Vielfältige Kompetenzen nutzen - Einblicke in ein Praxisprojekt Wie können unterschiedlich qualifizierte Pflegekräfte bestmöglich in der direkten Patientenversorgung eingesetzt werden? Im Projekt QUIM werden dazu verschiedene Konzepte entwickelt. Das erste definiert Aufgaben für langjährig erfahrene und/oder Pflegende mit akademischer Qualifikation. Im Fokus: Patienten mit komplexen pflegerischen und medizinischen Versorgungsbedarfen.

In der Pflege finden sich Mitarbeitende mit unterschiedlichen Qualifikationen. Um sie entsprechend einzusetzen, werden an den medius Kliniken in Nürtingen verschiedene Projekte durchgeführt. Eines diente beispielsweise dazu, ungelernte Pflegekräfte gezielt in der Patientenversorgung einzusetzen, ein weiteres Beispiel ist das Konzept der Integrationsstation. Ziel der ersten Konzeptentwicklung "Fallverantwortliche Pflegekraft" (FvP) im Rahmen von "Quim" ist es, sowohl langjährig erfahrene als auch akademisierte Pflegekräfte systematisch einzusetzen, um somit eine Steigerung der Pflegequalität und eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit zu erreichen. Die besonderen Herausforderungen bestehen dabei im aktuellen Fachkräftemangel und der zunehmenden Anzahl von Menschen mit hohen pflegerischen und medizinischen Versorgungsbedarfen. Langjährig erfahrene und/oder akademisch qualifizierte Pflegekräfte übernehmen konkrete Aufgaben und betreuen als sogenannte "Fallverantwortliche Pflegekräfte (FvP)" Patienten mit komplexen pflegerischen und medizinischen Versorgungsbedarfen.

Die medius Kliniken verteilen sich auf die drei Standorte Kirchheim unter Teck, Nürtingen und Ostfildern-Ruit. An den drei Standorten stehen 31 medizinische Fachkliniken, 21 Zentren mit insgesamt 1.040 Betten zur Verfügung, und es sind über 3.000 Mitarbeiter beschäftigt.

Grundlagen "Fallverantwortliche Pflegekraft"

Im Rahmen der Konzeptentwicklung und zur Bildung der theoretischen Grundlage wurde zu Beginn der Projektlaufzeit eine Literaturrecherche durchgeführt. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass die bestehenden Modelle und Konzepte für die Pflegepraxis an den medius Kliniken modifiziert werden müssen. Für die Entwicklung des Konzeptes "Fallverantwortliche Pflegekraft" wurden Inhalte des Primary Nursing-Konzeptes und des PAP-Modells aus der Schweiz eingebunden.

Primary Nursing: Anders als beim ursprünglichen Primary Nursing-Konzept werden nicht allen Patienten einer Bezugspflegekraft zugeteilt, sondern nur Patienten mit einem komplexen Versorgungsbedarf. Weiterhin ist die FvP auch nicht für die gesamte Aufenthaltsdauer für einen Patienten zuständig, sondern nur solange die Versorgungssituation als komplex eingeschätzt wird. In dieser Zeit soll die FvP die Verantwortung für die Pflegequalität und der damit verbundenen Pflegedokumentation tragen und ein, analog zum Konzept Primary Nursing, direkter Ansprechpartner für die Patienten und dessen Angehörigen sein (DBfK 2016).

PAP: Das PAP-Modell (Patientenorientierte Arbeitsteilung im Pflegeprozess) ist ein Konzept, das in der Schweiz entwickelt wurde und die Arbeitsteilung zwischen zwei unterschiedlich ausgebildeten Pflegepersonalgruppen darstellt. Beide Gruppen arbeiten als Tandem zusammen. Die diplomierte Pflegefachperson (akademische Pflegekraft) schätzt den Pflegebedarf ein, legt die Pflegeinterventionen fest und überprüft die Wirksamkeit der Pflege. Sie ist dabei während des gesamten Krankenhausaufenthalts für den pflegerischen Verlauf verantwortlich. Die Fachperson für Gesundheit, die eine grundständige Ausbildung ohne Studium absolviert hat, setzt die Pflegeinterventionen um und ist für die korrekte Ausführung verantwortlich (Abt et al. 2012).

