1 Einleitung in die Thematik

Wesentliche Ziele von verlängerten Praxisphasen während des Lehramtsstudiums (z. B. das Praxissemester) liegen zum einen in der forschungsbasierten und begleiteten Erprobung des Berufs (Topsch 2004), zum anderen aber auch im Aufbau von Reflexionswissen. Weyland (z. B. 2010) versteht darunter Wissen um Bedeutung und Grenzen deklarativen und prozeduralen Wissens sowie um die Unterschiedlichkeit von wissenschaftlichem Wissen und subjektiven Theorien. Insbesondere seit Beginn der Qualitätsoffensive Lehrerbildung steht die Frage, inwiefern das Praxissemester zur Professionalisierung der Lehramtsstudierenden beiträgt, im Fokus aktueller Forschungstätigkeit. Dabei wird gerade das mangelnd abgesicherte empirische Wissen zu Effekten auf studentisches Lernen, das über selbsteingeschätzte Kompetenzen hinausgeht, beklagt (König et al. 2014; Rothland und Boecker 2015; Ulrich et al. 2020).

Der vorliegende Beitrag fokussiert auf die bislang noch unzureichend untersuchten lernprozessbezogenen Tätigkeiten im Rahmen des Praxissemesters, schulische Situationen mit Theorien zu verbinden und mit ihnen analytisch-reflexiv umzugehen (König et al. 2014). Im Vordergrund steht in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit diese Lernprozesse in der Lernbegleitung durch den Einsatz bestimmter Instruktionen in Verbindung mit Dozierendenfeedback angeregt werden können. Nachfolgend wird dargestellt, was unter der Nutzung von Theorien und Befunden zur Erklärung schulischer Situationen verstanden wird, wo sich dieser Lernprozess in der Professionalisierung von Lehrkräften verortet und welche theoretischen Perspektiven Hinweise auf die Aktivierung wissenschaftlichen Wissens geben können.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Reflexion schulischer Situationen im Praxissemester – die Verknüpfung von Theorie und Praxis

Universitäre Praxisphasen wie das Praxissemester spielen beim Aufbau professioneller Handlungskompetenz gerade durch die vielfältigen Situationen, in denen das zuvor erworbene Wissen angewendet werden kann, eine substanzielle Rolle (z. B. Patry 2014). Professionelle Handlungskompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass Lehrkräfte in der Lage sind, wissenschaftliches Wissen (also Theorien und Befunde, vgl. Stark 2017) für die eigene Lehrpraxis zu rezipieren und nutzbar zu machen (KMK 2004; Bauer et al. 2015). Neben Möglichkeiten des Ausprobierens unterschiedlicher Aktivitäten in mehr oder weniger authentischen Situationen stellt der reflexive Umgang mit schulischen Situationen eine Schlüsselkomponente praxisorientierter Lehrkräftebildung dar, wie sie in den letzten Jahren verstärkt gerade im angloamerikanischen Sprachraum diskutiert wurde (z. B. Schneider Kavanagh et al. 2020; Grossman et al. 2009; McDonald et al. 2013). Dabei treten Lernende bewusst aus der Erfahrungssituation heraus und aktivieren ihr wissenschaftliches Wissen (reflection-on-action, Schön 1983; Leonhard und Abels 2017), um diese Praxissituation einzuordnen, zu erklären und Konsequenzen für die eigene Professionalisierung abzuleiten. Ein solcher Lernprozess wirkt der oberflächlichen Nachahmung von gelingender Praxis entgegen und unterstützt den Aufbau einer reflektierten Praxis, in der die eigenen pädagogischen Entscheidungen legitimiert und begründet werden können (Schneider Kavanagh et al. 2020; König und Rothland 2018; König et al. 2014). Deklaratives Wissen wird demnach zunehmend prozeduralisiert und kontextualisiert (Anderson 1982; Berliner 2004; zur Konzeptualisierung vgl. König et al. 2014). Damit sind Prozesse der Wahrnehmung und Interpretation angesprochen, die vermittelnd zwischen wissensbezogenen Dispositionen und der tatsächlichen professionellen Performanz liegen (Blömeke et al. 2015). Im Vordergrund steht demnach die Fähigkeit, ein bestimmtes (schulisches) Ereignis wissenschaftsbasiert erklären zu können (zu den vier Grundformen der Theorieanwendung vgl. Beck und Krapp 2006). Dazu nehmen Studierende in der Rückschau bestimmte Aspekte einer schulischen Situation (z. B. die Rückgabe von Klassenarbeiten oder die Teilnahme an Elterngesprächen) auf der Grundlage ihres Wissens wahr und ordnen diese Aspekte entsprechend ein. Der Rekurs auf wissenschaftliches Wissen unterstützt den Aufbau angemessener situativer Deutungen im (späteren) realen Handlungsfeld (Cramer 2020).

Entsprechend stellt sich die Frage, auf welches universitäre Wissen Studierende bei der Erklärung schulischer Situationen zurückgreifen können und welche Teilprozesse die konkrete Nutzung umfasst. Der Begriff des wissenschaftlichen Wissens (also Ausbildungswissen – Wissen 1 – im objektiven Sinne nach Neuweg 2014) orientiert sich in der vorliegenden Studie am erweiterten Evidenzbegriff. Darunter zählt Stark (2017) sowohl empirische Befunde als auch wissenschaftliche Theorien, d. h. Wissen, das sich durch die Berücksichtigung methodologischer Regeln auszeichnet (Häder 2010). Theorien, die in der Praxis angewendet werden können (sogenannte Theorien 1 bei Patry 2014), lassen sich definieren als „System beziehungsweise ein Netzwerk von Aussagen […], um Erkenntnisse über einen Bereich von Sachverhalten zu ordnen, um Tatbestände zu erklären und um diese vorherzusagen“ (Häder 2010, S. 22). Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf fachübergreifenden Theorien und Befunden als Facetten generischen pädagogischen Wissens (Baumert und Kunter 2006). Sie sind Gegenstand der bildungswissenschaftlichen Veranstaltungen im Rahmen der Lehramtsausbildung der Bergischen Universität Wuppertal, insbesondere im Modul zum Praxissemester (z. B. Grundlagen des Lehrens und Lernens oder Grundlagen der Pädagogischen Diagnostik).

Schulische Situationen im Sinne von „Praxis“ sind Inhalte einer anderen Kategorie als „Theorie“. „Praxis“ meint zielgerichtetes, auf den Einzelfall bezogenes, „konkretes Handeln in einer konkreten Situation“ (Patry 2014, S. 31 f. und 33 unter Verweis auf Sayler 1968). In der vorliegenden Studie sind solche konkreten Situationen weit gefasst, d. h. sie beziehen sich auf die Breite beruflicher Herausforderungen wie beispielsweise der Einsatz bestimmter Methoden oder die Einführung von Ritualen und Regeln.

