Ein Update Auch wenn die Pandemie aktuell als beendet gilt, die Folgen des Virus werden die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Long- und Post-COVID-19 erfordern daher eine unvoreingenommene interdisziplinäre Diagnostik. Symptome müssen unter Anwendung aller geeigneten therapeutischen Interventionen behandelt und Betroffene entsprechend versorgt werden.

Das "Long-COVID"-Syndrom umfasst Beschwerden, die mit COVID-19 in Verbindung stehen. Die häufigsten Beschwerden sind ausgeprägte Erschöpfung (Fatigue), Atemnot, Husten, Schmerzen im Brustkorb, Riech-, Geschmacks-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Palpitationen und mangelnde Belastbarkeit. Bestehen Beschwerden nach den ersten zwölf Wochen einer Erkrankung und über mindestens zwei Monate wird vom Post-COVID-Syndrom (PCS) gesprochen. Das bedeutet, dass erst fünf Monate nach einer Sars-CoV-2 Infektion ein PCS diagnostiziert werden kann (Sudre et al. 2021, Koczulla et al. 2022). Von allen mit dem Sars-CoV-2 infizierten Menschen entwickelt etwa jeder zwanzigste dieses Syndrom (Sudre et al. 2021, Davis et al. 2023).Weltweit sind 65 Millionen Patienten (Davis et al. 2023), überwiegend junge Erwachsene, betroffen. Frauen erkranken häufiger als Männer, aber auch Kinder und ältere Erwachsene können betroffen sein. Stärke und Art der Symptome können stark variieren und längere Zeit bestehen.

Gerade für Berufstätige ist die Diagnose relevant. Die Unfallversicherung (DGUV) hat bis Januar 2023 bei 330.000 Versicherten COVID-19 als Berufserkrankung bzw. -unfall anerkannt (DGUV 2023), ein relevanter Anteil der Betroffenen kommt aus den Gesundheitsdiensten (Pflegepersonal). Für das PCS und dessen Begutachtung liegen jetzt erste Leitlinien vor (Dreßing 2022, Koczulla et al. 2022) bzw. werden vorbereitet, die Hilfestellung zur Begutachtung leisten.

Unterschiedliche Subtypen

Zurzeit ist noch unbekannt, wie es nach einer COVID-19 Erkrankung zu bestehenden Symptomen und PCS kommt. Mehrere voneinander unabhängige Mechanismen, die gleichzeitig oder nacheinander Symptome bei den betroffenen Personen bewirken, könnten die Ursache sein. Ein leichter Verlauf von COVID-19 schließt ein PCS nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit PCS zu entwickeln, steigt jedoch mit der Schwere der Erkrankung. Einiges weist darauf hin, dass die milder verlaufende Omikron-Variante seltener zu PCS führt. In der Gesamtgruppe aller Patient*innen mit PCS sind mindestens vier Subtypen zu unterscheiden:

  1. 1.

    Patient*innen, die wegen einer COVID-19-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt wurden und an einem "Post-Intensive-Care-Syndrome" (PICS) (Schwab et al. 2022) leiden,

  2. 2.

    Patient*innen, die in der Folge der COVID-19-Erkrankung mit zeitlicher Latenz an Folgekrankheiten wie kardiovaskulären Komplikationen, kognitiven Leistungsstörungen oder einer post-traumatischen Belastungsstörung erkranken,

  3. 3.

    Patient*innen, die vor allem aufgrund einer deutlichen Erschöpfungssymptomatik und Belastungsinsuffizienz mit/ohne Dyspnoe anhaltend in ihrer Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben deutlich beeinträchtigt sind, sowie

  4. 4.

    Patient*innen mit unterschiedlichen Beschwerden, die in ihrem Alltag nicht wesentlich beeinträchtigt sind.

Symptomgerechte Behandlungsplanung

Beim PCS handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Das führt dazu, dass viele Untersuchungen durchgeführt werden, um sowohl körperliche als auch seelische Belastungen einzuschätzen und die Funktionstüchtigkeit einzelner Organe zu überprüfen. Wichtig ist es, festzustellen, ob gleichzeitig andere körperliche oder seelische Erkrankungen bestehen. Die Wahrscheinlichkeit PCS zu entwickeln, ist bei Vorerkrankungen höher; diese Erkrankungen sollten daher in die Behandlung einbezogen werden. Bei der Untersuchung von möglichen Ursachen der Symptome zeigen sich häufig Normalbefunde, d.h. es können keine ausgeprägten Organschäden oder seelische Belastungen nachgewiesen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Erkrankung bzw. Belastung vorliegt. Wegen der multifaktoriellen Pathogenese zeigen die verfügbaren Daten, dass PCS ein organisches postakutes Infektionssyndrom (PAIS) mit physiologischen Dysfunktionen zugrunde liegen kann. Mit medizinischen Standarddiagnosetests ist dies oft nicht konsistent erkennbar. Diese Diskrepanz unterstreicht die Notwendigkeit einer neuen Generation empfindlicherer Testverfahren für Menschen mit PAIS. Es besteht die Möglichkeit, dass psychische Belastungen und Stress das Risiko und den Verlauf eines PCS beeinflussen könnten (z.B. durch Beeinflussung des neuroendokrinen und des Immunsystems).

