Die innere Antriebskraft finden und nutzen Die prosoziale Motivation der Mitarbeitenden ist eine der wertvollsten Ressourcen im Pflegeberuf. Gute Führung entscheidet, ob diese genutzt oder verschwendet wird. Bereits einmal in der Woche angewandte Führungsinterventionen können große Wirkung zeigen.

Die Leute rennen uns aus der Pflege weg. Laut aktuellen Hochrechnungen sollen bis 2030 etwa eine halbe Million Pflegende fehlen (Pflegereport 2030, Bertelsmann Stiftung). Schuld ist die Kombination aus einer stark alternden Bevölkerung, dem Fachkräftemangel sowie den problematischen Arbeitsbedingungen. In der Pflege fehlt es an allen Ecken und Enden, wenn es um Ressourcen geht. Es gibt einfach von allem - Zeit, Geld, Mitarbeitende oder Arbeitsmittel - zu wenig, um den Beruf wieder attraktiver zu machen. COVID-19 ist nur eine von vielen Herausforderungen, welche die Situation weiter verschärft haben. Die Hans-Böckler-Stiftung (2022) stellt ebenfalls fest, dass das "System Pflege geheilt werden müsste".

Um einen Ausweg aus dem Teufelskreis zu finden, genügt es nicht nur zu fragen, was der Pflege fehlt, sondern auch, was die Pflege schon hat und was anders genutzt werden kann. Häufig steht die Frage im Vordergrund, wie man neues Personal gewinnen kann. Viel weniger wird gefragt, wie man bereits arbeitende Pflegekräfte weiterentwickeln kann. Und zwar ohne die bereits überzogenen Arbeitszeiten und die persönliche Energie noch mehr zu strapazieren. Aus Sicht der Autorinnen gibt es eine wertvolle Ressource, von der Pflegeeinrichtungen in der Regel sehr viel haben. Doch diese wird in der aktuellen Diskussion oft übersehen. Es ist der Wille der Pflegenden, einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag zu leisten und sich im Sinne des Menschen zu engagieren. Diese "prosoziale Motivation" bringen Pflegende direkt am ersten Arbeitstag mit. Deswegen entscheiden sich die meisten überhaupt für den Beruf. Doch was machen Pflegeeinrichtungen aus dieser prosozialen Motivation und wie kann sie gefördert werden?

Prosoziale Motivation - eine ungenutzte Ressource

Prosoziale Motivation ist der innere Antrieb, sich für das Wohl anderer einzusetzen ohne dafür in erster Linie eine Gegenleistung zu erwarten (Frost et al. 2010). Das Gefühl, etwas Gutes mit einem höheren Wert zu tun, wirkt bereits als belohnend. Es ist ein wertvolles Gut, denn es verbessert nicht nur die Leistungsbereitschaft, sondern auch das Arbeitsklima und den Willen, sich gegenseitig zu unterstützen. Prosoziale Motivation kann helfen, Belastungsspitzen und Engpässe auszugleichen und den Pflegeberuf wieder attraktiv zu machen.

Dies baut auf der Zweifaktorentheorie der Motivation von Herzberg (2003) auf, welche zwischen Hygienefaktoren und Motivatoren unterscheidet. Während sich die Hygienefaktoren auf die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes beziehen, umfassen Motivatoren die Motive zur Selbstverwirklichung. Hygienefaktoren wie Bezahlung, Arbeitsmittel und Anreizsysteme sorgen erstmal nur für die Vermeidung von Unzufriedenheit bei den Beschäftigten. Sie motivieren nicht, sind aber eine Grundlage, damit Motivation überhaupt entstehen kann. Motivatoren wie Mitgestaltung und Sinnhaftigkeit fördern die Motivation und Leistungsbereitschaft aber nur dann, wenn die Hygienefaktoren ausreichend erfüllt sind (Berenbold 2022).

