1 Umgang mit Heterogenität in der Schule

Im Zeitraum von 2009 bis 2018 hat sich der Anteil der Lernenden mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die an Regelschulen unterrichtet werden, erheblich erhöht (KMK 2020). Die Entwicklung vollzog sich besonders dynamisch an Schulen der Sekundarstufe I. So hat sich der Inklusionsanteil an Integrierten Gesamtschulen in diesem Zeitraum verachtfacht (KMK 2020). Auch wenn bisher keine einheitliche, präzise und umfassende Definition von Inklusion vorliegt (Göransson und Nilholm 2014), besteht Einigkeit darüber, dass Inklusion einen positiven Blick auf Heterogenität beinhaltet (Hinz 2010). Inklusion geht von einer unselektierten Lerngruppe aus, daher ist eine wirklich inklusive Klasse eine Lerngruppe mit maximaler Heterogenität (Krause und Kuhl 2018). Aktuell besteht eine große Herausforderung in der Entwicklung von Konzepten für einen Unterricht in sehr heterogenen Lerngruppen, der vielfältigen Fähigkeitsprofilen im gesamten Leistungsspektrum gerecht wird. Um die Vergleichbarkeit von Studienergebnissen zu gewährleisten, sollte in empirischen Studien das jeweilige Inklusionsverständnis expliziert werden (Grosche 2015). In der hier vorgelegten Arbeit wird nach der Kategorisierung von Piezunka et al. (2017) ein pragmatisches, auf die Leistungsentwicklung von Lernenden bezogenes Inklusionsverständnis zugrunde gelegt. Alle Lernende sollen die Unterstützung erhalten, die sie für ihre bestmögliche schulische Entwicklung benötigen. Dabei ist der Blick nicht nur auf Lernende mit offiziell festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfen gerichtet (deren Feststellungskriterien und -praktiken regional variieren, vgl. Löser und Werning 2015; Moser und Dietze 2015; Neumann und Lütje-Klose 2020), sondern auf alle Lernenden, insbesondere jene mit niedrigen akademischen Leistungen.

Um mögliche Förder- und Unterstützungsbedarfe aller Lernenden jenseits der offiziellen Feststellungsverfahren für sonderpädagogische Förderbedarfe zu identifizieren, eignet sich das Modell der kognitiven und motivationalen-volitionalen individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens (INVO-Modell) von Hasselhorn und Gold (2009). Es kondensiert zahlreiche Befunde der psychologischen Lehr-Lern-Forschung und identifiziert fünf Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen: 1) Vorwissen (dies betrifft in unserem Kontext sowohl mathematisches als auch sprachliches Vorwissen), 2) Aufmerksamkeitssteuerung und Arbeitsgedächtnis, 3) metakognitive Regulation und Strategien, 4) Motivation und Selbstkonzept sowie 5) Volition und lernbegleitende Emotion. Prediger et al. (2019) haben das INVO-Modell um die Sprachkompetenz (6) erweitert, da sie als weitere Lernvoraussetzung für den Mathematikunterricht von besonderer Bedeutung und daher explizit aufzuführen ist. Didaktisch-methodische Entscheidungen zur Förderung sollten sich an diesen individuellen Lernvoraussetzungen orientieren. So kann der Unterricht auf Grundlage der Unterschiede zwischen den Lernenden adaptiv gestaltet werden. Die Zugänglichkeit zu Lerninhalten und -materialien kann dabei auf Ebene der jeweiligen Lernvoraussetzungen durch zwei verschiedene Strategien geschafft werden (Wember 2013; Prediger et al. 2020):

  • Förderstrategien: Hier werden fehlende Lernvoraussetzungen aktiv aufgearbeitet, um die Anschlussfähigkeit an spätere Anforderungen zu erreichen (Wember 2013). Ein Beispiel ist die Förderung von mathematischen Verstehensgrundlagen, um Anschluss an die curricularen Inhalte vorhergehender Klassen zu erzielen (Ennemoser et al. 2015; Moser Opitz et al. 2017). Dies ist sowohl bzgl. sprachlicher Anforderungen als auch bzgl. des fachspezifischen Vorwissens zentral. Mathematisches Lernen vollzieht sich kumulativ und verlangt somit eine konsequent verstehensorientierte Strukturierung. Eine solche Förderung kann auch als entwicklungsniveaubezogene Differenzierung (Feuser 1989) erfolgen.

  • Unterstützungsstrategien: Hier werden fehlende Lernvoraussetzungen durch Entlastung der Lernprozesse oder durch zusätzliche Unterstützung kompensiert. Beispiele sind die Entlastung des Arbeitsgedächtnisses durch die übersichtliche Gestaltung von Arbeitsblättern, die Unterstützung der Aufmerksamkeitssteuerung durch besonders strukturierte Anweisungen (Kuhl et al. 2016) oder die adaptive Reduktion sprachlicher Anforderungen bei geringer Sprachkompetenz (Lütje-Klose 2012). Unterstützungsstrategien sind vor allem bei Lernvoraussetzungen sinnvoll, die nicht zu Lernzielen des Unterrichts zählen und durch Förderung nur schwer beeinflussbar sind, wie etwa das Arbeitsgedächtnis.

Um heterogenen Lerngruppen gerecht zu werden, sollten diese Strategien der individuellen Unterstützung und Förderung in einen Unterricht integriert werden, der eine angemessene Balance von individuellem und gemeinsamen Lernen hält (Wocken 1998; Häsel-Weide und Nührenbörger 2013).