2.2 Dimensionen der wissenschaftsbasierten Reflexion von schulischen Situationen

Wenn Studierende schulische Situationen unter Einbezug ihres wissenschaftlichen Wissens erklären, so kann die Nutzung verschiedene Dimensionen umfassen, die auch die später verwendeten Analysedimensionen festlegen:

2.2.1 Mehrperspektivität

Die wissenschaftsbasierte Reflexion beinhaltet nicht nur die Nutzung von einer Theorie im Sinne einer monoperspektivischen Betrachtung, sondern orientiert sich an der Idee, die verfügbaren relevanten Wissens- und Theoriebestände zu durchdringen und miteinander in Beziehung zu setzen (Berndt und Häcker 2017; Harr et al. 2019), um aus möglichst verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven heraus verzerrenden Tendenzen zur Stützung der eigenen Gewissheiten entgegenzuwirken (Sinatra et al. 2014). Die Auseinandersetzung mit mehreren Theorien und Befunden (auch aus unterschiedlichen Paradigmen heraus) begünstigt die Entwicklung von breiten Deutungsmöglichkeiten für die schulische Situation (Cramer 2020). Lernende schätzen bei der Auswahl von passenden Theorien und Befunden deren Erklärungswert, Nützlichkeit, Eindeutigkeit und Korrespondenz zur Situation individuell ein (Hasselhorn et al. 2016).

2.2.2 Qualität der Wissenschaftsbezüge und Verknüpfung

Wenn Studierende Theorien und Befunde zur Erklärung einer schulischen Situation heranziehen, so können sie sich darin unterscheiden, ob sie diese Bezüge verkürzt und auf der begrifflichen Ebene verbleibend (Stark 2017) oder elaboriert herstellen. Denkbar ist auch, dass Studierende ungeeignete Theorien verwenden (Stark 2005). Die wissenschaftsbasierte Erklärung schulischer Situationen geht also über die reine Kenntnis einer Theorie und deren Artikulation (Ohlsson 1992) hinaus, die Situationsaspekte erhalten ihre Relevanz durch ihre theoretischen Entsprechungen (Dewe und Radtke 1991). Die Verknüpfung erweist sich demnach als vollständig, wenn einzelne Elemente einer Theorie mit ihren situativen Entsprechungen gespiegelt sind (Laska 2011).

2.2.3 Art der Selbstbezüge

Die Zielperspektive reflektierter Praktiker*innen (Schneider Kavanagh et al. 2020) umfasst nicht nur die Nutzung wissenschaftlichen Wissens, sondern auch die Entwicklung einer epistemisch informierten Haltung (Buehl und Fives 2016). Diese epistemischen Haltungen zeigen sich in Selbstbezügen, die die Studierende nach der Analyse für sich und ihr professionelles Handeln ableiten. Dabei können diese Ableitungen stark verkürzt ausfallen (schließender Modus), wenn nach der Erklärung der schulischen Situation vor allem vorangehende bereits bestehende Überzeugungen bestätigt, Selbstvergewisserungen vorgenommen werden oder auch normativ begründete Eindeutigkeiten kommuniziert werden, die nicht oder nur oberflächlich und auf der Begriffsebene auf die bestehende Befundlage rekurrieren. Ein abwägender Modus zeichnet sich durch Zurückhaltung gegenüber Eindeutigkeiten aus sowie gerade dadurch, dass verschiedene Perspektiven unter Verwendung des Wissens auslotend eingenommen werden (vgl. Artmann et al. 2013; King und Kitchener 2004).

Insgesamt zeigt die Befundlage zu dieser Art von lernprozessbezogenen Tätigkeiten im Praxissemester, dass sie von Studierenden zum einen kaum ausgeführt und zum anderen auch kaum priorisiert werden (König et al. 2018). Als Lerngelegenheiten, die eher der universitäre Kontext anbietet, wird ihnen darüber hinaus deutlich weniger Lerngewinn beigemessen als denen des schulpraktischen Kontextes (Schellenbach-Zell und Neuhaus 2021).

2.3 Lerntagebücher, Prompts und Feedback in der Begleitung des Praxissemesters

In der Lernbegleitung als relevanter Prozessvariable des Praxissemesters – gerade im Hinblick auf die Aufgabe „Theorien auf Situationen beziehen“ (Doll et al. 2018; Ulrich et al. 2020) – treffen Dozierende verschiedene didaktische Entscheidungen zur Anregung entsprechender Lernprozesse. So erweisen sich problem- und instruktionsorientierte Lernumgebungen als durchaus effektiv für die Fähigkeit, Wissen bei der Erklärung schulischer Situationen zu nutzen (Klein et al. 2015).

Das Anfertigen von sogenannten Lerntagebüchern, also eine schriftlich fixierte Reflexion mit geringen Vorgaben zur rhetorischen Struktur, stellt ein Instrument in der Praxissemesterbegleitung dar, in dem Studierende ihre selbstgewählten Erfahrungen und Erlebnisse im Kontext Schule (im Sinne der „schulischen Situation“) unter Verwendung ihres wissenschaftlichen Wissens beschreiben und erklären können (Schreiben zur Selbstregulation, vgl. Nückles et al. 2012). Darüber hinaus dient das Lerntagebuch als Grundlage für Rückmeldeprozesse durch die begleitenden Dozierenden (Rambow und Nückles 2002). Untersuchungen zur Theorienutzung im Rahmen von Portfolios oder Lerntagebüchern zeigen jedoch, dass Lernende entweder eher oberflächlich, beschreibend und weitestgehend theorielos reflektieren (z. B. Hatton und Smith 1995) oder eher Zusammenfassungen anfertigen (z. B. Hübner et al. 2007). Zusätzliche Strukturierungshilfen („Prompts“) können Studierende darin unterstützen, Theoriebezüge auch vertiefend herzustellen und einseitigen Erklärungsansätzen entgegenzuwirken (Hübner et al. 2007; Hascher 2010). Prompts lassen sich als Strategie-Aktivatoren im Sinne von Hinweisen oder Fragen zur Anregung produktiver Lernprozesse begreifen (Reigeluth und Stein 1983), die weniger fachlich-inhaltliche Anregung beinhalten, sondern sich an den Lernprozessen orientieren und diese stimulieren (Konrad 2006). Die Frage „Welche Theorien und Befunde können Sie heranziehen, um Ihre Situation zu erklären?“ stellt ein Beispiel im vorliegenden Zusammenhang dar. Angenommen wird, dass die Strategien der Verknüpfung grundsätzlich im Wissensbestand vorliegen und angewendet werden können, aber nicht spontan zum Einsatz kommen und deswegen angeregt werden müssen (Nückles et al. 2009). Die Verwendung von Lernstrategien erweist sich für tiefergehende Lernprozesse als wirkungsvoll (Hübner et al. 2007; Lehmann et al. 2019). Im Vordergrund der vorliegenden Studie stehen Strategien der Verknüpfung und Strukturierung der Inhalte sowie der Überwachung und Regulation des eigenen Lernprozesses (Nückles et al. 2009).

