Lehren aus zwei Jahren Pandemie Die Corona Pandemie stellt uns vor ungeahnte Herausforderungen - nicht nur persönlich, sondern auch in den Gesundheitseinrichtungen und gerade in der stationären Langzeitpflege. Zeit für Tests und überzeugende Gespräche zur Durchführung von Impfungen muss ebenso gefunden werden, wie die passende Kommunikation mit Bewohnern und Angehörigen - und dem eigenen Personal.

Seit über zwei Jahren begleitet uns die Corona-Pandemie -aktuell mit einer gerade alles in den Schatten stellenden Inzidenz. Dennoch werden die Schutzmaßnahmen gelockert, wenn nicht weitgehend aufgehoben, mit noch nicht absehbaren Folgen für uns alle. Auch in der stationären Langzeitpflege hat die COVID-19 Pandemie zu tiefgreifenden Veränderungen geführt: Im Frühjahr 2020 in vielen Bundesländern mit Besuchsverboten durch Angehörige und Zutrittsverboten für eine Reihe körpernaher Dienstleister. Mit Öffnungen im Sommer 2020 und einer zweiten Welle im Herbst. Große Hoffnungen und ein kurzes Aufatmen nach der Zulassung der ersten Impfstoffe und dem Start der Impfungen am 27. Dezember 2020 in den Einrichtungen der stationären Langzeitpflege. Es folgte die Erkenntnis, dass es trotz erfolgter Impfungen zu weiteren Ausbrüchen, schweren Verläufen und Todesfällen kam. Der Sommer 2021 brachte dann wieder Entspannung und stark sinkende Inzidenzen, und die Sehnsucht nach einer wie auch immer gearteten Normalität nahm weiter zu. Trotz einer inzwischen recht hohen Durchimpfungsrate erreichten die Inzidenzwerte im Winter 2021/22 neue Höchststände. Wie ging man in stationären Einrichtungen der Langzeitpflege damit um, wenn oft nur auf die sich täglich ändernden Anforderungen von Seiten der Politik und der aktuellen Lage des Infektionsgeschehens in den Häusern reagiert werden konnte?

Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote

Während der ersten Welle im Frühjahr 2020 wurden in Berlin starke Einschränkungen der Besuche in Einrichtungen beschlossen. Viele Einrichtungen setzten dies mit einem befristeten Besuchs- und Zutrittsverbot um. In den Medien wurden diese Einschränkungen insgesamt sehr negativ bewertet und das Schreckgespenst der Vereinsamung der Bewohnerinnen und Bewohner an die Wand gemalt. Für viele Mitarbeitende in den Einrichtungen war dies wie ein Schlag ins Gesicht, mühten sie sich doch unter herausfordernden Arbeitsbedingungen darum, allen Bewohner*innen die höchst mögliche Lebensqualität zu erhalten. Legten sich Mitarbeitende selbst Kontaktbeschränkungen im eigenen Familien- und Freundeskreis auf, war das Unverständnis umso größer, wenn Angehörige sorglos zu Besuch kamen und sich kaum an Hygieneregeln hielten. Doch das oft dargestellte Bild von vereinsamten Bewohner*innen muss in Frage gestellt werden. Es gibt in den Einrichtungen nur wenige Bewohnerinnen und Bewohner, die täglich Besuch erhalten und auch bei diesen erstreckt sich der Besuch selten über mehr als eine Stunde am Tag. Die Mitarbeitenden der Pflege, Betreuung und Hauswirtschaft sind bei weitem länger in Kontakt mit den Menschen in den Einrichtungen als deren Besucher.

