Audiovisuelle Kommunikation von Patienten und Angehörigen evaluiert Das Universitätsklinikum Freiburg beschäftigt sich im Rahmen der COVID-19-Pandemie mit alternativen Telekommunikationsmöglichkeiten im Akutkrankenhaus, um Isolation aufgrund von Besuchsrestriktionen vorzubeugen. Patienten können mit Videotelefonie-fähigen Tablets Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen, um fehlende Präsenzkontakte auszugleichen.

Eine große Herausforderung der COVID-19-Pandemie ist die Einhaltung von Besuchsrestriktionen in Krankenhäusern und der damit verbundenen Problematik der fehlenden Kontakte zwischen Patienten und Angehörigen. Regelmäßige Kontakte sind für viele - insbesondere ältere - Menschen jedoch wichtig, um ihre eigene Lebensqualität und das damit verbundene Wohlbefinden aufrecht zu erhalten und depressiven Verstimmungen vorzubeugen (Luna et al. 2020, Raffnson et al. 2015). Umgekehrt konnten Holt-Lunstad et al. (2015) in einer Metaanalyse sogar zeigen, dass Einsamkeit und soziale Isolation mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden sind. Auf dieser Grundlage ist es wichtig, den Kontakt zwischen Patienten und Angehörigen auch in Isolationssituationen aufrecht zu erhalten. Eine Möglichkeit hierzu ist der Einsatz von audiovisuellen Telekommunikationssystemen (ATK), wie er inzwischen auch in der S3-Leitline zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19 empfohlen wird (Kluge et al. 2021).

Methodik und Ergebnisse

In einem studentischen Projekt, das durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Clusters Zukunft der Pflege geförderten Pflegepraxiszentrum Freiburg am Universitätsklinikum Freiburg begleitet wurde, ging es darum, den Einsatz von ATK zur Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen Patienten und Angehörigen zu reflektieren. Dazu wurden diese nach der Nutzung der ATK hinsichtlich ihres Erlebens in Form eines Interviews befragt. Ebenso wurden leitende Pflegenden befragt, da diese einerseits eng in Verbindung mit den Patienten stehen und andererseits entscheidend in Implementierungsprozesse eingebunden sind.

Die Befragung erfolgte mittels leitfadengestützter Interviews. Die Auswertung wurde mit Hilfe der Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) durchgeführt. Insgesamt wurden fünf Personen befragt: Ein Patient, eine Angehörige und drei Stationsleitungen. Aufgrund der geringen Fallzahl sind die Ergebnisse als erste Tendenz zu verstehen. Es konnten vier Hauptkategorien herausgearbeitet werden:

  • Hervorgerufene Emotionen und Empfindungen

  • Technik-Auswirkungen

  • Ethische, legale (rechtliche) und soziale Implikationen (ELSI)

  • Anwendungsfelder der Technik

Emotionen und Empfindungen: Im Laufe der Interviews wurden einige positive Emotionen und Empfindungen benannt, welche sich auf die Nutzung von ATK zurückführen lassen. So wurde darüber berichtet, dass die audiovisuelle Kommunikation …

  • den Beteiligten gut getan hat,

  • die Patienten und ihre Angehörigen Kraft schöpfen lässt,

  • als wichtig und gut empfunden wurde,

  • neuen Lebenswillen und Hoffnung schöpfen lässt und

  • für die Angehörigen als eine positive Überraschung, verbunden mit einem Gefühl der Erleichterung, empfunden wurde, als sie sehen konnten, dass es ihren Angehörigen im Krankenhaus so gut geht, dass sie wach sind: "… ich war ja vollkommen überrascht, weil ich ja erst die Nachricht bekommen habe er wird intubiert und wusste ja auch nicht, wie lange er das bleiben wird … und plötzlich sehe ich meinen Mann auf dem Bild wie er ja, munter in Anführungszeichen [...], seine Worte auf die Tafel schreibt oder so also da bin ich fast in Ohnmacht geflogen ((lacht)) weil damit hab ich gar nicht gerechnet und ich hab das aber als sehr positiv empfunden, das hat mich beruhigt …" (I2).

