren Ende des 19. Jahrhunderts noch unbekannt. Die SMZ konzentrierte sich bei Erklärungsversuchen auf die Luftdruckverteilung, andere Erklärungsansätze fokussierten stärker auf die lokalen Bedingungen oder den Einfluss des Waldes. Die ab 1896 aufkommenden Versuche, die Hagelwolken durch Beschießen zu verteilen, begleitete die SMZ mit einem wissenschaftlichen Gutachten. Als dieses schließlich zu dem Schluss kam, dass das Wetterschießen keinen Einfluss habe, stellte die Regierung ihre Zuschüsse an die lokalen Wetterwehrgenossenschaften ein. Folglich war die SMZ zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur die einzig akzeptierte Wetterkompetenzinstitution, sondern sie nahm mit der ihr zugeschriebenen Expertise auch Einfluss darauf, wie staatliche Ressourcen verteilt wurden. Franziska Hupfer hat diese Entwicklung quellengesättigt, inhaltlich über weite Strecken stringent und gut lesbar nachgezeichnet.