figure 1

© Parradee / Stock.adobe.com

Für eine symptomgerechte Behandlungsplanung sind mögliche Ursachenzusammenhänge nicht auf der Basis von Möglichkeiten zu postulieren, sondern sie durch entsprechende Untersuchungen so weit wie möglich zu prüfen. PCS ist als multifaktorielle Erkrankung zu verstehen, die von einer unvoreingenommenen umfassenden interdisziplinären Diagnostik am ehesten profitiert. Alle geeigneten therapeutischen Interventionen, die für die vorliegenden klinisch relevanten Symptome zur Verfügung stehen, sollten angewandt werden. Von einer Diagnosen ohne ihre Substantiierung durch entsprechende Fachexpert*innen ist abzusehen.

COVID-19 Symptome

Die Symptome von PCS können bei einem Großteil der Erkrankten behandelt und gebessert werden. Behandelt werden die im Vordergrund stehenden Symptome wie Erschöpfung oder Belastbarkeit, Störungen der Atmung, Schmerzen, Sinnesstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Palpitationen und psychische Symptome.

Dyspnoe und unspezifische thorakale Beschwerden: Diese Symptome (drei bis sechs Monate nach Erkrankung) bedürfen der Abklärung mittels Funktionstests in Ruhe (Diffusionskapazität, Blutgasanalyse) und unter Belastung (6-Minuten-Gehtest, Ergospirometrie) sowie einer weiteren kardialen Diagnostik. Dyspnoe wird oft ohne Auffälligkeiten in der Lungenfunktion oder Bildgebung beschrieben. Faktoren können kardiorespiratorischer, neuromuskulärer oder psychischer Genese sein. Eine Phänotypisierung der Dyspnoe und Belastungseinschränkung kann durch die Ergospirometrie gelingen. Erhobene Befunde sind häufig Dekonditionierung und Hyperventilation (Hives et al. 2017, Skjorten et al. 2021). Es gibt Hinweise, dass die Atemmuskelkraftmessung zusätzliche wichtige Informationen bei dyspnoeischen Patienten nach COVID-19 bringen könnte (Hennigs et al. 2022). Unter Berücksichtigung möglicher Vorerkrankungen und in Abhängigkeit der Befunde, schließt sich die entsprechende Bildgebung ein.

Nicht-erholsamer Schlaf mit Müdigkeit: Ein relevanter Anteil der Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen leidet unter diesem Symptom (Huang et al. 2021). Die Produktion von Zytokinen im zentralen Nervensystem (Heidbreder et al. 2021) kann postvirale Symptome verursachen. Pro-inflammatorische Zytokine führen zu einer autonomen Beeinträchtigung, die zu hohem Fieber führt. Langfristige Folgen sind ein dysregulierter Schlaf-Wach-Zyklus, kognitive Beeinträchtigung, Anhedonie, Distress und Anergie (Yong 2021). In den bislang vorliegenden schlafmedizinischen Untersuchungen zeigen sich insbesondere Insomnien (Vitti-Ruela et al. 2021). Des Weiteren gibt es Hinweise auf REM-Phasen assoziierte Schlafstörungen (Heidbreder et al. 2021, Mekhael et al. 2022) als Ausdruck der zerebralen, infektassoziierten Pathologie (Copin et al. 2020).

Insomnien treten auch als Kollateralschaden der Pandemie in der nicht an COVID-19 erkrankten Bevölkerung gehäuft auf. Ursachen sind Reizüberflutung, Bildschirmarbeit und Beunruhigung durch die pandemische Situation (Han et al. 2021). Zur schlafmedizinischen Diagnostik ist je nach Ausprägung und spezifischer Symptomatik (DEGAM 2022) die Untersuchung mit einem Fragebogen bzw. einer Polygraphie zu erwägen und ggf. sollte eine (Video-) Polysomnographie angeschlossen werden.

Psychische Symptome: Ängstlichkeit, depressive Verstimmung, Symptome einer post-traumatischen Belastungsstörung oder einer somatoformen Störung können im Zusammenhang mit PCS auftreten. Hier sind sowohl die psychosozialen Belastungen durch die Erkrankung im Kontext einer Pandemie zu bedenken als auch die neuroendokrin-immunologischen Effekte einer Virusinfektion. Es besteht offenbar eine Wechselbeziehung, denn zum einen sind psychische Vorerkrankungen als Risikofaktor für PCS einzustufen (Bahmer et al. 2022), zum anderen kommt es nach Sars-Cov-2- Infektionen signifikant häufiger zur Entwicklung von PCS als nach anderen respiratorischen Infektionskrankheiten (Taquet et al. 2022). Psychoneuroimmunologische Wechselwirkungen zwischen neuroendokrinen Stressbotenstoffen und der Prägung einer Immunantwort, die nicht in der Lage ist, den Virus vollständig zu eliminieren und die post-infektiösen Gewebeschäden an Endothelien und Nerven zu regenerieren, sind lange bekannt und theoretisch konzeptualisiert (Cohen 2005, Peters et al. 2021). Die wissenschaftliche Bestätigung dieser Konzepte steht für PCS bislang weitgehend aus. In zahlreichen Studien zu anderen Entzündungserkrankungen zeigte sich, dass psychotherapeutische Interventionen zu einer Optimierung der neuroendokrin-immunen Interaktion und damit zu einer Heilung begünstigenden Immunkonstellation beitragen können (Shields et al. 2020). Psychische Symptome sind daher immer mit zu erheben und in die Behandlung einzubeziehen. Dadurch kann die Lebensqualität und Krankheitsverarbeitung gebessert werden und die Möglichkeit besteht, positiv auf die neuroendokrin-immune Dysregulationen einzuwirken.