    Abb. 1:
    figure 1

    Anwendungsfelder der Technik

Gleichwohl wurde auch von einem Gefühl der Überforderung berichtet, welches mit der räumlichen und körperlichen Distanz während der audiovisuellen Kommunikation zwischen Patient und Angehöriger begründet wurde. Zudem wurde von einer Situation berichtet, in der seitens der Pflege beobachtet wurde, dass die so geführte Kommunikation für einen Patienten "bewegend" war, was aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes allerdings nicht spezifiziert werden konnte.

Technik-Auswirkungen: Zu den positiven Technik-Auswirkungen gehören:

  • Visuelle Vorteile der ATK gegenüber klassischer Telefonie: "…es ist schon ein Unterschied, ob man mal kurz telefoniert oder jetzt gerade mit Skype jemand wirklich mal wiedersieht. Das hat schon ne ganz andere Qualität …" (I4).

  • Frühere visuelle Kommunikation, da nicht erst auf einen Besuch gewartet werden muss.

  • Die Vorteile, welche die ATK gegenüber dem eigenen Smartphone beinhaltet (z.B. Größe des Displays, geringere Hürde, da die WLAN-Verbindung mit dem Gerät der Klinik schon steht).

  • Die einfache Bedienung des Gerätes und die zukunftssichere Art der Technik.

Als problematisch wurden die Angewiesenheit auf Unterstützung und der hohe Zeitaufwand für das Klinikpersonal beschrieben. Hinzu kamen technische Herausforderungen, etwa im Rahmen der Netzwerkeinbindung oder der Auswahl und Nutzung der Software. So wurde seitens der Mitarbeitenden auch von einem hohen Erwartungsdruck berichtet, insbesondere dann, wenn der Einsatz nicht auf Anhieb funktioniert. Darüber hinaus weisen klinikeigene Geräte aus Datenschutzgründen Einschränkungen gegenüber Privatgeräten auf, was zum Beispiel die Speicherung von Kontakten und Adressen anbelangt.

ELSI: Folgende Implikationen ergaben sich aus den Interviews:

  • Die Tablets wurden zu spät implementiert, da es den Bedarf an ATK schon vor der COVID-19-Pandemie gab. Der Bedarf hätte also früher erkannt werden können.

  • Bei dem Einsatz der ATK muss man vor allem bei schläfrigen Patienten vorsichtig sein. Hier ist - in Abstimmung mit den Angehörigen - zu klären, was die Patienten wirklich wollen, um deren Willen bestmöglich zu vertreten.

  • Die Sicherstellung der korrekten Identität des Gesprächspartners ist zu gewährleisten.

  • Visuelle Darstellung darf nie gegen den Willen der Patienten geschehen.

  • ATK können einen Zwischenschritt zum eigenen Handy und damit zur gesellschaftlichen Teilhabe darstellen, sind jedoch kein vollständiger Ersatz für Präsenz.

Anwendungsfelder der Technik: Die Einsatzmöglichkeiten der Tab- lets sind vielfältig. So gelang es, Patienten durch den Einsatz von ATK gezielt zu beruhigen (z.B. demenzkranke Patienten, die vor dem Schlafengehen nochmal ein bekanntes Gesicht sehen können) und den Kontakt über längere Distanzen oder trotz Besuchseinschränkungen aufrecht zu halten. Die Telekommunikation kann als Ersatz für Präsenzbesuche dienen, wenn dieser aus verschiedenen Gründen nicht stattfinden kann. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Angehörige selbst nicht mehr in der Lage sind, die Patienten zu besuchen. Zudem können die Angehörigen mehr in den Alltag einbezogen werden und somit mehr teilhaben. Außerdem gelingt es, sie zeitnah über Veränderungen zu informieren.