In Interviews mit Bewohnenden in einer Einrichtung der stationären Langzeitpflege in Berlin zeigte sich, dass sich die Menschen in der Einrichtung in Zeiten der Besuchsverbote keineswegs durchweg einsamer fühlten als zu anderen Zeiten (Langner 2022). Vielmehr war in den Einrichtungen eine ungewohnte Ruhe und Entschleunigung zu beobachten. Menschen mit Demenz zeigten mitunter weniger herausforderndes Verhalten und mehr Freude. Mitarbeitende schilderten die Situation als ein Aufatmen und zur Ruhe kommen. Zudem blieb mehr Zeit für die eigentlichen Aufgaben der Betreuung und Versorgung der Menschen. Pflegende übernahmen Tätigkeiten, für die sonst keine Zeit blieb oder die ansonsten durch externe Dienstleister erbracht wurden. So unterschiedliche Tätigkeiten wie das Färben der Haare und das Sorgen um das Seelenwohl bekamen einen Platz im Tagesablauf (Langner 2022). Natürlich fehlten auch die Besuche der Angehörigen, und die später geschaffenen Besuchsräume unter besonderen Schutzmaßnahmen und mit Abstandsgebot boten dafür nur einen schwachen Ausgleich. Doch die Auswirkungen auf die Bewohner*innen einerseits und die Mitarbeitenden andererseits sind auf jeden Fall vielschichtiger zu betrachten als in den meisten Medien dargestellt und von vielen Politikerinnen und Politikern kolportiert.

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© Inside Creative House / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Viele Pflegende hatten während der Pandemie mehr Zeit für die Bewohner.

Mitarbeitende zwischen Angst und Leugnung

Die Reaktionen der Mitarbeitenden zu Beginn der Pandemie waren so vielfältig wie in der gesamten Bevölkerung. Informationen wurden sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Es gab Mitarbeitende, die sich verängstigt zurückzogen, auch privat alle Kontakte einstellten und die zudem ihre Anwesenheit in der Einrichtung reduzieren wollten. Ebenso gab es Mitarbeitende, die die Risiken einer Infektion nicht wahrhaben wollten und sich in ihrem Privatleben nicht einschränkten. Doch die große Mehrheit der Mitarbeitenden bewegte sich im Rahmen der staatlich vorgegebenen Einschränkungen und somit auf der Basis der jeweils verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Die Durchsetzung der Maskenpflicht in den Einrichtungen erwies sich als ein fortdauernder Prozess der Kontrolle und der Information. Zuerst die Verpflichtung einen medizinischen Mund-Nasenschutz zu tragen, später dann die Nutzung der FFP2-Masken. Auch für Mitarbeitende war es nicht klarer als für die Gesamtbevölkerung, dass ein Mund-Nasenschutz über Mund und Nase zu tragen ist und gerade beim Sprechen aufgelassen werden muss. Diese Beobachtung zieht sich durch die zwei Jahre der Pandemie wie ein roter Faden. Keine Frage, dass die Körperpflege unter FFP2-Maske noch anstrengender ist als ohne und dass Pausen an der frischen Luft sinnvoll sind. Zum Schutz der besonders vulnerablen Gruppe der multimorbiden Hochaltrigen ist jedoch das konsequente Tragen der gut sitzenden FFP2-Masken offenbar die wirkungsvollste Maßnahme.

Impfungen und Impfpflicht

Die Möglichkeit sich impfen zu lassen, bestand ab Ende Dezember 2020. Von einer deutlichen Mehrheit der Bewohner*innen - bzw. deren Bevollmächtigten - wurde die Impfung gewünscht und gut vertragen. Mitte Februar 2021 war damit für deutlich über 90% der Bewohnerinnen ein vollständiger Impfschutz erzielt worden. Damit einher ging durch viele Einrichtungen ein Aufatmen, da das Schlimmste vermieden zu sein schien. Die zugelassenen Impfstoffe hatten alle gute Ergebnisse erzielt und sollten sicher vor einer Infektion bzw. einem schweren Verlauf schützen.

