Diese schön produzierte, konzise kollektive Monografie behandelt die rechtliche Normierung und administrative Praxis von Staatsbürgerschaft. Das aus einer Tagung des Arbeitskreis Rechtswissenschaft und Zeitgeschichte an der Akademie der Wissenschaften in Mainz hervorgegangene Buch besteht aus drei Kapiteln, die das Thema aus drei Perspektiven behandeln und sich bruchlos zusammenfügen. Es beginnt mit einem von Dieter Gosewinkel verfassten souveränen Überblick zur Forschungs- und Problemgeschichte von „Staatsbürgerschaft“. Gosewinkel beschreibt, wie Staatsbürgerschaft zunächst in der rechtswissenschaftlichen, sodann in der sozialwissenschaftlichen und schließlich in der historischen Forschung in unterschiedlichen Kontexten intensiver bearbeitet wurde. Trotz aller disziplinären und thematischen Unterschiede zeigt er auf, dass insofern erhebliche Überschneidungen existieren, als sich im Laufe der drei Forschungsgeschichten ähnliche Themen herauskristallisierten: Staatsbürgerschaftsvorstellungen als Sonde zum Verständnis der inneren Entwicklung von Staaten und Gesellschaften; Staatsbürgerschaftsrecht als Grenzgebiet, auf dem sich Versuche der Abgrenzung zwischen ‚Staatsvölkern‘ und Versuche der zwischenstaatlichen Vereinbarung solcher Regeln überschneiden; schließlich Staatsbürgerschaft als Spiegel oder als Kontrastfolie zu anderen Kriterien der Ein- und Ausgrenzung wie Geschlecht, Religion, Nationalität oder „Rasse“.

Im zweiten Teil seines Kapitels illustriert Gosewinkel das theoretisch beschriebene und begriffsgeschichtlich präzisierte Potenzial der interdisziplinären citizenship studies anhand von zwei empirischen Fallstudien. Die erste ist der Dekonstruktion der Gegenüberstellung von ius soli und ius sanguinis gewidmet und macht deutlich, dass die Erwerbsprinzipien, welche die automatische Zuschreibung der Staatsbürgerschaft zum Zeitpunkt der Geburt steuern, keineswegs immer Vorstellungen von Nationskonzepten widerspiegeln; die zweite diskutiert Kontinuitäten und Brüche im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht zwischen 1933 und 1945 und macht deutlich, wie sehr die Bedeutung von Regelungen zur Staatsbürgerschaft nicht nur von juristischen Normen, sondern auch von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und administrativen Praktiken abhängt, die es in diesem Fall rechtfertigen, von einer fundamentalen Zäsur zu sprechen.

Das folgende, von Julia Angster verfasste Kapitel stellt einen interessanten Entwurf zu einer großen Erzählung der Entwicklung von Staatsbürgerschaftsvorstellungen und -praktiken im Kontext der Nationalisierung europäischer Reiche vor. Angster geht von der Beobachtung aus, dass Staatsbürgerschaft im frühen 19. Jahrhundert zwar als theoretische Vorgabe wie als juristische Norm existierte, ihre praktische Bedeutung aber durch die überragende Bedeutung lokaler und ständischer Identitäten stark begrenzt wurde. Diese Situation habe sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert, weil Staaten daran gingen, sich – unter maßgeblicher Mitwirkung staatlicher Instanzen selbst – in Nationalstaaten zu transformieren, die einerseits nach innen eine landesweite Angleichung auf vielen Gebieten (von der medizinischen Seuchenprävention über das Bildungswesen bis hin zur Sprache, Verwaltung und Justiz) anstrebten und andererseits klare Grenzen zwischen ihren und fremden Staatsangehörigen ziehen wollten. Dabei wurde vielfach eine vermeintliche Abstammungsgemeinschaft zum gewissermaßen objektivierbaren Kern einer Staatsbürgerschaft stilisiert; in den Metropolen deckten diese Vorstellungen sich aber nicht mit den Regeln zum Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Abstammung, Geburtsort oder Eheschließung. In den Kolonien war die Lage anders: Dort dominierte in der Regel die Zuordnung zu einer „Rasse“. Wie Gosewinkel sieht Angster in der Übertragung des „Rasserechts“ auf Europa im NS-Staat eine entscheidende Zäsur.

Angster betont eine prinzipielle Ambivalenz des Projekts der Nation zwischen „politischer und ethnisch-kultureller Gemeinschaft“, die sich nicht auflösen lasse, sondern dem Projekt der Nationalstaatsbildung immanent sei und die Diskussionen über Staatsbürgerschaft im Nationalstaat daher immer begleite.

Christoph Gusys abschließendes Kapitel nimmt den Faden auf, indem es am Beispiel Deutschlands die Entwicklung von juristischen Staatsbürgerschaftsvorstellungen bis in die Gegenwart verfolgt und damit die Frage nach der Bedeutung von Staatsbürgerschaft in einer potenziell post-nationalen Gesellschaft stellt. Es schildert zunächst die grundlegenden Weichenstellungen in der Bonner Republik auf dem Gebiet des nationalen Rechts und der Integration völkerrechtlicher Vorgaben, bevor es eine spannende These zur weiteren Entwicklung präsentiert. Indem im Vergleich zum 19. und frühen 20. Jahrhundert durch Gesetzgebung und Rechtsprechung immer mehr soziale und teilweise auch politische Rechte für unterschiedliche Gruppen (Ausländer mit Aufenthaltsberechtigung, Unionsbürger) von der Staatsbürgerschaft gelöst würden, entwickele sich diese vor dem Hintergrund eines langsamen Übergangs zur Akzeptanz Deutschlands als Einwanderungsgesellschaft zum Endpunkt einer juristischen Integration und werde damit zu etwas anderem als der binären Unterscheidung zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen, als die sie im 19. Jahrhundert imaginiert worden war. Es sind nicht zuletzt solche Verbindungen zwischen wissenschaftsimmanenten Fragestellungen und aktuellen Bezügen, die das Buch überaus lesenswert machen.