1 Menschenrecht(e) auf Tierschutz

Informationen über den Umgang mit genutzten nichtmenschlichen Tieren sind oftmals eine psychisch-moralische Zumutung. Bezüglich der Einschaltquoten seiner 2017 vom ZDF ausgestrahlten Dokumentation „Geheimsache Tiertransporte – Wenn Gesetze nicht schützen“ über EU-Exporte lebender landwirtschaftlich genutzter Tiere in Drittstaaten beispielsweise äußerte der Filmemacher Manfred Karremann: „natürlich ist man sich dabei bewusst, dass viele Menschen sich einen solchen Film nicht am späten Abend zumuten möchten. Die meisten Menschen sehen sich eine solche Sendung zu einer anderen Zeit, die ihnen dafür geeignet scheint, im Internet an.“ (ZDF 2017) Offen und verdeckt gedrehtes Filmmaterial aus Tiertransportern, Schlachthäusern, Laboren und Ställen enthält regelmäßig die Art von Bildern, die viele Menschen „nicht sehen können“ und deren Kenntnisnahme selbst von denjenigen, die sie sich zumuten, offenbar besondere Vorbereitung erfordert. Doch mit menschenverursachtem Leid von Tieren in Berührung zu kommen, ist kein vermeidbares isoliertes Risiko, das lediglich im Spätabendprogramm öffentlich-rechtlicher Sender lauert. Menschen sind alltäglich mit vielfältigen Verhaltensweisen gegenüber nichtmenschlichen Tieren konfrontiert, die sie moralisch verurteilen und als verstörend empfinden. Sie sind oft trotzdem zumindest mittelbar daran beteiligt – als Steuerzahler, Bürger, Konsumenten und Mitmenschen in unterschiedlichsten sozialen Rollen. Sie haben Kenntnis von privatem Umgang mit Tieren, den sie als Misshandlung einordnen: vom einzeln eingesperrten Kaninchen oder Wellensittich im Kinderzimmer bis hin zu an der Hauswand erschlagenen unerwünschten Katzenwelpen. Sie sind Kunden im Supermarkt, der einen erheblichen Teil seines Umsatzes mit Tierkörpern in mehr oder weniger verarbeiteter Form macht. Nicht wenige Menschen kaufen zumindest einige solcher Produkte, gerade weil sie sich Informationen über deren Ursprung nicht zugemutet haben. Sie sind Bürger einer Stadt, die es bestraft, unversorgten Haustieren („Stadttauben“) Nahrung zur Verfügung zu stellen. Und wenn sie auf dem Weg zu ihrem Wahllokal an einer Weide mit Rindern vorbeigekommen sind, denen der Abtransport zum Schlachthof bevorsteht, finden sie auf dem Wahlzettel unter den politisch relevanten keine Partei, die an dieser Praxis grundsätzlich etwas ändern möchte. Es existieren einige wenige Ansätze, diese Probleme als Erscheinungsformen einer Menschenrechtsverletzung zu analysieren (Leondarakis 2006; Boyer et al. 2016). Die Vorstellung dahinter ist, dass ein Interesse an einem wirksamen Schutz nichtmenschlicher Tiere ein schützenswertes Interesse ist, dessen Verletzung mit schwerwiegenden Belastungen für Menschen einhergehen kann. Überall dort, wo es irgendeine Form der Tierschutzgesetzgebung gibt, kann man davon sprechen, dass ein solches Interesse am Schutz von Tieren auch bereits staatlicherseits in gewissem Rahmen unterstützt wird. Die weitergehende Idee eines gesonderten Menschenrechts auf Tierschutz soll im vorliegenden Text kritisch geprüft werden. Der Artikel geht der Frage nach, von welchen ethischen Voraussetzungen ein solches Recht abhängig, wie es zu formulieren und welchen Problemen es ausgesetzt wäre. Footnote 1

Es mag so scheinen, als ob der dem Projekt der Menschenrechte inhärente Anthropozentrismus der Anerkennung eines gehaltvollen Menschenrechts auf Tierschutz – etwa im Sinne eines Rechts auf die Durchsetzung von Tierrechten – entgegenstünde. Im ersten Abschnitt wird dafür argumentiert, dass dies nicht der Fall ist. Am Beispiel des Befriedungsrechts wird gezeigt, wie bestehende Menschenrechte bereits für die Durchsetzung ethischer Interessen in Bezug auf nichtmenschliche Tiere genutzt werden. Im Anschluss werden drei Ansätze zur Bestimmung eines Rechts auf Tierschutz als separates Menschenrecht vorgestellt. Die folgenden Abschnitte setzen sich kritisch mit jeweils einer Variante dieses Rechts auseinander: dem Recht auf die Befolgung von Tierschutznormen durch Dritte (Abschnitt 2) und dem Recht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren (Abschnitt 3). In Ansehung der jeweiligen Probleme beider Varianten eines Menschenrechts auf Tierschutz wird im vierten Abschnitt vorgeschlagen, die menschenrechtliche Relevanz gegenwärtiger Probleme der Mensch-Tier-Beziehung eher in der Störung der Bedingungen der Möglichkeit von Gewissensfreiheit zu suchen. Abschließend wird ein kritisches Fazit zur Idee eines Menschenrechts auf Tierschutz gezogen.

1.1 Menschenrechte, Anthropozentrismus und Tierrechte

Menschenrechte sind in einem offensichtlichen Sinne ein anthropozentrisches Programm par excellence: in der Theorie und Praxis der Menschenrechte stehen Menschen und ihre Schutzwürdigkeit im Mittelpunkt bzw. sind sogar alleiniger Gegenstand des moralischen und politischen Interesses. Darüber hinaus wird häufig angenommen, dass mit diesem Fokus noch ein viel grundsätzlicherer, moralischer Anthropozentrismus einhergeht. Er besteht in der Annahme, dass Menschen eine prinzipiell höhere Schutzwürdigkeit zukommt als anderen Objekten moralischer Berücksichtigung. Eine spezielle Form dieser Position fußt auf der zusätzlichen Annahme, dass Menschen diesen moralischen Vorrang qua Menschen haben. Man kann diese Formel als direkte Zuweisung moralischer Relevanz an die Zugehörigkeit zur Art Mensch verstehen. Sie unterscheidet sich dann von Überzeugungen, denen zufolge bestimmte mit der Artzugehörigkeit (strikt) korrelierte Eigenschaften das besondere moralische Interesse an Menschen begründen. Beide Thesen – die vom moralischen Vorrang des Menschen und diejenige bezüglich der moralischen Relevanz der Artzugehörigkeit – sind prinzipiell unabhängig voneinander. Es wäre möglich, Artzugehörigkeit als moralisch relevantes Merkmal einzuschätzen und dabei auch Zugehörigkeiten zu nichtmenschlichen Arten ebenfalls als Grundlagen moralischer Berücksichtigungswürdigkeit anzuerkennen. Zum anderen wird der Glaube an den moralischen Vorrang von Menschen auch mit Verweis auf andere vermeintlich direkt moralisch relevante Eigenschaften als diejenige der Artzugehörigkeit vertreten. Eine sinnvolle Redeweise von moralischem Anthropozentrismus fokussiert auf die Grundannahme, dass Menschen größere moralische Berücksichtigungswürdigkeit zukommt (vgl. Horta 2010, 258; Brennan & Lo 2021, § 1). Innerhalb der in diesem Sinne anthropozentrischen Positionen ist die Überzeugung von der unvermittelten moralischen Relevanz der Artzugehörigkeit dann nur eine neben anderen. Gerade die Idee des universellen Geltungsanspruchs der Menschenrechte wird aber nicht selten mit Bezugnahme auf diese Variante eines moralischen Anthropozentrismus artikuliert. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass Menschenrechte „alle[n] Menschen weltweit, und zwar allein aufgrund ihres Menschseins“ zukommen und damit als Rechteträger „[j]edes Mitglied der menschlichen Gattung“ gemeint ist (Pollmann 2012, 331-2), klingt – trotz der Bezugnahme auf die Kategorie der Gattung anstelle der Spezies – ein auf das taxonomische Merkmal abstellender Anthropozentrismus an. Eindeutig ist der Fall allerdings nicht. Wo immer vom „Menschsein“ als Zuschreibungsgrundlage für moralische Ansprüche die Rede ist, kann damit auch eine essentialistische Position ausgedrückt werden, wonach Menschsein andere als taxonomische Merkmale notwendig beinhaltet, welche die Zuschreibungsgrundlage für Menschenrechte bilden – alternativ kann die Idee, „Menschsein“ durch die Aufzählung von definierenden Merkmalen explizieren zu können, auch rundheraus zurückgewiesen werden (vgl. Lynch & McLean 2016; Chappell 2011; zum Verständnis des Anthropozentrismus als einer Unterart von spezieszentrischen Ethiken, siehe Albersmeier 2021, zu den Varianten von Verteidigungen solcher Ethiken, siehe Horta 2010, 253 f.).

Einschlägig ist zur Begründung einer moralischen Sonderstellung von Menschen etwa das Merkmal „Menschenwürde“. Es steht, wie Will Kymlicka deutlich macht, im Zentrum aktueller Bemühungen, die moralische Grundlage der Menschenrechte in einer Weise zu charakterisieren, die den Ausschluss von nichtmenschlichen Tieren sicherstellt (2018a, 766). Als „new dignitarians“ bezeichnet Kymlicka Theoretiker im aktuellen Menschenrechtsdiskurs, die den Schutz der Menschenwürde als Basis von Menschenrechten auszeichnen und damit die Annahme verknüpfen, dass die grundsätzliche Verschiedenheit von Menschen und nichtmenschlichen Tieren sowie die Vorrangstellung des Menschen gegenüber Tieren Kernelemente der Menschenwürde seien (Kateb 2011; Dupré 2015; Waldron 2012; vgl. Kymlicka 2018a, 768). Kymlicka analysiert diese Tendenz als Gegenreaktion auf alternative Ansätze, die beispielsweise Verletzlichkeit (vulnerability) (Turner 2006; Fineman 2008) oder die spezifischen Möglichkeiten des Gedeihens, die empfindungsfähigen Wesen eigen sind (Nussbaum 2006), als Grundlage der Menschenrechte ausweisen. Vertreter solcher Ansätze fokussieren damit auf Merkmale, die auch nichtmenschlichen Tieren zukommen. Sie folgen einer „non-supremacist logic“ (Kymlicka 2018a, 766) – ebenso wie vor ihnen Interessentheoretiker, die Menschenrechte als Schutzansprüche gegenüber Standardbedrohungen wichtiger Interessen analysiert haben (etwa Feinberg 1980; Shue 1980; Nickel 1987). In diesem Beitrag wird, mit Kymlicka, davon ausgegangen, dass solche Ansätze aussichtsreichere Kandidaten dafür sind, einen robusten Schutz für menschliche Interessen zu untermauern. Hebt man stattdessen auf ein Konzept der Menschenwürde ab, das einer vermeintlichen Spezieshierarchie verpflichtet ist, scheint das nicht zuletzt in systematischen Fehlcharaktersierungen der Schäden zu münden, die durch Menschenrechtsverstöße entstehen: körperliche, psychische und soziale Schäden werden übersehen, die wirklich betroffenen Güter werden zugunsten der Rede von der Menschenwürde nicht identifiziert (Kymlicka 2018a, 775-6). Auch marginalisiert die Verpflichtung auf vermeintliche Alleinstellungsmerkmale „des Menschen“, die wiederum der Menschenwürde zugrundeliegen, diejenigen Menschen, die die betreffenden Merkmale nicht teilen oder nicht voll ausgeprägt haben (778-80). Die Betonung einer Spezieshierarchie scheint zudem Tendenzen der Abwertung von Gruppen bestimmter Menschen eher zu verstärken als ihnen entgegenzuwirken (772‑4; vgl. Kymlicka & Donaldson 2014; Kymlicka 2018b).

Alternative, plausiblere und für den Schutz von Menschen strategisch wertvollere Charakterisierungen der Grundlagen und Funktion von Menschenrechten, die als Schutzziel die Interessen empfindungsfähiger Wesen auszeichnen, machen demgegenüber das Rechte-Konzept ebenso für tierliche Ansprüche relevant. Wenn Rechte Individuen aufgrund ihrer Verletzlichkeit schützen oder wenn sie Ansprüche schützen, die empfindungsfähige Wesen aufgrund ihrer spezifischen Möglichkeiten, ein gedeihliches Leben zu führen, haben, dann sind neben Menschen- auch Tierrechte denkbar und Respekt vor ihnen prima facie moralisch geboten. Wenn das oberflächlich anthropozentrische Programm der Menschenrechte von einem moralischen Anthropozentrismus entkoppelt wird, erscheinen die Schutzziele der Menschenrechte als spezifische Klasse von Schutzzielen neben weiteren. Sie gesondert als Menschenrechte auszuzeichnen, ist in dem Maße pragmatisch motiviert, in dem die inhaltliche Ausgestaltung grundlegender Rechte sich sinnvollerweise an arttypischen Bedürfnissen orientiert. Der daraus entstehende Rechtekanon kann durchaus erhebliche Schnittmengen mit den Rechten anderer Tiere aufweisen.

Aus Tierrechtsperspektive sind gängige Praktiken der Nutzung und Schädigung von Tieren besonders stark zu verurteilen. Aber die meisten Menschen neigen derzeit einer solchen Perspektive zumindest nicht explizit zu. Allerdings ergibt sich auch aus wesentlich bescheideneren Tierschutzambitionen die Unzulässigkeit diverser üblicher Praktiken, bei denen Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden entstehen. Menschenrechte mit Bezug zu den Beziehungen zu Tieren sind also nicht erst dann von Interesse, wenn Menschen massenhaft tierrechtstheoretische Positionen einnehmen. Sie haben spätestens da sogar Aussicht auf rechtsverbindliche Anerkennung, wo (irgendwelche) Tierschutznormen rechtsverbindlich sind.

Die Rede von einem Menschenrecht auf Tierschutz mag zunächst als Antwort auf die Erfordernisse der Achtung vor menschlicher moralischer Autonomie oder dem Schutz normativer Handlungsmacht („normative agency“, Griffin 2008) erscheinen und damit ein Verständnis von Menschenrechten im Sinne der Willenstheorie der Rechte anklingen lassen. Demgegenüber wird hier davon ausgegangen, dass Menschenrechte, inklusive eines eventuellen Rechts auf Tierschutz, letztlich nur mit Verweis auf menschliche Interessen bzw. das Wohl von Menschen als fühlende, nicht nur als wollende Wesen plausibilisiert werden können.