Im Rahmen des PAP-Modells werden die Patienten in drei Kategorien eingeteilt, die sich nach Liegedauer, Entlassung, Gesundheitsproblemen, Komplikationsrisiko, Pflegeinterventionen und Gesundheitskompetenzen unterscheiden. Das Modell verfolgt die Annahme, dass bei steigender Liegedauer der Pflegebedarf steigt.

Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen im schweizerischen und deutschen Gesundheitssystem und den unterschiedlichen Ausbildungsstandards kann das PAP-Modell nicht 1:1 in Deutschland umgesetzt werden. Für die Konzeptentwicklung "Fallverantwortliche Pflegekraft" wurde insbesondere die Kategorieneinteilung zur Einschätzung der Komplexität des Patienten übernommen und modifiziert. Darüber hinaus wird angenommen, dass bei einem komplexeren Behandlungssetting die Qualifikation der zu betreuenden Pflegekraft steigen soll.

Methodik der Konzeptentwicklung

Die Methodik der Konzeptentwicklung zur "Fallverantwortlichen Pflegekraft" orientiert sich an der Systematik des SQE-Modells (stationsgebundene Qualitätsentwicklung). Das Ziel des SQE-Modells ist eine dezentrale, systematische und kontinuierliche Weiterentwicklung der Pflegequalität durch die Entwicklung und Implementierung von wissenschaftlich fundierten Praxisstandards (Schiemann et al. 2017).

Die Auswahl der Methodik ist auf der Annahme begründet, dass Pflegekräfte das Konzept mit Unterstützung des Projektteams selbst erarbeiten (Bottum-up-Prinzip), reflektieren und kontinuierlich an die dezentralen Bedingungen der eigenen Pflegepraxis anpassen. Es ist anzunehmen, dass die Veränderungsprozesse dadurch auf eine hohe Akzeptanz bei den Akteuren vor Ort treffen. Die Struktur des SQE-Modells besteht aus der Einrichtung von dezentralen Arbeitsgruppen, der internen Prozessberatung sowie der übergeordneten zentralen Kommission. Für die Konzeptentwicklung an den medius Kliniken sind analog zur SQE dezentrale Arbeitsgruppen, Pflegekräfte mit Projektverantwortung, eine Projektgruppe und ein Steuerungskreis gebildet worden. Für die Erarbeitung der Konzeptinhalte und die Implementierung auf den ersten Pilotstationen wurden zu Beginn ganztägige Workshops durchgeführt. Auf Basis der Workshop-Ergebnisse und der durchgeführten IST-Analyse haben sich themenorientierte Arbeitskreise (Stationsorganisation, Pflegedokumentation, Fallverantwortliche Pflegekraft und Marketing) gebildet. Die regelmäßig stattfindenden Treffen werden von der Pflegekraft mit Projektverantwortung und einem Mitglied aus dem Projektteam "Quim" begleitet. Die Arbeitsergebnisse werden in den regelmäßig stattfindenden Stationsbesprechungen vorgestellt und diskutiert, so dass eine Beteiligung aller Pflegekräfte der Pilotstationen ermöglicht wird.

Unterschiedliche Qualifikationen schaffen hohe Pflegequalität und zufriedene Mitarbeiter.
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© Blue Planet Studio / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)

Die Fallverantwortliche Pflegekraft auf den Pilotstationen

Die ersten zwei Pilotstationen verfügen insgesamt über 52 Betten in den Bereichen Innere Medizin und Allgemeinchirurgie. Die Stationen sind eingeteilt in vier Bereiche mit jeweils 13 Patienten. Jeder Bereich wird auf der Grundlage der Konzeptentwicklung von einer Bereichspflegekraft und einer unterstützenden Pflegeassistenz besetzt (Abb. 1). Bei der Auswahl der Pilotstationen spielte vor allem das erhöhte Aufkommen von Patienten mit komplexen medizinischen und pflegerischen Behandlungsbedarfen eine Rolle.

