Erhöhter Proteinbedarf im Alter

Obwohl der tägliche Gesamtkalorienbedarf im Alter ab 65 J. um rund 25 % kleiner ist als in jüngeren Lebensjahren (am besten durch eine verminderte Kohlenhydratzufuhr zu erreichen), ist zum Erhalt der Muskelgesundheit, aber auch zur Bekämpfung der im Alter häufigen inflammatorischen und katabolen Prozesse im Rahmen chronischer Erkrankungen, eine deutlich höhere tägliche Proteinzufuhr notwendig (Tab. 1). Die europäische Geriatriegesellschaft EUGMS (European Union Geriatric Medicine Society) beauftragte deshalb eine internationale Spezialistengruppe (PROT-AGE Study Group), evidenzbasierte Empfehlungen für die optimale tägliche Proteinzufuhr bei Senioren ≥ 65 J. zu machen [1]. Die PROT-AGE Study Group empfiehlt eine tägliche durchschnittliche Proteinzufuhr von mindestens 1,0–1,2 g Protein pro kg Körpergewicht (KG). Für körperlich aktive und/oder trainierende Senioren wird eine höhere tägliche Proteinzufuhr ≥ 1,2 g/kgKG empfohlen. Die Synergie von Proteinen, aber auch anderen Nährstoffen und Training ist in Abb. 1 aufgezeigt.

Tab. 1 Empfohlene tägliche Proteinmengen ab einem Alter von 65 Jahren
Abb. 1
figure 1

Optimale Proteinaufteilung auf Tagesmahlzeiten im Alter. (Adaptiert nach [3])

Eine Mehrheit älterer Menschen mit akuten oder chronischen Erkrankungen braucht sogar noch mehr Proteine mit einem Tagesbedarf von 1,2–1,5 g/kgKG. Die Empfehlungen der europäischen Gesellschaft für Stoffwechsel und Ernährung (ESPEN) liegen ebenfalls in einem Bereich von 1,0–1,5 g/kgKG pro Tag [2]. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) empfiehlt im Moment für Erwachsene generell noch 0,8 g/kgKG pro Tag, eine altersspezifische Empfehlung für Senioren ist im Moment bei der Eidgenössischen Ernährungskommission in Bearbeitung.

Übersetzt man die aktuellen Empfehlungen für einen gesunden, 75 kg schweren Senior in den Ernährungsalltag, bedeutet dies, dass die tägliche Proteinzufuhr rund 90 g (1,2 g/kgKG) betragen sollte, was z. B. einem Äquivalent von knapp 500 g magerem rotem Fleisch pro Tag entspricht. Diese im Alltag eher unrealistische Empfehlung kann ohne weiteres auch mittels anderen gleich- oder sogar höherwertigen Proteinquellen umgesetzt werden. Im Vergleich zu Fleisch- und Fischproteinen sind z. B. die Proteine aus Milchprodukten und Eiern im Körper bis zu 20 % besser verwertbar. Vor allem beim Frühstück lohnt es sich deshalb für Senioren, Eier, Käse und Joghurt/Milch auf dem Speiseplan zu haben. Bei einem Proteingehalt von rund 5 g pro mittelgrosses Ei kann z. B. fast die Hälfte des Frühstückproteinbedarfs mit 2–3 Eiern (z. B. in Form einer Omelette oder eines Rühreis) abgedeckt werden. Dass Eier den Cholesterinspiegel in keiner Weise beeinflussen, muss in diesem Kontext immer wieder betont werden, da diese Assoziation in den 1980er-Jahren fälschlicherweise sehr weit verbreitet wurde und z. T. immer noch in den Köpfen gewisser Senioren steckt.

Optimale Proteinmenge pro Hauptmahlzeit

Im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen brauchen Erwachsene über 65 J. zur Stimulation der eigenen Muskelproteinsynthese deutlich mehr Proteine pro Einzelportion. Seit 5 Jahren wird deshalb empfohlen, den täglichen Proteinbedarf gleichmässig auf die 3 Hauptmahlzeiten zu verteilen [3], wobei pro Einzelportion ein minimaler Proteingehalt von 25 g nicht unterschritten werden soll (Abb. 1). Neuere Daten zeigen, dass die optimale, aufs Mal verabreichte Proteinmenge wohl noch etwas höher liegt. Zur maximalen Steigerung der myofibrillären Proteinsyntheserate benötigen ältere Menschen mind. 40 g schnellverdauliches, L‑Leucin-reiches Protein (Molkenprotein, [4]). Alternativ sind dabei auch kleinere Mengen an Molkenprotein möglich, die allerdings mit L‑Leucin angereichert werden müssen [5]. Dass eine Supplementierung von L‑Leucin angereicherter Molke zusammen mit Vitamin D3 bei Pflegeheimbewohnern einen signifikanten Benefit für Muskelkraft und Funktion der unteren Extremität bewirkt, wurde eindrücklich in der randomisierten placebokontrollierten PROVIDE-Multizentrumsstudie in Deutschland gezeigt. Beeindruckend war hier insbesondere, dass die muskulären Verbesserungen ohne zusätzliches Training erreicht wurden [6].