Die Begleitung im Praxissemester sieht neben einer Instruktion zusätzlich auch Feedback der Dozierenden vor. Feedback umfasst Informationen hinsichtlich der Optimierungsmöglichkeiten für vorangehendes Denken oder Verhalten von Lernenden (Shute 2008). Neuere Arbeiten untersuchen Expert*innenfeedback im Zusammenhang mit professioneller (und damit wissenschaftsbasierter) Wahrnehmung von Klassenführung: So konnte ein online- und videobasiertes Expert*innenfeedback zu ersten Unterrichtsversuchen die professionelle Wahrnehmung von Klassenführung unterstützen (Weber et al. 2018). Studierende, die auf Unterrichtsanalysen Expert*innenfeedback erhielten, verbesserten ihre professionelle Wahrnehmung deutlich (Prilop et al. 2021). Außerdem profitierten Studierende vom Feedback durch Expert*innen und Peers im Hinblick auf die Klassifikation deklarativer Wissensbestände zur Klassenführung, besonders dann, wenn es onlinebasiert durchgeführt wurde (Weber et al. 2020).

Die inhaltliche Ausrichtung einer lernwirksamen Feedbacknachricht zielt darauf, dass die Diskrepanz zwischen einem Ist-Zustand und einem Soll-Zustand geringer wird. Die Nachricht muss Antworten auf drei zentrale Fragen geben (Hattie und Timperley 2007): (1) Where am I going? (zur Zielausrichtung und dessen Sinne); (2) how am I going? (zum aktuell erreichten Leistungsstand und zum Fortschritt); (3) where to next? (Hinweise zu den nächsten Schritten in Richtung Zielzustand). Feedback unterstützt insbesondere Lernende mit geringer Expertise (z. B. bei der Nutzung von Lernstrategien) bei ihren Lernprozessen (Roelle et al. 2011). Rückmeldungen, die sich auf den erreichten Leistungsstand in Relation zum erreichbaren Leistungsstand bei der Bearbeitung von Aufgaben zum wissenschaftlichen Denken beziehen (rubrics), beeinflussen neben der Bearbeitungsleistung auch das Interesse und Kompetenzerleben der Lernenden (Wollenschläger et al. 2011). Vor diesem Hintergrund ist denkbar, dass Feedback der Dozierenden zu vorangehenden schriftlichen Reflexionen, das sich gezielt an diesen drei Fragen ausrichtet, Studierende über die zuvor eingesetzten Instruktionen hinaus dabei unterstützen können, sich tiefergehend unter Einbezug des wissenschaftlichen Wissens mit ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen. Sie können entsprechend der Rückmeldungen nach weiterführenden, vertiefenden oder konfligierenden Theorien und Befunden recherchieren, Theorien und Befunde noch einmal elaborierter darstellen bzw. die Verbindungen zur praktischen Situation verdeutlichen. Die Rückmeldung kann sich auch auf die Art der Selbstbezüge beziehen, also inwiefern die schriftlichen Selbstbezüge tatsächlich Bezug auf die vorangehenden Ausführungen nehmen oder eher auf einer Ebene der Selbstvergewisserung verbleiben.

3 Fragestellung und Hypothesen

Das QLB-Projekt „Kohärenz in der Lehrerbildung“ (KoLBi) beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Reflexion im Praxissemester angeregt werden kann. In der hier beschriebenen Teilstudie liegt der Fokus auf der wissenschaftsbasierten Reflexion und damit der übergeordneten Frage: Inwieweit können Lehramtsstudierende bei der wissenschaftsbasierten Reflexion selbst erlebter schulischer Situationen durch Prompts und Feedback unterstützt werden? Daraus ergeben sich folgende Teilfragestellungen: (1) Sind Prompts dazu geeignet, wissenschaftsbasierte Reflexion in Form von mehrperspektivischen Wissenschaftsbezügen, der Qualität ihrer Darstellung, der Verknüpfung zur Situation sowie der Herstellung von Selbstbezügen anzuregen? (2) Welcher zusätzliche Nutzen ergibt sich in den genannten Dimensionen der Reflexion durch eine Kombination aus Prompts und nachfolgendem Feedback durch die Dozierenden?

Aus der bisherigen Forschung zu Prompts und Feedback lassen sich für die Fragestellungen folgende Hypothesen formulieren:

  • Hypothese 1: Studierende, die Prompts erhalten, erzielen in allen untersuchten Dimensionen wissenschaftsbasierter Reflexion höhere Werte als Studierende ohne zusätzliche Hinweise.

  • Hypothese 2: Studierende, die eine Kombination aus Prompts und leitfadengestütztem Dozierendenfeedback erhalten, erzielen höhere Werte in den untersuchten Dimensionen wissenschaftsbasierter Reflexion als Studierende, die nur Prompts oder keine Prompts erhalten.

4 Methodisches Vorgehen

4.1 Kontextualisierung der Studie im Praxissemester

Die Studie ist vollständig im Kontext und Ablauf des Praxissemesters in NRW eingebettet, wie es als fünfmonatiges Pflichtpraktikum an der Bergischen Universität Wuppertal verantwortet und an einer Schule der jeweils studierten Schulform durchgeführt wird. Als Zeitpunkt wird das zweite Semester im Masterstudium empfohlen. Die Ziele sind in einer Rahmenvereinbarung zwischen den lehrkräftebildenden Universitäten und dem Ministerium festgeschrieben (Freimuth und Sommer 2010). An der Umsetzung des Praxissemesters sind drei Institutionen beteiligt: die Universität (mit den Fachdidaktiken und den Bildungswissenschaften), die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) sowie die Schulen selbst. Das Praktikum wird von Universitätsseite in den entsprechenden Fachdidaktiken und den Bildungswissenschaften vorbereitet, begleitet und nachbereitet. Die bildungswissenschaftliche Begleitung, die in der vorliegenden Studie im Vordergrund steht, sieht als Prüfungsform die Erstellung einer zu benotenden Sammelmappe vor. Sie umfasst neben einem Forschungsbericht zu einem durchgeführten Beobachtungsprojekt auch die schriftlichen Reflexionen in Form der hier untersuchten Lerntagebücher.

