Dem Fachkräftemangel aktiv begegnen Jede Klinik hat im Zeitalter des Fachkräftemangels Schwierigkeiten, geeignete bzw. überhaupt Pflegekräfte zu rekrutieren. In den letzten Jahren "bluten" vor allem die Intensivstationen, da hier durch die spezielle Pflege nicht einfach Personal der Allgemeinpflege eingesetzt werden kann. Entlastung und die Integration anderer Berufsgruppen können der Schlüssel zum Erfolg sein.

Ob Gesundheits- und Krankenpfleger*innen, Altenpfleger*innen oder Hilfskräfte - der Mangel an Fachpflegekräften ist jeden Tag aufs Neue spürbar. Wie im Rest Deutschlands sind auch im Klinikum Memmingen AöR dauerhaft Intensivpflegeplätze gesperrt. Dies liegt unter anderem an den mittlerweile extrem vielen Nebentätigkeiten einer Pflegekraft, welche die eigentliche Arbeit, die Versorgung der Intensivpatienten, hintenanstehen lässt. Neben der Versorgung von Notfallpatient*innen und der Übernahme der hausinternen Herzalarmbereitschaft fallen im Pflegebereich Nebentätigkeiten wie ZVK-Anlagen und Kardioversionen für das gesamte Haus an. Auch ist die operative Intensivbettenkapazität auf Grund der wachsenden Fachabteilungen nicht ausreichend. Das Projekt "Stärkung des Bereichs High Care" hatte zum Ziel, personelle Ressourcen zu schaffen, um Intensivbetten zu öffnen und eine Entlastung der operativen Intensivstation durch die Gründung einer Überwachungseinheit herbeizuführen.

Neue Perspektive: Auch beim Personal über den Tellerrand schauen

Die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (PpUGV) bestimmt in allen Kliniken Deutschlands täglich den Stand der betreibbaren Behandlungsplätze. Krankheitsausfälle, Kündigungen oder Schwangerschaften machen eine sichere Planung teilweise unmöglich. Um dem entgegenzuwirken, versucht man im Klinikum Memmingen alternativ zur Pflege andere Berufsgruppen zu etablieren. Das grundlegende Problem war, dass seit einer Umbauphase auf der internistisch betriebenen Intensivstation vier Behandlungsplätze auf Grund fehlender personeller Kapazitäten dauerhaft gesperrt waren. Auf dieser Station ist ebenfalls eine internistische Intermediate Care (IMC) Einheit mit vier Betten beheimatet. Prinzipiell gab es ausreichend Pflegekräfte, um zehn Intensivbetten betreiben zu können, jedoch hatten nicht alle Mitarbeiter*innen die nötige Einarbeitung bzw. Intensiverfahrung dafür. So liefen über die Jahre mehr oder weniger zwei unterschiedliche Stellenpläne parallel: einer für die Intensivstation und einer für die IMC. Um der PpUGV gerecht zu werden, wurde die Verordnung in beiden Bereichen umgesetzt. Um eine qualitativ hochwertige Pflege garantieren zu können, wurde auch im Nachtdienst meist auf eine 2:1 Pflege gesetzt. Ein weiteres Problem war, dass von Montag bis Freitag grundsätzlich eine erfahrene Pflegekraft benötigt wurde, um die genannten Nebentätigkeiten stemmen zu können.

Die Pflegedirektion wurde aktiv - es musste andere Wege geben, um diese Tätigkeiten zu verrichten. Zudem wurde der Ruf nach neuen Betten unüberhörbar, da die Anzahl der operativen Eingriffe stetig stieg und die Fachabteilungen erweitert wurden. Drei Beispiele zeigen, wie es gelang, auf neuen Wegen zu einer verlässlicheren Personalplanung im Bereich High Care zu kommen.

Passt bestens: Notfallsanitäter*in und Internistische Intensivstation

Das Klinikum Memmingen setzt bei seiner Rekrutierung derzeit auf die konservative Methode der klassischen Stellenausschreibung. Im Rahmen der Fachkräftefindung wurde eine Stelle für Notfallsanitäter*innen geschaffen, um die bereits aufgeführten Nebentätigkeiten der internistischen Intensivstation bearbeiten zu können, da hier nicht zwingend eine Pflegefachkraft eingesetzt werden muss. Nach der Ausschreibung konnte hier eine sehr erfahrene Mitarbeiterin mit beinahe 30 Jahren Berufserfahrung in der Notfallversorgung gewonnen werden. Sie übernahm nicht nur die Nebentätigkeiten von einer erfahrenen Pflegekraft, die damit wieder für die Intensivpflege zur Verfügung steht, sondern verfügt außerdem über eine Weiterbildung zur Praxisanleiterin. Damit erhalten die auszubildenden Notfallsanitäter*innen zukünftig eine praktische Ausbildung auf hohem Niveau. Während der Pandemie konnte die neue Mitarbeiterin darüber hinaus als vollwertige Unterstützung im täglichen Betrieb agieren und die Pflegekräfte entlasten.