1.2 Beispiel: Befriedung

Ein Problemkomplex, für den in jüngerer Zeit Menschenrechte auf das Ausleben ethischer Überzeugungen in Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung geltend gemacht worden sind, ist derjenige der Jagd auf wildlebende Tiere. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in mehreren Verfahren die Praxis verschiedener Mitgliedstaaten für unzulässig erklärt, Grundstückseigentümer zu Zwangsmitgliedern von Jagdvereinigungen zu machen und ihnen die Duldung der Jagd auf ihrem Land abzuverlangen (EGMR, Urteil v. 29. April 1999 - 25088/94, 28331/95, 28443/95; EGMR, Urteil v. 10.07.2007 – 2113/04; EGMR, Urteil v. 26. Juni 2012 – 9300/07). In Deutschland führte dies zur Änderung des Bundesjagdgesetzes, das seit Ende 2013 für natürliche Personen die Möglichkeit vorsieht, ihr Grundstück auf Antrag befrieden zu lassen (§ 6a BJagdG). Als Eigentümer von Flächen, auf denen die Jagd nicht ausgeübt werden darf, sind sie sodann von der zwangsweisen Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft ausgenommen (§ 9 BJagdG). Die Möglichkeit zur Befriedung ist dem Wortlaut des Gesetzes nach natürlichen Personen vorbehalten. Diese Einschränkung wurde in der Folge u. a. Gegenstand einer (2018 abgelehnten) Verfassungsbeschwerde, in der die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der EGMR gerade nicht auf Gewissensfreiheit, sondern Eigentumsrechte abgestellt habe, und diese eben auch juristischen Personen zukommen. Andererseits sei

[i]n der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte […] geklärt, dass das Recht auf Gewissensfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen und Gruppen schütze. […] Der Gesetzgeber sei mit Blick auf das durch die Gewissensfreiheit „aufgeladene“ Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG verpflichtet, in § 6a BJagdG auch für die im Eigentum juristischer Personen stehenden Grundstücke im gemeinschaftlichen Jagdbezirk die Möglichkeit zur Befriedung aus ethischen Gründen vorzusehen. (BVerG 2018)

Tatsächlich hatte der EGMR festgestellt, „dass die Verpflichtung, die Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, für die Eigentümer, die […] die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung darstellt“, wobei sich diese Belastung als Einschränkung des Eigentumsrechts darstellte (EGMR (Große Kammer), Urteil v. 26. Juni 2012 – 9300/07, Rdnr. 93, 94). Aufgrund der Ergebnisse zum Eigentumsrecht hatte sich am EGMR keine gesonderte Prüfung der Beschwerde über eine Verletzung der Gewissensfreiheit ergeben (Rdnr. 119). Trotzdem zeigt sich am Beispiel der Befriedung, wie ein Interesse am Schutz von Tieren überhaupt menschenrechtsrelevant werden kann (Sparks 2020, 157).

Es lohnt sich aber, genauer zu prüfen, welches Gut hier eigentlich Schutz erfährt. Antragsteller können dem Wortlaut des deutschen Gesetzes nach mit der Befriedung nicht die Hoffnung verbinden, die Jagd als solche tatsächlich einzuschränken, also etwa die Zahl der getöteten oder verletzten Tiere zu verringern. Denn würde eine Befriedung die Verwirklichung derjenigen Zwecke auch nur gefährden, die als Rechtfertigungsgründe für die Jagd herangezogen werden, wäre dies ein Grund für die Abweisung des Antrags auf Befriedung (§ 6a I 2 BJagdG). Nach der Logik der relevanten Gesetzgebung erfüllen die tatsächlichen Tötungen von Tieren im Rahmen der Jagd gesamthaft das Rechtfertigungserfordernis, einem vernünftigen Grund (§ 1 TierSchG) zu dienen. Schutzziel der geänderten Rechtsnorm ist also nicht das Interesse an einem effektiven Schutz von Tieren davor, im Rahmen der Jagd gehetzt, verletzt oder getötet zu werden, denn der Gesetzgeber sieht diese Effekte als von den Rechtfertigungsgründen für die Jagd abgedeckt an. Aus Sicht derjenigen, die ihre Grundstücke befrieden lassen, mag es ein willkommener Effekt sein, die Ausübung der Jagd immerhin zu verkomplizieren und somit vielleicht unattraktiver zu machen. Weiterhin werden viele die Befriedung auch als kommunikativen Akt begreifen, mit dem sie ihr moralisches Urteil über die Jagd gegenüber Jägern, involvierten Behördenvertretern, Nachbarn (die im Zuge der Bearbeitung eines Befriedungsantrags gehört werden müssen, § 6a I 4 BJagdG) und einer breiteren Öffentlichkeit ausdrücken. Das Gesetz erlaubt Grundstückseigentümern allerdings nicht, ihre Überzeugung von der Schutzwürdigkeit der Tiere tatsächlich praktisch durchzusetzen. Geschützt werden sie lediglich vor der Duldung der Jagd auf ihrem eigenen Land – also vor den Zugriffsansprüchen der Jäger. Schutz wovor genau impliziert diese Grenzziehung? Vielen wird es bei einer Befriedung nicht sinnvollerweise darum gehen können, von der Jagd schlicht nicht behelligt zu werden – nichts davon mitzubekommen. Gewehrfeuer ist kilometerweit zu hören, fliehende Tiere fliehen eventuell gerade über das eigene, befriedete Grundstück. Was hier – aus gesetzgeberischer Sicht – eher geschützt ist, ist die moralische Integrität der Eigentümer befriedeter Grundstücke. Nicht die Eindämmung der Jagd, sondern die Gewissheit, dass es nicht das eigene Land ist, auf dem sie ausgeübt wird, ist legitimes Ziel der Befriedung. Was das Gesetz schützt, ist die Möglichkeit zur Herauslösung aus der eigenen Verstrickung in die Praxis, nicht die Bekämpfung der Praxis selbst.

Hier zeigt sich, dass das Befriedungsrecht Bürgern, die vorrangig am Schutz von Tieren interessiert sind, eine eigentümliche Selbstbezüglichkeit auferlegt. Geltend machen können sie nur ihr eigenes Unwohlsein in Anbetracht des Leids oder der Tötung von Tieren auf ihrem eigenen Land – es geht nicht um ihr Unwohlsein angesichts jenseits der eigenen Grundstücksgrenzen leidender und sterbender Tiere, und erst recht nicht um das Leid oder den Tod der Tiere selbst. Negativ gewendet könnte man sagen, vom Gesetzgeber anerkanntes Schutzziel des Befriedungsrechts ist die moralische Eitelkeit von Grundstückseigentümern, nicht das Objekt ihrer moralischen Sorge oder diese moralische Sorge selbst.

1.3 Tierschutz als separates Menschenrecht – drei Ansätze

Das Beispiel des Befriedungsrechts zeigt, wie die Ausdeutung bereits anerkannter Menschenrechte die Berücksichtigung von ethischen Interessen in Bezug auf Tiere ermöglicht – zumindest in einem gewissen Rahmen. Daneben gibt es die Idee, ein separates Menschenrecht auf die Verwirklichung von Tierschutzinteressen – ein Menschenrecht auf Tierschutz – zu etablieren. In diesem Abschnitt werden drei Ansätze zur Formulierung eines Menschenrechts auf Tierschutz vorgestellt: Martha Nussbaums Berücksichtigung eines Rechts auf Beziehungen zu Angehörigen anderer Spezies in ihrem Fähigkeiten-Ansatz zur Explikation eines menschenwürdigen Lebens (2006); Konstantin Leondarakis’ Erkundung möglicher Anknüpfungspunkte eines Menschenrechts „Tierschutz“ aus juristischer Sicht (2006); und Kurtis Boyers, Guy Scottons und Katherine Waynes Plädoyer für ein Menschenrecht auf Schutz vor Mittäterschaft in Bezug auf Ungerechtigkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren (2016). Es wird sich zeigen, dass angesichts verschiedener mit einem Menschenrecht auf Tierschutz zu verbindender Intentionen zwischen zwei Varianten dieses Rechts unterschieden werden sollte: Das Recht auf indirekten Tierschutz und das Recht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren werden darum in den folgenden beiden Abschnitten getrennt voneinander behandelt.

In der praktischen Philosophie hat die Idee eines Menschenrechts auf Tierschutz bisher so gut wie keine Beachtung gefunden. Ein Vorstoß in diese Richtung findet sich allerdings etwa in Martha Nussbaums Fähigkeiten-Ansatz zur Erläuterung der Erfordernisse der Gerechtigkeit (2006). Mit ihrem Ansatz knüpft Nussbaum an eine von Amartya Sen vorgeschlagene Explikation menschlichen Wohlergehens (Sen 1999 [1987]) an. Fähigkeiten werden in diesem Rahmen verstanden als tatsächliche Möglichkeiten, bestimmte für ein menschliches Leben wertvolle Zustände zu erreichen oder Aktivitäten zu vollziehen („beings“ und „doings“ zu realisieren; Sen 1999 [1987]). Nussbaum versteht den Fähigkeiten-Ansatz als einen spezifischen Zugang zur Erläuterung von Menschenrechten (Nussbaum 2014, 390) und schlägt eine Liste von zehn für ein menschenwürdiges Leben grundlegenden Fähigkeiten vor (wobei hier kein hierarchisches Konzept der Menschenwürde, wie es „new dignitarians“ vertreten, zugrunde gelegt wird). An achter Stelle nennt sie das Stichwort „Andere Spezies“ und verweist damit auf „[d]ie Fähigkeit, in Anteilnahme für und in Beziehung zu Tieren, Pflanzen und zur Welt der Natur zu leben.“ (Nussbaum 2014, 114; im Original: „Being able to live with concern for and in relation to animals, plants, and the world of nature“; Nussbaum 2006, 77). Die Befähigung dazu, sich anteilnehmend gegenüber Tieren, Pflanzen und der Umwelt verhalten zu können, ist für Nussbaum also Teil eines menschenwürdigen Lebens, ihre Erlangung somit ein Erfordernis der Gerechtigkeit – ein Menschenrecht.

Nussbaum wählt für die Charakterisierung einzelner Fähigkeiten bzw. Rechte absichtlich offene Formulierungen, um unterschiedlichen Ausgestaltungen in verschiedenen Gesellschaften Raum zu geben (Nussbaum 2014, 115). Für das, was wir als ihre Variante eines Menschenrechts auf Tierschutz einordnen können, bleibt die Formulierung allerdings zu offen. Anteilnahme (concern for) ist auch und gerade dann möglich, wenn Tiere, menschenverschuldet, leiden. Die Art der Beziehung, zu der Menschen im Zusammenleben mit Tieren befähigt sein sollen, wird sogar überhaupt nicht qualifiziert. Indem Nussbaum die Ansprüche zum Umgang mit nichtmenschlichen Tieren auf eine Stufe mit denen zum Umgang mit Pflanzen und der Natur stellt, nivelliert sie ethisch relevante Unterschiede zwischen diesen Relationen und legt nahe, dass sich eine anteilnehmende Haltung auch mit einer, ggf. sogar intensiven, Nutzung vereinbaren lässt (was tatsächlich Nussbaums Standpunkt zu entsprechen scheint, vgl. Schinkel 2008). Mit der Zuordnung zur „Welt der Natur“ wird das Recht auf (wie auch immer geartete) Beziehungen zu Tieren gleichzeitig von dem auf eine rein menschliche Sphäre beschränkten Recht auf „Zugehörigkeit“ (Punkt sieben auf der Fähigkeiten-Liste) abgetrennt, bei dem es darum geht, „mit anderen und für andere zu leben, andere Menschen anzuerkennen und Interesse an ihnen zu zeigen, sich auf verschiedene Formen der sozialen Interaktion einzulassen; sich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen“ (Nussbaum 2014, 113). All diese Fähigkeiten sind nicht mit Bezug auf die Interaktion mit nichtmenschlichen Tieren Thema. Zwischen dem Recht auf ein gedeihliches Zusammenleben mit Menschen und dem auf Beziehungen zu Tieren tut sich damit ein tiefer Unterschied auf. Dieses Bild wird durch Nussbaums Ausführungen zu den Ansprüchen von Tieren – denen ebenfalls Rechte auf Zugehörigkeit, Anerkennung als „Wesen mit Würde“ und ein gedeihliches Zusammenleben mit anderen, inklusive Menschen, zukommen – teilweise konterkariert (Nussbaum 2014, 536‑8; weiter ausgeführt in Nussbaum 2023). Die Darlegung der relevanten menschlichen Fähigkeiten allerdings bleibt zu unspezifisch, um auf ihrer Grundlage ein Menschenrecht auf Tierschutz zu formulieren. Nussbaums Ansatz stellt dennoch einen beachtenswerten Anknüpfungspunkt für Überlegungen zu einem solchen Menschenrecht dar, weil er mit dem Anspruch auf die Fähigkeit zur Anteilnahme ein Recht auf die Verwirklichung moralischer Potentiale berücksichtigt und dieses explizit auf Beziehungen zu nichtmenschlichen Tieren bezieht. Weil es um einen Anspruch auf tatsächliche Entwicklungsmöglichkeiten geht, liegt nahe, dass dem unterschiedliche Bereitstellungs- und Gewährspflichten auf Seiten mehrerer Pflichtenträger korrespondieren können. Der Ansatz weist damit in Richtung eines umfassenderen Rechts auf Aufrechterhaltung einer Gesellschaftsstruktur, die moralisch gute Beziehungen zu Tieren unterstützt. Auf diese Idee wird gleich zurückzukommen sein.

Vorher soll jedoch der Beitrag des Juristen Konstantin Leondarakis betrachtet werden. Leondarakis hat sich in einer von der Tierschutzorganisation Animals‘ Angels e. V. herausgegebenen Studie mit der Integrierbarkeit eines Menschenrechts auf Tierschutz in vorhandene Rechtssysteme befasst (2006). Im Sinne einer Arbeitsdefinition bestimmt er das Menschenrecht „Tierschutz“ wie folgt: „Die vernünftige Bewahrung des Lebens und der Unversehrtheit der Tiere, sowie eine würdige Behandlung der Tiere ist das Recht eines jeden Menschen“ (35). Es scheint also bei einem Menschrecht auf Tierschutz um das zu gehen, was Menschen selbst im eigenen Verhalten gegenüber Tieren verwirklichen können sollen: Recht jedes Menschen ist es demnach, das Leben und die Unversehrtheit von Tieren im eigenen Handeln ihnen gegenüber in einem vernünftigen Sinne zu bewahren. So verstanden ist das Menschenrecht Tierschutz ein Freiheitsrecht darauf, von Dritten nicht derart eingeschränkt zu werden, dass im eigenen Handeln die Bewahrung des Lebens und der Unversehrtheit von Tieren nicht mehr wie von der Akteurin beabsichtigt verwirklicht werden kann. Die Formulierung des Rechts erlaubt es aber ebenfalls, es als eine Berechtigung zu Eingriffen in das Handeln Dritter gegenüber Tieren zu verstehen, denn Leben und Unversehrtheit von Tieren zu bewahren, kann gerade auch erfordern, Schädigungen, die andere Menschen Tieren zufügen, zu unterbinden. Diese Lesart passt zum Anlass für Leondarakis’ Ausführungen – der Beobachtung, dass Menschen sich durch die Verletzung der Interessen von Tieren, die durch Dritte verübt wird, in ihrem moralischen Empfinden verletzt fühlen:

Die Menschen fühlen sich selbst in ihren eigenen Rechten verletzt, wenn die Tierschutzvorschriften, um deren Einhaltung sie kämpfen, nicht beachtet werden oder erforderliche Vorschriften fehlen. Sie empfinden es als eine elementare Einschränkung ihrer Lebensqualität und als Verletzung ihrer ethischen und moralischen Ansichten und Gefühle. (Leondarakis 2006, 10)

