Liebe Leserinnen und Leser,


in der Zeit, die seit dem Redaktionsschluss des vorausgehenden Heftes verging, hat sich die Welt – und insbesondere das Leben in Europa – grundlegend verändert. Der militärische Angriff Russlands auf die Ukraine dominiert seither (geo-)politische Debatten sowie die Inhalte der Medienberichterstattung. Die International Cartographic Association (ICA) hat am 1. März 2022 über Tim Trainor ein Statement, das den russischen Angriff verurteilt und Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck bringt, online auf der ICA-Webseite veröffentlicht (https://icaci.org/tag/ukraine/). Wie DGfK-Präsident Jochen Schiewe in der Präsidentenkolumne dieser Ausgabe hervorhebt, schließt sich der DGfK-Vorstand dieser Erklärung vollumfänglich an.

Karten und kartenverwandte Darstellungen dienen in schwierigen Zeiten des militärischen Konflikts als grundlegende Medien zur Vermittlung raumbezogener Sachverhalte. Sie können – über die Vermittlungsebene raumbezogener Sachverhalte hinaus – ausdrucksstarke Medien sein, mit politischen und geopolitischen Botschaften: Zum Beispiel ist es über ein Jahrhundert her, als der heutige EU- und NATO-Staat Estland nach etwa 700 Jahren Fremdherrschaft seine territoriale Integrität und Abgrenzung von anderen Staaten – insbesondere von Russland – kartographisch zum Ausdruck brachte. Die als Titelabbildung dieses Heftes gewählte Karte von Johan Laidoner (Laidoneri Eesti Kaart) aus dem Jahr 1920 gilt als kartographische Unabhängigkeitserklärung Estlands, die bis heute – so dokumentiert es der 2019 veröffentlichte Nationalatlas des baltischen Staats (s. dazu eine Rezension auf den Seiten A-14 bis A-16) – eine besonders hohe Bedeutung in der Kartographiegeschichte des Nachbarlands Russlands erfährt. Durch kartographische Zeichen festgehaltene Grenzen stehen nicht nur für Abgrenzungen von Hoheitsgebieten, sondern auch für eine räumliche Grundlage für Frieden.

Das aktuelle Heft des 72. Jahrgangs der KN ist ein sehr umfangreiches Heft geworden. Großer Dank gilt denjenigen, die sich im wissenschaftlichen Teil oder im Info- und Praxisteil als Autorinnen und Autoren beteiligt haben. Die Vielzahl an Beiträgen verdeutlicht, wie viel die Fachcommunity der Kartographie und Geomatik mitzuteilen hat und wie sehr der fachliche Austausch gelebt wird. Auch für die kommenden Hefte freut sich das gesamte Redaktionsteam selbstverständlich über zahlreiche Beitragseinreichungen!

Die sieben wissenschaftlichen Artikel dieses Varia-Heftes beginnen mit einer Befassung von Gyuala Pápay (Rostock) mit methodischen Ansätzen von Ptolemäus bei der Entwicklung seiner historischen Kartenprojektionen. Dabei stellt sich heraus, dass die Methodik von Ptolemäus offenbar die Ableitung von Projektionen ohne trigonometrische Berechnungen ermöglichte.

Der Aufsatz von Dennis Edler (Bochum) und Olaf Kühne (Tübingen) vertieft einen im vergangenen Jahr vorgeschlagenen Ansatz einer ‚post-kritischen Kartographie‘. Auf der Grundlage des soziologischen Konzepts der Devianz und seiner etablierten Ausprägungen sowie Ralf Dahrendorfs Lebenschancen-Ansatzes schlagen die Autoren die Positionierung einer post-kritischen Kartographie vor, die das Dysfunktionale der kritischen Kartographie überwindet.

Tymoteusz Horbiński und Krzysztof Zagata (Poznań) stellen in einem Übersichtsartikel grundlegende Ansätze kartographischer Beispiele in Video- und Computerspielen vor. Darin befassen sie sich u.a. kartographischen Aspekten, die in Spielen mit Methoden und Techniken der Augmented und Virtual Reality (AR/VR) deutlich werden.

Bing Liu, Linfang Ding, Shengkai Wang und Liqiu Meng (München) widmen sich in ihrem Aufsatz dem Thema der Mixed-Reality-gestützten Indoor-Navigation. Dabei werden vier Ansätze zum Aufbau eines Indoor-Navigationssystems vorgestellt und verglichen.

Anhand des räumlichen Fallbeispiels Zagreb stellen Adrian Komadina und Željka Mihajlović (Zagreb) einen methodischen Ansatz vor, wie mit Geodaten aus vier verschiedenen Quellen eine automatisierte Lösung zur Ableitung urbaner 3D-Landschaften ermöglicht werden kann.

Carsten Jürgens und Fabian Meyer-Heß (Bochum) befassen sich mit einer Fallstudie zur Evaluation urbaner Grünflächen in Dortmund. Die Kombination von 2D- und 3D-Geodatensätzen verdeutlichen die Möglichkeiten einer differenzierten Aussage zur Identifikation von Grünflächen mit hohem Erholungs- und Gesundheitspotenzial.

Die Reihe der Fachartikel dieser Ausgabe beenden Anudev Mazumder und Gouri Sankar Bhunia (Bolpur). Sie thematisieren räumliche Verteilungen von Arsenkonzentrationen und diskutieren ihre Geodaten-basierte Analyse vor dem Hintergrund möglicher Grundwassergefährdungen in Westbengalen.

Ich wünsche Ihnen und Euch viel Freude beim Lesen der Ausgabe!


Herzliche Grüße.

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Dennis Edler