Die Abwesenheit von Handeln sei „keine konturlose Leere, sondern vielmehr eine scharf umrissene Leerstelle“ (S. 9). Mit dieser prägnanten These eröffnet der Freiburger Historiker Theo Jung den von ihm herausgegebenen, auf einer Tagung aus dem Jahr 2017 beruhenden, hier zu besprechenden Sammelband. Unter Rückgriff auf Melvilles Bartleby und dessen berühmten Satz „I prefer not to“ sowie unter Verweis auf die Bedeutung von Nichthandeln in Rechtstexten im Sinne von „Unterlassung“ nähert sich Jung dem Konzept, das er und seine Mitstreiter_innen in diesem Band populär machen wollen: eine pointierte, inspirierende Praxistheorie des „Nicht/Handelns“. Der Neologismus deutet an, dass der Begriff eine Fülle von Praktiken jenseits bloßen Nichthandelns beinhaltet, die jedoch „eine Reihe von gemeinsamen und spezifischen Logiken“ (S. 10) zusammenhält. Angeleitet durch einen praxeologischen Ansatz im Sinne Pierre Bourdieus skizziert der Band in acht Beiträgen, die auf Jungs Einleitung folgen, dieses Feld des „Nicht/Handelns“ historisch und beispielhaft. Dies geschieht unter den drei Schlagworten „Verzichten“ (S. 43–128), „Innehalten“ (S. 129–214) und „Aussetzen“ (S. 215–292). Schließlich folgt ein neunter Beitrag als „Ausblick“, der den Begriff des „Nicht/Handelns“ philosophisch ausleuchtet.

Die Beiträge fügen sich einmal mehr, einmal weniger passgenau in das skizzierte Konzept ein. An einigen Stellen hat man den Eindruck, dass die Empirie doch sehr stark und damit vielleicht unzulässig verengend auf das Leitmotiv des „Nicht/Handelns“ hin gelesen wurde. Doch muss das vermutlich in einem Sammelband, der ein historisches Phänomen erstmals beleuchten will, so sein. Die Heterogenität der Praktiken, die in den Beiträgen beschrieben werden, unterstützt die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Konzept. Der dabei vorherrschende Schwerpunkt auf die politische Kultur ist naheliegend, da hier Vorarbeiten zu Kommunikation und deren Verweigerung vorliegen, Quellen leicht zugänglich sind. Dennoch ist zu wünschen, dass sich – wie etwa bei Yvonne Robels Beitrag zur Ratgeberliteratur – das Blickfeld künftiger Forschung zu „Nicht/Handeln“ noch weitet.

Die Beiträge über „Verzichten“ behandeln verschiedene Situationen des politischen Verzichts. Hedwig Richter schildert das Desinteresse an politischen Wahlen in Preußen und den USA während des 19. Jahrhunderts, Wim De Jong „Partizipationsunterlassung“ als Teil der politischen Kultur der Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg und Christian Halbrock beschreibt „nicht erfüllte Erwartungen und politisch abweichendes Verhalten in der DDR“. Im Abschnitt „Innehalten“ wirft Yvonne Robel einen Blick auf Ratgeberliteratur in einem weit gefassten Sinn und untersucht dabei, wie diese „Ratschläge zum Nichtstun“ kommunizierten. Benjamin Möckel zeigt an den Beispielen des Anti-Apartheids- und des Nestlé-Boykotts der 1960er und 1970er Jahre die Bedeutung von Boykotten als Form des politischen Protests im 20. Jahrhundert auf. Armin Owzar diskutiert, welche Bedeutung das „Schweigen“ in einer Geschichte der politischen Kommunikation des 20. Jahrhunderts haben könnte. In der Sektion „Aussetzen“ berichtet Theo Jung von einer Geschichte der Akklamationsverweigerung im Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fokussiert auf das Verweigern von Jubel und Applaus gegenüber den französischen Königen jener Zeit. Anschließend schreibt Karsten Lichau eine kleine Geschichte der Schweigeminute. Im abschließenden philosophischen Ausblick werden nochmals Vorannahmen und Probleme des Begriffs „Nicht/Handeln“ diskutiert. Die dort formulierten Erkenntnisse laden zu einer kritischen Hinterfragung der in den vorangegangenen Artikeln gewonnenen Erkenntnisse ein.

Insgesamt liegt hier ein Band vor, der inspiriert. „Nicht/Handeln“ als Konzept ermöglicht eine analytische Weitung in der historischen Analyse politischer Kommunikation. Dazu bietet die vorliegende Publikation theoretisch-methodische Ansätze und empirische Beispiele. Diese weiter aufeinander abzustimmen und in gegenseitigem Austausch zu verfeinern, kann Aufgabe künftiger Forschung auf diesem Gebiet sein. Der Band ist ein beeindruckender, erster Aufschlag. „Nicht/Handeln“ wird als „scharf umrissene Leerstelle“ tatsächlich sehr markant deutlich gemacht.