2 Forschungsstand zum inklusiven Mathematikunterricht der Sekundarstufe

Die theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem Lernbereich Mathematik hat in der Sonderpädagogik im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition. Für die Grundschule existieren mittlerweile zahlreiche Ansätze zur Förderung mathematischer Kompetenzen, die sich überwiegend auf den Förderschwerpunkt Lernen beziehen (z. B. Kutzer 1999; Moog 1993; Schulz et al. 1998; Sinner und Kuhl 2010; Werner 2007). Deutlich weniger wurden bisher die Förderschwerpunkte Geistige Entwicklung (De Vries 2014; Kuhl et al. 2012; Moser Opitz et al. 2016; Ratz und Wittmann 2011) oder Sehen (Leuders 2012) fokussiert. Die meisten Ansätze wurden nicht explizit für inklusive Settings entwickelt, sind aber an inklusiven Unterricht anschlussfähig (Schnepel et al. 2015). International zeigt sich ein ähnliches Bild (im Überblick: Butler et al. 2001; Gersten et al. 2009; Kroesbergen und van Luit 2003).

Mit der Förderung mathematischer Kompetenzen in der Sekundarstufe hat sich die Sonderpädagogik bisher weniger befasst. Forschung und Praxis sind hier in Bezug auf den inklusiven Unterricht weniger fortgeschritten. Zwar können viele Prinzipien inklusiven Unterrichts von der Grundschule übertragen werden, dennoch besteht ein spezifischer Forschungsbedarf für die Sekundarstufe (Gebhardt 2015). Auch wenn es einige Erkenntnisse zum Leistungsspektrum von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt (z. B. Gebhardt et al. 2013; Humbach 2008; Moser Opitz 2007), besteht ein Desiderat insbesondere im Hinblick auf Bedingungen der Inklusion im Mathematikunterricht der Sekundarstufe (Schneider et al. 2013).

In der Mathematikdidaktik ist Heterogenität bereits seit den 1980er-Jahren ein wichtiges Thema vieler Entwicklungs- und Forschungsprojekte (vgl. Überblick in Bruder et al. 2015). Ausgehend von empirischen Identifikationen des relevanten mathematischen Vorwissens für die Inhalte der Sekundarstufe (Moser Opitz 2007; Humbach 2008) wurden Förderkonzepte für Verstehensgrundlagen und Basiskönnen entwickelt und ihre Lernwirksamkeit empirisch überprüft (z. B. Moser Opitz et al. 2017). Die Aufarbeitung von Verstehensgrundlagen ist hoch relevant, da zukünftiger Lernerfolg grundsätzlich stark vom bisher erworbenen Wissen abhängt (Hasselhorn und Gold 2009; Pressley et al. 1989; Schneider und Näslund 1992). Diese erfolgte bislang jedoch vor allem separiert und nicht integriert in das gemeinsame Lernen. Für das gemeinsame Lernen wurden Konzepte entwickelt und beforscht, die auf offene Differenzierungen setzen (Wittmann 1995), für die Grundschule auch mit stufengerechten Differenzierungen in jahrgangsgemischten Gruppen (Nührenbörger und Pust 2006) oder inklusiven Settings (Häsel-Weide und Nührenbörger 2013; Peter-Koop et al. 2015; Ratz und Wittmann 2011). Für die Sekundarstufe wurden zwar offene Differenzierungen oder Unterstützungsstrategien genutzt, weniger dagegen Differenzierungen nach Lerninhalten mit langfristigen Förderstrategien (Janney und Snell 2006). Dies greift für den inklusiven Unterricht der Sekundarstufe insofern zu kurz, als dass es die langfristigen Lernbedarfe von schwächeren Lernenden mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf zu wenig berücksichtigt. Jenseits der offenen Differenzierung sind lernstufengerechte Förderstrategien zu integrieren, die auf detailliertem Wissen über die Lernvoraussetzungen der Lernenden und möglichen Lernwegen beruhen (Krähenmann et al. 2019; Janney und Snell 2006).

3 Instruktionsdesign und inhaltliche Strukturierung der MATILDA-Unterrichtseinheit zur Prozentrechnung

Die in Abschn. 2 berichteten Ansätze für den Umgang mit starker Heterogenität im Mathematikunterricht wurden in einer Unterrichtseinheit für das Projekt MATILDA (Pöhler et al. 2018) synthetisiert. Mit dieser kann das exemplarisch gewählte Unterrichtsthema Prozentrechnung in einer Balance von gemeinsamem und individuellem Lernen bearbeitet werden. Dabei werden die heterogenen Lernvoraussetzungen (gemäß dem INVO-Modell nach Hasselhorn und Gold 2009; Prediger et al. 2020) der Lernenden durch adaptive Förder- und Unterstützungsstrategien gezielt curricular und differenzierend berücksichtigt. Das Instruktionsdesign der MATILDA-Unterrichtseinheit folgt vier Designprinzipien, die in den folgenden Abschnitten erläutert werden: verstehensorientierte Strukturierung auf mehreren Lernstufen (3.1), Darstellungsvernetzung (3.2), Sprachsensibilität (3.3) und Sicherung der Zugänglichkeit durch weitere Unterstützungsstrategien (3.4). Sie werden abschließend in Abb. 2 an zwei Beispielaufgaben konkretisiert.

3.1 Designprinzip verstehensorientierte Strukturierung auf mehreren Lernstufen

Kognitive Strukturierung gilt als entscheidendes Unterrichtsqualitätsmerkmal, das sich sowohl auf die inhaltliche Strukturierung einer Unterrichtseinheit bezieht, als auch auf die Gesprächsführung (Einsiedler und Hardy 2010). Speziell für den Aufbau von konzeptuellem mathematischen Wissen, wie z. B. Prozente, hat sich die inhaltliche Strukturierung in verstehensorientierte Lernpfaden mit mehreren Lernstufen empirisch bewährt. Ausgehend von den intuitiven Vorerfahrungen der Lernenden werden die fachlichen Konzepte ausgebildet und daraus die Rechenverfahren abgeleitet (Gravemeijer 1999).

