Im letzten Editorial hatte ich von meinen ersten Versuchen zur automatischen Erstellung von Texten mit ChatGPT berichtet – und Mutmaßungen über die weiteren Entwicklungen gerade im Hinblick auf die Herstellung digitaler Karten angestellt. Dieses Thema bietet genügend Stoff für eine Fortsetzung…

Mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) wird es in wenigen Jahren wahrscheinlich möglich sein, Karten automatisiert zu produzieren – allein basierend auf einer Anfrage wie: „Erstelle mir eine Karte zu Anzahl und Leistung von Windkraftanlagen in deutschen Landkreisen “. So weit, so gut…

Es wird aber voraussichtlich auch möglich sein, mit solchen Werkzeugen unwissentlich oder auch wissentlich „falsche “ Karten zu erstellen. Eine Neuauflage des oft zitierten Buches „How to lie with maps “ von Mark Monmonier ist vorherzusehen.

In der Kartographie kommt nun auch noch die Schwierigkeit dazu, dass die Einordnung in „falsch “ oder „richtig “ nicht immer einfach ist. Ein Beispiel: Es ist bekannt, dass man mit der Datenklassifikation in thematischen Karten eine Aussage stark beeinflussen kann – andererseits gibt es aber auch nicht „die “ eine bzw. richtige Klassifikation für einen gegebenen Datensatz.

Dank ChatGPT wird das Thema der Fälschung von Texten oder Bildern derzeit intensiv in den Massenmedien behandelt. Schon jetzt ist es für Journalistinnen und Journalisten oder Lehrende in Schulen oder Hochschulen interessant, wie man damit umgeht oder – besser – wie man solche Fälschungen vermeiden kann. Dabei steht aber auch immer die Frage darüber, wie man einen Kompromiss zwischen Weiterentwicklung moderner Techniken (sie bietet ja auch Vorteile und Chancen…) und notwendigen Regulationen schaffen kann.

Zum einen wird gefordert, Software zu entwickeln, die Fälschungen aufdecken können. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass bei diesem „Wettkampf “ die Detektions-Software (ob nun für Texte, Bilder oder auch Karten) immer der „Kreativität “ von Fälschern hinterherlaufen wird. Zum anderen wird die Anpassung der Rechtsprechung gefordert. Dass ein Verbot von ChatGPT wie in Italien langfristig geeignet und durchsetzbar ist, erscheint jedoch sehr zweifelhaft. Erfolgversprechender sind da schon die Bestrebungen auf EU-Ebene für ein „Proposal for a Regulation on artificial intelligence “, das sich mit allen Arten von KI-Anwendungen befasst und diese in Risikoklassen einteilt. Karten werden wohl i.d.R. eher in die „limitierte “ oder gar „minimale “ Risikoklasse einsortiert werden und damit auch eine wenig scharfe Regulierung erfahren. Hoffnungen kann man auch in die Weiterentwicklung des Urheberrechts legen. Dieses wurde in den letzten Jahren modernisiert und hat sich als gute Grundlage auch für die Nutzung von Karten (inklusive der Probleme wie unerlaubte Vervielfältigungen o. ä.) bewährt.

Technische und rechtliche Entwicklungen allein werden aber kaum ausreichen. Der wohl wichtigste (wenn auch am wenigsten fassbare) Bereich ist die Bildung: Schon in der Schule, aber auch in der Aus- und Weiterbildung ist der kritische und objektive Umgang mit Karten deutlich stärker als bisher zu vermitteln. Dies muss auf einem Konsens basieren, dass die Karte einen gesellschaftlichen Wert hat und Fälschungen keine Spaßaktionen darstellen.

Die aktuellen Entwicklungen im KI-Bereich produzieren also viele neue Aufgaben – auch und gerade für Kartographinnen und Kartographen sowie Gesellschaften wie die DGfK. Es ist abzusehen, dass die DGfK-Kommission „Recht und Geodaten “, in der mit anderen Fachgesellschaften zusammengearbeitet wird, noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Genauso wird das gerade aufkommende Thema „Ethik in der Kartographie “ mehr Beachtung finden – es gibt bereits einige Aktivitäten innerhalb der International Cartographic Association (ICA) und auch bemerkenswerte Vorträge wurden zum Thema gehalten, wie den von Prof. Liqiu Meng im CartoCafé im Februar 2023. Und natürlich wird die Thematik auch durch die Kommission „Aus- und Weiterbildung “ aufgegriffen werden.

Die aktuellen KI-Entwicklungen werden wohl oder übel dazu führen, dass der im Titel genannte Ausspruch immer häufiger verwendet wird. Angelehnt ist dieser offensichtlich an das Zitat von Winston Churchill: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast “. Aber halt! Auch wenn Sie jetzt vielleicht überrascht sind: Auch diese Aussage ist mit einiger Wahrscheinlichkeit eine „Fälschung “! Die Recherchen von Werner Barke vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg haben gezeigt, dass es keine Belege für die Zuordnung dieses Ausspruches zu Churchill gibt. Tatsächlich stammt der erste Beleg aus der Deutschen Rundschau im Jahr 1946 (und zwar nicht von Churchill verfasst).

Mit Fälschungen oder unsicheren Informationen haben wir uns also auch schon seit Längerem auseinandergesetzt – oder hätten uns noch viel mehr auseinandersetzen sollen (siehe Churchill-„Zitat “). Stattdessen entstehen oft allein durch Wiederholungen Quasi-Wahrheiten. Die Auswirkungen der aktuellen KI-Entwicklungen sind also gar nicht so revolutionär, wie viele meinen. Deshalb sollte man den o. g. Ausspruch vielleicht auch etwas gelassener und positiver formulieren und das Motto ausgeben: „Traue keiner Karte, die du nicht selbst geprüft hast! “

Ich wünsche Ihnen auch in Zukunft viel Spaß beim kritischen Lesen von Karten!

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1 Quellen:

Barke, W. (2011): Ich glaube nur der Statistik … Was Winston Churchill über Zahlen und Statistik gesagt haben soll – und was er wirklich sagte. 6. Aufl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, ISBN 3-923292-58-9.

European Commission (2023): Proposal for a Regulation laying down harmonised rules on artificial intelligence. https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/proposal-regulation-laying-down-harmonised-rules-artificial-intelligence (letzter Zugriff: 20.04.2023).

Monmonier, M. (2018) How to Lie with maps. University of Chicago Press; 3. Edition (10. April 2018). ISBN-13 ‏ 978–022643592.