4.2 Design und Ablauf der Studie

Die Untersuchung der Frage nach der Wirksamkeit von strukturierenden Prompts und Feedback erfolgte in einem quasi-experimentellen Design, bei dem qualitative Daten in ein quantitatives Paradigma überführt wurden. Insgesamt 17 Kurse der untersuchten Lehramtsstudierenden, die im Sommer 2017 ihr Praxissemester absolvierten, wurden zufällig einer von drei Gruppen mit unterschiedlichen Bedingungen zugeordnet:

  • Experimentalgruppe 1 (6 Kurse): Studierende dieser Gruppe erhielten nur Prompts (Prompt-Gruppe – PG).

  • Experimentalgruppe 2 (6 Kurse): Studierende dieser Gruppe erhielten Prompts sowie zusätzlich ein leitfadengestütztes Feedback durch die Dozierenden (Prompts + Feedback-Gruppe – PFG).

  • Kontrollgruppe (5 Kurse): Studierende dieser Gruppe erhielten weder zusätzliche Prompts noch leitfadengestütztes Feedback (KG).

Alle Studierenden besuchten vor Beginn des Praxissemesters eine bildungswissenschaftliche Vorbereitungseinheit. Alle Studienteilnehmer*innen fertigten zu Beginn des Praxissemesters unter der Bedingung der Kontrollgruppe, also zunächst ohne Unterstützung durch Prompts, Lerntagebücher zu einer persönlich relevanten schulischen Situation an. Während die Kontrollgruppe ein zweites Lerntagebuch ohne weitere Strukturierungshilfe verfasste, erhielten die Studierenden der beiden Experimentalgruppen (PG und PFG) für das zweite Lerntagebuch zusätzliche Unterstützung durch Prompts. Zu diesem zweiten Lerntagebuch erhielt die zweite Experimentalgruppe (PFG) ein leitfadengestütztes Feedback durch die Dozierenden. Auf dieser Basis fertigten alle Studierenden ein drittes Lerntagebuch an, welches zusammen mit dem ersten Lerntagebuch die Datengrundlage der hier dargestellten Analysen bildet.

4.3 Strukturierungshilfen, Feedback und Vorbereitung

Instruktion ohne Prompts und Feedback

Die Studierenden waren in einer allgemein gehaltenen Formulierung angewiesen, eine von ihnen gewählte schulische Situation unter Zuhilfenahme ihres Wissens zu erklären und Schlussfolgerungen für ihre professionelle Entwicklung zu ziehen.

Prompts

Die eingesetzten Prompts orientieren sich in ihrer Formulierung an Elaborations- und Organisationsstrategien sowie Strategien des Monitorings und der Regulation (Nückles et al. 2009) und wurden sprachlich angepasst. So soll der Impuls „Inwieweit können andere Theorien und Befunde die Erklärung der Situation weiter untermauern? Kennen Sie Theorien und Befunde, die zu Ihrer Erklärung im Widerspruch stehen?“ zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Wissen anregen. Darüber hinaus wurden die Studierenden gebeten, ihre persönlichen Schlussfolgerungen aus den Überlegungen für ihre professionelle Entwicklung schriftlich festzuhalten.

Feedback

Die Dozierenden gaben anhand eines Leitfadens Rückmeldung zu den vorangehenden studentischen Reflexionen. Der Leitfaden orientiert sich an der Idee der rubrics (Wollenschläger et al. 2011) und berücksichtigt die zunehmende Komplexität bei der Erklärung unter Einbezug des wissenschaftlichen Wissens. Die Kursleitungen konnten im Dokument ankreuzen, inwieweit die Studierenden in ihren Reflexionen wissenschaftliche Theorien und Befunde nutzen, diese hinreichend darstellen und auf die Situation beziehen. Sie konnten ebenfalls Rückmeldung dazu geben, inwiefern die Studierenden in ihren Selbstbezügen vorangehende Reflexionen aufgriffen. Zusätzlich wurde im Feedback-Dokument noch einmal das Ziel der Reflexion anhand von Textbausteinen erläutert und Empfehlungen gegeben, was die Studierenden weiter tun können, um ihre Reflexion zu intensivieren (d. h. die Prompts wurden noch einmal wiederholt). Die Dozierenden konnten darüber hinaus individuell Rückmeldung geben. Bei den Dozierenden handelte es sich um wissenschaftliches Personal aus den Bezugsdisziplinen der Bildungswissenschaften, die seit mindestens zwei Semestern im Praxissemestermodul lehren. Die bildungswissenschaftliche Begleitung sieht es generell vor, Lerntagebücher einzusetzen, daher war allen Dozierenden der Umgang grundsätzlich vertraut. Alle Dozierenden wurden im Rahmen eines vorgelagerten Workshops über das Ziel der Studie und den Einsatz der Prompts, des Feedbackleitfadens und die theoretischen Grundlagen informiert.

Vorbereitungseinheit

Alle Studierenden besuchten vor Beginn des Praxissemesters bildungswissenschaftliche Vorbereitungskurse bei ihren Dozierenden mit vergleichbarer inhaltlicher Ausrichtung. Alle Kurse greifen Inhalte aus den Veranstaltungen des übergeordneten Moduls (Themenfeld Unterrichten und Diagnostizieren) auf, deren Besuch vor Aufnahme des Praxissemesters empfohlen wird. Wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung bilden jedoch auch die eng mit den Anforderungen des Praxissemesters verbundenen überfachlichen Thematiken wie Reflexion, Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und subjektiven Theorien sowie deren Relevanz und Verortung im Professionalisierungsprozess. Alle Studierenden erhielten zu diesem Themenfeld einen Vortrag sowie eine Erklärung anhand eines lerntheoretischen Beispiels, wie wissenschaftliche Theorien und Befunde bei der Erklärung einer schulischen Situation genutzt werden können. Individuelle Spielräume sind daher auf Kursebene durchaus denkbar, die bei der Analyse berücksichtigt und kontrolliert werden sollen.

4.4 Stichprobe

Die vorliegende Studie ist eine Teilanalyse einer größeren Untersuchung zu Entwicklungen im Praxissemester, die eine qualitativ ausgerichtete Studie mit einer quantitativen verbindet. Insgesamt 287 Studierende nahmen daran teil und verteilten sich auf 17 Praxissemesterkurse mit mindestens 10 bis maximal 20 Teilnehmer*innen. Die Teilnahme an der Studie erfolgte freiwillig, entsprechend fiel die drop-out-Quote im qualitativen Bereich der Studie hoch aus: Nur 214 (rund 75 %) Studierende reichten ihre Lerntagebücher zum ersten Erhebungszeitpunkt ein und nur noch 189 Studierende zum zweiten Erhebungszeitpunkt. Von diesen 189 Personen (also rund 66 % aller Befragten der Gesamtuntersuchung) liegen sowohl das erste als auch das dritte Lerntagebuch vor. Damit weisen die Untersuchungsgruppen einen Umfang von nKG = 37, nPG = 93 und nPFG = 59 auf. Vergleiche im Hinblick auf Geschlecht, Alter oder Mastersemester lassen nicht auf eine Systematik im Dropout schließen. Tab. 1 enthält weitergehende Informationen zur Beschreibung der Stichprobe. Knapp zwei Drittel der befragten Studierenden waren weiblich, etwa ebenso viele befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung im zweiten oder dritten Mastersemester. Knapp ein Viertel der befragten Studierenden studierten das Grundschullehramt, die meisten jedoch die Schulform Gymnasium. Die Stichprobe weist ein breites Spektrum an Fächern und Fächerkombinationen auf, die mit dem großen Angebot der Bergischen Universität Wuppertal korrespondiert.

Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe von Studierenden, von denen Lerntagebücher zu zwei Messzeitpunkten vorliegen (n = 189; davon 66,7 % weiblich)

4.5 Codierung der Lerntagebücher im Hinblick auf die Verwendung von Theorien und Befunden

Orientierung für die Verarbeitung der eingereichten Lerntagebücher bietet die evaluative qualitative Inhaltsanalyse (Kuckartz 2016). Typisch dafür ist, dass das qualitative Material im Hinblick auf Kategorien eingeschätzt wird, die sich in Rängen anordnen lassen (Kuckartz 2016). Die Lerntagebücher wurden theoriebasiert (vgl. Abschn. 2.2) in vier Dimensionen mit je drei Ausprägungen kategorisiert (vgl. Tab. 2; vgl. auch Schellenbach-Zell et al. 2018): Die erste Dimension bezieht sich darauf, ob und wie viele wissenschaftliche Perspektiven zur Erklärung der schulischen Situation eingenommen wurden (Dimension „wissenschaftliche Perspektiven“). Diese Perspektiven können stark verkürzt im Sinne eines Namedroppings oder ausführlich dargestellt werden (Dimension „Qualität der Wissenschaftsbezüge“). Die dritte Dimension „Verknüpfung“ beschreibt das Ausmaß der hergestellten Querbezüge, also inwieweit Elemente der Theorie bzw. der Befunde mit den Elementen einer Situation abgeglichen und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Eine solche Verknüpfung kann ebenfalls verkürzt, aber auch elaboriert ausfallen. Die letzte Dimension „Art der Selbstbezüge“ bezieht sich auf die Schlüsse für die eigene Professionalisierung. Studierende können dabei entweder keinen Selbstbezug herstellen, die eigenen Überzeugungen bestätigen („schließender Modus“) oder Wissensbestände abwägen und auf dieser Grundlage Überlegungen für die eigene Professionalität anstreben („abwägender Modus“, vgl. Artmann et al. 2013).

Tab. 2 Überblick über die Kategorien der verschiedenen Reflexionsdimensionen mit Codierbeispielen

Dabei wurde das Lerntagebuch als ein Segment behandelt. Das Material wurde anhand dieser Ausgangsüberlegungen gesichtet, die in der Entwicklung erster tragfähiger Unterkategorien mündeten. Anschließend nahmen zwei wissenschaftliche Mitarbeiter*innen aus dem Bereich der Lehrkräftebildung mit Erfahrung in der Praxissemesterbegleitung Probecodierungen vor und schärften die Definitionen der Kategorien und die Breite der Ausprägungen. Danach wurden auf der Grundlage des tragfähigen Codiermanuals 16 % des gesamten Materials von beiden Rater*innen unabhängig voneinander codiert und im Anschluss eine Reliabilitätsprüfung vorgenommenFootnote 2. In Orientierung an Wirtz und Caspar (2002) für Zuverlässigkeitsprüfungen zwischen zwei Rater*innen bei ordinalskalierten Daten wurde als Reliabilitätskoeffizient Spearmans ρ verwendet. Alle Werte lagen bei mindestens ρ = 0,70 und weisen somit eine ausreichende Reliabilität für explorativ angelegte Studien auf (Lombard et al. 2002). Abweichende Codierungen wurden besprochen und konsensvalidierte Zuordnungen übernommen. Zur Sicherstellung ähnlicher Konzeptualisierungen der Dimensionen erfolgte nach der Reliabilitätsprüfung die weitere Codierung eng abgestimmt im Sinne des konsensuellen Codierens (Hopf und Schmidt 1993).

4.6 Statistische Analysen

Die Codierung der in den Lerntagebüchern vorgenommenen Reflexionen zu den verschiedenen Dimensionen von Theorie-Praxis-Verknüpfung geht einher mit einer entsprechenden Quantifizierung des sprachlichen Ausgangsmaterials. Die so gewonnenen Daten legen verteilungsfreie und weniger restriktive Methoden zur Analyse nahe. Die Tests verwenden Rankings, absolute Abstände zwischen den Werten werden dabei vernachlässigt (Field 2018). Die durchgeführten Analysen beziehen sich auf jede einzelne Dimension von Reflexion: Pro Messzeitpunkt werden im ersten Schritt die verschiedenen Gruppen mittels Kruskal-Wallis-Tests miteinander verglichen. Bei signifikanten Unterschieden werden vergleichende post-hoc-Tests unter voreingestellter Bonferroni-Korrektur (ɑ = 0,02) durchgeführt. Die Entwicklungen je Gruppe und Dimension werden über Wilcoxon-signed-rank-Tests untersucht. Zur Kontrolle möglicher verzerrender Effekte durch die Dozierenden und ihre Schwerpunktlegungen in der Begleitung, wird in einem zusätzlichen Analyseschritt überprüft, welche Rolle die Kurszugehörigkeit bei der wissenschaftsbasierten Reflexion spielt. Dazu wurde eine Mehrebenen-Kovarianzanalyse (Field 2018) durchgeführt. Als Datengrundlage dienen hier individuelle Summenwerte, die über die verschiedenen Dimensionen von Reflexion hinweg berechnet wurden. Im ersten Schritt wird im Nullmodell (empty model bei Snijders und Bosker 2012) überprüft, inwieweit eine Mehrebenenstruktur berücksichtigt werden sollte, bzw. auch um aufzuklären, welcher Anteil der Gesamtvarianz zwischen den Studierenden (Level 1) auf die Kurszugehörigkeit (Level 2) zurückgeht. Das Vergleichsmodell schließt danach auf Level 1 die Zugehörigkeit zu einer der untersuchten Gruppen sowie den Ausgangswert der Wissensnutzung über die verschiedenen Dimensionen hinweg ein.

5 Ergebnisse

Tab. 3 enthält die Häufigkeitsverteilung der Ausgangswerte bezüglich der untersuchten Dimensionen sowie der Summenwerte über die Dimensionen von Reflexion hinweg.