Die MATILDA-Unterrichtseinheit ist in einen empirisch bewährten Lernpfad zur Prozentrechnung strukturiert (Van den Heuvel-Panhuizen 2003). Über das Schätzen von Anteilen und Prozenten werden zunächst die intuitiven Vorerfahrungen der Lernenden mobilisiert (Kompetenz K1 in Abb. 1). Den Lernenden wird ermöglicht, intuitive Strategien zur Bestimmung von Prozentwert und Prozentsatz zu nutzen (K2). Auf der dritten Stufe werden die Konzepte Prozentwert, Prozentsatz und Grundwert herausgearbeitet und danach formal beschrieben (K3 und K4). Mit dem Prozentstreifen erfolgt weiterhin die Thematisierung von Übersetzungsstrategien und Rechenverfahren, auch für komplexere Textaufgaben (K5 bis K8). Diese verstehensorientierte Strukturierung (ausgearbeitet in Pöhler und Prediger 2015) bietet eine empirisch nachweislich lernwirksame Förderstrategie für mittelstarke und starke Lernende (Pöhler 2018; Prediger und Neugebauer 2021). Sie eröffnet zudem Gelegenheiten für gemeinsames Lernen durch offene Differenzierungen in reichhaltigen Aufgaben mit vielfältigen Lösungswegen (van den Heuvel-Panhuizen 2003; Wittmann 1995).

Abb. 1
figure 1

Übersicht der MATILDA-Unterrichtsreihe „Prozente verstehen“ für inklusiven Unterricht (Unterrichtsmaterial: Pöhler et al. 2018; Handreichung: Prediger et al. 2019)

Zur Berücksichtigung der mathematischen Lernvoraussetzungen der schwachen Lernenden wurden diejenigen Aspekte des mathematischen Vorwissens empirisch identifiziert, die beim Aufbau der Prozentkonzepte auf dem skizzierten Lernpfad gebraucht werden, aber bei vielen schwachen Lernenden noch nicht ausgebildet sind (Strucksberg und Prediger 2018). Hierbei handelt es sich um vier Verstehensgrundlagen (vgl. Abb. 1 links: V1 Anteil-Ganzes-Konzept, V6 zwei Skalen verknüpfen, usw.) und vier Basisfertigkeiten (vgl. Abb. 1 links: B4 Zerlegen der 100 usw.). Für diese Verstehensgrundlagen und Basisfertigkeiten wurden systematische Lerngelegenheiten in die MATILDA-Unterrichtseinheit eingearbeitet, damit sie im Sinne einer Förderstrategie (Janney und Snell 2006) aufgearbeitet werden können. Das Material ermöglicht eine Differenzierung nach Lerninhalten auf zwei Niveaus: Im Basisniveau, das an die mathematisch Schwächeren gerichtet ist, sind die Verstehensgrundlagen besonders betont. Die Verstehensgrundlagen sind punktuell auch im Regelniveau integriert, das an die mathematisch Stärkeren gerichtet ist. Diese Rückbesinnung auf die Grundlagen schafft Anlässe für gemeinsames Lernen. Abb. 1 zeigt die verstehensorientierte Strukturierung in mehreren differenzierten Lernstufen, die durch die Integration der Verstehensgrundlagen entstanden ist. Um regelmäßige gemeinsame Phasen im Unterricht zu ermöglichen, sind etwa 80 % der Aufgaben aus dem Basisniveau auch im Regelniveau enthalten, das zusätzlich weitere Aufgabenangebote enthält.

3.2 Designprinzip Darstellungsvernetzung

Die Unterrichtseinheit nutzt durchgängig die graphische Darstellung des Prozentstreifens, dessen didaktisches Potenzial empirisch mehrfach belegt wurde (Van den Heuvel-Panhuizen 2003; Pöhler und Prediger 2015; Pöhler 2018). In inklusiven Klassen ist es besonders entscheidend, die Vernetzung von graphischen, textlichen und symbolischen Darstellungen bei den Lernenden gezielt und ritualisiert anzuregen. Dadurch bietet die Darstellungsvernetzung am Prozentstreifen folgende Potenziale:

  • Unterstützungsstrategie für das Arbeitsgedächtnis, weil rein auditive oder textliche Informationen graphisch ergänzt und das Arbeitsgedächtnis entlastet werden;

  • Förderstrategie für das mathematische Vorwissen, indem die relevanten Verstehensgrundlagen am Prozentstreifen visualisierbar und diskutierbar werden;

  • Förderstrategie für die zentralen neuen Inhalte der Einheit, der Prozentkonzepte und der Prozentrechnung;

  • Förderstrategie für die metakognitive Regulation, gerade in Bezug auf Strategien für das Dekodieren und Lösen von Textaufgaben.

Die Wirkung jeder dieser Förderstrategien ist empirisch belegt (zusammengestellt in Peters 2020). In der MATILDA-Unterrichtseinheit werden sie kombiniert und in einzelnen Unterrichtsstunden unterschiedlich gewichtet.

3.3 Designprinzip Sprachsensibilität

Das Designprinzip Sprachsensibilität berücksichtigt die hohe Relevanz der Lernvoraussetzung Sprachkompetenz für den Aufbau von konzeptuellem Verständnis in der Mathematik. Statt das Material, im Sinne einer Unterstützungsstrategie, sprachlich zu entlasten, wird die themenbezogene Sprache der Lernenden mit den folgenden sprachsensiblen Förderstrategien gezielt aufgebaut (Pöhler und Prediger 2015):

  • reichhaltige Diskursanregungen durch ritualisierte Aufforderungen zum Erklären von Bedeutungen und zum Argumentieren;

  • Ergänzung des fachlichen Lernpfads mit Sprachlerngelegenheiten auf jeder Stufe;

  • Vernetzung der textlichen, graphischen und symbolischen Darstellungen durch konsequente Verbalisierungen durch die Lernenden und Lehrenden.