Optimale Proteinzusammensetzung und -menge nach dem Training

Zur Steigerung der myofibrillären Proteinsyntheserate benötigen ältere Menschen mindestens 40 g schnellverdauliches, L‑Leucin-reiches Protein (Molkenprotein, [5]). Auch bei älteren Menschen existiert eine Obergrenze (Steigerung der Proteinoxidation). Diese liegt allerdings bei mindestens 40 g pro Portion. Alternativ und anstelle von 40 g Molkenprotein können auch kleinere Mengen an Molkenprotein verwendet werden, allerdings müssen diese mit L‑Leucin angereichert (sog. Molkeäquivalente) werden. Generell wird die Leucinschwelle durch den Alterungsprozess und körperliche Aktivität erhöht. Um die leucinspezifische Schwelle für Muskelneusynthese im Alter zu erreichen, braucht es entweder 42 g Molkenprotein oder 6,25 g Molkenprotein mit 5 g Leucin ([7]; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Kritische Leucinschwelle, die bei älteren Menschen zu einer robusten Steigerung der Muskelneusynthese führt. (Mod. nach [7])

Die Zufuhr von Kohlenhydraten zur Aktivierung der muskelanabolen Insulinproduktion (Abb. 3) ist für jüngere Erwachsene nach dem Training kalorisch kein Problem. Für ältere Menschen mit einem um 25 % reduzierten kalorischen Tagesbedarf (bedingt durch die altersassoziiert verminderte Muskelmasse) sind Kohlenhydrate nach Krafttraining kalorisch eher unerwünscht. Hier gibt es Daten, dass bei genügend Proteingabe (mindestens 25 g) – selbst bei leeren Glykogenspeichern und minimalem Insulinspiegel – optimale Muskelneusyntheseraten erreicht werden und auf die Einnahme von zusätzlichen Kohlenhydraten verzichtet werden kann [8]. Die für ältere Menschen optimale Proteinsupplementierung nach Muskeltraining sollte deshalb idealerweise zuckerarm sein und aus L‑Leucin angereicherten Molkenproteinen bestehen, die mengenmässig die in Abb. 2 fürs höhere Alter angegebene kritische Leucinschwelle überschreiten.

Abb. 3
figure 3

Muskelaufbau und -abbau in Synergie und Abhängigkeit von Nährstoffen und Muskeltraining

Omega-3-Fettsäuren, Kreatin, Vitamin D3 und Muskelmetabolismus im Alter

Omega-3-Fettsäuren (3,9 g n-3-PUFA pro Tag) haben eine stimulierende Wirkung auf den Muskelproteinmetabolismus und die mitochondriale Bioenergetik im Alter und erhöhen die anabole Muskelantwort auf Training ([9]; Abb. 3). Auch bei Kreatin gibt es Evidenz für positive Wirkungen auf die Muskelgesundheit im Alter, insbesondere zur schnelleren Heilung von Muskelverletzungen, aber auch für eine bessere Muskelrobustheit bei starker Beanspruchung. Hier verwendete Dosierung gehen bis zu 30 g/Tag über 5 Jahre, was auch im Alter bzgl. Sicherheit kein Problem darstellt [10]. Die Wirkungen von Vitamin D3 auf den Muskelstoffwechsel sind multipel und reichen von anabolen, metabolen bis zu antiinflammatorischen Effekten (Abb. 4; [11]). Die internationale Dosissubstitutionsempfehlung von Vitamin D3 im Alter liegt bei 800 IE/Tag. Dies wird grundsätzlich durch eine neuere Studie bei älteren Menschen mit Sturz im Vorjahr (Durchschnittsalter 78 Jahre) bestätigt, welche die Wirksamkeit und Sicherheit der monatlichen Referenzdosierung von 24.000 IE Vitamin D bezüglich Korrektur des Vitamin-D-Mangels, Verbesserung der Beinfunktion und Senkung des Sturzrisikos zeigte [12] Höhere monatliche Vitamin-D-Gaben verglichen zur Referenzdosis von 24.000 IE/Monat brachten keinen Vorteil bezüglich Beinfunktion und trugen zu einem erhöhten Sturzrisiko bei.

Abb. 4
figure 4

Rolle von Vitamin D3 für den Muskelstoffwechsel. (Mod. nach [11])