Der Klappentext kündigt dieses Buch des Hamburger Militärhistorikers Bernd Wegner als eine „dokumentarische […] Collage“ an. Dem kann, soviel vorab, vorbehaltlos zugestimmt werden. Aus Archiven links und rechts des Rheins schöpfend präsentiert Wegner, sprachlich leichtfüßig und kurzweilig, basierend auf Selbstzeugnissen in 19 Kapiteln die bisher wenig erforschte Sicht der deutschen Besatzer_innen auf das okkupierte Paris der Jahre 1940 bis 1944. Den Autor treibt um, „wie sie [die deutschen Soldaten und Zivilist_innen, Anmerkung des Verfassers] auf die Stadt reagierten, was ihnen der Mythos Paris bedeutete und wie sie dort lebten“ (S. V). Dazu grenzt er die Wahrnehmungsperspektive der vermeintlichen deutschen Besucher_innen mit und ohne Uniform zunächst grundlegend von jener der französischen Bevölkerung ab. Waren beispielsweise die vielerorts in der Stadt gut sichtbar angebrachten Beschilderungen in deutscher Sprache für die ortsunkundige Armee eine pragmatische Lösung zur notwendigen Orientierung, mochten den Pariser_innen diese hingegen als Manifestation der Präsenz der Fremdherrschaft erschienen sein. Unvermögend diesen Perspektivwechsel zu vollziehen, sahen sich nicht wenige Soldaten als Reisende, sogar Touristen, die eine fremde Umgebung bestaunen durften. Abseits der Selbstsicht erteilt Wegner diesem Etikett allerdings eine Absage, obgleich er mit Blick auf die teils erheblich durchchoreografierte Präsenz der Besatzer_innen in der Stadt von einer Art „organisierte[m] Massentourismus“ (S. 64) spricht. Qua Uniform für die französischen flics unantastbar, wurden die Deutschen (Frauen weit mehr als Männer) von ihrer eigenen Führung dazu angehalten, das ‚Ansehen der Wehrmacht‘ in der Öffentlichkeit hochzuhalten, was freilich nur mäßig gelang.

Zur Kontrolle und als Angebot an Fremdsprachenunkundige installierte die Wehrmacht ein Ensemble von Freizeiteinrichtungen, die einerseits ‚die Heimat in die Fremde holten‘ und die schnell wieder hochgefahrenen Pariser Amüsier-Betriebe ergänzten. Das „Leben im Wehrmachtghetto von Paris“ (S. 60) bot den „herangekarrten Soldaten“ (S. 64) und deutschen Zivilist_innen einen oberflächlichen Eindruck der Stadt, flankiert durch eine propagandistisch aus den Vollen schöpfende ‚Erlebnis-Literatur‘, die ideologisch erwünschte Deutungsangebote des Fremden bereithielt. In eigens für die neue Kundschaft entworfenen „Wegleiter“-Heften, die im Zweiwochenrhythmus erschienen, versprach die ‚Erlebniswelt Paris‘ zahlungsbereiten Soldaten, Verwaltungsbeamten und Wehrmachthelfer_innen Kaufvergnügen, Gaumenschmaus und allabendliche Zerstreuung. Schnell wurden die Besatzer_innen zur angepeilten Kundschaft, und durch den günstigen Wechselkurs befeuert wurden deutsche Bauernsöhne zu Gourmetrestaurantbesuchern, gerieten Familienväter in Kaufrausch und die Bordelle wurden zum praktischen Erfahrungsraum verheißungsvoller frivoler Projektionen. Die verschobenen Grenzen des Erlaubten machten aus Soldaten Glücksritter, die mittels ungleich stärkerer Währung und der Macht der Uniform eine Statusveränderung erfuhren und sich nun in der Lage sahen, ihnen üblicherweise verwehrte Dinge auszuprobieren. Kurzum: Paris war ein regelrechter Tummelplatz, in dem es für die vielen Kurzbesucher_innen, denen die Wehrmacht eine Stippvisite der französischen Kapitale ermöglichte (oder diese sich einfach selbst dazu ermächtigten), kaum Grenzen zu geben schien. Für die Bevölkerung vor Ort interessierten sich die meisten Deutschen hingegen nicht wirklich. Schreibt Wegner damit das Klischee von der ‚Etappenstadt‘ Paris fort? Mitnichten, denn seine Darstellung ist polyfon, auch weil sich nicht alle Stimmen auf einen Nenner bringen lassen, zu divers waren die Deutschen in und ihre Wahrnehmung von Paris. Manche interessierte die Stadt schlicht und einfach nicht. Der Versuch, diese Vielstimmigkeit mittels einer Typologie der „Grundtypen von Paris-Besuchern“ („desinteressierte[r] Landser“, „interessierter Massentourist“, „Abenteurer“, „Bildungsbürger“ und „Flaneur“) abzubilden, ist allerdings nicht neu (siehe Tewes, Ludger: Frankreich in der Besatzungszeit, 1998).

Klischee-überformt war die Seine-Metropole innerhalb der Koordinaten von reguliertem Zugang, beschränkter Aufenthaltsdauer und günstiger Begleitumstände für die Besatzer_innen ein Erlebnis sondergleichen. Während die autochthone Bevölkerung ihren Alltag regelrecht zu bewältigen hatte, war es für Eindringlinge von Hitlers Gnaden gerade die kurzzeitige Suspendierung des Alltags, die ihre Erlebnisse im Positiven wie auch im Negativen prägte. Die vielleicht wesentlichste Zutat war die verschobene Grenze des Erlaubten beziehungsweise Möglichen. Paris bot bis zum Ende der Besatzung hin Freiräume, die es im Reich schon nicht mehr gab oder geben durfte, sei es der Besuch einer music hall, in der schwarze Musiker Jazz aufspielten oder der Konsum von Luxusartikeln. Paris sei, so könnte man Wegner verstehen, für die Deutschen eine Art Welterfahrung gewesen. Kapiteleinleitende Zitate und Anleihen von Zeitzeug_innen vergangener Epochen insinuieren eine longue durée der Parisrezeption, in die sich, trotz aller hinreichend sichtbaren Unterschiede, auch die Präsenz der Wehrmacht einschreibt. Die seitens der NS-Führung erwünschte, allerdings keinesfalls kohärente Sicht auf Paris verfing bei den Besatzer_innen vor Ort nur zum Teil und weil die Stadt sich zudem durch den Krieg hinweg behauptete, blieb sie, so Wegner, „ein Stachel im Fleisch des nationalsozialistisch beherrschten Europa“ (S. 210).