Die Vorläuferversion der MATILDA-Unterrichtseinheit nutzte diese Förderstrategien und erwies sich in einer Interventionsstudie als lernwirksam für mittelstarke und starke Lernende (Prediger und Neugebauer 2021).

3.4 Sicherung der Zugänglichkeit durch weitere Differenzierungs- und Unterstützungsstrategien

Um die Zugänglichkeit der Unterrichtseinheit für schwächere Lernende zu sichern, wurden neben dem mathematischen Vorwissen (vgl. 3.1) und der Sprachkompetenz (vgl. 3.3) weitere Lernvoraussetzungen des INVO-Modells (Hasselhorn und Gold 2009) systematisch einbezogen: Die Zugänglichkeit bzgl. metakognitiver Regulation und Strategien wurde vor allem im Bereich des Umgangs mit Textaufgaben systematisch berücksichtigt, indem die Lernenden unterschiedlich intensive Förderung der Texterschließung mithilfe des Prozentstreifens erhielten (vgl. 3.2). Um die Zugänglichkeit bzgl. Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeitssteuerung zu sichern, wurde auf Unterstützungsstrategien der ressourcenorientierten Lernförderung zurückgegriffen (Hecht 2014; Krajewski und Ennemoser 2010; Kuhl et al. 2016). Sie umfassen u. a. die klare textliche und graphische Strukturierung von Arbeitsmaterialien und Arbeitsanweisungen, den Verzicht auf irrelevante und ablenkende Elemente, den Aufbau und die Automatisierung von inhaltsspezifischen Basisfertigkeiten (wie Zählen in Schritten oder Zerlegen der 100) und den systematischen Aufbau von Lösungsstrategien (Kuhl et al. 2016).

Insgesamt wurden in dem Instruktionsdesign und der inhaltlichen Strukturierung der MATILDA-Unterrichtseinheit „Prozente verstehen“ bestehende Ansätze zum Umgang mit Heterogenität und Lernschwierigkeiten aus Mathematikdidaktik und Sonderpädagogik zusammengeführt. Wichtige Bestandteile solch einer Konzeption sind die Beachtung von Verstehensgrundlagen, eine verstehensorientierte differenzierte Strukturierung des Lernpfads sowie die sprachsensible und die ressourcenorientierte Gestaltung des Lernangebots. Eine zusammenfassende Veranschaulichung, wie sich die verschiedenen Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten gemäß den genannten Prinzipen in den jeweils gleichen Aufgaben konkretisieren, liefern die Beispiele in Abb. 2. Das gesamte Unterrichtsmaterial ist als Open Educational Resources zugänglich (Pöhler et al. 2018).

Abb. 2
figure 2

Zwei Beispielaufgaben aus der MATILDA-Unterrichtseinheit und die darin jeweils realisierten Unterstützungs- und Förderansätze (Abbildung übersetzt aus Prediger und Buró im Druck)

4 Ziele und Forschungsfrage der Pilotstudie

Ziel der vorliegenden Interventionsstudie ist die erste Prüfung der entwickelten Unterrichtseinheit hinsichtlich ihrer Lernwirksamkeit für das Prozentverständnis unter Berücksichtigung relevanter Lernvoraussetzungen (Hasselhorn und Gold 2009; Prediger et al. 2020).

Daraus ergaben sich für die Pilotstudie folgende Forschungsfragen und Annahmen:

  1. 1.

    Inwiefern nehmen mathematische Basiskompetenzen, spezifisches mathematisches Vorwissen zu Prozenten und die Sprachkompetenz Einfluss auf die Lernergebnisse im Prozentverständnis? Da das Vorwissen der beste Prädiktor für zukünftiges Lernen im gleichen Inhaltsbereich ist (Ennemoser et al. 2011; Neubauer und Stern 2008), ist anzunehmen, dass das Vorwissen den größten Einfluss auf die Lernergebnisse hat. Darüber hinaus liegen mittlerweile einige empirische Befunde vor, die den Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und mathematischen Leistungen zeigen (Heinze et al. 2011; Prediger et al. 2015). Daher sollte die Sprachkompetenz einen deutlich kleineren, aber bedeutsamen Einfluss haben.

  2. 2.

    Inwiefern erzielt die Interventionsgruppe, die mit dem MATILDA-Unterrichtskonzept arbeitet, bessere Lernergebnisse als die Kontrollgruppe, die nach der individuellen Konzeption der Lehrkraft mit einem regulären Schulbuch arbeitet? Die Entwicklung des Unterrichtskonzepts basiert auf empirischen Erkenntnissen und wirksamen Förderstrategien, daher ist anzunehmen, dass die Interventionsgruppe, unter Kontrolle von zentralen Lernvoraussetzungen der Lernenden, die besseren Lernergebnisse erzielt.

  3. 3.

    Inwiefern profitieren alle Lernenden unabhängig von ihren Lernvoraussetzungen von der MATILDA-Unterrichtseinheit? Da das Unterrichtskonzept mit Blick auf heterogene Lerngruppen entwickelt wurde, sollten sich auch Lernende mit schwachem mathematischem Vorwissen in der MATILDA-Gruppe besser entwickeln als Lernende mit vergleichbaren Voraussetzungen in der Kontrollgruppe.

5 Methode

5.1 Prä-Post-Kontrollgruppendesign

Die Studie wurde als Kontrollgruppen-Design mit 14 siebten Klassen durchgeführt. Als abhängige Variable wurde das Prozenteverständnis erfasst. Unter Berücksichtigung der mathematischen Basiskompetenzen, des Vorwissens zu Prozenten sowie der Sprachkompetenz wurde die Interventionsbedingung mit einer Kontrollbedingung verglichen, die im Folgenden dargestellt werden.