Ähnlich wie Karremann, beschreibt Leondarakis die Behandlung von Tieren als eine Zumutung für Menschen, und sagt gerade auch mit Blick auf das Beispiel der belastenden Fakten über Tiertransporte: „Viele Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten können diesen Zustand der permanenten Verletzung der Belange von Tieren nicht ertragen“ (9). Diese Motivation hinter der Beschäftigung mit einem Menschenrecht auf Tierschutz legt nahe, dass eine Dimension, die sich auf das Handeln Dritter gegenüber Tieren erstreckt, beabsichtigter Teil des Rechts ist. Wie genau diese Dimension zu analysieren ist, wird in den folgenden Abschnitten zu klären sein. An dieser Stelle muss allerdings bereits bemerkt werden, dass Leondarakis zwei grundsätzlich verschiedene Anlässe für die Verletzung moralischer Gefühle zusammen verhandelt: die Nichtbeachtung (vorhandener) „Tierschutzvorschriften, um deren Einhaltung [Menschen] kämpfen“ und das Fehlen „erforderliche[r] Vorschriften“ (10). Im ersten Fall geht es um Empörung über die Nichtbeachtung anerkannter und verbindlicher Erfordernisse, im zweiten Fall um Frustration im erfolglosen Kampf um die Anerkennung zusätzlicher Erfordernisse. Als Verletzung eines Menschenrechts auf Tierschutz würden sich in beiden Fällen sehr unterschiedliche Vergehen ergeben: im ersten Fall liegt eine tatsächliche Verletzung (rechtlich) anerkannter Ansprüche von Tieren zugrunde, die dann zusätzlich als Affront gegen Menschen, die diese Ansprüche ernstnehmen, ausgelegt wird. Im zweiten Fall jedoch stellt das Handeln gegenüber Tieren nur aus der Sicht einer Teilgruppe von Menschen eine ungerechtfertigte Verletzung tierlicher Interessen dar. Will man dieses Handeln als Verletzung eines Menschenrechts auf Tierschutz anerkennen, muss man es mit der Nicht-Achtung der spezifischen Tierschutzambitionen dieser Teilgruppe von Menschen identifizieren. Ein Menschenrecht auf Tierschutz, das beide Fälle als Menschenrechtsverletzung fassen sollte, würde damit einen extrem weitreichenden Anspruch formulieren. Diese Einordnung darf nicht mit der Bewertung der weiterreichenden, nicht allgemein und rechtsverbindlich anerkannten Tierschutzvorstellungen der betreffenden Teilgruppe als „extrem“ verwechselt werden. Diese können die besser begründeten, angemesseneren Vorstellungen sein. Die rechtsverbindliche Mehrheitsauffassung in der gegebenen Situation kann vielmehr ihrerseits mit „extrem“ treffend beschrieben sein, falls sie einen sehr weitreichenden Zugriff auf Tiere und sehr geringe Rücksichtnahme auf sie zulässt. Extrem wäre ein über die Einhaltung rechtsverbindlicher Standards hinausgreifendes Menschenrecht auf Tierschutz nur in dem Sinne, in dem es als illiberal gekennzeichnet werden könnte, weil es verlangt, die moralischen Vorstellungen einer gesellschaftlichen Teilgruppe zugunsten dieser Teilgruppe zu befolgen, während gleichzeitig ebendiese moralischen Vorstellungen für sich genommen nicht als allgemein verbindlich anerkannt werden. Man könnte diese Situation mit Verweis auf die Neutralität des liberalen Staates in Bezug auf Vorstellungen vom guten Leben analysieren. Der Fehler eines Menschenrechts auf Tierschutz läge aus dieser Sichtweise darin, Tierschutzvorstellungen qua Vorstellungen vom guten Leben zur Durchsetzung zu verhelfen, während der Staat eigentlich nur Gerechtigkeitsprinzipien durchsetzen darf, als die der Gehalt dieser Vorstellungen eben gerade nicht gilt. Diese Analyse ist aber selbst problematisch, gerade weil sie Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen nichtmenschlicher Tiere als Vorstellungen vom guten Leben einsortiert. Sie sind der Sache nach aber Mitbewerber auf dem Feld konkurrierender Vorstellungen davon, was als allgemein richtig und falsch – nicht nur individuell tugendhaft – und damit staatliche Angelegenheit gelten sollte. Das Problem der Illiberalität ergibt sich also immer relativ zur Nicht-Anerkennung solcher Gerechtigkeitsvorstellungen als tatsächlich allgemeinverbindlich. Das grundlegende Problem der Universalität und Objektivität der für ein Menschenrecht auf Tierschutz maßgeblichen moralischen Vorstellungen von den Ansprüchen nichtmenschlicher Tiere wird gleich (in 2.1.) genauer betrachtet werden.

Interessant zu sehen ist in jedem Fall, dass ein solches Recht auf Tierschutz eng verwandt mit dem Konstrukt wäre, das eine bestimmte Strömung innerhalb der Familie der Vertragstheorien anzubieten hat, um Schutz für Tiere – als nicht vertragsfähige Parteien – zu ermöglichen. Vertragstheorien, die Moral als Gehalt einer Verabredung aus Eigeninteresse analysieren, ordnen etwaige Tierschutznormen ebenfalls als Zugeständnis an die Interessen menschlicher Vertragspartner ein (vgl. Tanner 2013). Sie gewähren damit einen nur indirekten Tierschutz, der sich der Rücksicht auf die Interessen von Menschen (am Schutz von Tieren), aber keinen genuinen moralischen Ansprüchen der Tiere verdankt. Das von Leondarakis angedachte Menschenrecht „Tierschutz“ ist offensichtlich gerade nicht der Auffassung geschuldet, dass Tieren immer nur mittelbar – qua solcher Rücksichtnahme auf die Interessen von Menschen – Schutz zu gewähren ist. Das von ihm vielmehr als Ergänzung zu genuinen Schutzansprüchen von Tieren angedachte Menschenrecht ähnelt aber strukturell dem, was für bestimmte Vertragstheorien alleinige Grundlage jeglicher Tierschutzregelungen ist.

Zuletzt soll hier als mögliche Variante eines Menschenrechts auf Tierschutz der Vorschlag von Kurtis Boyer, Guy Scotton und Katherine Wayne berücksichtigt werden (2016). In einem Sammelband zu Strategien im Einsatz für nichtmenschliche Tiere sprechen sie sich für ein Recht auf Schutz vor (Mit‑)Täterschaft in Bezug auf Ungerechtigkeit gegenüber Tieren aus („the right not to be a perpetrator of interspecies injustices“, 161; „a right against complicity“, 178). Mit der Argumentation für ein solches Recht ist ein bestimmtes Bild vom Schutzziel der Menschenrechte verbunden. Anstelle der Freiheit zur Verwirklichung eines für ihn selbst guten Lebens des einzelnen Menschen steht beim Menschenrecht auf Schutz vor Mittäterschaft nun das moralisch gute Leben des Menschen bzw. seine Anfälligkeit für „moralische Schäden“ (moral harms) im Zentrum:

As social animals, humans require goods more complex and diverse than the basic necessities to sustain life […] In human rights discourse, however, these needs are typically characterized in terms of the individual rights to have one’s own self-regarding choices and needs […] respected and/or fulfilled. Far more rarely discussed is what humans require to live morally good lives, or what harms will befall individuals who are not granted access to those requirements. […] we are equally vulnerable to circumstances in which we cannot live morally well […] and those circumstances in which we cannot live well for ourselves. (Boyer et al. 2016, 159-60)

Diese Akzentverschiebung richtig einzuordnen ist wichtig, um ein grundlegendes Missverständnis bezüglich des Menschenrechts auf Tierschutz zu vermeiden. Es geht bei einem solchen Recht nämlich nicht um den pädagogisch-instrumentellen Wert, den Tierschutz für Menschen haben kann und auf den etwa Kant in seinem berühmten Verrohungsargument abstellt. Sein Argument für Pflichten „in Ansehung“ von (aber nicht gegenüber) Tieren lautet, dass Grausamkeit gegen Tiere sich negativ auf den Täter selbst auswirkt, da durch sie das „Mitgefühl […] abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird“. Statt einer Pflicht gegenüber Tieren ist das Unterlassen ihrer grausamen Behandlung „immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst“ (Kant 1900ff, MS, AA VI, 443). Ursula Wolf weist zurecht auf eine Ungereimtheit in Kants Ansatz hin, wenn sie anmerkt, dass eine solche Verrohungswirkung eigentlich nur plausibel erscheint, „wenn es nicht die von Kant ursprünglich angenommene scharfe Trennung zwischen Menschen und anderen Tieren gibt“, und dass die stattdessen anzunehmenden Kontinuitäten eben doch für direkte moralische Pflichten gegenüber Tieren sprechen (Wolf 2012, 43). Unabhängig von dieser Kritik ist klarzustellen, dass es bei einem Menschenrecht auf Tierschutz, wie es hier untersucht wird, um ein grundsätzlich anders begründetes Recht geht. Einem Menschenrecht auf Tierschutz werden zwar Pflichten gegenüber Menschen korrespondieren, aber eben nicht Pflichten der moralischen Akteurin gegen sich selbst. Es geht um den Respekt vor der moralischen Dimension des guten Lebens anderer.

Boyer, Scotton und Wayne verstehen das relevante Recht als ein Bürgerrecht, also eines, das Menschen als Bürger eines Staates gegenüber diesem Staat zukommt (Boyer et al. 2016, 161). Am Beispiel des Befriedungsrechts hatten wir gesehen, wie mithilfe anerkannter Rechte Bürgern ein Anspruch darauf eröffnet werden kann, sich aus Praktiken herauszulösen, die sie selbst als Unrecht einordnen. Die Schwerpunktsetzung von Boyer, Scotton und Wayne ist eine andere. Ihr Beitrag ist eine Anklage der Ausgangssituation, in der ein solches individuelles „Opt-out“ im Sinne einer individuellen Lebens(stil)entscheidung konzipiert ist, die einer privaten Vorstellung vom guten Leben folgt (174). Was die Autoren im Blick haben, ist eine Verantwortungsverschiebung in Richtung Staat. Dieser spielt eine Doppelrolle bei der Aufrechterhaltung von Gewalt gegen Tiere: er organisiert diese Gewalt nicht nur (indem er z. B. Genehmigungen für Tiertransporte ausstellt), sondern er wirkt auch auf vielfältige Weise darauf hin, dass seine menschlichen Bürger sich der gewaltsamen Qualität von Tiernutzung nicht bewusst werden. Boyer, Scotton und Wayne nennen das Beispiel einer Polizeistation, die mehrere Anrufe besorgter Bürger erhalten hatte, die im Umkreis eines landwirtschaftlichen Betriebes, der Kühe zur Milchproduktion hielt, seltsame Geräusche meldeten. Die Polizei verlautbarte daraufhin, die Geräusche seien die Rufe von Kühen nach ihren Kälbern, die Kühe litten aber nicht und die Geräusche gehörten zur normalen landwirtschaftlichen Praxis (Rogers 2013, zitiert nach Boyer et al. 2016, 168). Staaten wirken bisweilen noch planvoller als in diesem Beispiel an der Aufrechterhaltung von Unwissen oder Fehleinschätzungen der Situation von Tieren mit, z. B. durch den Erlass sogenannter „Ag-gag laws“. Dies sind Gesetze, die sich gegen Whistleblower richten und die Verbreitung von Informationen über die Behandlung von Tieren in der Agrarindustrie unter Strafe stellen (175 f.). Die Autoren wollen solcherlei Vorgehen als Teil einer grundlegenden, besonderen Art der Ungerechtigkeit gegenüber Bürgern greifbar machen.

Der Vorschlag von Boyer, Scotton und Wayne kann als Konkretisierung einer Konsequenz von Nussbaums Fähigkeiten-Ansatz verstanden werden: Wenn Menschen ein Recht auf die Entwicklung der Fähigkeit zu anteilnehmendem Verhalten gegenüber Tieren haben, kommt dem Staat Bedeutung als einem Garanten dieses Rechts zu. Er verletzt seine damit einhergehenden Pflichten, wenn er Strukturen schafft, die die Einzelne in für Tiere mit Leid verbundene Praktiken hineinwachsen lassen, und wenn er es der Einzelnen überlässt und sie gleichzeitig darin behindert, sich dieses Umstands bewusst zu werden, sich ihm zu entziehen und sich tatsächlich anteilnehmend gegenüber Tieren zu verhalten.

Insofern weisen die hier diskutierten Ideen zu einem Menschenrecht auf Tierschutz erwartungsgemäß in ähnliche Richtungen. Sie setzen allerdings auch unterschiedliche Schwerpunkte: Nussbaum hebt in einer recht allgemein bleibenden Formulierung auf ein Recht auf die Entwicklung der Fähigkeit, Anteilnahme gegenüber Tieren auszuleben, ab. Leondarakis spricht konkreter von der Bewahrung des Lebens und der Unversehrtheit von Tieren, bezieht zum einen dieses Recht auf das eigene Handeln des jeweiligen Akteurs, lässt zum anderen aber auch ein Interesse an der Regulierung der Handlungen Dritter anklingen. Boyer, Scotton und Wayne erwähnen ein Recht auf den Ausstieg aus Praktiken und Strukturen, die dem eigenen Urteil nach ungerecht gegenüber Tieren sind, halten aber das Recht auf Schutz davor, überhaupt erst in Ungerechtigkeit gegen Tiere verstrickt zu werden, für vorrangig.

Diese mit dem Menschenrecht auf Tierschutz verbundenen Intentionen sind zum einen auf die Integrität der Akteurin gerichtet, zum anderen zielen sie auf die Handlungen Dritter ab. Eine naheliegende Frage ist, wessen Urteile über die moralischen Ansprüche der Tiere, um deren Erfüllung es geht, hier relevant sind. Es macht einen Unterschied, ob man von Urteilen aus der individuellen Akteursperspektive oder intersubjektiv geteilten Urteilen ausgeht. Deutlich wurde dies bereits im Zusammenhang mit dem Beitrag von Leondarakis: Wenn von der Nichteinhaltung bestehender Vorschriften zum Umgang mit Tieren und gleichzeitig auch vom Fehlen von Vorschriften die Rede ist (Leondarakis 2006, 10), tut sich z. B. die Frage auf, aus wessen Perspektive Vorschriften als „fehlend“ eingeordnet werden. Eine Tierrechtlerin, die das Verbot, Tiere zur Gewinnung von Lebensmitteln zu töten, für fehlend hält, ist sich darin nicht mit einer Metzgerin und auch nicht mit einem Großteil der Bevölkerung einig. Soll das Menschenrecht auf Tierschutz darauf hinauslaufen, dass andere – quasi „ihr zuliebe“ – das Töten von Tieren einstellen? Wenn nicht – was sind die relevanten Tierschutzstandards, auf deren Einhaltung Menschen möglicherweise Rechte haben? Und was bedeutet das für das Recht auf die Fähigkeit, nicht in einen Umgang mit Tieren verstrickt zu werden, der aus der individuellen Akteursperspektive, aber nicht kulturspezifischen Moralvorstellungen zufolge, ungerecht ist? Bei der weiteren Erkundung eines Rechts auf Tierschutz muss das Zusammenspiel dieses Rechts mit der Ebene der faktischen individuellen und faktischen sozialen moralischen Bewertung sowie der Orientierung an einem objektiven moralischen Standard in den Blick genommen werden.

Dabei scheint es sinnvoll, zwischen zwei Ausprägungen des Menschenrechts auf Tierschutz zu differenzieren: Erstens kann man ein Menschenrecht Tierschutz als Recht darauf verstehen, dass Dritte Normen zum Schutz der Tiere befolgen. Ein solches Recht anzuerkennen würde bedeuten, dass die Befolgung von Tierschutznormen auch (aber nicht nur) als eine Verpflichtung gegenüber Menschen aufgefasst wird. Dieses Recht soll im folgenden Abschnitt als das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz behandelt werden. Zweitens lässt sich ein Menschenrecht auf Tierschutz auch als Recht darauf deuten, in Bezug auf Tiere moralisch integer handeln zu können. Bei diesem Recht ginge es um den Schutz davor, durch das Handeln Dritter im eigenen Handeln korrumpiert zu werden. Es wird im dritten Abschnitt als Menschenrecht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren analysiert werden. Beide Rechte sind in der Anwendung nicht strikt voneinander zu trennen, da die Beziehungen einzelner Menschen zu nichtmenschlichen Tieren nicht in Isolation voneinander unterhalten werden. Der Übergang oder die Verbindung zwischen beiden Sphären – dem eigenen Handeln gegenüber Tieren und dem Handeln Dritter – ist u. a. eine Angelegenheit der sozialen, ökonomischen und politischen Nähe zwischen allen Beteiligten.