Körperlicher Bewegung: positiver oder negativer Effekt?

Steigerung von körperlicher Aktivität im Alltag hat viele positive Wirkungen (z.B. Schmerzlinderung, Verringerung von Atemnot, Reduktion von Angst). Eine entsprechende Beratung bekommen Betroffene in ihrer Hausarztpraxis, von der die Therapie verordnet werden kann. Atem- sowie Bewegungstraining bzw. Übungen von Alltagstätigkeiten können auch mit Hilfe ambulanter Physio- und Ergotherapie durchgeführt werden. In besonderen Fällen kann es durch Bewegung zu einer Verschlechterung der Beschwerden kommen. Hier hilft Pacing: Tempo anpassen, Tag sowie Aktivitäten planen und regelmäßig Pausen einlegen, so dass die vorhandene Energie so gut wie möglich eingesetzt und Überbelastung vorgebeugt wird. Manchmal ist eine Rehabilitation nötig, um dieses Ziel zu erreichen. Zu dieser, insbesondere auch der pneumologischen Rehabilitation (PR) gibt es erste Daten zur Wirksamkeit.

Zwischen Schonung, Forderung und Akzeptanz

Es kommt neben den Phänotypen von PCS hinzu, dass geimpfte und ungeimpfte Patienten unterschiedlich akute Therapien und Virusvarianten haben, wodurch die Therapieerfolge und -indikationen beeinflusst werden. Glöckl et al. konnten zeigen, dass sowohl bei hospitalisierten als auch bei ambulant behandelten Patienten durch eine dreiwöchige stationär durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme eine deutliche Steigerung der Kapazität bewirkt wurde. Symptome wie Dypnoe, Husten, Fatigue wurden in diesem drei-wöchigen PR-Ansatz günstig beeinflusst (Gloeckl et al. 2021).

Von anderen schweren körperlichen Erkrankungen wissen wir, dass die Art der Krankheitsverarbeitung einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie sich Lebensqualität und Leistungsfähigkeit entwickeln. Günstig ist es, den persönlichen Mittelweg zwischen zu viel Schonung und Selbstüberforderung zu finden. Ebenso wichtig ist es, die Krankheit zu akzeptieren und nicht mit dem zu hadern, was sich (zumindest kurzfristig) nicht ändern lässt. Die Akzeptanz kann helfen, Energie für andere Lebensbereiche zu bekommen; eine Psychotherapie kann dabei unterstützen. Und für Patienten mit ungünstiger Krankheitsverarbeitung und/oder psychischer Komorbidität kann eine psychosomatische Rehabilitation hilfreich sein - besonders in interdisziplinärer Kooperation (Kupferschmitt et al. 2022). Hier steht mit fünf Wochen Reha Dauer mehr Zeit zur Verfügung. Ein günstiger Effekt auf die psychische Belastung und die körperliche Belastbarkeit konnte in einer ersten Studie nachgewiesen werden (ebd. 2022).

Einige Symptome können medikamentös behandelt werden (z.B. Schmerzen, Schlaflosigkeit). Pharmakologische und spezielle nichtmedikamentöse Behandlungen (Apherese) sind wahrscheinlich nur in Subpopulationen von Patienten mit spezifischen Symptomen und zugrunde liegendem Krankheitsmechanismus wirksam und werden in Studien untersucht.

Neue Ansätze sind erforderlich

Das Post-COVID-Syndrom ist eine neue Erkrankung mit Ähnlichkeiten zu anderen intensiver untersuchten Syndromen. Wir brauchen Mut, um mit der Unsicherheit zu leben, die PCS umgibt. Es gibt interessante Signale aus der Forschung, über die wir mehr lernen müssen. Derzeit diagnostizieren wir phänomenologisch - basierend auf Symptomen und nicht auf spezifischen Tests. Daher sind weitere multidisziplinäre Ansätze erforderlich, die Epidemiologie, Immunologie, Physiologie, psychosoziale Faktoren und klinische Forschung umfassen, um verschiedene, interagierende Prozesse verstehen zu lernen.

Infoblatt für Betroffene erstellt von dem Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V.

Eine umfangreiche Literaturliste erhalten Sie über das eMagazin der PflegeZeitschrift und auf springerpflege.de