Attraktiver Arbeitsbereich: die Überwachungseinheit

Um die operative Intensivstation - mit aktuell zehn Betten, jedoch ohne reine Überwachungsbetten - zu entlasten, wurde eine neue Überwachungsstation benötigt. Hier erwies sich die Pandemie als Glücksfall: Durch viele organisatorische Veränderungen wurden Räumlichkeiten frei, welche fortan als Überwachungseinheit genutzt werden konnten. Nach einer Umbaumaßnahme und Komplettmodernisierung konnte diese im Oktober 2021 in Betrieb genommen werden. Sie dient dazu, Patient*innen, welche nach der Operation zu geschwächt für die Allgemeinpflege sind, zu übernehmen und postoperativ mehrere Stunden bis wenige Tage zu versorgen. Pflegepersonal des Klinikums Memmingen AöR wurde durch eine Infobox permanent auf den neuesten Stand der Projektarbeit (z.B. Führungsauswahl, ärztliches Konzept) gebracht, sodass die Neugier vieler Mitarbeiter*innen geweckt wurde. Aus den unterschiedlichsten Stationen kamen nach intensiven Gesprächen Bewerbungen. Auch nach der externen Stellenausschreibung konnten hier Mitarbeiter*innen gewonnen werden, da eine solche Station in der Region bis dato einzigartig war. Eine gute Maßnahme war, diese Station analog zu einer Intensivstation zu bewerten, inklusive gleicher Konditionen, beispielsweise beim Gehalt. Des Weiteren wurde mit einer Weiterbildung im IMC Bereich geworben.

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Attraktiver Arbeitsplatz: Wer die Wünsche der Mitarbeitenden im Blick hat, überzeugt.

Innerhalb von nur drei Monaten konnte, trotz der pandemischen Hochphase der Deltavariante des Coronavirus, der Sollstellenplan von 20 Vollzeitstellen (VK) komplett besetzt werden. Stand heute (Mai 2022) werden hier zehn überwachungspflichtige Patienten mit einer 3:1 Pflege betreut. Zudem interessieren sich immer mehr Pflegekräfte der Region für diese Station. Hier erhofft sich das Klinikum Memmingen auch, dass im weiteren Verlauf neue Mitarbeiter*innen auf die Überwachungsstation möchten und die bereits vollständig eingearbeiteten Kolleg*innen (teilweise) auf die Intensivstation wechseln. Eine Vorphase sozusagen, um den Nachwuchs im High Care Bereich zu sichern.

Flexible Arbeitszeitmodelle: Angebot auf der Intensivstation

Die Lage auf den Intensivstationen in Deutschland spitzt sich weiter zu. Aktuell sind rund 12% der Stellen nicht besetzt. Die Folge ist, dass Intensivbetten pflegerisch nicht betrieben werden können und abgemeldet werden müssen (Hett & Retzar 2022). Die Problematik im Klinikum Memmingen wurde bereits hinreichend erläutert. Um neben der neuen Berufsgruppe Notfallsanitäter und dem Aufbau einer neuen Überwachungsstation die Pflegesituation nicht zu vergessen, musste auch hier gehandelt werden. Daher befragte die Pflegedirektion - nach vorheriger Abstimmung mit den Stationsleitungen - die Mitarbeiter*innen im gesamten Stationsbereich zunächst nach einem möglichen Wechselwunsch. Im weiteren Verlauf setzte man bei der Stellenausschreibung auch auf individuelle Arbeitszeiten. Dies ermöglichte auch Teilzeitkräften den Wiedereinstieg oder den Neubeginn. Durch Telefonate mit den Mitarbeiter*innen in Elternzeit wurden die möglichen Arbeitszeitmodelle abgefragt und bei guter Vereinbarkeit mit dem Stationsalltag in die Realität umgesetzt. Auf Auszubildende wurde aktiv zugegangen und für die Arbeit auf der Intensivstation geworben. Durch diese relativ einfachen Maßnahmen konnten im gesamten Intensivbereich binnen zwölf Monaten zwölf VK Pflegestellen neu besetzt werden - trotz der pandemischen Hochphase. Für die Mitarbeiter*innen ist somit eine relativ hohe Dienstplansicherheit gewährleistet.

Literatur