  • Interventionsgruppe (IG): Die Lehrkräfte der neun Klassen der Interventionsgruppe arbeiteten im Laufe des zweiten Schulhalbjahres 2018 ca. 4 Wochen in 14 bis 16 Unterrichtsstunden mit dem MATILDA-Unterrichtskonzept und -material für die Prozentrechnung in inklusiven Klassen (vgl. Abschn. 3, online verfügbar unter Prediger et al. 2019). Um die konzeptgetreue Implementation der Unterrichtseinheit zu sichern, nahmen die Lehrkräfte an einer entsprechend konzipierten Fortbildungsreihe teil. Diese umfasste einen Ganztag und zwei halbtägige Termine vor der Unterrichtseinheit und einen Halbtag zum Austausch und Abschluss nach der Unterrichtseinheit. Um die Implementation zu kontrollieren, wurde der Bearbeitungsgrad der Aufgaben aus dem Unterrichtsmaterial erfasst. Dabei zeigte sich, dass in allen Klassen über 70 % der Aufgaben bearbeitet wurden, was als Indikator für eine hinreichende Implementationstreue interpretierbar ist. In der Hälfte der Klassen wurde zudem die Umsetzungstreue zu den in Abschn. 3 beschriebenen Designprinzipien durch Videoanalysen erfasst und als hinreichend bestätigt (Prediger und Buró 2021).

  • Kontrollgruppe (KG): Die Lehrkräfte der fünf Klassen der Kontrollgruppe arbeiteten im Laufe des zweiten Schulhalbjahres 2018 ca. 4 Wochen lang (14 bis 18 Unterrichtsstunden) mit ihrem eigenen Unterrichtskonzept zur Prozentrechnung und verwendeten ihr reguläres Unterrichtsmaterial. Die Lehrkräfte erhielten erst nach der Durchführung eine Fortbildung zu den Prinzipien der Darstellungsvernetzung und Sprachsensibilität (Wartegruppen-Kontrollgruppe in der Erhebung von Prediger und Neugebauer 2021). Eine Analyse der genutzten Aufgaben bestätigte, dass die gleichen Inhalte wie in der Interventionsgruppe (Kompetenzen K1 bis K8 aus Abb. 1, aber nicht alle Verstehensgrundlagen) abgedeckt wurden, eine weitere Kontrolle der Implementationsqualität erfolgte nicht.

5.2 Erhebungsinstrumente

Im Prätest, direkt vor Beginn der Unterrichtseinheit, wurden in beiden Gruppen die folgenden Variablen wie folgt erfasst:

  • Alter, Migrationshintergrund, Geschlecht – Selbstauskunft-Fragebogen: Ein Migrationshintergrund lag vor, wenn die Lernenden für sich selbst oder mindestens eines ihrer Elternteile ein anderes Geburtsland als Deutschland angaben.

  • Sprachkompetenz – C‑Test: Dies ist ein weitverbreitetes, ökonomisches und valides Verfahren mit Wortendungstilgung in Lückentexten (Grotjahn et al. 2002). Der eingesetzte C‑Test umfasst drei Texte von Daller (1999) in Alltags- und Bildungssprache. Maximal können 59 Punkte erreicht werden. In der Untersuchungsstichprobe (N = 259) lag der Mittelwert bei 37,22 (SD = 11,73) und Cronbachs α bei 0,83.

  • Vorwissen zu Prozenten – drei Aufgaben: Da in den Klassen der Interventions- und der Kontrollgruppe die Prozentrechnung erstmalig eingeführt wurde, war zum Zeitpunkt des Prätests kaum spezifisches Vorwissen zur Prozentrechnung zu erwarten. Entsprechend konnte kein umfassender Prätest zur Prozentrechnung durchgeführt werden. Dieser hätte die Lernenden überfordert und gleichzeitig bei einem Bodeneffekt nicht ausreichend differenziert. Daher wurden drei Aufgaben zur Prozentrechnung verwendet, die mit jeweils einem Punkt bewertet wurden. Im Gesamtergebnis konnten entsprechend 0–3 Punkte erreicht werden. Gesucht waren Prozentwert oder Prozentsatz, einmal mit und zweimal ohne Prozentstreifen. Cronbachs α lag in der Untersuchungsstichprobe (N = 259) bei 0,65. Die Itemschwierigkeiten der drei Items lagen bei P = 40, P = 34 und P = 8. Damit haben zwei Items eine mittlere und ein Item eine hohe Schwierigkeit (Bühner 2006). Der Mittelwert in der Untersuchungsstichprobe lag bei M = 0,81 (SD = 0,97). 59 % der Lernenden löste keine Aufgabe.

  • Mathematische Basiskompetenzen – BASIS-MATH-G 6+: Um das mathematische Vorwissen der Lernenden zu kontrollieren, wurden die mathematischen Basiskompetenzen (Kopfrechnen mit Dezimalzahlen, Bruchrechnung, proportionales Denken, mentale Modelle für Multiplikation/Division, Orientierung am Zahlenstrahl und im Zahlenraum, Rechnen mit Größen) mit dem BASIS-MATH-G 6+ (Moser Opitz et al. 2021) erfasst. Es konnten maximal 59 Punkte erreicht werden. In der Untersuchungsstichprobe (N = 259) lag der Mittelwert bei 32,70 (SD = 12,94) und Cronbachs α bei 0,85.

Direkt im Anschluss an die Unterrichtseinheit wurde im Posttest das konzeptuelle Verständnis für Prozente überprüft, indem der Umgang mit verschiedenen Problemtypen und Darstellungen untersucht wurde. Der aus Vorstudien stammende Test (Pöhler 2018) enthält Items der drei Problemtypen „Bestimme den Prozentsatz“, „Bestimme den Prozentwert“ und „Bestimme den Grundwert“. Diese sind realisiert als Textaufgaben und kontextentlastete Aufgaben, teils mit, teils ohne graphische Unterstützung am Prozentstreifen (vgl. Beispiele in Tab. 1). Es konnten maximal 24 Punkte erreicht werden. In der Untersuchungsstichprobe (N = 259) lag der Mittelwert bei 10,75 (SD= 5,75) und Cronbachs α bei 0,90.