Bei den Mitarbeitenden war die Bereitschaft sich impfen zu lassen unterschiedlich ausgeprägt. So nahmen nach Befragungen des Autors in mehreren Berliner Einrichtungen zuerst nur gut 50% der Mitarbeitenden das Angebot der Impfung an. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Die kaum verifizierbaren Informationen über soziale Medien, zum Beispiel dass durch die Impfungen Unfruchtbarkeit entstehen könne oder Horrorszenarien über eventuelle Spätfolgen der Impfungen, trugen bei den Nutzer*innen dieser Medien nicht zu einer vermehrten Impfwilligkeit bei. Medizinisch nachvollziehbare Gründe wie schwere Allergien und Autoimmunerkrankungen gab es selbstverständlich auch. Die Steigerung der Impfrate unter den Beschäftigten auf meist deutlich über 90% aber ist in der Regel sehr vieler Gespräche von Seiten der Leitungskräfte und überzeugter Kolleg*innen zu verdanken. Die Stunden, die für diese Gespräche aufgewendet wurden, sind kaum zu zählen, werden aber bisher von Politik und Öffentlichkeit nicht gesehen oder gar gewürdigt.

Die aktuell geltende Impfpflicht für alle Beschäftigten in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung hat unterschiedliche Auswirkungen. Einzelne Mitarbeitende haben sich nach einem anderen Berufsfeld umgesehen oder sind gar in ein anderes Land ausgewandert. Eine Reihe von ungeimpften Mitarbeitenden hat sich in den vergangenen Monaten infiziert und somit zunächst den Status von Genesenen. Die meist wenigen verbliebenen ungeimpften Mitarbeitenden werden an die entsprechenden, momentan überlasteten Behörden gemeldet. Ob daraus eine Konsequenz folgt, ist zum momentanen Zeitpunkt noch nicht absehbar.

Behörden: Auf Sicht geprüft

Prüfungen durch den medizinischen Dienst und die Heimaufsichten in den Bundesländern wurden in den vergangenen zwei Jahren immer wieder ausgesetzt. Anlassbezogen wurde weiter geprüft, dabei unter entsprechenden Schutzmaßnahmen und wie selbst erlebt rücksichtsvoll und auf das notwendige Maß beschränkt. Die meist telefonische und schriftliche Kommunikation mit den entsprechenden Mitarbeitenden der Aufsicht für besondere Wohnformen in Berlin gestaltete sich über die Jahre der Pandemie ausgesprochen angenehm. Die Beratung und die gemeinsame Suche nach praktikablen Lösungen für anstehende Herausforderungen stand dort ganz klar im Vordergrund. Die Unterstützung bei der pragmatischen Umsetzung von Vorgaben war beispielhaft und fruchtbar.

Schnell mal testen

Die Einführung der Testpflicht für Bewohner*innen und Mitarbeitende führte Einrichtungen der stationären Langzeitpflege mitunter an Kapazitätsgrenzen. In Berlin erfolgte die Lieferung der Schnelltests recht unkompliziert durch die Senatsverwaltung, so dass ausreichend Tests in den Einrichtungen zur Verfügung standen. Die Durchführung der Tests war jedoch vollkommen ungeregelt. Die Schulungen der Pflegefachkräfte in der Testdurchführung war dabei noch die kleinste Herausforderung. Wo sollte die Zeit herkommen, um plötzlich zusätzlich zu den pflegerischen Aufgaben mehrere Stunden täglich zu testen.

Mitarbeitende und Besucher waren täglich zu testen und für die Bewohner*innen wechselte das vorgeschriebene Intervall von einmal monatlich zu zweimal wöchentlich mit allen Zwischenstufen und Abstufungen zwischen Geimpften und Ungeimpften. Zusätzliches qualifiziertes Personal für die Testung einzustellen, erwies sich bei dem leergefegten Arbeitsmarkt nicht immer als möglich. Student*innen aus den Gesundheitsberufen und berentete Pflegefachkräfte ließen sich in Einzelfällen rekrutieren, flächendeckend war das nicht möglich.