2 Zum Menschenrecht auf indirekten Tierschutz

Der Vorschlag eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz reagiert auf den Befund, dass Menschen darunter leiden, wenn andere Menschen Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zufügen. Darum sind Dokumentationen über Tiertransporte eine „Zumutung“, darum spricht Leondarakis davon, dass Menschen es als „elementare Einschränkung ihrer Lebensqualität“ erleben, wenn Tierschutznormen missachtet werden (Leondarakis 2006, 10). Grausamkeit gegen Tiere hat das Potential, Menschen in einem engen Sinn dieses Wortes zu traumatisieren oder jedenfalls nachhaltig zu verstören.

Es stellt sich die Frage, ob das Recht, das dieses Problem einhegen soll, ein Recht auf die Unterlassung Tiere schädigender Handlungen ist – oder nur das Recht, nicht durch Kenntnis von solchen Handlungen beeinträchtigt zu werden. Das Bekanntwerden der Tierschutznormverletzung ist ja offenbar Bedingung dafür, dass sich der relevante Schaden auf menschlicher Seite einstellen kann. Entsteht demzufolge die Menschenrechtsverletzung auch erst durch das Bekanntwerden der Tierschutznormverletzung? Heißt das in letzter Konsequenz, dass derjenige, der etwa eine Fernsehdokumentation über Tierschutznormverstöße anfertigt, die die „Geheimsache Tiertransporte“ ans Licht bringt, zum Mittäter der Menschenrechtsverletzung wird? Das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz würde in dieser Deutung die Entdeckerin und Verkünderin von Tierschutzvergehen in Mithaftung nehmen und menschenrechtsrelevante Schädigungen von Tieren auf solche beschränken, die tatsächlich bekanntwerden – oder wenigstens Gefahr laufen, anderen Menschen bekannt zu werden.

Letzteres ist genau jene Beschränkung, die zu überwinden bestimmte kontraktualistische Ansätze Probleme haben. In diesem Sinne gesteht etwa Peter Carruthers ein, dass ein moralischer Kontraktualismus, für den sich Verpflichtungen gegenüber Tieren nur indirekt aus der „Rücksicht auf diejenigen Menschen, denen Tiere am Herzen liegen“, ergeben, (Carruthers 2008 [1992], 86) weder die Common-Sense-Einschätzung einzufangen vermag, wonach Grausamkeit gegenüber Tieren ein Vergehen an den betroffenen Tieren und nicht in erster Linie an Menschen ist, noch solche Tierquälerei verurteilen kann, die mit Sicherheit unentdeckt bleibt (88). Zur Veranschaulichung beschreibt er ein Szenario, in dem eine Astronautin auf einer Mission ohne Rückkehrmöglichkeit nach Abreißen des Kontakts mit der Erde ihre mitgebrachte Katze aus Langeweile als Dartscheibe benutzt (88 f.). Für Carruthers ist die augenscheinliche Unfähigkeit des Kontraktualismus, dieses Verhalten als moralisch falsch zu bewerten, ein erheblicher Makel der Theorie (89) – er hält ihn aber durch die Annahme für behebbar, dass die rationalen Partner des Moralvertrags sich u. a. auch gegenseitig auf die Entwicklung von Tugenden verpflichten würden. Der Fehler der Astronautin, die Dartpfeile auf die Katze wirft, läge demnach in der Aktualisierung eines Lasters – der Grausamkeit (91). Hier zeigt sich eine der Limitationen eines vertragstheoretisch begründeten indirekten Tierschutzes, die für den Vorschlag eines Menschenrechts auf Tierschutz relevant zu sein scheint. Geheim bleibende Grausamkeit gegenüber Tieren scheint durch die spezifisch kontraktualistische Rücksichtnahme auf die Interessen von Menschen zunächst einmal nicht abgedeckt zu sein. Bezüglich Carruthers‘ Hilfskonstruktion stellt sich ein ähnliches Problem, wie Wolf es bei Kants Verrohungsargument ausmacht (s. 1.3.). In jedem Fall ist diese Hilfskonstruktion für das hier zu diskutierende Recht nicht einschlägig, da es hier gerade nicht um die alleinige Grundlage für Tierschutzpflichten, sondern die Prüfung eines ergänzenden Menschenrechts geht.

Die vertragstheoretische Limitation entspricht jedenfalls nicht der Intention eines Menschenrechts auf Tierschutz – und diese Feststellung mag genügen, um die obige Ausdeutung dieses Rechts (im Sinne eines Schutzes vor Wissen um von Tieren erlittene Schädigungen) auszuschließen: Das Interesse, das ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz schützen soll, ist das an der Beachtung von Tierschutzanforderungen – und zwar gerade auch da, wo Menschen selbst diese Beachtung nicht „überwachen“ können. So wie ein Diebstahl, der nie bemerkt wird, trotzdem ein Rechtsbruch ist, kann darum auch eine Tierschutznormverletzung, die nie ein anderer Mensch entdeckt, dem vorliegenden Vorschlag zufolge nicht nur eine Tierschutznormverletzung, sondern zusätzlich eine Verletzung von Rechten anderer Menschen sein. Das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz wäre somit das Recht auf die Befolgung von Tierschutznormen durch andere Menschen.

2.1 Das Problem moralischer Objektivität

Zu klären wäre dann noch die Frage, auf Befolgung welcher Normen Menschen ein Recht haben. Die tatsächlichen Interessen von Menschen am Schutz von Tieren gehen weit auseinander – ihnen entsprechen sehr verschiedene Tierschutznormen. Die einen möchten ein gewisses Maß an Schutz vor bestimmten Graden von Leid gewährt wissen, während sie die Nutzung und damit einhergehende Schädigungen von Tieren grundsätzlich befürworten. Die anderen lehnen etablierte Formen der Tiernutzung gänzlich ab und befürworten die Anerkennung von am Vorbild der Menschenrechte orientierten Tierrechten. Unter denen, die dieses Ziel prinzipiell teilen, gibt es wiederum jene, die sich aus strategischen Gründen für konkrete Neuregelungen der Tiernutzung, solange diese fortdauert, aktiv einsetzen, und jene, die diesen Ansatz für kontraproduktiv halten (vgl. Francione & Garner 2010). Was sind vor diesem Hintergrund die für ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz relevanten Interessen?

Diese Frage nach der Ausgestaltung eines Rechts auf indirekten Tierschutz ist nicht schon mit Verweis auf den menschenrechtlichen Universalismus beantwortet, denn es ist nicht von vornherein klar, inwiefern das fragliche Menschenrecht universalistisch ausgedeutet werden müsste. Falls allen Menschen in Bezug auf die Behandlung, die ihnen selbst geschuldet ist, dieselben (also universell geltenden) Rechte zukommen, wäre dennoch vorstellbar, dass sie alle ein Recht auf indirekten Tierschutz haben, welches also universelle Geltung hat, aber eine partikularistische Ausprägung beinhaltet. Ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz wäre ein Recht von A gegenüber B auf eine Behandlung von C nach dem Standard s. Der relevante Standard s für die Behandlung von Wesen wie C muss nicht zwingend selbst ein allgemeingültiger Standard sein. Denkbar wäre auch, dass er sich z. B. nach den in der Gesellschaft von A und B geteilten Vorstellungen über die moralischen Ansprüche der Tiere (der Cs) richten könnte (diese Rekonstruktion übersieht, wie es üblich ist, die betroffenen Tiere als Inhaber relevanter Vorstellungen). Alle Menschen hätten dann ein Recht auf Einhaltung partikularistischer, nämlich der jeweils in ihrem sozialen Kontext geltenden Tierschutznormen.

(i) Individuelle Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen nichtmenschlicher Tiere

Was wäre, wenn man das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz so verstünde, dass es das Interesse an der Berücksichtigung der moralischen Ansprüche von Tieren schützt, so, wie die individuelle Akteurin (A) diese Ansprüche versteht? Zumindest was die Motivation seiner Überlegungen angeht, schien Leondarakis in ebendiese Richtung zu deuten, wenn er vom Leiden am Fehlen von Normen zum Schutz von Tieren sprach: Unter fehlenden Normen kann man solche verstehen, die nur von der individuellen Akteurin gewünscht werden, aber nicht allgemein (und rechtsverbindlich) anerkannt sind. Ginge man davon aus, dass für den Gehalt eines Menschenrechts auf Tierschutz die eigenen Tierschutzvorstellungen der jeweiligen mit diesem Recht ausgestatteten Akteurin relevant wären, hieße das, mit diesem Menschenrecht nicht bloß den Anspruch der Rechteinhaberin gegenüber anderen Menschen zu verbinden, dass diese sich an etablierte Tierschutzgebote halten, und diese anderen also auf die Einhaltung etablierter Normen zu verpflichten. Stattdessen würde der Rechteinhaberin die Kompetenz zugewiesen, eigene, für Dritte bindende Normen zum Umgang mit Tieren aufzustellen und also andere dieser quasi gesetzgeberischen Kompetenz zu unterwerfen (vgl. Hohfeld 2007 [1913], 61 ff.).

Ein solches Menschenrecht auf Tierschutz wäre recht absonderlich. Eine derartige moralische Kompetenzausstattung gestehen wir Menschen üblicherweise nur in begrenztem Rahmen in bestimmten sozialen Rollen zu (etwa derjenigen der Erziehungsberechtigten, Vorgesetzten oder Eigentümerin). Auf einer ganz allgemeinen Ebene, allen sozialen Rollen vorgelagert, scheint eine solche Zuschreibung eher in einer systematischen Kompetenzüberschreitung zu münden.

Zudem führt diese Interpretation des Menschenrechts auf indirekten Tierschutz unmittelbar in widersprüchliche und widersinnige Situationen: So könnte beispielsweise eine Vertreterin der Position, Tiere dürften unter Einhaltung relativ wenig fordernder Schutzstandards zu verschiedensten Zwecken genutzt und dabei etwa auch getötet werden, gegenüber einer Tierrechtlerin ihr Menschenrecht darauf geltend machen, dass diese Tierrechtlerin Tiere den Vorstellungen der Tiernutzungsbefürworterin gemäß behandelt. Umgekehrt dürfte die Tierrechtlerin der Tiernutzungsbefürworterin ihre Tierrechtsstandards zur Auflage machen. Ohne allzu sehr der Auseinandersetzung mit dem Recht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren im dritten Abschnitt vorzugreifen, kann man sagen, dass diese gegenseitigen „Unterwerfungen“ mit dem Recht auf Gewissensfreiheit kollidieren würden – im Falle der Tierrechtlerin etwa mit dem Privileg, im eigenen Handeln höhere Standards realisieren zu dürfen als die derzeit allgemein akzeptierten Mindestanforderungen.

Die Relativität, die sich aus der Orientierung an den jeweils eigenen Tierschutzvorstellungen der beteiligten Akteure ergibt, würde auch dazu führen, dass sich jede Akteurin, die die Menschenrechte anderer achten will, einer Menge inkongruenter Pflichten gegenübersieht, die jeweils den Rechten verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen von den Schutzansprüchen der Tiere entsprechen. Zwar wäre es denkbar, eine solche Situation jeweils mit der Rücksichtnahme auf die weitreichendste Forderung aufzulösen. Aber damit würde eben das Ziel verfehlt, jeweils den der individuellen Akteurin eigenen Vorstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Außerdem würde sich die Frage stellen, warum die weitreichendste Position zwar aus Rücksicht auf ihre Vertreterin handlungsleitend werden sollte, aber gleichzeitig nicht als Grundlegung der moralischen Ansprüche von Tieren allgemeine Anerkennung verdient. Die Idee, auch das Zuwiderhandeln gegen bloß gewünschte, aber im geteilten Normensystem fehlende Normen könnte als Menschenrechtsverletzung verstanden werden, scheint nicht tragfähig zu sein.

(ii) Moralische Ansprüche nichtmenschlicher Tiere gemäß der politisch dominanten Vorstellung

Entscheidend für die Ausdeutung eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz könnte einem zweiten Vorschlag zufolge die politisch dominante Auffassung von moralischen Ansprüchen nichtmenschlicher Tiere sein, wie sie sich in rechtlich bindenden Tierschutznormen ausdrückt. Ein solches Menschenrecht hätte also nicht das Potential, bestehenden Verpflichtungen gegenüber Tieren zusätzliche oder weiterreichende Erfordernisse hinzuzufügen. Seine Verletzung wäre immer nur die Kehrseite einer Missachtung von unabhängig davon bestehenden Tierschutzerfordernissen.

Allerdings bleiben in dieser Fassung des Menschenrechts auf Tierschutz die Probleme der Relativität erhalten. Erstens ergibt sich spätestens für globale Handlungszusammenhänge (wie im Fall der hier beispielhaft erwähnten Tiertransporte über den Rechtsraum der EU hinaus) das Problem der divergierenden Standards erneut. Wo es keine anerkannten gemeinsamen Standards mehr gibt, mündet die Orientierung an einem kleinsten gemeinsamen Nenner in ein „race to the bottom“, bei dem ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz völlig ausgehöhlt würde.

Zweitens: Die Rede von Normen, die „fehlen“, als Ausdruck einer akteurrelativen Bewertung zu lesen, wie in (i) geschehen, ist vielleicht von vornherein irrig. Womöglich deutet die Rede von fehlenden Normen auf die Vorstellung von der Korrekturbedürftigkeit aktuell akzeptierter Normensysteme hin – einer Korrekturbedürftigkeit, die sich von einem objektiv(er)en Standpunkt aus zeigt. Zumindest bringt die Tierrechtlerin, die ein Tötungsverbot als fehlende, eigentlich Akzeptanz verdienende Tierschutznorm sieht, dem eigenen Anspruch nach wohl nicht zum Ausdruck, dass sie die Akzeptanz dieser Norm schlicht bevorzugen würde, sondern sie möchte das bestehende Normensystem als korrekturbedürftig kritisieren. Akzeptierte moralische Normen als fallibel und korrekturbedürftig anzusehen, bedeutet, einen objektiven Maßstab anzunehmen, aufgrund dessen ein alternatives Normensystem als bevorzugungswert erwiesen werden kann (vgl. Prinz 2007, 289 f.). Man kann bezüglich des metaphysischen Status eines solchen objektiven Maßstabs agnostisch bleiben und dennoch anerkennen, dass unsere moralischen Diskurse ihn üblicherweise implizieren (vgl. Erdur 2016).

Geht man davon aus, dass für die inhaltliche Ausdeutung eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz die jeweils faktisch mehrheitlich akzeptierten oder politisch dominanten Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen der Tiere relevant sind, fehlt ein solcher objektiver Standard. Man braucht aber keine Gedankenexperimente anzustellen, um sich offensichtlich erscheinenden Korrekturbedarf an politisch dominanten Tierschutznormensystemen vor Augen zu führen. Diese Situation ist schon deshalb nicht verwunderlich, weil es eine wesentliche Intention beim Erlass von Tierschutzgesetzen sein kann, ein Instrument der Rechts- und Investitionssicherheit für Tiernutzer, und nicht in erster Linie Schutz für Tiere zu erreichen (vgl. von Gall 2016, 59, 66). Es erscheint wünschenswert, dass ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz nicht durch augenblicklich politisch dominante Standards limitiert ist, die von menschlichen Eigeninteressen verzerrt und von moralischen Fehleinschätzungen beeinträchtigt sind. Wenn eine Gesellschaft ihre Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen der Tiere ändert, möchten wir womöglich sagen können, dass das frühere Normensystem nicht nur den Tieren nicht gerecht wurde, sondern auch das Menschenrecht auf den Schutz von Tieren verletzt hat – nicht nur gemessen an augenblicklich akzeptierten Standards, sondern gemessen an Standards, die auch damals schon hätten akzeptiert sein sollen. Das deutet darauf hin, dass es bei einem solchen Menschenrecht um das Interesse an den moralischen Erfordernissen gegenüber Tieren in einem objektiv(er)en Sinn geht.

