Interview mit Prof. Dr. Roland Brühe Was bedeutet die Schließung der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der PTH Vallendar für die Pflege(wissenschaft)? Roland Brühe, Professor für Pflegepädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln und Sprecher des PTHV-Alumni-Netzwerks im Gespräch.
Am 31.03.2021 teilte die Provinzverwaltung der Gemeinschaft der Pallottiner als Träger der PTHV mit, dass die Pflegewissenschaftliche Fakultät aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden soll. Was bedeutet die Schließung für die Pflegewissenschaft in Deutschland?
Roland Brühe: Zunächst einmal bedeutet das für die rund 250 Studierenden eine unsichere Situation, da sie nun irgendwie ihr Studium nach dem Zeitplan der Hochschule beenden müssen. Für die Pflegewissenschaft in Deutschland steht mit dem Wegfall der Pflegewissenschaftlichen Fakultät ein wichtiger Ort für die wissenschaftliche Qualifizierung und für spezifisch pflegewissenschaftliche Forschung nicht mehr zur Verfügung.
Seit das Vorhaben bekannt ist, hagelt es harsche Proteste. Verbände wie der DPR, der DBfK, der BLGS und auch die DGP fordern vom Träger der Universität, die Entscheidung zu überdenken. Auch die Studierenden engagieren sich in vielfältigen Aktionen dafür, die Fakultät zu erhalten. Wie ist nach Ihrer Kenntnis der aktuelle Stand?
Brühe: Es ist gut zu sehen, dass sich von vielen Seiten Personen äußern. Zumindest in die Fachöffentlichkeit ist die Kritik hineingetragen worden. Hierbei darf es aber nicht bleiben, weshalb die Studierenden eine Petition veröffentlichen und die Alumni einen Offenen Brief formulieren. Auf das Thema muss auch noch in den nächsten Wochen aufmerksam gemacht werden, zumal sich in Rheinland-Pfalz nach der letzten Landtaggswahl gerade erst der Landtag und die Landesregierung bilden. Es gibt Hinweise dafür, dass die Vallendarer Situation in den Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss eingebracht werden soll. Vonseiten der Träger der PTHV ist indes nichts zu hören.
Die Pflegekammer Rheinland-Pfalz sieht das Land bei der Finanzierung in der Pflicht. Das Land verweist auf die private Trägerschaft. Kann es hier einen guten Lösungsweg geben?
Brühe: Die Gesellschaft braucht die wissenschaftliche Expertise der Pflege. Heute mehr denn je. Insofern ist es auch eine Aufgabe des Staates, akademische Bildungsstrukturen hierfür zu schaffen und zu finanzieren. Mir scheint, dass das Feld gerne den privaten Hochschulen überlassen wird und damit die Geldtöpfe der Wissenschaftsministerien geschont werden. Deshalb: Ja, die Bundesländer müssen sich hier stärker engagieren, indem sie z.B. pflegewissenschaftliche Lehrstühle und entsprechende Studiengänge an ihren Universitäten schaffen und finanzieren. Ein Grundproblem ist hierbei sicherlich, dass die politisch Verantwortlichen kaum einen Unterschied sehen zwischen grundständig qualifizierenden Studiengängen, die es ja in Rheinland-Pfalz in der Tat gibt, und wissenschaftlich weiterqualifizierenden Studiengängen. "Pflege" und "Pflegewissenschaft" zu studieren ist eben nicht das gleiche.
Die Studierendenzahlen sind in Deutschland - verglichen mit anderen Ländern - niedrig. Wie ist das zu bewerten?
Brühe: In der Tat ist das Studieren von Pflege und Pflegewissenschaft in Deutschland insgesamt ein randständiges Phänomen. In den Ländern um uns herum ist das Gegenteil der Fall. Dort scheint eine wissenschaftlich fundierte Pflege selbstverständlicher zu sein als bei uns.
Welche Voraussetzungen müssten aus Ihrer Sicht erfüllt sein, damit das Interesse der Pflegenden an einer akademischen Qualifikation steigt?
Brühe: Primär braucht es Handlungsfelder, in denen die wissenschaftliche Expertise, die man mit dem Studieren erwirbt, nachgefragt und wertgeschätzt wird. Das betrifft sowohl die direkte pflegerische Versorgung, als auch den Wissenschaftsbetrieb. Es macht nur Sinn, Pflege und Pflegewissenschaft zu studieren, wenn es mir einen Nutzen bringt - durch Anerkennung, Aufgabenfelder und Verdienst.
Was wünschen Sie den Pflegenden, dem Gesundheitssystem und den Menschen in diesem Land mit Blick auf die Akademisierung der Pflege in Deutschland?
Brühe: Mein Wunsch wäre, dass sich insgesamt ein Selbstverständnis entwickelt, das gute und professionelle Pflege mit der Nutzung pflegewissenschaftlichen Wissens als zwingend verbunden ansieht. Bei solch einer Sichtweise sind wir in der Breite allerdings noch lange nicht angelangt - weder bei den Pflegenden noch in der Gesellschaft. Auf dem Weg dorthin wird es noch vielerlei Auseinandersetzungen bedürfen.
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Versorgung braucht Wissenschaft. Pflegez 74, 9 (2021). https://doi.org/10.1007/s41906-021-1056-0
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