Abb. 1:
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Projekt Qualifikationsmix in den medius Kliniken, Konzept Fallverantwortliche Pflegekraft (FvP)

Die FvP zeichnen sich neben einer hochwertigen Ausbildung zur Pflegefachfrau/Pflegefachmann und/oder einem pflegebezogenen Studium durch stetig geforderte Fort- und Weiterbildungen, sowie eine mindestens zwei- bis dreijährige Berufserfahrung aus. Es werden bewusst nicht nur akademisierte Pflegekräfte für diese Stellen ausgewählt, sondern auch berufserfahrene Pflegekräfte mit hoher Sozial- und Fachkompetenz, da das Erfahrungswissen analog zum Stufenmodell des Kompetenzmodells von Benner für die Versorgungsqualität bedeutend ist (Benner 1997).

Die FvP betreut in Absprache mit der Bereichspflegekraft definierte Patienten mit höherem Pflegebedarf. Sie ist dabei verantwortlich für die Pflegeplanung, Versorgung, Beratung und Anleitung der Patienten mit komplexen pflegerischen und/oder medizinischen Versorgungsbedarfen und steht als Ansprechpartner für Patienten und Angehörige zur Verfügung. Durch eine gute Umsetzung und Dokumentation des Pflegeprozesses wird die Pflegequalität weiter gesteigert. Die FvP arbeitet eng im Team mit den Bereichspflegekräften zusammen und ist in einem kontinuierlichen Austausch mit den verschiedenen Berufsgruppen, um die komplexen Versorgungssituationen zu strukturieren und für den Patienten verständlicher zu machen. Zudem kann die FvP abhängig von der Berufserfahrung der Bereichspflegekraft diese bei der Stations- und Arbeitsorganisation unterstützen oder sich der Einarbeitung neuer Mitarbeiter annehmen.

Aufgrund des Aufgabenspektrums werden FvP ausschließlich in der Kernarbeitszeit an Werktagen eingesetzt und arbeiten bereichsübergreifend auf der ganzen Station. Da sich im Projekt für die Stelle der FvP hauptsächlich Mitarbeiter aus dem Stammteam der Pilotstationen beworben haben, arbeiten die FvP zu einem bestimmten Anteil auch weiterhin als Bereichspflegekräfte, um die entsprechenden Schichtzeiten abdecken zu können.

Einschätzung Patient mit höherem Versorgungsbedarf

Eine Herausforderung bei der Konzeptentwicklung war das Identifizieren der sogenannten "Patienten mit höherem pflegerischen und/ oder medizinischen Versorgungsbedarf". Ein fundiertes Instrument zur Einschätzung stellt ein Forschungsdesiderat in der Pflegewissenschaft dar. Daher wurden zur Ermittlung dieser Patientenkategorie zunächst Kriterien wie beispielsweise komplexe Pflegeprobleme, multimorbide Krankheitsbilder oder definierte Diagnosen festgelegt. Im Verlauf der Implementierungsphase konnte jedoch festgestellt werden, dass diese Kriterien für die Einschätzung zu allgemein und unzureichend sind. Auf Grundlage des PAP-Modells wurde von der Projektgruppe im November 2020 ein erstes Einschätzungsinstrument entwickelt, welches auf der Basis der sechs Kategorien: Aufenthaltsdauer, Gesundheitsprobleme, Pflegeinterventionen, Weiterversorgungsbedarf, Komplikationsrisiko und Gesundheitskompetenzen transparent aufzeigen kann, wer für die Betreuung durch die FvP in Betracht kommen kann. Das Instrument wird derzeit in der Praxis erprobt und weiter angepasst.