Tab. 3 Häufigkeiten (n) je Ausprägung der unterschiedlichen Dimensionen (n = 189), sowie M und SD der Gesamtscores über alle Dimensionen hinweg zu beiden Messzeitpunkten

5.1 Befunde zur Ausprägung der Dimensionen wissenschaftsbasierter Reflexion

Im ersten Schritt werden nachfolgend die Ergebnisse aus den nonparametrischen Vergleichen je Dimensionen von wissenschaftsbasierter Reflexion berichtet (vgl. Tab. 4). Orientierung gibt dabei die Klassifikation von Effektstärken nach Cohen (Cohen 1992) in r = 0,1 in geringe, r = 0,3 in mittlere und r = 0,5 in große Effekte.

Tab. 4 Kennwerte der nonparametrischen Analysen der verschiedenen Reflexionsdimensionen

Perspektiven in den Wissenschaftsbezügen

Die erste Dimension zur Reflexion bezieht sich auf die Perspektivenvielfalt in den Wissenschaftsbezügen, d. h. wie viele unterschiedlich thematische theoretische Konzepte oder Befunde zur Erklärung der pädagogischen Situation herangezogen werden. Im ersten Lerntagebuch zeigen sich keine signifikanten Unterschiede (H (2) = 2,90, p = 0,24; J = 6003,5, p = 0,12, z = 1,55, r = 0,11). Studierende aus allen Gruppen verwenden ähnlich viele Perspektiven. Wilcoxon signed-rank-Tests je Gruppe ergeben keine signifikanten Entwicklungen (zKG = −1,41, p = 0,16; zPG = −1,09, p = 0,28; zPFG = 0,66, p = 0,51). Dennoch verweisen die statistischen Analysen auf signifikante Unterschiede in der Übernahme wissenschaftlicher Perspektiven zwischen den Gruppen im Hinblick auf das dritte Lerntagebuch (H (2) = 13,82; p < 0,01). Post-hoc-Tests ergeben signifikante Unterschiede mit mittlerer Effektstärke nur zwischen KG und PFG (p = 0,00; r = −0,38), die auch die Jonckheere-Terpstra-Statistik bestätigen kann (J = 6522, p < 0,01, z = 3,72, r = 0,27), wobei Studierende in der PFG höhere Werte aufweisen.

Qualität der Wissenschaftsbezüge

Die zweite Dimension bezieht sich ebenfalls auf die Perspektiven in den Wissenschaftsbezügen, jedoch dahingehend, ob der hergestellte Bezug weiterreichend expliziert oder nur verkürzt angedeutet wird. Im ersten Lerntagebuch unterscheiden sich die drei Gruppen nicht signifikant (H (2) = 4,02, p = 0,13), mit einem p > 0,05 ermittelt der Jonckheere-Terpstra-Test einen tendenziellen Anstieg der Qualität, jedoch mit geringer Effektstärke (J = 6206, p = 0,07, z = 1,84, r = 0,13). Alle Gruppen weisen Entwicklungen auf: Während sich mehr negative als positive Differenzen bei der Kontrollgruppe zeigen (z = −2,18, p = 0,03, r = −0,25), stellen die Studierenden der beiden Experimentalgruppen ihr Wissen zu Theorien und Befunden breiter und ausführlicher dar, wenngleich für die PG nur tendenziell und insgesamt mit geringer Effektstärke (zPG = 1,84, p = 0,07, r = 0,13; zPFG = 1,99, p = 0,05, r = 0,18). Weiter zeigen sich im dritten Lerntagebuch systematische Unterschiede (H (2) = 23,35, p < 0,01) mit aufsteigendem Trend (J = 7154, p < 0,01, z= 4,67, r = 0,34), wobei die beiden Experimentalgruppen mit mittlerer respektive hoher Effektstärke mehr Elaboration in den Lerntagebüchern aufweisen als die Kontrollgruppe (pKG/PG = 0,00; r = −0,30; pKG/PFG = 0,00; r = −0,49), sie unterscheiden sich untereinander jedoch nicht (p=0,11, r=−0,17).

Verknüpfung

Die Verknüpfung zeigt sich darin, dass Elemente der Theorie aufgegriffen und in die Situation überführt werden. Während sich die drei Gruppen in den Ausgangswerten nicht unterscheiden (H (2) = 1,90; p = 0,39; J = 5761, p = 0,42, z = 0,80, r = 0,06), entwickeln sich nur die beiden Experimentalgruppen mit mittlerer respektive hoher Effektstärke (zPG = 2,92, p < 0,01, r = 0,21; zPFG = 5,40, p < 0,01, r = 0,50) und weisen dann auch weitreichendere Verknüpfungen auf als die KG (H (2) = 26,16, p < 0,01; J = 7333,5; p < 0,01; z= 5,17, r = 0,38). Systematische und signifikante Unterschiede mit mittlerer Effektstärke bestehen dabei auch zwischen den beiden Experimentalgruppen (p = 0,00; r = −0,27). Studierende, die zusätzliches Feedback auf der Grundlage eines Leitfadens erhalten, stellen elaboriertere Bezüge zwischen den theoretischen und praktischen Elementen her als Studierende, die kein leitfadengestütztes Feedback erhalten haben. Beide unterscheiden sich in positiver Richtung mit mittlerer Effektstärke bzw. substanziell von der Kontrollgruppe (pKG/PG = 0,04; r = −0,22; pKG/PFG = 0,00; r = −0,51).

Art der Selbstbezüge

In ihren beschriebenen persönlichen Konsequenzen im ersten Lerntagebuch liegen keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei untersuchten Gruppen vor (H (2) = 0,41; p = 0,82; J = 5596,5, p = 0,91, z = 0,12, r = 0,01). Beide Experimentalgruppen zeigen zum zweiten Messzeitpunkt mehr abwägende Überlegungen (zPG = 3,22, p < 0,01, r = 0,24; zPFG = 3,77, p < 0,01, r = 0,35) und unterscheiden sich darin nicht untereinander (p=0,20; r=−0,15). Im dritten Lerntagebuch liegen signifikante Unterschiede zwischen den drei Gruppen vor (H (2) = 14,18; p < 0,01; J = 6839,5; p < 0,01; z = 3,70, r = 0,27). Dabei unterscheiden sich beide Experimentalgruppen signifikant und mit mittleren Effekten von der Kontrollgruppe (pKG/PG < 0,04; r = −0,22; pKG/PFG < 0,00; r = −0,38), die in den Ableitungen für die eigene Professionalität stärker auf Selbstvergewisserung und die Bestätigung vorheriger Annahmen fokussiert.