Tab. 1 Itemformate des Posttests Prozentrechnung mit Beispielen

5.3 Stichprobe

Die Daten wurden in 14 Klassen der 7. Jahrgangsstufe aller Schulformen erhoben.

Interventionsgruppe: Die Rekrutierung der teilnehmenden Schulen und Lehrkräfte erfolgte Anfang November 2017 über das Verteilen eines Flyers auf verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen. Von den 205 Lernenden der 9 Klassen aus Nordrhein-Westfalen gingen 169 Fälle in die Datenauswertung ein, darunter 5 Klassen der Gesamtschule (n = 98; 58 %), 3 Realschulklassen (n = 39; 23,1 %) sowie je eine Klasse des Gymnasiums (n = 13; 7,7 %) und der Hauptschule (n = 19; 11,2 %). Die Abweichung der Stichprobengröße ist auf fehlende Einverständniserklärungen der Eltern in Bezug auf die Teilnahme an der Datenerhebung oder eine Fehlzeit in einem der beiden Erhebungszeitpunkte zurückzuführen. In drei der Klassen befanden sich insgesamt 13 Lernende mit offiziell diagnostiziertem Förderbedarf (Lernen: n = 10, Geistige Entwicklung: n = 1, Emotional-Soziale Entwicklung: n = 1 und Sprache: n = 1).

Kontrollgruppe: Die Stichprobe wurde einer anderen Erhebung in Nordrhein-Westfalen (n = 64, 71,1 %) und Thüringen (n = 26, 28,9 %) entnommen, so dass Schulen mit ähnlichen sozialen Lagen verglichen werden konnten (aus dem Projekt MuM-Implementation mit denselben Instrumenten, Prediger und Neugebauer 2021). Von den insgesamt 90 Lernenden besuchten 17 Lernende (19 %) eine Gesamtschule, 58 (64,4 %) ein Gymnasium und 12 Lernende (16,7 %) eine Oberschule. In den Klassen wurden keine Lernenden mit offiziell diagnostiziertem Förderbedarf unterrichtet.

Insgesamt nahmen somit N = 259 Lernende an der Studie teil. Die Verteilung auf die Interventions- und Kontrollgruppe sowie die Verteilung der Merkmale Geschlecht, Migrationshintergrund und Alter sind in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Verteilung von Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund

Im Altersmittel unterscheiden sich die Gruppen signifikant (geprüft mit t-Test, p<0,01), die Interventionsstichprobe ist durchschnittlich 6 Monate älter. Bezüglich des Migrationsanteils unterscheiden sich die Gruppen nicht signifikant voneinander (geprüft mit Chi-Quadrat-Test, p > 0,50). Der Anteil an Mädchen ist in der Interventionsgruppe etwas geringer als in der Kontrollgruppe, auch diese Ungleichverteilung ist gemäß Chi-Quadrat-Test nicht signifikant (p > 0,20).

6 Ergebnisse

6.1 Prätest-Unterschiede der Treatmentgruppen

Zunächst wurde mittels t-Test überprüft, ob sich die Treatmentgruppen zu Beginn der Unterrichtseinheit in ihren mathematischen Basiskompetenzen, im Vorwissen zu Prozenten sowie in ihrer Sprachkompetenz unterscheiden.

In Tab. 3 sind die z‑standardisierten Mittelwerte und Standardabweichungen sowie die Ergebnisse der t-Tests dargestellt. Zugunsten der Kontrollgruppe zeigte sich in den mathematischen Basiskompetenzen ein signifikanter Unterschied. Eine Verteilungsanalyse der schwächsten Lernenden (die mindestens eine Standardabweichung unter dem Mittelwert der mathematischen Basiskompetenzen lagen) zeigte, dass die schwachen Lernenden stärker in der Interventionsgruppe vertreten waren (IG = 31, KG = 9), allerdings ist dieser Unterschied nicht signifikant (Chi-Quadrat-Test, p = 0,08). Im Vorwissen zu Prozenten und in der Sprachkompetenz bildeten sich deskriptiv etwas höhere Werte bei der Kontrollgruppe ab, es handelt sich jedoch nicht um signifikante Unterschiede. Die Verteilung der leistungsschwächsten Lernenden im Bereich Vorwissen zu Prozenten wurde mittels Chi-Quadrat-Test überprüft (Lernende mit 0 Punkten: IG = 98, KG = 44) und ergab ebenfalls keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Vorwissen zu Prozenten (p > 0,20).

Tab. 3 Vergleich der Prätestwerte zwischen den Treatmentgruppen mittels t‑Test

6.2 Effekte der Intervention

Um zu prüfen, ob es einen Haupteffekt des Treatments und einen Interaktionseffekt zwischen Treatment und Vorwissen gibt, wurden schrittweise lineare Regressionsanalysen gerechnet, bei denen der Posttestwert Prozentrechnung als abhängige Variable in die Analyse einging (Tab. 4). Bei Regressionsanalysen mit Interaktionstermen ist es sinnvoll, eine Zentrierung der metrischen und der kategorialen Prädiktorvariablen vorzunehmen, um aussagekräftige Schätzungen der Effekte zu erhalten (Richter 2007). Die metrischen Variablen wurden durch die z‑Standardisierung zentriert. Da bei der kategorialen Variable Treatment durch unterschiedlich große Gruppen die Merkmalsausprägung nicht gleich häufig verteilt ist, wurde keinen einfache Kontrastcodierung (IG = 1; KG = −1) verwendet, sondern eine gewichtete Codierung. Dazu wurde der Interventionsgruppe der Wert 1 zugewiesen und der Kontrollgruppe der Wert −nIG/nKG = −1,88. Durch die Codierung der Kontrollgruppe mit einem anhand des Verhältnisses der Gruppengrößen gewichteten negativen Werts, ist die Summe der Kodiervariablen über alle Datenträger Null (Richter 2007).