Studien wie "Ich pflege wieder, wenn…" (Hans-Böckler-Stiftung 2022) zeigen, wie wichtig prosoziale Motivatoren im Vergleich zu Hygienefaktoren sind. Und auch, dass es beides braucht. In der genannten Studie wurden 2021 bundesweit 12.684 Pflegekräfte danach befragt, unter welchen Bedingungen sie pflegen möchten. Die wichtigsten Bedingungen sind - neben einer angemessenen Bezahlung, verbindlichen Dienstplänen und einem angemessenen Personalschlüssel - ein wertschätzender und respektvoller Umgang von Vorgesetzten, Kollegialität und Augenhöhe sowie die Zeit für qualitativ hochwertige Pflege. Das erklärt, warum die geforderten Tarifverträge zwar Erleichterung, aber keine Abhilfe schaffen. Sie sind ebenso wie verlässliche Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen nur eine Grundvoraussetzung, damit Pflege wieder attraktiv wird. Es geht den Pflegenden nicht nur um ihr eigenes Wohl, sondern vor allem um das der zu Versorgenden. Sie möchten ihren Beruf verantwortungsvoll ausüben können und zwar so, wie sie es gelernt haben und wie es ihren fachlichen Vorstellungen entspricht (Hans-Böckler-Stiftung 2022).

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Der Arbeit Sinn geben und die Motivation der Mitarbeitenden nutzen

Die schlechte Nachricht ist demzufolge, dass die prosoziale Motivation nicht durch eine faire Vergütung erkauft werden kann. Sie braucht etwas Anderes. Die gute Nachricht ist hingegen, dass es auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist, die prosoziale Motivation im Arbeitsalltag nutzbar zu machen. Die häufig verwendete Ausrede "Wir haben kein Geld und keine Zeit dafür" gilt dabei für die prosoziale Motivation nicht. Es braucht hier andere Arten der Anstrengung - vor allem von den Heimleitungen und Führungskräften.

Mehr als faire Vergütung - Was treibt Pflegende an?

Prosoziale Motivation ist wohl eine der wertvollsten aber zugleich ungenutztesten Ressourcen von Pflegeeinrichtungen. In privatwirtschaftlichen Unternehmen sind oft finanzielle Anreize ausschlaggeben für die Berufswahl. Hier wird viel investiert, um die prosoziale Motivation erstmal aufzubauen. Pflegeeinrichtungen bekommen die prosoziale Motivation quasi mit dem ersten Tag geschenkt und müssen diese nicht erst mühsam entwickeln. Oft fehlt Führungskräften hierfür noch das Bewusstsein. Das Tragische ist, dass die prosoziale Motivation oft unwissend durch Untergrabung zerstört wird - auch als "Crowding-out" bezeichnet (Frost et al. 2010). Dies geschieht, wenn die Handlungsfähigkeit der Mitarbeitenden beispielsweise durch enge Strukturen und Zeitmangel, schwache Führung sowie schlechtes Arbeitsklima eingeschränkt wird. Aus unserer Sicht sind hier die stärksten Faktoren zur Förderung der prosozialen Motivation ausgehend von aktuellen Studien sowie der empirischen Sozialforschung zu finden. Ansatzpunkte für Führungskräfte sind:

Sinnhaftigkeit: Prosozial motivierte Mitarbeitende schöpfen ihre Energie aus der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit. Diese rückt schnell in den Hintergrund, wenn Pflege darauf reduziert wird, nur das Notwendigste in der Versorgung zu leisten und nicht mehr menschlich für die zu Pflegenden da zu sein. Für das, was Pflegende zu der Berufswahl bewegt hat, bleibt bei engen Zeiten und Pflegeschlüsseln oft kein Raum.

Wertschätzung: Prosozial motivierte Mitarbeitende erwarten keine direkte Gegenleistung für ihren menschlichen Beitrag, aber sie möchten dafür gesehen und geachtet werden. Andernfalls wirkt die Tätigkeit selbst nicht belohnend oder wird sogar als abwertend empfunden.