Gerade inhaltlich angereicherte Formulierungen des Menschenrechts auf Tierschutz, die spezifische schützenswerte Güter der Tiere in das Recht einschreiben, können sich unter Umständen plötzlich als korrekturbedürftig darstellen. Auf spezifische Güter bezieht sich etwa Leondarakis, der die Bewahrung von Leben und Unversehrtheit nennt, allerdings mit ausdeutungsbedürftigen Einschränkungen („vernünftig“). Ein Problem dieser Vorgehensweise ist, dass die gewählten Güter (Leben, Unversehrtheit) womöglich nur einen Ausschnitt dessen darstellen, was für das Wohlergehen der Tiere relevant ist. Gegenwärtige politische Tierrechtstheorien gehen z. B. deutlich über die von Leondarakis genannten Güter hinaus, wenn sie etwa ein Recht auf politische Repräsentation und Partizipation fordern (vgl. z. B. Donaldson & Kymlicka 2011). Ein Menschenrecht, das auf solche Festlegungen verzichtet – und beispielsweise nur vom Recht auf Behandlung der Tiere gemäß ihren moralischen Ansprüchen spräche –, ließe allerdings auch Interpretationen zu, die die genannten Schutzziele unterbieten, gerade weil es anpassungsfähiger an sich wandelnde Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen der Tiere wäre.

(iii) Moralische Ansprüche nichtmenschlicher Tiere, objektiv verstanden

Vorrangig erstrebenswert ist die Sicherstellung der Befolgung ebenderjenigen Tierschutznormen, die selbst wert sind, befolgt zu werden – nicht einfach nur solcher, die sich eine Gesellschaft G zum Zeitpunkt t eben gegeben hat. Menschen, die ernsthaft an der angemessenen moralischen Berücksichtigung von Tieren interessiert sind, sollten auch ihre eigene Fehlbarkeit in Bezug darauf, was diese Berücksichtigung erfordert, im Blick haben und in ihre tatsächlichen Tierschutzinteressen das Interesse daran integrieren, dass Tiere gemäß ihrer „tatsächlichen“ moralischen Ansprüche behandelt werden. Selbst wenn dies keine verbreitete Variante von Tierschutzinteressen sein sollte, könnte man sie als die für ein Menschenrecht auf Tierschutz relevante, weil am meisten schützenswerte, auswählen. Dies ist die dritte Option zur Bestimmung eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz. Es wäre dann das Recht auf die Erfüllung der moralischen Ansprüche von Tieren in Ansehung des schützenswerten menschlichen Interesses daran, dass Tiere gemäß ihren moralischen Ansprüchen behandelt werden.

Wie problematisch wäre es nun, angesichts eines interessebasierten Menschenrechtsbegriffs (vgl. 1.1.), falls dieses Interesse nur von wenigen Menschen tatsächlich geteilt würde? Selbst wenn es moralische Akteure gibt, die in Unkenntnis der objektiv bestehenden moralischen Ansprüche der Tiere tatsächlich ein abstraktes Interesse daran hegen, dass Tiere diesen Ansprüchen (welche auch immer das sein mögen) gemäß behandelt werden, könnte sich das Problem auftun, dass auch diese Akteure, sobald sie Einsicht in diese moralischen Ansprüche haben, kein angemessenes Interesse an ihrer Beachtung ausbilden. Der objektive Schutzanspruch der Tiere könnte nämlich viel fordernder sein als es sich die progressivsten Tierrechtstheoretiker derzeit träumen lassen. Dann besteht die Möglichkeit, dass nie ein Mensch de facto ein Interesse an der Beachtung jener Ansprüche von Tieren ausbildet, die er ihnen eigentlich zusprechen müsste. Es könnte also ein Menschenrecht auf die Verwirklichung von Erfordernissen der Interspeziesgerechtigkeit geben, an der keine Rechteinhaberin interessiert ist und an deren Missachtung somit auch schwerlich eine Rechteinhaberin leiden kann. Für die Einzelne ergibt sich dieses Problem bereits, wenn wie in (ii) die politisch dominante Vorstellung von den Ansprüchen der Tiere als relevant für das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz ausgewählt wird. Denn Einzelne können Ideen von der Schutzwürdigkeit der Tiere hegen, die auch schon diese kollektive Vorstellung unterbieten.

Diese Situation wäre allerdings im Kontext der Menschenrechte zumindest nicht völlig ungewöhnlich. Menschenrechte enthalten verschiedene materiale Annahmen über schützenswerte Güter, die als konstitutiv oder auf andere Weise relevant für das insgesamt zu schützende Wohl des Menschen angesehen werden. Sie sind in diesem Sinne einem Objektivismus bezüglich des menschlichen Wohls verpflichtet. Gegenüber subjektivistischen Theorien, die auf Lustempfinden oder Präferenzen rekurrieren, macht dieser Ansatz es gerade als Vorteil geltend, für die Bemessung menschlichen Wohls nicht auf sogenannte adaptive Präferenzen Rücksicht nehmen zu müssen (vgl. Nussbaum 2006, 73, 283). Präferenzen sind in einer problematischen Weise adaptiv, wenn sie an Einschränkungen von Möglichkeiten angepasst sind, die intuitiv ungerecht erscheinen. Ein einschlägiges Beispiel ist die Akzeptanz häuslicher Gewalt durch die Opfer (vgl. Nussbaum 2001, 68). Mit dem wohltheoretischen Objektivismus der Menschenrechte kann man diese Anpassungen selbst als Symptom von Rechteverletzungen einordnen (Nussbaum 2001, 69). Die dahinterstehende Annahme ist, dass Menschen eigentlich ein Interesse an dem jeweiligen Gut (körperliche Integrität) haben sollten bzw. es in einem objektiven Sinne haben (insofern das Gut für ihr objektiv bestimmbares Wohl relevant ist), auch wenn sie unter widrigen Umständen die entsprechende Präferenz tatsächlich abgelegt haben.

Im Fall des Menschenrechts auf Tierschutz haben wir es nun mit einem grundsätzlich anders orientierten Schutzziel zu tun. Als auf die Interessen Dritter (der Tiere) gerichtetes moralisches Interesse ist es verschieden von den auf das individuelle Wohl gerichteten, prudentiellen Interessen des Menschenrechtsinhabers. Es kann mit diesen grundsätzlich immer auch in Konflikt geraten. Wenn ein solcher Konflikt in der Praxis dazu führt, dass das betreffende moralische Interesse de facto nicht ausgebildet wird, könnte man aber mit einem ähnlichen Objektivismus wie im Fall des menschlichen Wohls reagieren. Man würde dann sagen, dass es für Menschen qua moralischen Akteuren eigentlich richtig wäre, das fragliche moralische Interesse (an der Berücksichtigung der Tiere) zu haben, und das Fehlen dieses Interesses als adaptive Immoralität auffassen. Ein menschenrechtlicher Objektivismus in Bezug auf das moralische Schutzziel eines Rechts auf indirekten Tierschutz würde in der Konsequenz davon ausgehen, dass dieses Menschenrecht auch durch Behandlungen von Tieren verletzt werden kann, an deren Unterlassung die individuelle Rechteinhaberin kein tatsächliches Interesse hegt. In der Praxis hieße das auch, Menschen, die im Handeln gegenüber Tieren ihre moralische Pflichten selbst nicht erfüllen, zuzugestehen, dass sie durch den ihren ähnliche Verfehlungen Dritter gegenüber Tieren in ihrem Menschenrecht auf indirekten Tierschutz verletzt werden.

Diese eigenartige Konsequenz regt zu der Überlegung an, ob man von mutmaßlichen Menschenrechten, die moralische Interessen schützen, eventuell im Unterschied zu anderen Menschenrechten annehmen sollte, dass sie durch relevantes eigenes moralisches Versagen verwirkt werden können. Auch tut sich noch die Frage auf, ob das hier erwogene Menschenrecht – qua Menschenrecht – auch jenen Menschen zukäme, die selbst nicht moralische Akteure sind. Beide Fragen sollen hier ausgeklammert werden.

Insgesamt wäre das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz prinzipiell offen für eine Lesart, die sich bezüglich der moralischen Ansprüche von Tieren auf einen objektiven Standard verpflichtet. Wird es allerdings in positives Recht überführt, also in einen gegebenen Rechtsraum eingepasst, würde dieser Gehalt mutmaßlich preisgegeben. An die Stelle eines objektiven moralischen Maßstabs würde geltendes Tierschutzrecht treten. So würde aus dem Recht darauf, dass Tiere ihren tatsächlichen moralischen Ansprüchen gemäß behandelt werden, in der Praxis das Minimalrecht darauf, dass Menschen andere Tiere gemäß des gerade geltenden Rechts behandeln. Dieses Recht würde also unabhängig festgeschriebenen Erfordernissen nichts hinzufügen. In diesem Sinne würde aus der Anerkennung eines Menschenrechts auf Tierschutz folgen: Die Beachtung der moralischen Ansprüche von Tieren ist immer auch die Achtung der Rechte von Menschen, die als moralische Akteure Interesse an der Verwirklichung von Tierschutz haben. Ein möglicher instrumenteller Mehrwert eines Menschenrechts auf Tierschutz in dieser Variante könnte immerhin noch darin bestehen, eine Auffangmotivation für Dritte zu bieten, die zur Achtung tierlicher Ansprüche nicht genuin motiviert sind.

2.2 Vorzug eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz

Das mögliche Verdienst eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz bestünde darin, die Tatsache zu würdigen, das Wissen um die Verletzung der Interessen von Tieren (oder auch nur die begründete Vermutung) für Menschen gravierendes Leid- und Schadenspotential hat. Auch bringt es eine Idee vom guten Leben zum Ausdruck, zu der das moralisch gute Leben dazugehört. In diesem Sinne bietet es eine beachtenswerte Ergänzung der Liste schützenswerter Gütern, die sich aus dem Katalog der Menschenrechte herauslesen lässt. Solche Listen müssen aber aus Plausibilitätsgründen immer auch tatsächliche Bedürfnisse einfangen. Daher ist es wichtig, sich zu fragen, welches das tatsächliche Leidenspotential für Menschen ist, das in der Verletzung der Interessen von Tieren liegt.

In erster Instanz ist tierliches Leid für Menschen ein Anlass für Mitleid. Weil dieses Leid als nicht zu rechtfertigen und menschenverschuldet wahrgenommen wird, ist es mit Ungerechtigkeitsempfinden und damit einhergehenden Zuständen wie Empörung, Zorn und Frustration verbunden. Während es in einem instrumentellen Sinne gut ist, dass Menschen auf diese Weise reagieren, wenn jemand leidet und Ungerechtigkeit erfährt, haben sowohl dieses Leid und diese Ungerechtigkeit als auch das Erleben dieser Reaktionen negativen intrinsischen Wert. Entsprechend können sie auch mit weitergehenden Schädigungen einhergehen. Das u. a. mit Bezug auf Gesundheitsberufe diskutierte Konzept der Compassion Fatigue ist womöglich in systematischer Hinsicht korrekturbedürftig (Sinclair et al. 2017), mag aber als besonders sprechender Hinweis auf mögliche Schäden aus der wiederkehrenden Konfrontation mit Leid wahrgenommen werden. Prinzipiell sind diejenigen, die mit Leid von Tieren – zumal solchem, dass sie als menschenverschuldet einordnen – konfrontiert sind, gefährdet, eine sekundäre Traumatisierung zu erleben.

In zweiter Instanz erleiden diejenigen, die menschenverursachtes Leid von Tieren als moralisches Problem wahrnehmen, auch Schädigungen durch die Reaktion anderer auf ihr moralisches Urteil – bzw. durch ausbleibende Reaktionen. Sie erleben beispielsweise, dass der Staat angesichts der Missachtung bestehender Tierschutznormen ein massives Vollzugsdefizit aufrechterhält. Dieser Befund ließe sich durch unzählige Fakten untermauern, hier kann nur rein exemplarisch auf einige Umstände hingewiesen werden – etwa den, dass Halter landwirtschaftlich genutzter Tiere im bundesdeutschen Durchschnitt nur alle 17 Jahre mit einer veterinärbehördlichen Kontrolle zu rechnen haben (Deutscher Bundestag, Drucksache 19/3195). Das ist ein Zeitraum, in dem rechnerisch z. B. durch einen Hühnermastbetrieb, der pro Mast die Durchschnittszahl von 24.000 Vögeln hält (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 20/792), wenn er lediglich sieben „Mastdurchgänge“ pro Jahr hätte, rund drei Millionen Tiere gehen würden (wobei die meisten Betriebe mehr als doppelt so viele Hühner pro Mast halten – vgl. Deutscher Tierschutzbund 2022 – und bei üblichen Mastdauern mehr „Durchgänge“ pro Jahr möglich sind). Die juristischen Folgen entdeckter Verstöße in der Tiere haltenden Landwirtschaft lassen Jens Buelte von der „faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“ sprechen (Buelte 2018). Überhaupt machen diejenigen, die in Deutschland für Verstöße gegen das Tierschutzgesetz verurteilt werden, nur einen relativ geringen Anteil an den verurteilten Straftätern aus, im Jahr 2020 etwa lag er bei 1 % (Statistisches Bundesamt 2021). Angesichts der umfänglichen Durchdringung der Lebenswelten von Menschen und anderen Tieren, den vielfältigen menschlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Tiere und der Art der tatsächlichen Verfügung über Tiere erscheint das eine extrem geringe Quote strafwürdiger Vergehen gegen Tiere zu sein. Von einem Großteil privat gehaltener Tiere wissen die zuständigen Behörden nicht einmal, dass es sie gibt, da Halter von Tieren vieler Arten keinerlei Registrierungspflichten unterliegen. Menschen, denen diese Umstände klar sind, leiden auch an dem Wissen darum, dass Tiere praktisch völliger Schutzlosigkeit ausgeliefert sind. Sie erleben Hilflosigkeit, wo eigene Versuche, für die Einhaltung bestehender Normen einzutreten, an Widerstand oder bloß mangelnder Mitwirkung Dritter scheitern, und sie erleben Hilflosigkeit in Anbetracht eines belegbaren gesamtgesellschaftlichen Versagens.

Die umfassende Abwertung der Probleme im Verhalten gegenüber Tieren zeigt sich auch in der Bemessung des Strafmaßes für Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Für diese liegt die Höchststrafe bei derzeit drei Jahren Freiheitsstrafe (§17 TierSchG), allerdings wird ein Großteil möglicher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, inklusive der vorsätzlichen Zufügung erheblicher Schmerzen, Leiden oder Schäden, dem Bereich der Ordnungswidrigkeiten zugeordnet (§18 TierSchG). Sanktionen von Ordnungswidrigkeiten fehlt das, was Joel Feinberg die symbolische Signifikanz von Strafen nennt – sie drücken kaum Empörung, Ablehnung oder Verurteilung gegenüber der geahndeten Tat aus (Feinberg 1965, 98). Bußgelder, die als Reaktionen auf Ordnungswidrigkeiten verhängt werden, könnte man sogar als bloße „Kaufpreise“ für das sanktionierte Verhalten interpretieren (Hallich 2021, 67). Es ist, wie Oliver Hallich zeigt, sogar möglich, eine Handlung, die mit einer solchen Reaktion geahndet wird, überhaupt nicht als Normbruch aufzufassen. Man kann sich stattdessen eine Ordnungswidrigkeit – wie etwa das Falschparken – als eine Auswahl angesichts einer disjunktiven Vorschrift vorstellen: „Unterlasse H oder tue H und nimm dann die Sanktion S in Kauf!“ (Hallich 2021, 67). Im Fall des Tierschutzgesetzes würde dann die Einordnung von Verstößen als bloße Ordnungswidrigkeit zu der – quasi insgeheim geltenden – Norm führen: „Füge Tieren nicht vorsätzlich Schmerzen, Leiden oder Schäden zu – oder füge Tieren vorsätzlich Schmerzen, Leiden oder Schäden zu und akzeptiere dann ein Bußgeld.“ Ob man sich dieser Interpretation von Ordnungswidrigkeiten nun anschließen mag oder nicht – sie verdeutlicht jedenfalls, in welche Richtung die Tierschutzgesetzgebung weist, wenn es um die Frage geht, wie wichtig der Schutz von Tieren genommen wird.