5.2 Ergebnisse zur Kontrolle möglicher Effekte durch die Kurszugehörigkeit

Die Aufsummierung der Werte für die Ausprägungen auf allen Dimensionen von Reflexion ermöglicht die Ermittlung von Mittelwerten, die für eine Mehrebenenkovarianzanalyse Voraussetzung sind. Der linke Teil von Tab. 5 umfasst die Ergebnisse aus der Berechnung des Nullmodells und zeigt, dass die Abweichung des Kursmittelwertes vom Grand Mean (Gesamtmittelwert von 4,86) mit 0,58 deutlich geringer ausfällt als die Abweichungen der Studierenden vom Kursmittelwert (1,95). Der Intraklassenkorrelationskoeffizient (ICC) zeigt an, dass sich 23 % der Varianz in den Reflexionsdimensionen auf Unterschiede zwischen den Kursen zurückführen lassen, während 77 % auf Unterschiede zwischen den Studierenden zurückgehen. Der Wald-Z-Wert beträgt 2,19 (p = 0,03), die Nullhypothese, dass es keine Unterschiede zwischen den Kursen gibt, kann abgelehnt werden. Damit ist die Berücksichtigung einer Mehrebenenstruktur durchaus angemessen.

Tab. 5 Nullmodell und Random-Intercept-Modell mit Ausgangswerten und Gruppenzugehörigkeit als Kovariate und Faktoren

Das zweite Modell (Random-Intercept-Modell) basiert auf dem Vorgehen, die Intercepts über die verschiedenen Kurse variieren zu lassen und so den Einfluss der Kursmittelwerte zu kontrollieren. Außerdem werden auf Individualebene zum einen die Ausgangsscores der Reflexionsdimensionen kontrolliert sowie die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Vergleichsgruppen als Prädiktoren aufgenommen. Dabei werden in dieser Faktorvariable die beiden Experimentalgruppen gegen die Kontrollgruppe getestet. Zunächst zeigt sich, dass sich die Werte zur Modellanpassung signifikant verkleinern (∆Χ2 = 34,22** (3)), das Modell sich also insgesamt besser an die Daten anpasst. Durch die Hinzunahme der Kovariaten und Faktoren lässt sich der Vorhersagefehler um 26 % reduzieren. Die Zugehörigkeit auf Kursebene wird in diesem Modell nicht mehr signifikant. Die Berücksichtigung der Kovariaten und Faktoren führt darüber hinaus zu 9 % mehr Aufklärung auf Level 1 im Vergleich zum Nullmodell. Nach Kontrolle der Ausgangswerte bestätigt sich das Bild der nonparametrischen Tests. Für die beiden Experimentalgruppen werden höhere Werte von 1,02 logits für die PG und 1,77 logits für die PFG vorhergesagt. Erfolgt die Testung gegen die PFG, so vermindern sich die Werte der PG um 0,75 logits. Die Zugehörigkeit zur PG respektive der PFG geht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einher, höhere Werte bei der Nutzung wissenschaftlichen Wissens zu erzielen. Dabei bleibt die PG der PFG unterlegen.

Für die Hypothesen und Fragestellungen lässt sich somit zusammenfassen: Die untersuchten Prompts können Studierende – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Begleitkursen, bzw. Dozierenden – aktivieren, wissenschaftliches Wissen bei der Erklärung von schulischen Situationen zu nutzen. In allen untersuchten Dimensionen sind Studierende der beiden Interventionsgruppen Studierenden der Kontrollgruppe überlegen, eine Ausnahme bildet die Dimension der Perspektivenvielfalt, hier unterscheidet sich die PG nur tendenziell von der KG. Die Daten stützen demnach Hypothese 1. Ähnliches gilt – eingeschränkt – für Hypothese 2: Studierende der PFG sind Studierenden der PG in nur einer Dimension tatsächlich überlegen, sie verknüpfen Elemente der Theorie elaborierter mit den Entsprechungen der schulischen Situation als Studierende in der PG.

6 Diskussion

Die Professionalisierung im Rahmen von Praxisphasen ist Gegenstand reger aktueller Forschungstätigkeit (z. B. Ulrich et al. 2020; McDonald et al. 2013). Ein zentrales Ziel von Praxisphasen während des Studiums liegt in der Verknüpfung von Theorie und Praxis durch Reflexion (z. B. Weyland 2010). „Theorien auf Situationen beziehen“ und „mit Situationen analytisch-reflexiv umgehen“ stellen dafür typische Lerngelegenheiten dar (König et al. 2014). Die vorliegende Studie setzt hier an und führt Überlegungen verschiedener Forschungszugriffe zusammen: Wissensbasierte Reflexion wird mehrdimensional unter Einbezug erziehungswissenschaftlicher Forschung sowie der Forschung zur epistemic cognition konzipiert. Sie umfasst demnach die Erklärung schulischen Geschehens unter Nutzung verschiedener Theorien und Befunde sowie der Herstellung von Selbstbezügen (Cramer 2020; Beck und Krapp 2006; Schneider Kavanagh et al. 2020; Artmann et al. 2013; King und Kitchener 2004). Die kognitionspsychologische Forschung gibt Hinweise darauf, wie solche Lernprozesse unterstützt werden können, nämlich indem zum einen strukturierende und fokuslenkende Hinweise (Prompts) und zum anderen Leitfäden für Feedbacks durch die Dozierenden eingesetzt werden. Die bisherige Forschung zur Reflexion im Praxissemester zeichnet sich durch eine Dominanz von Studien aus, die eher mit Selbsteinschätzungen statt objektiven Beobachtungen auskommen, sowie durch ein Defizit von quasi-experimentellen Designs (Ulrich et al. 2020). Die vorliegende Studie greift diese Forschungslücke auf und vergleicht Entwicklungen von unterschiedlich instruierten Lernprozessen (unter Einsatz von Prompts, respektive von Prompts in Kombination mit leitfadengestütztem Expert*innenfeedback) von Studierenden bei der wissenschaftsbasierten Reflexion von schulischen Situationen in einem quasi-experimentellen Design.

Im zweiten Schritt wurde zusätzlich überprüft, ob die Effekte möglicherweise auf Unterschiede zwischen den begleitenden Dozierenden und ihren Kurskonzepten zurückgehen. Berücksichtigt das Mehrebenenkovarianzmodell die Zugehörigkeit zu einer der drei Untersuchungsgruppen, so lassen sich die bereits ermittelten Effekte bestätigen. Die Gruppenzugehörigkeit weist insgesamt mittlere Effekte in unterschiedlichen Dimensionen der Reflexion auf: So übernehmen Studierende, die sowohl Prompts als auch Feedback in der Begleitung erhielten (PFG), mehr wissenschaftliche Perspektiven im Hinblick auf eine schulische Situation und führen diese deutlich breiter aus als die KG. Darüber hinaus überführen sie die Elemente der Theorie weitergehend auf die schulischen Situationen und unterscheiden sich darin sowohl von der KG als auch der PG. Auch entwickeln sie eher epistemisch informierte Selbstbezüge, die weniger auf einer Bestätigung zuvor entwickelter Überzeugungen beruhen, sondern abwägend bleiben im Sinne eines Auslotens verschiedener Handlungsmöglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen. Ein ähnliches Bild zeigt sich – wenngleich in abgeschwächter Form und nicht für die Perspektivenvielfalt – für die Studierendengruppe, die nur Prompts zur Reflexion erhalten hat (PG). Die kovarianzanalytische Auswertung unter Berücksichtigung einer verschachtelten Datenstruktur kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis.