Adäquater Einsatz von Kompetenz und Fachwissen: Prosozial motiviert Mitarbeitende investieren aktiv in den Aufbau von Fachwissen, um dieses den Menschen anzubieten. Oft haben sie daher sehr hohe Ansprüche an sich selbst und an die Pflegestandards. Sie brauchen das Gefühl, entsprechend ihrer Kompetenzen gefördert zu werden und ihr Wissen einbringen zu können. Sie möchten so pflegen wie sie es gelernt haben und nicht so wie der Personalschlüssel es zulässt.

Freiraum und Mitgestaltungsmöglichkeiten: Prosozial motivierte Mitarbeitende stellen ihre Selbstverwirklichung vor finanzielle Anreize. Dafür müssen sie sich mit ihren Ideen einbringen können, an der Ausgestaltung der Arbeit beteiligt werden und Entscheidungsfreiraum bekommen.

Auf all diese Faktoren wird häufig zu wenig geachtet und sie gehen im Arbeitsalltag unter. Hinzu kommt das moralisch- emotionale Belastungsempfinden, dass sich negativ auf die prosoziale Motivation auswirkt.

Starke Belastung

Für viele Pflegende wirkt es stark belastend, permanent unter dem zu bleiben, was sie können und möglich machen müssten. Dies schlägt sich auf das moralisch-emotionale Belastungsempfinden nieder. Die einschränkenden Rahmenbedingungen können nicht mit dem eigenen Gewissen vereinbart werden. Es wird fast schon als Verrat am Menschen empfunden, den eigenen Anspruch anzupassen. Man kann dem höheren menschlichen Ziel nicht mehr gerecht werden und steht vor eine Zerreißprobe. Stellen Sie sich beispielsweise das Gefühl vor, einem Sterbenden aus Zeitmangel nicht mal fünf Minuten die Hand halten zu können. Oder einsame und weinende Heimbewohner an Weihnachten allein im Zimmer zurück zu lassen. Solche Beispiele finden sich zuhauf und sind tägliche Realität von Pflegenden.

Die genannten Faktoren fördern jedoch nicht nur die prosoziale Motivation, sondern würden auch fehlende Ressourcen und Belastungsspitzen abpuffern. Stellen Sie sich vor, wenn Pflegende ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihren Antrieb voll einbringen könnten. Wie gut würde es dann gelingen - auch unter Zeit- und Ressourcennot -, die bestehenden Zustände zu verbessern und noch das Beste rauszuholen? Hier sind wir beim Thema Führung angekommen. Wie kann dies in den Einrichtungen angegangen werden?

Nicht zu führen ist schlimmer als schlecht zu führen

Prosoziale Motivation wird durch das Arbeitsklima, den Umgang miteinander und vor allem durch die Führung beeinflusst. Doch Führung wird gerade bei Pflegeleitenden oft nicht als Teil der Rollenanforderung gesehen. Der Fokus liegt eher auf organisatorischen und administrativen Tätigkeiten wie dem Schreiben von Dienstplänen oder der Dokumentation. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, da die Kunst der Führung nicht über Weiterbildungen oder Coachings gefördert wird. Zudem werden meistens Personen mit Fachwissen und Erfahrung befördert und nicht Führungspersönlichkeiten. Selbstverständlich erschwert auch hier der Fachkräftemangel die Auswahl geeigneter Personen erheblich. Es fehlt Führungskräften einfach am notwendigen Handwerkszeug und der geeigneten Ausbildung, um in Führung gehen zu können, sowie an Vorbildern.

Es lässt sich beobachten, dass in Pflegeeinrichtungen schlecht bis gar nicht geführt wird. Kann man dies den Führungskräften zum Vorwurf machen? Nur bedingt, wenn das Pflegesystem nicht dazu beiträgt, Führung zu fördern. Hinzu kommt, dass Führungsarbeit auch Energiearbeit ist. Führungskräften geht es nicht anders als ihren Mitarbeitenden. Sie sind ebenso unterbezahlt, überlastet und wenig anerkannt. Es fehlt ihnen ebenfalls an Zeit und emotionaler Unterstützung. Das Problem liegt also nicht nur bei den Führungskräften - es ist tief im Pflegesystem verwurzelt. Auch hier bräuchte es Zeit und Geld, um Führungskräfte zu befähigen. Führungskräfte würden ebenso wie die Vorgesetzten in der Privatwirtschaft Fortbildungen zum Thema Führung und Personalentwicklungsmaßnahmen verdienen. Und das macht es eben schon wieder schwierig.