Der Einsatz von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Berlin erwies sich dagegen als ein unerwarteter Segen. Diese führten die Tests in der Regel sehr gewissenhaft, freundlich aber auch konsequent durch, setzten das Einlassmanagement um und unterstützten bei der Umsetzung des Lüftungskonzepts. Aus Sicht der Einrichtungen wäre es sehr hilfreich gewesen, diese Unterstützung zu verstetigen und so lange in den Einrichtungen zu etablieren, wie Testungen erforderlich sind.

Kommunikation - recht und schlecht

Die Kommunikation mit den Bewohner*innen, den Angehörigen und den Bewohnerbeiräten erweist sich als Balanceakt, der immer wieder neu ausgelotet werden muss. Wie viel Kommunikation ist angemessen, um keine Ängste zu schüren, den Datenschutz einzuhalten und trotzdem wichtige Informationen zu vermitteln? Die Bewohnerklientel in den Einrichtungen ist sehr unterschiedlich, insgesamt zeichnet sich aber seit Jahren eine Zunahme von Bewohner*innen mit kognitiven Einschränkungen ab. Wie gehen diese mit der Pandemie um, ist dort überhaupt ein Verständnis über die Lage in Deutschland und in der Einrichtung vorhanden oder spielt nur das unmittelbare Umfeld eine Rolle? Dieses Ausloten der Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner*innen kann nur im Zusammenspiel der Leitungskräfte, des Pflegeteams und der Angehörigen gelingen und hat sich im Laufe der Pandemie auch stark verändert.

War zu Beginn der Pandemie im März 2020 ein überwiegend großes Interesse vorhanden und wurde viel mit Bewohner*innen und Angehörigen vor Ort gesprochen, macht sich mittlerweile bei allen eine gewisse Pandemiemüdigkeit breit. Die Information der Angehörigen lief anfangs überwiegend über E-Mail Verteiler und, zu den Zeiten, wo dies möglich war, über Angehörigenabende. Die kurzfristige Ankündigung zur Umsetzung von Maßnahmen von Seiten der Politik - oft kam am späten Freitagnachmittag die Information, was ab Montag umzusetzen sei - erschwerte die Einbeziehung der Bewohnerbeiräte ungemein. Diese konnten oft nur im Nachhinein über die notwendige Anpassung des Besucherkonzeptes informiert werden. Die angemessene Kommunikation, sowohl der Kommunikationswege als auch die Informationsmenge, waren und sind eine Herausforderung.

Teamentwicklung, Fortbildungen und die Politik

Aufgrund der Pandemie konnten in den letzten Jahren diverse interne Fortbildungsveranstaltungen nicht stattfinden. Online-Seminare sind nur ein mangelnder Ersatz, da viele Pflegekräfte keinen Zugang zu dem Medium finden und ihnen der individuelle Austausch fehlt. Pflegeteams konnten ihre gewohnten und wichtigen gemeinsamen Ausflüge nicht durchführen, Neue konnten nur schwer integriert und Herausforderungen innerhalb der Teams schlechter bearbeitet werden. Wie diese fehlenden Fortbildungen und teambildenden Maßnahmen nachgeholt werden können, bleibt vollkommen unklar. Wünschenswert wäre auch hier die Unterstützung durch die Politik und die Aufsichtsbehörden, die viel einfordern, aber in der konkreten Situation selten Hilfestellung bieten.

Die Beschaffung der Schutzausrüstung stellte bis jetzt kein Problem dar, auch wenn die Preise für Schutzhandschuhe zwischenzeitlich exorbitant gestiegen waren. Dabei ist die Rückerstattung zusätzlicher Aufwendungen über den Rettungsschirm eine echte und recht unbürokratische Hilfe. Für die Zukunft bleibt der Wunsch, dass die Politik mit all ihren ausführenden Institutionen mehr auf die Belange der Einrichtungen und die großartige Arbeit, die dort geleistet wird, achtet und sich nicht als ständig prüfend und Misstrauen säend versteht.

Literatur

  • Langner B (2022) Beziehungsgestaltung in Zeiten der Pandemie. In: M Bonacker, G Geiger. Pflege in Zeiten der Pandemie. Budrich, Opladen