Hindernisse und Herausforderungen

Das größte Hindernis für das Projekt "Quim" bleibt die Pandemielage durch das SARS-CoV-2. So musste bei der ersten Pandemiewelle der Projektstart auf den ersten beiden Pilotstationen um drei Monate verschoben werden. Eine der beiden Pilotstationen wurde seit März 2020 zur Isolationsstation umfunktioniert. Im Dezember 2020 startete die Ausweitung des Projekts auf zwei weitere Pilotstationen (Neurologie und eine interdisziplinäre Wahlleistungsstation) am Standort medius Klinik Kirchheim ebenfalls nur verzögert und unter großen Kraftanstrengungen aller Beteiligten. Auch die personelle Situation in der Pandemiezeit stellt das Projekt vor wiederkehrende Herausforderungen, so dass vorübergehende Projektpausen zu Verzögerungen führen. Dennoch arbeiten alle Beteiligten mit einer enormen Willenskraft und Motivation daran, das Projekt bedacht voranzubringen.

Vor allem für die Evaluation des Projektes stellt die Pandemielage eine große Herausforderung dar, da Kennzahlen zu Liegedauer, Komplikationen, etc. in jeder Hinsicht durch sie beeinflusst werden. Auch die Evaluation der Mitarbeiterzufriedenheit, die durch das Projekt gesteigert werden soll, wird möglicherweise negativ beeinflusst, was bei der Auswertung berücksichtigt werden wird.

Eine weitere Herausforderung für die Umsetzung des Projektes stellt die Auswahl der Pilotstationen dar. Insgesamt sind bisher vier Pilotstationen mit vier unterschiedlichen Fachbereichen an zwei Standorten auf den Weg gebracht worden. Es hat sich dabei schnell gezeigt, dass sich die Inhalte der Workshops und Arbeitskreise sehr differenzieren und stets angepasst werden müssen. Auch das Aufgabenspektrum oder die Dienstzeiten der FvP benötigen stetige Anpassungen an die Ressourcen und Bedingungen vor Ort.

Erste Stimmen aus der Praxis

Das Projekt ist bereits seit Juni 2020 auf den ersten Pilotstationen implementiert. Die ersten Rückmeldungen aus den Teams und von den FvP sind durchaus positiv zu bewerten. Die Übernahme von pflegerisch und medizinisch aufwändigen Patienten wird von den Bereichspflegekräften als Entlastung empfunden. Auch die Unterstützung bei der Erstellung und Anwendung des Pflegeprozesses wird positiv erwähnt. Für Pflegekräfte mit wenig Berufserfahrung ist es hilfreich zu wissen, dass immer jemand Erfahrenes in der Nähe ist und unterstützen kann. Für die FvP war es zu Beginn eine Herausforderung, sich in die neue Rolle einzufinden. Auch das Team wusste zunächst nicht gut einzuschätzen, ob die FvP eine Unterstützung darstellt oder als Konkurrenz im Team agiert. Zeitnahe Kommunikation und regelmäßige Feedbackgespräche im Team führen jedoch zur Klärung von Unstimmigkeiten und kreativen Anpassungsideen.

Literatur

  • Abt et al. (2012) Projekt PAP Patientenorientierte Arbeitsteilung im Pflegeprozess. Careum F+E, Zürich

  • Benner (1997) Stufen zur Pflegekompetenz. From Novice to expert. Huber, Karlsruhe

  • Deutsches Netzwerk Primary Nursing (Hrsg.) (2016) Merkmale von Primary Nursing. DBfK, Berlin

  • Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) e.V. (Hrsg.) (2019) Advanced Practice Nursing. Pflegerische Expertise für eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung. DBfK, Berlin

  • Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.) (2004) Stationsgebundene Qualitätsentwicklung in der Pflege. DNQP, Osnabrück

  • Schiemann et al. (Hrsg.) (2017) Qualitätsentwicklung in der Pflege. Konzepte, Methoden und Instrumente. Kohlhammer, Stuttgart