Der Sammelband der beiden Organisatoren des internationalen Rheinnetzwerkes liefert ein weiteres Puzzleteil zur jüngst florierenden Rheinforschung. Wenngleich der Fokus auf wirtschafts- und unternehmensgeschichtlichen Fragestellungen im 19. und 20. Jahrhundert liegt, wird deutlich, wie durch den Zugriff über die Rheinregion verschiedene Forschungsrichtungen miteinander in Verbindung gesetzt werden können. Das Forschungsnetzwerk bietet ein Panorama, das einen bedeutenden Teil der durch die Rheinausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn (Publikation zur Ausstellung von Marie-Louise von Plessen, 2016) aufgezeigten Forschungsaspekte einlöst und komplettiert Beiträge, die jüngst von Hélène Miard-Delacroix und Guido Thiemeyer für andere Aspekte der Rheinforschung veröffentlicht wurden (2018).

In ihrer Einleitung legen die beiden Herausgeber Begrifflichkeiten zugrunde, die sich an den Forschungen zur regionalen Wettbewerbsfähigkeit von Michael Porter und Paul Krugman orientieren (S. 17 f.). Auf der einen Seite ist dies das Konzept der „cluster“ (S. 17), auf der anderen der „regional fundamentals“ (S. 18). Aus diesen leiten die Herausgeber die zentralen Fragen nach der räumlichen Ausdehnung der Rheinregion, der Zusammensetzung aus einer oder mehreren Kernregionen, nach der historischen Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und der Rolle des Rheins als strukturierendes Element ab (ebd.).

Die Beiträge des Sammelbandes lassen sich auf diese Fragestellungen beziehen, wenngleich an einigen Stellen eine deutlichere Herstellung dieses Zusammenhanges auch in einleitenden Bemerkungen zu den jeweiligen Sektionen möglich gewesen wäre.

Die beiden unter „Origins“ rubrizierten Beiträge verdeutlichen grundlegende institutionelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die – korrelierend mit der in der Einleitung formulierten Fragestellung – als ein Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit der Rheinregion gesehen werden können. So befasst sich Hein Klemann in seinem Beitrag mit der Frage, warum die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt im Laufe des 19. Jahrhunderts als supranationale Organisation entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Rheinschifffahrt gewann (S. 34). Die Erklärung hierfür sieht er vor allem in der dominanten Rolle Preußens und seiner ökonomischen Interessen (S. 62). Ralf Banken untersucht die Entwicklung des Kohlenmarktes zwischen Mannheim und Basel und die Konkurrenz zwischen der Saar- und Ruhrkohle von 1850 bis 1914. Die Nachfrage nach Kohle zwischen Mainz und Basel stimulierte die Kohledistrikte der Saar und der Ruhr (S. 84) und förderte zugleich die Industrialisierung in den kohlearmen Regionen südlich von Mainz (S. 85).

In der Sektion zu „Enterprises“ befasst sich Ben Wubs mit niederländischen, multinationalen Konzernen und deren räumlichen Expansionsstrategien im Deutschland der Zwischenkriegszeit. Vor dem Ersten Weltkrieg spielte die Rheinregion aufgrund von Standortvorteilen eine herausragende Rolle, danach bewegten sich die unternehmerischen Entscheidungen im nationalen Rahmen, immer auch getragen durch den Rhein als kosteneffizienter Transportweg (S. 111). Einen tieferen Blick in die unternehmerischen Strukturen der für die Rheinregion wichtigen Kohleindustrie gewährt der Beitrag von Eva-Maria Roelevink und Dieter Ziegler über das 1893 gegründete Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat (RWKS) bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Fokus steht hier das dynamische Verhältnis zwischen dem Staat und den in Kartellen zusammengeschlossenen Industrien (S. 116).

Unter „Sectors and Clusters“ versammelt der Band zwei Beiträge zu spezifischen Handels- und Wirtschaftszweigen der Rheinregion sowie deren Wandel. Mark Jakob und Laura Rischbieter untersuchen den Handel und die Verarbeitung von Kolonialgütern innerhalb der Rheinregion im 19. Jahrhundert. So stiegen durch den zunehmenden Import von Kaffee und Tabak über hanseatische Häfen Händler in die Verarbeitung der Kolonialwaren ein, anstatt diese nur zu importieren, wodurch Wissen einen höheren Stellenwert erhielt (S. 168 f.). Boris Gehlen und Hendrik Fischer zeigen am Beispiel der rheinischen Braunkohleindustrie, wie Faktoren wie geografische Bedingungen, langfristige Kapitalinvestitionen und Unternehmensstrategien eine zunächst wenig relevant erscheinende Region zu einem nationalen Energielieferanten werden ließen.

Die Sektion „Infrastructures“ vereint drei sehr unterschiedliche Beiträge, die Einblicke in verschiedene Aspekte der Rheinökonomie und ihrer Infrastrukturen gewähren. Marten Boon zeigt beispielsweise, dass politische und transnationale Abstimmungsprobleme Europas vor dem Beginn tieferer europäischer Integration zu einer Teilung der Rheinregion führten. Während die Rhein-Ruhr- und Rhein-Main-Gebiete durch Pipelines von Rotterdam und Wilhelmshaven aus versorgt wurden, geschah dies für den Oberrhein von Marseille aus. Eine gänzlich andere Infrastruktur hat der Beitrag von Christopher Kobrak zum Gegenstand: Er untersucht, wie der regional verankerte rheinische Finanzsektor zur Herausbildung internationaler Finanzmärkte von den 1950ern bis in die 80er Jahre beitrug. Antoine Beyer hingegen nimmt mit der Umnutzung vormaliger Hafengelände als Zonen der Urbanisierung eine Entwicklung am Beispiel verschiedener Rheinhäfen in den Blick, die im Widerspruch zu den weiterhin bestehenden Transportbedürfnissen von Handel und Wirtschaft steht.

Die Beiträge von Jeroen Euwe und Theo Notteboom beschäftigen sich mit der Rheinregion aus der Perspektive des Warenhandels im 20. Jahrhundert. Anhand von Warenflüssen weist Euwe nach, dass eine deutsche Rheinökonomie existierte, die aus den Uferregionen des Rheins und seiner Zuflüsse bestand, die internationale Anbindung erfolgte durch belgische und niederländische Häfen (S. 305 f.). Notteboom untersucht diese Verbindungen des Rheins mit den Häfen im Rhein-Schelde-Delta am Beispiel der Containerschifffahrt seit den 1960er Jahren.

Der Band schließt mit zwei „Environmental Undercurrents“ (S. 339) zu den vorherigen wirtschaftshistorischen Untersuchungen ab, die die Umweltfolgen der Rheinökonomie und Abhilfestrategien in den Blick nehmen. So gibt Uwe Lübken ein Panorama der hydrologischen Veränderungen des Rheins, die zum Wohle der Schifffahrt geschahen und deren Folgen sich in Form von Hochwassern und Eingriffen in die Natur zur touristischen Erschließung äußerten. Nil Disco dagegen legt den Fokus auf internationale Versuche, die chemische Verschmutzung des Rheins zu regulieren, und die Maßnahmen der pfälzischen BASF zur Reinigung ihrer Abwässer.

In die jüngeren Forschungen zum Rhein reiht sich dieser Band hervorragend ein, nimmt er doch mit unterschiedlichen Zugängen und Methoden die ökonomischen Verflechtungen der gesamten Rheinregion in den Blick.