Die Abwertung der Tiere und menschlicher Sorge um sie manifestiert sich auch in einer konsequenten Nicht-Thematisierung. Berücksichtigt man, auf welche umfassende Weise Menschen alltäglich in die Behandlung von Tieren involviert sind (durch ihr Konsumverhalten, durch ihre Teilhabe an politischen Strukturen, die diese Behandlung aufrechterhalten, in Beruf und Privatleben), erscheinen Tiere, ihre Nutzung und Vergehen gegen sie in der Öffentlichkeit insgesamt massiv unterrepräsentiert zu sein.

Was Menschen erleben, die die moralischen Ansprüche der Tiere und den Wortlaut einschlägiger Gesetze ernstnehmen, könnte man als ein gesamtgesellschaftliches Gaslighting bezeichnen. Auf unterschiedlichste Weisen senden ihnen Staat, Gesellschaft und Individuen das Signal, dass Verletzungen der Interessen von Tieren nichtig und ihre Sorgen darum irregeleitet sind. Sie werden so Opfer dessen, was Oscar Horta eine Diskriminierung zweiter Stufe nennt: einer ungerechtfertigten nachteiligen Behandlung derjenigen, die sich gegen die ungerechtfertigte nachteilige Behandlung anderer stellen (Horta 2018). Ein Menschenrecht auf indirekten Tierschutz wäre dazu angetan, dem entgegenzuwirken.

2.3 Einwände

Dennoch bringt die Idee eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz Probleme mit sich. Mindestens drei Einwände lassen sich gegen ein solches Recht vorbringen. Den Bedenken aus Sicht eines menschenrechtlichen Minimalismus (1) und der Beschwerde über einen unangemessenen Anthropozentrismus (2) kann die Verteidigerin eines Menschenrechts auf Tierschutz dabei noch mehr oder weniger überzeugend entgegentreten. Größere Schwierigkeiten macht ein Dammbruchargument (3), das auf die Potenzierung von Rechteverletzung durch die Anerkennung mittelbarer Schäden hinweist.

Zu (1): Grundsätzlich wird man aus einer bestimmten Sicht auf den Sinn der Menschenrechte heraus gegen ein Menschenrecht „Tierschutz“ einwenden, dass es deren Rahmen sprengt: Je mehr man einer minimalistischen Sicht auf die Inhalte der Menschenrechte zuneigt, wonach diese Rechte nur einen Kern allerdringlichster Angelegenheiten und nicht alle moralischen Ansprüche von Menschen betreffen (Rawls 2002 [1999], 96), mag man meinen, dass ein Menschenrecht auf Tierschutz schlicht zu viel fordert. Doch auch wer nicht generell einen menschenrechtlichen Minimalismus vertritt, mag glauben, dass mit dem Menschenrecht auf Tierschutz eine Grenze überschritten ist. Es scheint nämlich mehr zu fordern als Menschenrechte für das Zusammenleben unter Menschen zu verwirklichen versuchen. Immerhin gibt es kein Menschenrecht auf eine gerechte Welt. Genau so etwas scheint aber das Menschenrecht Tierschutz zu fordern: es erhebt Anspruch auf eine Utopie – selbst wenn es nur die Utopie der allgemeinen Konformität mit jeweils gerade anerkannten Normen ist.

Außer einer grundsätzlichen Opposition gegen minimalistische Bestrebungen in der Ausgestaltung der Menschenrechte kann man diesem Einwand folgende Überlegungen entgegenhalten: Mindestens unter den Menschenrechten der sogenannten dritten Generation, insbesondere etwa dem Recht auf Frieden, gibt es bereits solche mit der Tendenz, die Ansprüche des Individuums weit in die Sphäre der Interaktionen unter Dritten hinein auszuweiten. Es geht nicht nur darum, um das Individuum eine Mikrozone der Sicherung seines Wohls zu errichten, sondern es in insgesamt gedeihliche gesellschaftliche Zustände einzubetten. Zudem sind die Menschenrechte, etwa in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, selbst als Ideal formuliert (UN-Generalversammlung A/RES/3/217 A, Präambel). Wären sie allgemein anerkannt, liefe das auf die Realisierung der gleichen Utopie (einer gerechten Welt) hinaus. Insofern zeigt sich in einem Menschenrecht auf Tierschutz kein radikal utopischerer Anspruch als in etablierten Ideen von Menschenrechten.

Zu (2): Es mag bemängelt werden, dass die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf den durch Verstöße gegen Tierschutznormen nur mittelbar geschädigten Menschen eine fragwürdige Umleitung des moralischen Interesses darstellt. Das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz mutet in dieser Hinsicht geradezu paradox an. Indem es das Interesse an der Einhaltung von Tierschutznormen ernstnimmt, wertet es diese auf, bleibt aber gleichzeitig völlig der Rückwirkung auf die moralischen Akteure, die dieses moralische Interesse als das ihre annehmen, verpflichtet. Der Vorschlag dieses Menschenrechts fordert um Tiere besorgte Menschen geradezu auf, die von den primären Opfern erlittenen Schäden im Licht der Auswirkungen auf sich selbst neu zu betrachten. Damit weist es nicht dieselbe Fokussierung auf die moralische „Eitelkeit“ des menschlichen Akteurs auf, wie sie sich im Fall des Befriedungsrechts abzeichnete (s. Abschnitt 1.2.), aber doch eine Reorientierung der ethischen Bewertung, die von den primären Zielen der eigentlich zentralen Tierschutznormen weg weist. Damit geht einher, dass dasjenige tierschutznorm-konforme Handeln, das sich aus der Rücksichtnahme auf das vorgeschlagene Menschenrecht ergibt, einen ethischen Anthropozentrismus fortschreibt, der dem Sinn der zugrundeliegenden Tierschutznormen gerade nicht gerecht wird.

Dem ist eine Erinnerung daran entgegenzuhalten, dass der instrumentelle Mehrwert des hier vorgeschlagenen Menschenrechts nur darin gesehen wurde, eine Auffangmotivation für diejenigen bereitzustellen, die durch die Gründe, die für Tierschutznormen sprechen, selbst nicht hinreichend zu Normkonformität motiviert sind. Wenn die Alternative darin besteht, dass tierliche Ansprüche verletzt werden, kann man es als bevorzugenswerte Variante anthropozentrischen Handelns ansehen, dass diese Ansprüche wenigstens aus Respekt vor menschlichen Interessen erfüllt werden.

Das vorgeschlagene Menschenrecht enthält tatsächlich die Aufforderung zu einer gewissen moralischen Selbstbezüglichkeit. Allerdings ist diese Aufforderung nicht offensichtlich unangebracht. Auch mittelbare Schäden, welche Menschen aufgrund der Verstöße gegen Tierschutznormen erleiden, sind als Folgen für moralisch berücksichtigungswürdige Individuen (Menschen) moralisch relevant. Sie können sehr gravierend sein und je nach Lage des Falls sogar den unmittelbaren Schaden, den das primäre Opfer erleidet, übersteigen. Insofern ist die Berücksichtigung dieser Schäden nicht per se unangemessen. Vielmehr ist sie für eine umfassende ethische Würdigung schlicht erforderlich. Das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz ist Ausdruck dieses Erfordernisses. Dabei kann man trotzdem anerkennen, dass das primäre Übel jeder Tierschutznorm-Verletzung der Schaden ist, den das betroffene Tier erleidet.

Zu (3): Man kann allerdings gegen die Einbeziehung der sekundären Schäden an Menschen als separate Rechteverletzungen einen anderen Einwand, in Form eines Dammbrucharguments, vorbringen: Eine solche Einbeziehung scheint eine Kaskade von Rechteverletzungen in Gang zu setzen. Erkennt man die Missachtung der Ansprüche der Cs (der Tiere) durch B als Missachtung der Rechte von A (des Menschen) an, ist zumindest nicht offensichtlich, warum nicht auch die Schäden an einer vierten Partei, D, welche am Wohl von A interessiert ist, mit in die Schadensbilanz eingehen sollten. Solche Schäden mögen durchaus existieren, aber man kann mindestens aus pragmatischen Gründen daran zweifeln, dass das positive Recht sie als Rechteverletzungen anerkennen sollte. Die Verweigerung dieser Anerkennung ist zumindest im deutschen Recht angelegt, das Schadensersatzansprüche bis auf Ausnahmen auf direkt Geschädigte beschränkt, um eine „Ausuferung der Haftung und eine unangemessene Verpflichtung des Schädigers“ zu vermeiden (Fuchs 2009, 179).

Der mutmaßlich katastrophale Effekt des Dammbruchs träte im Fall eines Menschenrechts auf indirekten Tierschutz unmittelbar, und nicht erst auf einer bestimmten späteren Stufe der Rechteverletzungskaskade ein. Denn qua Menschenrecht würde es alle Menschen als potentiell Geschädigte jeder Verletzung einer Tierschutznorm anerkennen. Das bedeutet: auf jedes direkt geschädigte Tier kämen acht Milliarden potentiell mittelbar geschädigte Menschen. Wenn das Menschenrecht in das positive Recht eines bestimmten Rechtsraums überführt und damit zur Gültigkeit gebracht ist, entfielen auf jede Schädigung eines Tieres immer noch alle dem jeweiligen Rechtsraum angehörenden Menschen als mittelbar Geschädigte. Weil ein Menschenrecht auf Tierschutz anzuerkennen bedeutet, Menschen als mittelbar Geschädigte jeder normverletzenden Schädigung eines Tieres anzuerkennen, führt diese Anerkennung zur Potenzierung der Ansprüche und somit zur Potenzierung möglicher Rechteverletzungen.

Bei alldem ist, wie im gesamten vorliegenden Artikel mit seinem Fokus auf bereits vorliegende Vorschläge zu einem Menschenrecht auf Tierschutz, noch gar nicht in Betracht gezogen, dass auch andere als menschliche Tiere an Schädigungen Dritter (mit-)leiden könnten. Falls nichtmenschliche Tiere auf diese Weise auch einen Schaden nehmen können, den wir – je nach Vorannahmen über den Kern der Moralfähigkeit – als moralischen kennzeichnen würden, und insofern sie selbst Träger eines Rechts auf den Schutz Dritter sein können, wäre das Menschenrecht auf Tierschutz also gar kein reines Menschen-, sondern ein allgemeineres Tierrecht (nämlich das Recht eines jeden Tieres mit moralischen Interessen auf die moralisch gute Behandlung Dritter). Das würde die Schadensbilanz um ein Vielfaches verschärfen.

Das Dammbruchproblem und der Umgang damit im Fall von intra-menschlichen Angelegenheiten deuten darauf hin, dass das Menschenrecht auf indirekten Tierschutz schlicht den Rahmen jener Interessen sprengt, die Anspruch auf rechtliche Verankerung haben. Wenn es ein moralisches Recht auf indirekten Tierschutz gibt, scheint es ein Kandidat für ein moralisches Recht zu sein, welches nicht in positives Recht überführt werden sollte.

3 Zum Menschenrecht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren

Unabhängig von den hier diskutierten Problemen kann ein Menschenrecht auf Tierschutz, wie in 1.3. gezeigt, ohnehin als ein grundlegend anderes Recht verstanden werden: nämlich darauf, nicht selbst in die Verletzung der Interessen von Tieren involviert zu werden. Positiv gewendet könnte man es als das Recht darauf charakterisieren, moralisch intakte Beziehungen zu Tieren zu haben. Im Bereich des positiven Rechts war uns ein solcher Anspruch ansatzweise in Gestalt des Befriedungsrechts begegnet (1.2.). Im Kontext philosophischer Gerechtigkeitstheorien wurden bereits der Ansatz von Nussbaum zu einem Recht auf anteilnehmendes Zusammenleben mit Tieren und Boyers, Scottons und Waynes Vorschlag für ein Recht auf Schutz vor Mittäterschaft in Bezug auf Ungerechtigkeit gegen Tiere angesprochen. In diesem Abschnitt soll in Auseinandersetzung mit letzterem Vorschlag eine Interpretation des Rechts auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren entwickelt und kritisch diskutiert werden.

3.1 Mehr als Gewissensfreiheit?

Es liegt nahe, ein Menschenrecht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren vorrangig als Variation des Rechts auf Gewissensfreiheit zu verstehen, also des Rechts darauf, moralische Urteile über Handlungsoptionen autonom fällen und nach ihnen handeln zu können. Diese Interpretation aber wehren zumindest Boyer, Scotton und Wayne dezidiert ab. Wie bereits in Abschnitt 1.3. erläutert, wenden sie sich gegen eine Sichtweise, die etwa die Annahme einer veganen Lebensweise als individuelle Lebensführungsentscheidung einordnet. Der Logik der Gewissensfreiheit soll das von ihnen vorgeschlagene Recht gerade nicht folgen:

The right we propose is a foundationally moral one, which should apply to all citizens, regardless of whether their notion of the good involves a „faith“ to veganism. The wrongdoing of the state with which we are concerned consists not in discrimination against equally legitimate notions of the good that are foundational to individuals’ characters, but rather in the failure to correct a state of affairs that makes it nearly impossible for citizens to avoid complicity in systematic harm. To place the burden of responsibility on individuals to opt out of a fundamentally unjust set of circumstances […] obfuscates the core problem of the virtual inescapability of ongoing complicity with nonhuman animal exploitation. (Boyer et al. 2016, 174)

Zwei Aspekte dieser Schwerpunktsetzung müssen hier genauer betrachtet werden. Erstens setzt die Idee eines Rechts auf Schutz vor Mittäterschaft voraus, dass es eine Tat gibt, also eine moralische Verfehlung. Diese besteht hier in der Gesamtheit derjenigen Ungerechtigkeiten gegenüber nichtmenschlichen Tieren, an denen die Einzelne als Bürgerin und Konsumentin Anteil hat und deren Fortbestehen vom Staat mitverschuldet ist (vgl. 166). Als Haupt- und Mittäter kommen für einzelne Taten gegenüber Tieren jeweils verschiedene Individuen, Organisationen und auch staatliche Institutionen infrage. Der Staat macht sich gegenüber Tieren durch seine mindestens ermöglichende Rolle für das Fortbestehen ihrer Ausbeutung, gegenüber menschlichen Bürgern durch die Begrenzung ihrer moralischen Handlungsmacht schuldig:

complicity in the brutal and omnipresent system of nonhuman animal exploitation is, to a large extent, unavoidable […]. Individuals who do wish, or who would wish, given better access to information about this system, to resist and reject complicity have their moral and political integrity and agency systematically compromised […]. That is, their abilities to live morally well are deeply and unacceptably undermined; their moral right to not be perpetrators is violated, again and again, by the authoritative institutions that propel this exploitation, in large part through the cultivation of citizens’ ignorance (166).