Die Befunde korrespondieren zum einen mit den Ergebnissen aus Studien zur instruktionalen Unterstützung von Theoriebezügen beim Erklären von schulischen Situationen in fehlerbasierten Lernumgebungen (Klein et al. 2015). Ausgehend vom Hinweis dieser Arbeitsgruppe, dass die verwendeten Theorien nicht immer mit der pädagogischen Situation korrespondieren (Stark 2005), sollten weitere Auswertungen den Körnungsgrad insofern verfeinern, als dass die Korrektheit und Angemessenheit einzelner Theorien für die selbstgewählten Situationen eingeschätzt werden.

Die Befunde bestätigen darüber hinaus auch die Ergebnisse zur Wirksamkeit und Relevanz von Expert*innenfeedback z. B. bei der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Prilop et al. 2021). Ein leitfadengestütztes Feedback von Dozierenden, das strukturell auf der Idee der rubrics, also einer Rückmeldung zu einer erreichten Kompetenzstufe basiert (vgl. Wollenschläger et al. 2011), kann Studierende zusätzlich dabei unterstützen, Theorien und Befunde bei der Erklärung schulischer Situationen zu nutzen. Dies passt zum Befund, dass die Rückmeldung über rubrics zu besseren Lernleistungen und zu tendenziell höherer Motivation führt (Wollenschläger et al. 2011). Insgesamt lässt sich auf der Grundlage der Befunde konstatieren, dass Prompts, die den Blick auf unterschiedliche theoretische Perspektiven lenken, die Praxis-Theorie-Verknüpfung als vorgelagerte Instruktion vorbereiten können (auch Lehmann et al. 2019). Ein nachgelagertes Feedback zu Ausmaß und Qualität der Wissensnutzung ermöglicht es noch einmal zusätzlich, den Blick auf Aspekte zu lenken, an denen Modifikationen oder Vertiefungen vorgenommen werden können.

Die Limitationen der Studie liegen insbesondere darin, dass das Design in das bestehende thematisch breit angelegte bildungswissenschaftliche Lernbegleitungsformat an der Bergischen Universität Wuppertal eingegossen wurde. Zuvorderst stellt sich die Frage, inwieweit solche selbstgewählten schulischen Situationen tatsächlich vergleichbar sind. Durch ihre Formalisierung und ihre Übersetzung in Theoriebezüge und weitere Teildimensionen wird dieser Problematik zwar durchaus Rechnung getragen, sinnvoll ist es jedoch auch im Sinne einer Validierung, die Studie um die Reflexion mit standardisierten Instrumenten wie beispielsweise einer Vignette zu erweitern. Limitierend wirkt sich auch die Tatsache aus, dass die erfolgreichsten Studierenden in der Experimentalgruppe sowohl Prompts als auch ein leitfadengestütztes Expert*innenfeedback erhalten haben, insgesamt also mehr – zumindest systematisch erfasste – Unterstützung erhalten haben als die Studierenden der Prompts-Gruppe und der Kontrollgruppe. Selbstverständlich haben auch diese Studierenden Feedback durch ihre Dozierenden bekommen, das in dieser Studie jedoch nicht kontrolliert wurde.

Die Studie kann ebenfalls keine empirisch abgesicherte Antwort darauf geben, ob und inwieweit sich die Nutzung von Theorien und Befunden im studentischen professionellen Handeln niederschlägt. Dennoch wäre im Hinblick auf eine reflective practice mit einer evidenzorientierten Ausrichtung denkbar, auf ähnliche Weise das Ausmaß und die Form der Nutzung von wissenschaftlichen Theorien und Befunden in situ zu untersuchen (z. B. bei der Beurteilung von Schüler*innenleistungen, vgl. Barnes et al. 2020). Dabei sollten sowohl Grenzen, Nutzen und Ausmaß von theoretischen Wissensbeständen bei der Reflexion thematisiert werden (zur Kritik vgl. Häcker 2017), aber auch studentische Überzeugungen zur Natur des Wissens (z. B. Merk et al. 2016). Die Aussagekraft der Ergebnisse beschränkt sich darüber hinaus auf die lokalen Gegebenheiten, weitere Studien müssten in den Blick nehmen, inwieweit ähnliche Instrumente auch an anderen Institutionen zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.

Mit der Studie sind auch zwei übergeordnete Problematiken verbunden, die wie Stellschrauben betrachtet werden müssen und einer stärkeren Berücksichtigung in der Forschung bedürfen: (1) Gerade das Feedback durch die begleitenden Dozierenden im Kontext der Universität nimmt eine zentrale Bedeutung ein. Damit wird auch die Rolle der Dozierenden und ihr Auftrag im Professionalisierungsprozess der Studierenden geschärft, die mit der Frage verbunden ist, welche qualifikatorischen Voraussetzungen das Lehrpersonal im Hinblick auf die Aufgabe, Reflexionen von Studierenden anzuregen und diese auch vor dem Hintergrund der vielfältigen theoretischen Ansätze einzuordnen, mitbringen muss (z. B. Häcker 2017). Entsprechend kommt Dozierenden in der Begleitung die Aufgabe zu, sich ebenfalls Wissen in der theoretischen Breite, aber auch zu ihrer Didaktik und zum Feedback entsprechend ausgerichteter Lernprozesse anzueignen.

(2) Gerade Dozierende in der Praxissemesterbegleitung bieten mit der Anfertigung von Lerntagebüchern Lerngelegenheiten an, die von Studierenden nicht durchgehend als relevant erlebt werden (Mertens et al. 2020). So zeigen sich Studierende bei der Nutzung von wissenschaftlichem Wissen durchaus als leistungsfähig, der Nutzen einer solchen Lerngelegenheit kann jedoch unerkannt bleiben. Die Gefahr beim „bewältigungsförmigen Abarbeiten“ der Anforderung (Häcker 2017, S. 32) liegt zum einen in der Deprofessionalisierung (z. B. Cramer 2013) und zum anderen darin, den Wunsch nach mehr Praxis zu enttäuschen (Wenzl et al. 2018, S. 2 ff.). Die Orientierung der Praxissemesterbegleitung an zentralen Anforderungen des Lehrberufs (sogenannte Core Practices, vgl. Grossman et al. 2009) bietet hier Perspektiven, wissenschaftliches Wissen direkt an praktisches Handeln anzubinden und somit seine Relevanz zu verdeutlichen (Cochran-Smith und Lytle 1999).