Tab. 4 Ergebnisse schrittweiser Regressionsanalysen mit Prätestergebnissen und Treatmentgruppen als Prädiktoren sowie Posttestergebnisse als Kriteriumsmaß

Da davon auszugehen ist, dass das Vorwissen den stärksten Einfluss auf das Lernergebnis zur Prozentrechnung hat (Hasselhorn und Gold 2009), wurden im ersten Schritt die mathematischen Basiskompetenzen (allgemeines mathematisches Vorwissen) und das Vorwissen Prozente (spezifisches mathematisches Vorwissen) als Prädiktoren in die Regression aufgenommen. Bereits diese beide Prädiktoren, bzw. die Regressionsgerade, klären 40 % der Varianz auf. Dies entspricht einer hohen Anpassungsgüte (Cohen 1988). Die Prädiktoren des Vorwissens sagen das Posttestergebnis zur Prozentrechnung signifikant voraus. Da das adjustierte R2 sowohl die Modellanpassung als auch die Sparsamkeit berücksichtigt, wird im Weiteren nur auf dieses eingegangen. Im zweiten Schritt wurde die Sprachkompetenz (C-Test) als weiterer Prädiktor in das Modell aufgenommen. Es zeigte sich ein zusätzlicher Einfluss auf die Posttest-Leistung Prozentrechnung, wobei die Änderung in R2 (0,01) auf dem Niveau <0,05 signifikant ist. Der Prädiktor Sprachkompetenz eignet sich ebenfalls zur Vorhersage der abhängigen Variablen. Im dritten Schritt wurde das Treatment in die Regression aufgenommen. Auch für das dritte Modell konnte ein signifikanter Zuwachs der Modellaufklärung festgestellt werden. So klärt das Treatment weitere 10 % an der Varianz der Leistung im Posttest Prozentrechnung auf. Um zu klären, ob eine Interaktion des Vorwissens mit dem Treatment besteht, wurde im vierten Schritt die Variable „Treatment*Mathematische Basiskompetenzen“ in das Modell aufgenommen. Auch diese Modellvariante sagt die UV signifikant vorher. Allerdings klärt die Hinzunahme der Interaktion nicht signifikant mehr Varianz auf.

Anhand der Betagewichte zeigte sich, dass die mathematischen Basiskompetenzen den stärksten Einfluss auf die Posttest-Ergebnisse zur Prozentrechnung haben (β = 0,53). Das Vorwissen Prozente und die Sprachkompetenz haben mit Betagewichten von 0,17 und 0,10 deutlich weniger Einfluss auf das Kriterium. Für die Treatmentgruppe zeigte sich ein positives Betagewicht von 0,33 zugunsten der (mit 1 dummy-kodierten) Interventionsgruppe. Damit ist das Treatment nach dem allgemeinen mathematischen Vorwissen der stärkste Prädiktor. Für die Interaktion von allgemeinem Vorwissen und Treatment zeigt sich kein signifikantes Betagewicht.

7 Diskussion

Mit der MATILDA-Unterrichtseinheit zur Prozentrechnung wurde ein Konzept entwickelt, das sich an den Lernvoraussetzungen mathematisches Vorwissen, Sprachkompetenz, Strategien, Aufmerksamkeitssteuerung und Arbeitsgedächtnis orientiert und mit einer Kombination von Unterstützungs- und Förderstrategien eine Balance von individuellem und gemeinsamen Lernen ermöglichen soll. Die Förderstrategien wurden dazu in entwicklungslogischen Differenzierungen (Feuser 1989) insbesondere auf mathematische Verstehensgrundlagen (Moser Opitz et al. 2017), bedeutungsbezogene Sprachmittel und Strategien der Aufmerksamkeitssteuerung bei Textaufgaben fokussiert (Pöhler und Prediger 2015). Die Unterstützungsstrategien folgen dem ressourcenorientierten Ansatz (Hecht 2014; Kuhl et al. 2016).