In Führung gehen - Haben Sie heute schon geführt?

Wie können Führungskräfte auch ohne umfassende Weiterbildungen effektiver werden? Es braucht etwas Wirkungsvolles, das sich einfach umsetzen lässt, keine Kosten erzeugt und wenig Zeit braucht. Quasi eine "ressourcensparende" Führung mit großem Einfluss auf prosoziale Motivation. Die Autorinnen haben - ausgehend von den genannten Faktoren - eine Checkliste für konkrete Führungsmaßnahmen erstellt, die Sie als Führungskraft einmal die Woche im Team und einmal im Monat für sich selbst anwenden können (Checkliste). Es geht nicht darum, möglichst alles umzusetzen, sondern in kleinen Schritten die Vorschläge auszuprobieren und dann selbst zu entscheiden, was davon gut funktioniert.

Tun Sie nun auch etwas für sich. Werden Sie ihr eigener Coach und unterstützen Sie sich selbst in ihrer Weiterentwicklung als Führungskraft. Wir empfehlen Ihnen dazu zwei Dinge, die Sie einmal im Monat anwenden können - ein Führungsjournal und Feedback. Sie werden erstaunt sein, wie groß der Effekt des Selbstcoachings ist und sie dafür maximal eine Stunde im Monat für sich selbst reservieren müssen.

Ihr eigenes Führungsjournal: Nehmen Sie sich einmal im Monat Zeit, um Ihre Führung zu reflektieren. Stellen Sie sich drei Fragen und dokumentieren Sie ihre Gedanken in einem Führungstagebuch:

  • Was ist mir im letzten Monat in der Führung gut gelungen? Worauf bin ich stolz?

  • Was ist mir im letzten Monat in der Führung nicht gut gelungen? Was möchte ich verbessern?

  • Was konkret mache ich in der Führung im nächsten Monat anders? Wie mache ich das und was kann ich Neues ausprobieren?

Holen Sie sich Feedback: Selbst wenn Sie ein Profi sind, ist es als Führungskraft oft nicht einfach, die eigene Leistung zu beurteilen. Oft kann man nur schwer einschätzen, ob und wie die eigene Führung bei den Mitarbeitenden ankommt. Es entstehen blinde Flecken. Um diese aufzulösen, braucht es regelmäßiges Feedback. Da es in der Pflege oft an persönlichen Weiterentwicklungsgesprächen fehlt, müssen Führungskräfte sich dieses aktiv holen. Fragen Sie daher einmal im Monat einen Ihrer Mitarbeitenden die Fragen, die Sie sich bereits im Führungsjournal gestellt haben und gleichen Sie ihr Selbstbild mit dem Fremdbild ab. Sie werden sehen, dass nicht nur Sie davon profitieren, sondern auch die Augenhöhe zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitenden zunehmen wird. Nach Feedback zu fragen, ist eine unglaubliche Anerkennung für denjenigen, der es geben darf.

Literatur

  • Berenbold D (2022) Mitarbeitermotivation in schwierigen Zeiten - Steigerung der Arbeitsmotivation nach Zusammenschluss zweier Unternehmen. Mettnauschule Radolfzell

  • Bertelsmann Stiftung (2022) Pflege 2030: Versorgungslücke in der Pflege sorgt für Handlungsdruck bei den Kommunen. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/44_Pflege_vor_Ort/DL_Themenblatt_Pflegereport_2030.pdf (letzter Zugriff: 16.10.2022).

  • Frost J, Osterloh M, Weibel A (2010) Governing knowledge work: Transactional and transformational solutions. Organizational Dynamics 39(2) 126-136.

  • Hans-Böckler-Stiftung (2022) Studie: "Ich pflege wieder, wenn…" Georg Thieme Verlag. Stuttgart (Onlineveröffentlichung).

  • Herzberg F (2003) One More Time. How do you motivate Employees? Harvard Business Review.