Das Vergehen an den Bürgern – ihre Täuschung und die Beschneidung ihrer Handlungsfähigkeit – ist also Mittel zum Zweck bzw. begünstigende Bedingung für die Fortsetzung der Ausbeutung von Tieren. Dennoch ist das Unrecht gegenüber Tieren logisch vorrangig und wird praktisch auch vorrangig durch andere Mittel verwirklicht. Dass Tiere ausgebeutet werden, ist Voraussetzung dafür, dass Menschen in Mittäterschaft an dieser Ausbeutung verwickelt werden. Was für die Autoren ausdrücklich keine Voraussetzung dafür ist, dass in dieser Situation eine Menschenrechtsverletzung vorliegt, ist, dass der betroffene Mensch Einsicht in die moralische Falschheit der Behandlung der Tiere und seiner eigenen Behandlung hat. Er muss die Behandlung der Tiere nicht selbst als ausbeuterisch beurteilen. Das Recht auf den Schutz vor Mittäterschaft kommt allen Bürgern zu – „regardless of whether their notion of the good involves a ‚faith‘ to veganism“ (174). Erkennbar wird hier auf einen objektiven moralischen Standpunkt rekurriert, von dem aus der Umgang mit nichtmenschlichen Tieren wie auch mit menschlichen Bürgern für falsch erklärt werden kann. Die einzelne Bürgerin muss das Verhalten gegenüber Tieren, an dem sie Anteil hat, gar nicht falsch finden, damit man von ihr sagen kann, dass sie in ihrem Menschenrecht (hier überführt in ein Bürgerrecht) auf Schutz vor Mittäterschaft verletzt ist. Sie muss also keine Einsicht in ihre Mittäterschaft haben und unter ihr nicht leiden.

Dass es auch gar nicht um die subjektive Bewertung der Behandlungen von Tieren durch die betroffene Bürgerin gehen kann, liegt daran, dass das vorgeschlagene Menschenrecht eben die Errichtung von Hindernissen für diese subjektive Bewertung anklagt. Es beansprucht, gerade nicht die Ausübung von Gewissensfreiheit in den Blick zu nehmen, weil diese Perspektive gewissermaßen zu spät und an der falschen Stelle – beim bereits geschädigten Individuum – ansetzt. Es geht eher um die Bedingungen der Möglichkeit von Gewissensfreiheit. Diese Perspektive wird aber verknüpft mit einer materialen normativen Annahme – von der tiefgreifenden Ungerechtigkeit des tatsächlichen Umgangs mit nichtmenschlichen Tieren.

Diese normative Einschätzung mag ethisch vollkommen angemessen sein. Es ergibt sich aber wiederum eine praktische Schwierigkeit daraus, dass sie nicht allgemein, und erst recht nicht vom Staat, geteilt wird. Die Beantwortung der Frage, ob Bürger in Ungerechtigkeit gegenüber Tieren verstrickt werden, ist abhängig von der Bewertung der Behandlung von Tieren als Ungerechtigkeit. Eine Version des Menschenrechts auf Schutz vor Mittäterschaft, die Aussicht hat, in positives Recht übersetzt zu werden, wird sich auf ebendieses Recht als Demarkationsstandard für Unrecht gegenüber Tieren beziehen müssen. Rechtsverbindliche Ansprüche von Menschen darauf, nicht in Unrecht gegenüber Tieren verwickelt zu werden, werden also beschränkt bleiben auf jenes Unrecht, welches staatlicherseits qua gesetzeswidrigem Handeln als Unrecht anerkannt wird. Damit ist zwar sicherlich eine praktisch relevante Teilmenge an Handlungen gegenüber Tieren abgedeckt, aber in dieser limitierten Version verfehlt das Menschenrecht auf Schutz vor Mittäterschaft den von den Boyer, Scotton und Wayne verfolgten Sinn. Der Sinn ihres Ansatzes liegt gerade darin, auch die relevanten Gesetze als konstitutiv für Unrecht gegenüber Tieren – und in der Folge gegenüber Menschen – in den Blick nehmen zu können. Dieser objektive Standpunkt lässt sich aber nicht in ein positiviertes Menschenrecht auf Schutz vor Mittäterschaft hinüberretten. In der Übertragung in die von Meinungsverschiedenheiten über die moralischen Ansprüche der Tiere geprägte Praxis ergäbe sich wiederum die Frage, welche, wenn nicht gesetzlich festgeschriebene, Tierschutzstandards die relevanten für die Feststellung von Unrecht gegenüber Tieren sein sollten. Wären die Vorstellungen der Einzelnen normgebend, würde sich aus einem Schutz vor Mittäterschaft wiederum ein Recht auf indirekten Tierschutz nach Maßgabe der jeweiligen Rechteinhaberin ergeben. Probleme mit diesem Ansatz wurden in 2.1. diskutiert.

In der Positivierung wird das Recht auf Schutz vor Mittäterschaft also auf eine Variante des Rechts auf Gewissensfreiheit und eine des Rechts auf indirekten Tierschutz gemäß anerkannter Standards zurechtgestutzt. Aussicht auf rechtsverbindlichen Schutz haben allenfalls das Interesse daran, selbst höhere als die gesetzlichen Standards im Umgang mit Tieren verwirklichen zu können (Gewissensfreiheit), sowie das Interesse, nicht in ungesetzliches Handeln Dritter gegenüber Tieren verstrickt zu werden (eine Variante des Rechts auf indirekten Tierschutz).

Die objektive moralische Lesart des Rechts auf Schutz vor Mittäterschaft, die nicht an gesetzliche Tierschutznormen als Maßstab gebunden ist, ist nichtsdestotrotz hilfreich. Sie bringt zum Ausdruck, dass dort, wo Tieren noch nicht als solches erkanntes Unrecht geschieht, auch Menschen unerkanntes Unrecht geschieht, die in dieses Unrecht gegen Tiere verstrickt werden. Das zu betonen ist ein berechtigtes Anliegen.

Die Anerkennung des Unrechts gegen Menschen bleibt aber abhängig von der Anerkennung des Unrechts gegen Tiere – das gilt auf der praktisch-politischen wie auf der moralphilosophischen Ebene. Es fragt sich daher, welcher argumentationsstrategische Vorteil diesseits einer solchen Anerkennung aus einem Recht auf Schutz vor Mittäterschaft gezogen werden kann. Ein Staat, der in seinem Handeln gegenüber Tieren keinen Fehler erkennt, wird es ebenso wenig als problematisch anerkennen, dass er seine Bürger in dieses Handeln „verstrickt“.

3.2 Moralisch intakte Beziehungen in einer nicht-idealen Welt?

Im Folgenden muss noch auf den zweiten Aspekt der Schwerpunktsetzung, die das Recht auf Schutz vor Mittäterschaft schafft, eingegangen werden: Das Unrecht, das einzelnen Menschen staatlicherseits angetan wird, besteht für Boyer, Scotton und Wayne darin, dass es ihnen „nahezu unmöglich“ („nearly impossible“) gemacht wird, die Ausbeutung von Tieren abzulehnen und sich daraus zurückzuziehen, bzw. in der „praktischen Unausweichlichkeit fortdauernder Mittäterschaft“ (“virtual inescapability of ongoing complicity”; 174).

Die erste Rückfrage an diese Darstellung lautet, ob für eine Rechteverletzung nicht ein geringeres Maß der Beeinträchtigung als ausreichend angenommen werden sollte. Muss die Behinderung der moralischen Handlungsmacht einer Beinahe-Verunmöglichung nahekommen, um als menschenrechtsrelevant eingestuft zu werden? Sollte nicht vielmehr, wenn es um den Schutz vor Mittäterschaft geht, am anderen Ende angesetzt und bereits der Umstand, sich überhaupt aus einer Teilhabe an Unrecht befreien zu müssen, als Verletzung menschlicher Interessen angesehen werden? Nicht erst gravierende Beeinträchtigungen der Möglichkeit zu dieser Befreiung, sondern die Notwendigkeit einer Befreiung an sich scheint für das angedachte Menschenrecht relevant zu sein.

Die zweite Rückfrage lautet umgekehrt, wie eine Situation zu bewerten ist, in der es der Einzelnen nicht „beinahe“, sondern tatsächlich praktisch unmöglich gemacht wird, sich aus Unrecht gegenüber Tieren zurückzuziehen. Ein Recht darauf, keine Mittäter von Unrecht an Tieren zu sein, schützt moralische Akteure vor der Korrumpierung ihrer moralischen Handlungsmacht. Geht die Beeinträchtigung so weit, dass die Akteurin „nicht anders kann“ als den moralischen Ansprüchen von Tieren zuwiderzuhandeln, scheint das Recht nicht mehr zu greifen: aufgrund des Prinzips, dass sollen können impliziert, sieht es so aus, als sei eine Akteurin, die tatsächlich praktisch zur Verletzung der Interessen von Tieren gezwungen ist (weil sie sich nur zwischen verschiedenen Interessenverletzungen entscheiden kann), zwar noch kausal, aber nicht mehr moralisch für von Tieren erlittene Schäden verantwortlich und insofern auch keine „Mittäterin“ im relevanten Sinn mehr. Ein Recht auf Schutz vor Mittäterschaft ist zur Entfaltung einer Schutzwirkung darauf angewiesen, dass der Akteurin ein Rest an moralischer Handlungsmacht bleibt. Es schützt ironischerweise gerade da nicht mehr, wo die Akteurin in ihrer Fähigkeit zu moralisch richtigem Handeln maximal beeinträchtigt ist. Von unvermeidlicher Komplizenschaft zu sprechen („complicity in the brutal and omnipresent system of nonhuman animals’ exploitation is, to a large extent, unavoidable“, 166) erscheint darum geradezu widersinnig. Wenn sie tatsächlich unvermeidlich ist, ist die Handlung dem moralischen Tadel enthoben und die Mittäterschaft in einem bedeutsamen Sinne keine moralische Mittäterschaft mehr. Andernfalls müsste man, im Sinne einer Bejahung des „moral luck“ die Zuschreibung moralischer Verantwortung auch dort für möglich halten, wo der Akteurin Kontrolle über die moralisch relevanten Umstände fehlt (vgl. Williams 1981; Nagel 1979) – aber die Autoren wenden sich gerade gegen das Prinzip des moral luck (Boyer et al. 2016, 165).

Diese Beobachtung spricht dafür, an die Stelle eines Rechts auf Schutz vor Mittäterschaft das Recht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren treten zu lassen. Damit soll das Recht bezeichnet sein, nicht in Unrecht gegen Tiere involviert zu werden. Eine genauere Charakterisierung ist an dieser Stelle nicht möglich – denn was genau mit diesem Recht gemeint sein könnte, soll im Folgenden erst noch geprüft werden. Die Formulierung soll jedenfalls Raum lassen für die Möglichkeit, dass die moralische Akteurin gerade auch dadurch eine Menschenrechtsverletzung erleidet, dass ihr verunmöglicht wird, sich Tieren gegenüber (aus ihrer Sicht oder objektiv) moralisch gut zu verhalten. Denn die Rede von „moralisch intakten Beziehungen“ soll mehr meinen, als dass es der Akteurin in einer Situation extrem beschränkter Handlungsoptionen gelingt, die jeweils situativ richtige Option zu wählen. Diese Dimension haben auch Boyer, Scotton und Wayne im Blick, wenn sie ihre Überlegungen an Julia Annas‘ Ausführungen zum möglichen Auseinanderklaffen von Bewertungen in unterschiedlichen moralischen Bewertungskategorien anknüpfen. Annas gibt dazu folgendes Beispiel:

Take a slave-owning society such as ancient Rome. If we find an ancient Roman acting humanely to his slaves, we find it odd to deny that he did the right thing. He did not, after all, do the wrong thing, which would have been to treat them cruelly, something he could have done with impunity. Does it follow that we think the ancient Roman virtuous? He is certainly virtuous by the standards of his society, where there is nothing illegal about abusing slaves. But if we ask whether this is what a truly virtuous person would do, we at once find ourselves inhibited, since this person lives in a slave society, and thus his exercise of all the virtues is constrained by the point that the conventions of his society, from which he learns the virtues, are systematically unjust. A truly virtuous person, we think, could not stand to others in the unjust master–slave relation. If we hold, as is not unreasonable, that nobody can become truly virtuous in a systematically unjust society, then the Roman is not, however hard he has tried, truly virtuous. Nonetheless, he has clearly done the right thing, since he clearly qualifies as virtuous at the stage of the learner. (Annas 2011, 45-6)

Was Annas hier aus einer tugendethischen Perspektive heraus illustriert, ist eine Inkongruenz zwischen der Bewertung der Handlung eines Akteurs hinsichtlich ihres deontischen Status’ (“richtig”) und der aretaischen Evaluation des Akteurs selbst („nicht wirklich tugendhaft“). Man mag sich an der Kategorisierung der beschriebenen Handlung als richtig stören – wenn man als Kandidaten für „das Richtige“ eher die Freilassung der Sklaven als ihre „humane“ Behandlung ansieht. Aber die Interpretation des Beispiels, die bei Annas anklingt und die sich auch Boyer, Scotton und Wayne zu eigen machen, ist die, dass es im auf Sklaverei gebauten Rom (schlimmstenfalls) unmöglich war, diese eigentlich richtig erscheinende Handlung zu wählen (Boyer et al. 2016, 163). Wäre dies wirklich der Fall, könnte die „humane Behandlung“ von Sklaven unter den verbleibenden Handlungsoptionen tatsächlich als „die richtige“ erscheinen. Worauf das Beispiel aufmerksam macht, ist die Möglichkeit, in solch einer Situation den moralischen Makel in der Verfehlung eines Ideals statt in einer situativ falschen Handlung auszumachen: Obwohl der Sklavenhalter, ex hypothesi, richtig handelt, verfehlt er das Ideal wahrhafter Tugend – und zwar deshalb, weil er in der Erreichung dieses Ideals durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen grundsätzlich behindert wird. Seine Beziehungen zu den als Sklaven gehaltenen Menschen sind eben deshalb nicht „moralisch intakt“, auch wenn er sich, im Rahmen seiner Möglichkeiten, ihnen gegenüber richtig verhält.

Die Mischung von Tugend- und deontischen Begriffen ist an dieser Stelle potentiell irreführend und man kann versuchen, sie zu vermeiden, indem man das verfehlte Ideal hier nicht als verfehlte vollkommene Tugend, sondern als unanwendbar gewordenes eigentliches Gebot versteht: eigentlich ist es dem römischen Bürger geboten, gar nicht die Rolle des Sklavenhalters anzunehmen. Das Auseinanderfallen verschiedener moralischer Bewertungen in Annas‘ Beispiel liegt aus dieser Perspektive darin begründet, dass die realen Umstände es dem Römer – so die Annahme – verunmöglichen, dem Gebot nachzukommen, überhaupt nicht Sklavenhalter zu sein. In dieser Situation sind auch verbleibende „richtige“ Handlungsoptionen nicht eigentlich richtig, sondern nur in dem nicht-idealen Sinne des unter den Umständen Möglichen. Eigentlich richtig wären jene Handlungen, die erst möglich würden, wenn sich andere ebenfalls dem objektiv Gebotenen (dem Ideal) entsprechend verhalten würden. Man kann die Situation also als ein Problem der partial compliance (Rawls 1999 [1971], §2, §39) begreifen: weil andere sich nicht an das eigentlich Gebotene halten (weil sie Sklaverei aufrechterhalten), ändern sich die Handlungsoptionen des Einzelnen und es werden für ihn Handlungen (die humane Behandlung von Sklaven) richtig, die das eigentliche Gebot (Verweigerung der Sklavenhalterrolle) verfehlen. „Ideal“ ist hier also nicht so zu verstehen, dass es in die Sphäre der Supererogation oder perfektionistischer Selbstverwirklichung weist, sondern als Verweis auf das, was im Sinne einer moralischen ideal theory geboten wäre. Moralische intakte Beziehungen wäre dann solche, in denen die eigentlichen Gebote solch einer idealen Theorie befolgt würden.