Diskussion

Die Ergebnisse geben Hinweise auf die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von ATK. Das Ermöglichen von audiovisuellem Kontakt tut den Beteiligten sehr gut und unterstützt das psychische Wohlergehen, was wiederum positive Einflüsse auf die Genesung der Patienten haben kann. Dennoch ist der Einsatz der ATK in vielen Fällen noch recht komplex und zeitaufwendig. Der Einsatz der Technik muss von den Pflegenden in ihren Alltag integriert und in vielen Fällen intensiv begleitet werden. Der genannte Zeitaufwand, der mit der Nutzung für sie verbunden ist, sorgt dafür, dass sie stets abwägen, ob sie dafür gerade Kapazitäten haben. Die Frage der Prioritätensetzung ist hier von Bedeutung: Pflegende entscheiden, für wie wichtig sie die Nutzung der ATK einschätzen und wie viel Zeit sie hierfür investieren können.

Im Laufe des Projektes wurden die Vorteile einer videogestützten Kommunikation gegenüber einer klassischen Telefonie mehrfach benannt. Vor allem der visuelle Faktor wird von den Befragten hervorgehoben und wertgeschätzt. Interessant ist, dass dennoch in der Praxis oft zu "klassischen" Alternativen gegriffen wurde. So wurden Telefonkarten, die während der COVID-19-Pandemie kostenlos für Patienten zur Verfügung standen, von Pflegenden eher genutzt als die ATK. Die Ursache der geringen Nutzung wird in der zeitintensiven Vorbereitung der ATK vermutet. Umso wichtiger ist es, die vorbereitenden Abläufe einfacher zu gestalten.

Der Nutzen der ATK liegt auch in der erweiterten Form der Teil- habe am Leben der Nahestehenden. Patienten können am Leben der Angehörigen außerhalb des Krankenhauses teilhaben. So können Geburtstage "gemeinsam" gefeiert oder "zusammen" zu Abend gegessen werden und Großeltern die Enkel wiedersehen. Die Teilhabe kann aber auch umgekehrt funktionieren, Angehörige nehmen am Klinikalltag teil. Vorstellbar ist, dass Therapieerfolge live miterlebt werden und die Angehörigen ein besseres und vor allem aktuelleres Bild vom Gesundheitszustand der Patienten erhalten. Deutlich wurde auch, dass der Einsatz der ATK seitens der Pflegefachpersonen sensibel begleitet werden muss, um emotional belastende Situationen für Patienten und Angehörige abfedern zu können.

Eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz ist auch eine entsprechende technische Ausstattung der Angehörigen, was keineswegs vorausgesetzt werden kann. Hier gilt es, Lösungen zu finden, mit denen auch sie im Falle längerer Krankenhausaufenthalte (leihweise) mit entsprechenden Geräten ausgestattet werden können. Der Ansatz, ATK zur Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen Patienten und Angehörigen einzusetzen, wird am Universitätsklinikum Freiburg auf Basis dieser ersten Erkenntnisse weiter verfolgt.

Literatur

  • Holt-Lunstad J, Smith TB, Baker M, Harris T, Stephenson D (2015) Loneliness and Social Isolation as Risk Factors for Mortality: A Meta-Analytic Review. Perspectives on Psychological Science 10(2):227-37

  • Kluge S, Janssens U, Welte T, Weber-Carstens S, Schälte G, Spinner C D, Malin J J, Gastmeier P, Wepler M, Westhoff M, Pfeifer M, Rabe K F, Böttiger B W, Weinmann-Menke J, Kersten A, Krawczyk M, Haase R, Nothacker M, Marx G, & Karagiannidis C (2021) S3-Leitlinie - Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19. Überarbeitung 02/2021. AWMF-Online. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/113-001l_S3_Empfehlungen-zur-stationaeren-Therapie-von-Patienten-mit-COVID-19__2021-02.pdf (Zugriff am 25.03.2021)

  • Kuckartz U (2018) Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Beltz Juventa, Weinheim Basel

  • Luna E, Ruiz M, Malyutina S, Titarenko A, Kozela M, Pająk A, Kubinova R, Bobak M (2020) The Prospective Association between Frequency of Contact with Friends and Relatives and Quality of Life in Older Adults from Central and Eastern Europe. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 55: 1001-1010

  • Rafnsson S B, Shankar A, Steptoe A (2015) Longitudinal Influences of Social Network Characteristics on Subjective Well-Being of Older Adults: Findings From the ELSA Study. Journal of Aging and Health, 27(5): 919-934