In der vorliegenden Studie ging es um die erstmalige Prüfung der entwickelten Unterrichtseinheit hinsichtlich ihrer Lernwirksamkeit für das Prozentverständnis unter Berücksichtigung relevanter Lernvoraussetzungen. Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass der so konzipierte Unterricht lernwirksamer ist als der herkömmliche Unterricht und dass dieser Vorteil unabhängig vom Vorwissen der Lernenden besteht. Die erste Forschungsfrage betraf den Einfluss von relevanten Lernvoraussetzungen. Diesbezüglich zeigen die Ergebnisse der Regressionsanalyse, dass die bereits vor Beginn der Prozenteeinheit erworbenen mathematischen Basiskompetenzen den stärksten Einfluss auf die Lernergebnisse in der Prozentrechnung haben. Das inhaltsspezifische Vorwissen im Bereich Prozente hat den zweitstärksten Einfluss. Diese Befunde decken sich mit den Annahmen, da das Vorwissen oft der beste Prädiktor für spätere Leistungen ist (Hasselhorn und Gold 2009; Neubauer und Stern 2008). Dass nicht beide Vorwissensvariablen gleich gut zur Vorhersage der Lernergebnisse geeignet sind, könnte aus der eingeschränkten Varianz des Prozente Prätests resultieren. Wie bereits durch andere Untersuchungen empirisch abgesichert, bestätigt sich in dieser Untersuchung, dass Sprachkompetenz im Mathematikunterricht ein wichtiger Faktor ist (Pöhler und Prediger 2015). Bei Aufnahme in das Modell hatte die Sprachkompetenz einen kleinen, signifikanten eigenständigen Anteil an der Vorhersage der Leistung im Posttest Prozentrechnung. Die zweite Forschungsfrage zielte auf die Überlegenheit des MATILDA-Unterrichtskonzepts gegenüber dem herkömmlichen Unterricht ab. Die Ergebnisse zeigen einen Effekt der MATILDA-Unterrichtseinheit. Die Lernenden der Interventionsgruppe zeigten eine positivere Leistungsentwicklung als die Lernenden der Kontrollklassen, die nach üblichen, in der Praxis vorzufindenden Konzepten unterrichtet wurden. Dies ist als erster Hinweis auf die Wirksamkeit des verwendeten Unterrichtskonzeptes zu deuten. Da die Unterrichtseinheit auf Grundlage einer Fortbildung von den regulär am Mathematikunterricht beteiligten Lehrkräften durchgeführt wurde, ist eine hohe ökologische Validität anzunehmen. Die dritte Forschungsfrage fokussierte die Wirksamkeit der MATILDA-Unterrichtseinheit bei allen Lernenden. Da leistungsheterogene Lerngruppen bei der Entwicklung des Unterrichtskonzepts besonders in den Blick genommen wurden, sollte die Wirksamkeit unabhängig vom Vorwissen der Lernenden sein. Dass sich keine Interaktion von Vorwissen und Treatment zeigt, deutet darauf hin, dass dieses Ziel erreicht wurde. Der ausbleibende Interaktionseffekt bedeutet, dass sich die Lernenden der Interventionsgruppe unabhängig von ihrem Vorwissen besser entwickeln als die Lernenden der Kontrollgruppe mit vergleichbarem Vorwissen. Das Ausbleiben des Interaktionseffekts zeigt auch, dass sich leistungsschwache Lernende der Interventionsgruppe zwar besser entwickeln als leistungsschwache Lernende der Kontrollgruppe, dass der Matthäuseffekt in der Interventionsgruppe aber unvermindert bestehen bleibt. Eine kompensatorische Wirkung ist nicht zu beobachten. Dies bestätigt Ansätze, die davon ausgehen, dass ein qualitativ hochwertiger Unterricht alleine nicht ausreichend ist, um Lernschwierigkeiten gerecht zu werden, sondern eine zusätzliche Förderung notwendig ist (Fuchs und Fuchs 2011; Huber und Grosche 2012).

Trotz dieser ermutigenden Befunde sind die ersten und pilotierenden Ergebnisse der Evaluation eines Unterrichtskonzepts mit größter Vorsicht zu interpretieren. Um belastbare Aussagen zur Evidenz treffen zu können, müssen die Befunde in weiteren Studien repliziert werden. So sollten sie sich über die Zeit, in verschiedenen Situationen und mit unterschiedlichen Stichproben wiederholen, damit ihre Gültigkeit gestärkt werden kann. Die pilotierende Studie geht zudem mit methodischen Limitationen einher, die vor allem aus der Stichprobenbildung resultieren. Wie für schulische Interventionsstudien üblich, erfolgte die Gruppenzuweisung nicht randomisiert (Knigge 2015), wodurch es nicht möglich ist, die Untersuchungsergebnisse zu verallgemeinern. Zudem entstammen Interventions- und Kontrollgruppe aus zwei unterschiedlichen Studien mit teils unterschiedlicher Bundeslandzugehörigkeit. In beiden Studien wurden allerdings dieselben Messinstrumente eingesetzt, so konnte die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen – ebenso bzgl. der implementierten Lerninhalte – geprüft werden. Zu den Lehrkräften liegen keine vergleichbaren Informationen vor. Die höhere Anzahl an Gymnasien in der Kontrollgruppe und das höhere Durchschnittsalter der Interventionsgruppe (in der Sekundarstufe stets ein Anzeichen für Verzögerungen in der Schulbiographie) sollten sich höchstens positiv für die Kontrollgruppe ausgewirkt haben. Der Unterschied der Gruppen in ihrem mathematischen Vorwissen wurde zwar statistisch kontrolliert, dennoch ist nicht auszuschließen, dass unterschiedlich leistungsstarke Gruppen unterschiedlich auf Treatments reagieren. Die bessere Ausgangslage, die leichte Überrepräsentation von Lernenden des Gymnasiums in der Kontrollgruppe sowie die Verteilung der leistungsschwächsten Lernenden stellen weitere Limitationen der Pilotstudie dar. Diese Limitationen werden zwar durch die Kontrolle des Vorwissens abgemildert, jedoch nicht vollständig aufgehoben. Schließlich limitieren Datenanalyse und Modellwahl die vorliegenden Ergebnisse. Da die vorhandene Klassenstruktur nicht mitmodelliert wurde, können die Einzelbeobachtungen nicht als vollkommen unabhängig betrachtet werden. Die Modellierung der Mehrebenenstruktur stellt allerdings höhere Anforderungen an die Stichprobe sowie ihre Größe. Trotz dieser Einschränkungen sind die Erkenntnisse aus der Pilotstudie wichtig, sie liefern Hinweise für das Potenzial von interdisziplinär zwischen Mathematikdidaktik und Sonderpädagogik entwickelten Konzepten für einen Fachunterricht in inklusiven Klassen.

In der Hauptstudie des Projekts MATILDA wird eine weiter optimierte Version des Fortbildungs-Konzepts evaluiert, um die Rolle der Lehrkräfte systematischer einzubeziehen und zu stärken. Diese und weitere Studien sollten die aufgezeigten methodischen Probleme berücksichtigen. So geht es in Zukunft auch darum, die Effekte der Klassenzugehörigkeit auf Grundlage einer entsprechend angelegten Stichprobe systematisch zu untersuchen. Schließlich sollte es vor allem möglich sein, die Wirkung nicht nur in Bezug auf die gesamte Klasse, sondern auch in Bezug auf Teilgruppen zu prüfen und damit die Relevanz der individuellen Lernvoraussetzungen auf die Leistungsentwicklung genauer aufzuschlüsseln.