Boyer, Scotton und Wayne konzentrieren sich auf den Fall, dass der Einzelnen die Befolgung dieser eigentlichen Gebote im eigenen Handeln gegenüber Tieren nahezu verunmöglicht wird. Mittäterschaft verstehen sie in einem sehr direkten Sinn als die Übernahme ausbeuterischer Praktiken im eigenen Handeln (etwa durch den Konsum tierlicher Körper). Das Problem, in diese sehr direkte Teilhabe gedrängt oder gar gezwungen zu werden, ist zweifellos von moralischem Interesse. Aber gerade wenn man mit dem Konzept der Mittäterschaft oder Komplizenschaft operiert, liegt es eigentlich nahe, weniger direkte Formen der Mitwirkung an der Ausbeutung von Tieren in den Blick zu nehmen. Genauso wie der Römer, der es tatsächlich schafft, sich selbst der Rolle des Sklavenhalters zu verweigern, qua Römer immer noch in eine auf Sklaverei gebaute Gesellschaft eingebunden bliebe, bleibt auch die einzelne Veganerin Teil einer Tiere ausbeutenden Gesellschaft – als Konsumentin, Bürgerin, Mitmensch. Sie bleibt in einer nicht-idealen Welt mit denen verbunden, die sich nicht den eigentlichen moralischen Geboten entsprechend verhalten und unterhält so zumindest mittelbare Beziehungen zu Tieren, die von Unrecht geprägt sind. Jenseits ihrer eigenen moralisch „autarken“ Handlungen gegenüber Tieren bleibt sie qua sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe in ein Handlungsgefüge verstrickt, in dem Tiere ausgebeutet werden.

Man könnte nun sagen, dass die Beziehungen der Einzelnen gegenüber Tieren nicht als „intakt“ gelten können, solange sie auf solche mittelbare Weise in die von Dritten verübte Ausbeutung von Tieren verstrickt bleibt – auch wenn sie im Bereich ihrer direkten Handlungen gegenüber Tieren eigentlichen Geboten nachkommt (indem sie, wo immer es ihr möglich ist, höhere Standards der Berücksichtigung von Tieren umsetzt als sie beispielsweise gesetzlich festgeschrieben sind). Diese Bewertung läuft aber darauf hinaus, wiederum ein Recht auf indirekten Tierschutz als Teil des Rechts auf moralisch intakte Beziehungen aufzufassen – mit den bereits bekannten Problemen. Bei der Frage danach, was ein Menschenrecht auf Tierschutz umfassen könnte, steht man also immer wieder vor der Wahl, sich entweder auf einen Kern der individuellen Gewissensfreiheit zu beschränken oder ein Recht auf indirekten Tierschutz zu integrieren. Für die Interpretation von „moralisch intakten Beziehungen“ kann man das als die Wahl zwischen einer lokalen – auf einen Kern eigenständiger Handlungen begrenzten – und einer globalen Lesart verstehen, die jene vielfältigen mittelbaren Verbindungen zu ungerechten Handlungen gegenüber Tieren berücksichtigt, die fortdauern, auch wenn die Einzelne in einem Kernbereich eigenen Handelns gegenüber Tieren ihre Ideale verwirklichen kann. Naheliegend ist die Einbeziehung der globalen Perspektive deshalb, weil sie die Intuition einfängt, dass in einer nicht-idealen Welt, die von partial compliance-Problemen geprägt ist, eben gerade keine moralisch intakten Beziehungen zu haben sind. Ein Menschenrecht auf moralisch intakte Beziehungen, welches zum einen den Anspruch der Einzelnen schützt, selbst nicht an richtigem Handeln gegenüber Tieren gehindert zu werden, und zum anderen das Recht darauf einschließt, nicht mittelbar am Unrecht Dritter gegenüber Tieren teilhaben zu müssen, würde in einer solchen nicht-idealen Welt immer verletzt werden.

Diese Pointe geht allerdings in der Übersetzung in positives Recht immer dort verloren, wo dieses positive Recht nicht die eigentlichen moralischen Erfordernisse in Bezug auf Tiere abbildet. Es entsteht dann vielmehr eine Doppelmoral, nach der aus rechtlicher Perspektive die moralischen Beziehungen der Akteurin dann als intakt gelten, wenn sie selbst ihre höheren Ideale (lokal) verwirklichen kann und Dritte sich an niedrigere Standards halten.

Vor diesem Hintergrund bleiben am Wert der Idee eines Rechts auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren einige grundsätzliche Zweifel. Wenn dieses Recht dasjenige auf indirekten Tierschutz einschließt, erbt es dessen Probleme, insbesondere bezüglich der Inkaufnahme potenzierter Rechteverletzungen und der Abhängigkeit des menschenrechtsverbindlichen Tierschutzniveaus vom Niveau der jeweils allgemein anerkannten Tierschutzstandards. Bliebe das Recht stattdessen auf das Recht auf Gewissensfreiheit im Handeln gegenüber Tieren beschränkt, wäre es als Recht auf moralisch intakte Beziehungen irreführend benannt, weil einer naheliegenden Lesart zufolge im Rahmen individueller Gewissensfreiheit noch nicht notwendig für „moralisch intakte Beziehungen“ gesorgt werden kann. Und in dieser Variante fügt es dem Recht auf Gewissensfreiheit nicht mehr als die Betonung hinzu, dass diese auch im Handeln gegenüber Tieren gilt.

Wenn das Recht auf Tierschutz in einen Bereich, der sich an gesetzlichen Mindeststandards orientiert, und einen Bereich individueller Gewissensfreiheit zerfällt, besteht die Gefahr, die Vorstellung zu verstärken, dass Tierschutz eben doch eine Angelegenheit privater sittlicher Vorlieben – ein moralisches Hobby – ist. Die Betonung der Bedeutung von Gewissensfreiheit, die das Menschenrecht Tierschutz mit sich bringt, lässt Fragen nach den ethischen Erfordernissen im Verhalten gegenüber Tieren nicht als grundlegende Gerechtigkeitsfragen erscheinen, die alle angehen, sondern als Angelegenheiten perfektionistischer Ideale der persönlichen Lebensführung. Die Selbstbezüglichkeit, die in dieser Schwerpunktsetzung angelegt ist, ist nur deshalb nicht so extrem wie im Fall des Befriedungsrechts, weil eine positive Wirkung auf Tiere immerhin nicht ausgeschlossen ist.

4 Bedingungen der Möglichkeit von Gewissensfreiheit

Trotz der im vorigen Abschnitt angeführten Kritik scheint im Recht auf Schutz vor Mittäterschaft, insbesondere, wenn man es als Konkretisierung des Ansatzes von Nussbaum auffasst, der Schlüssel zu einer relevanteren Version des Rechts auf Tierschutz zu liegen.

Die Limitation des Vorgehens von Boyer, Scotton und Wayne liegt – so wurde hier argumentiert – darin, dass es sich auf eine bestimmte materiale normative Voraussetzung stützt: was der Staat tut, ist gegenüber menschlichen Bürgern deshalb falsch, weil es gegenüber Tieren falsch ist. Diese Argumentationsstruktur engt die Reichweite des Ansatzes ein, weil die Anerkennung einer Menschenrechtsverletzung damit abhängig wird von der Anerkennung einer Verletzung der Pflichten gegenüber Tieren. Die Kontroverse um diese Pflichten schwächt die Durchsetzbarkeit des Schutzes von Menschen, den die Autoren vor Augen haben. In ihrer Argumentation weisen sie allerdings auf Umstände hin, die auch problematisch wären, wenn man die normative Bewertung des Handelns gegenüber Tieren ausblendet: Die sogenannten Ag-gag laws z. B. sind deswegen problematisch, weil sie gegen Informationsfreiheitsansprüche von Menschen verstoßen. Boyer, Scotton und Wayne wenden sich – zurecht – gegen einen engen Fokus auf die Sphäre der Gewissensfreiheit. Dadurch, dass sie dem Konzept der „Mittäterschaft“ verpflichtet bleiben, können sie sich aber nicht vollumfänglich dem eigentlichen Problem widmen: der Beschneidung von Freiheiten und Ansprüchen, die Gewissensfreiheit überhaupt erst ermöglichen. Die ungerechtfertigte Einschränkung der Informationsfreiheit ist ein menschenrechtliches Problem, ganz unabhängig davon, welche Gewissensentscheidung Menschen aufgrund freier Informationen treffen würden. Man kann hier zunächst einmal ausblenden, dass bestimmte frei getroffene Entscheidungen ethisch nicht tragbar wären – denn diese Bewertung erfolgt unabhängig von dem Problem der Einschränkungen der Informationsfreiheit. Eben in dieser Unabhängigkeit liegt eine Chance dafür, Anerkennung für das Phänomen von Menschenrechtsverletzungen zu erlangen, die für den Themenbereich der Mensch-Tier-Beziehung einschlägig sind.

Der Vorschlag lautet also, den hier diskutierten Ansatz (eines Rechts auf Schutz vor „Mittäterschaft“) seiner normativen Voraussetzung über die Ungerechtigkeit gegenüber Tieren zu entkleiden und stattdessen den Störungen auf der Ebene der Bedingungen der Möglichkeit von Gewissensfreiheit nachzugehen. In Nussbaums Ansatz ist diese Idee angelegt, weil es ihr um Ansprüche auf Entwicklungschancen – die Möglichkeit zur Kultivierung von Fähigkeiten – geht. Diese Perspektive auf Entwicklungsmöglichkeiten lenkt den Blick auf die Gewissensfreiheit ermöglichende Rolle anderer Rechte – insbesondere auf Informationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Bildung. An das Thema Tierschutz lässt sich diese Perspektive dann trotzdem sinnvoll rückkoppeln, wenn man zeigen kann, dass in Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung entlang der genannten Dimensionen spezifische Entwicklungsdefizite bestehen – dass also beispielsweise Beeinträchtigungen von Informationsfreiheit oder Bildungsmöglichkeiten beim Thema Tierschutz Standardbedrohungen menschlicher Interessen darstellen. Eine sinnvolle Variante eines Menschenrechts, das sich auf die Beziehungen zu anderen Tieren bezieht, wird dann eventuell eine Sammlung von Rechten sein und die Subsumierung unter ein Menschenrecht, das sich speziell auf die Beziehungen zu Tieren bezieht, wird der Betonung des Umstand dienen, dass es in diesem Bereich spezifische Defizite und Herausforderungen gibt.

Das relevante Recht tritt als ein Recht auf eine bestimmte Dimension von Bildung hervor, womöglich ist es sogar als ein spezifisches Kinderrecht einzuordnen. Es ist der Prozess des Aufwachsens, in dem Menschen auch in bestimmte Umgangsweisen mit Tieren hineinwachsen. Dass sie dabei nicht in Ignoranz und moralische Insensitivität („moralische Blindheit“) diesem Umgang und der moralischen Signifikanz von Tieren gegenüber hineinwachsen, sondern auch in Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung möglichst umfassende moralische Autonomie erlangen, ist ein ohne weitreichende ethische Annahmen über die moralischen Ansprüche nichtmenschlicher Tiere anzuerkennendes Bildungsziel – und Kandidat für ein Menschenrecht. Dieser Interpretation der menschenrechtlichen Relevanz der Mensch-Tier-Beziehung nachzugehen, ist allerdings ein über den vorliegenden Artikel hinausweisendes Projekt.

5 Fazit

Zum Wohl des Menschen, das Schutzziel der Menschenrechte ist, gehört es auch, moralische Handlungsmacht ausüben zu können – und zur Sphäre moralisch relevanter Handlungen gehören auch solche gegenüber Tieren. Das moralisch gute Leben als Teil des guten Lebens und moralisch gutes Handeln gegenüber Tieren als essentiellen Teil davon zu verstehen (vgl. Boyer et al. 2016, 159 f.) – das ist die Klarstellung und Schwerpunktsetzung, die in dem Vorschlag eines gesonderten Menschenrechts auf Tierschutz liegt. Je gewichtiger die moralischen Ansprüche der Tiere, umso dringender ist auch diese Klarstellung. Dennoch fragt sich, ob die Anerkennung eines Menschenrechts auf Tierschutz ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung der relevanten moralischen Interessen von Menschen ist. Zumindest für die hier diskutierten Formulierungen eines solchen Rechts scheint das zweifelhaft.

Als Recht darauf, dass Dritte die moralischen Erfordernisse im Umgang mit nichtmenschlichen Tieren erfüllen mögen (als Recht auf indirekten Tierschutz), bringt es die Potenzierung möglicher Rechteverletzungen mit sich. Diese Potenzierung ist die Kehrseite eines eventuellen strategischen Mehrwerts für die Gewährleistung von Tierschutznormkonformität: Zwar könnte die Tatsache, dass die Befolgung von Tierschutznormen (nicht nur, aber) auch ein Menschenrecht darstellt, eine Auffangmotivation für diejenigen bieten, die in Ansehung der Tiere nicht zum moralisch richtigen Handeln geneigt sind. Jedoch macht dieselbe Konstruktion auch die Anerkennung weiterreichender Ansprüche der Tiere „teurer“. Wenn bei zukünftigen Zuwiderhandlungen immer auch ein Menschenrechtsbruch begangen wird, macht das die Akzeptanz neuer Normen, die primär auf den Schutz tierlicher Interessen abzielen, umso unattraktiver. Sie wird für die fehlbare moralische Akteurin, so könnte man sagen, immer riskanter. Zumindest aus strategischer Sicht ist das für das Ziel, die Behandlung von Tieren gemäß ihren moralischen Ansprüchen sicherzustellen, ein Problem (contra Leondarakis 2006, 30-4).

Konzentriert man sich in der Darlegung des Menschenrechts auf Tierschutz stattdessen auf das Interesse der Einzelnen, nicht selbst in Unrecht gegenüber Tieren involviert zu werden, tut sich das Problem auf, dass das relevante Recht (hier bezeichnet als Recht auf moralisch intakte Beziehungen zu Tieren) entweder mit dem („bloßen“) Recht auf Gewissensfreiheit zusammenfällt oder ein Recht auf indirekten Tierschutz beinhaltet – und dessen Probleme erbt. Eines davon ist der Gehaltsverlust, der dem Menschenrecht durch seine Positivierung droht. Für die rechtsverbindliche Umsetzung des an objektiven Standards orientierten Rechts darauf, dass Menschen Tiere gemäß ihren („tatsächlichen“) moralischen Ansprüchen behandeln, werden rechtsverbindliche Tierschutznormen die relevanten Standards. Das Menschenrecht Tierschutz bleibt praktisch ein so stumpfes Schwert, wie es jene Tierschutznormen sind, die dieses Recht konkretisieren.

Diese Abhängigkeit von der Anerkennung spezifischer Vorstellungen von den moralischen Ansprüchen nichtmenschlicher Tiere ist eine grundsätzliche Limitation dieser Variante eines Menschenrechts auf Tierschutz. Um dieser Abhängigkeit zu entgehen und für ein neu zu etablierendes Menschenrecht über den Gehalt bloßer Gewissensfreiheit hinauszukommen, muss man Beeinträchtigungen anderer menschenrechtsrelevanter Güter als des Interesses an der Durchsetzung von Tierschutznormen berücksichtigen. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit der Idee eines Menschenrechts auf Tierschutz ergibt sich also der Auftrag, die Bedingungen der Möglichkeit von Gewissensfreiheit in Bezug auf die Beziehungen zu nichtmenschlichen Tieren in den Blick zu nehmen und ein Menschenrecht zu formulieren, das die Entwicklung moralischer Autonomie auch gegenüber nichtmenschlichen Tieren zum Schutzziel hat.