Impfquote bei klinisch tätigem Personal erhöhen Aufgrund der COVID-19-Pandemie nimmt in der Influenza-Saison 2020/21 die Relevanz von Schutzmaßnahmen vor Atemwegspathogenen zu. Die Impfstoff-Entwicklungen gegen SARS-CoV-2 stärken die Bedeutung des vorhandenen Influenza-Impfstoffes, um Ausbrüche impfpräventabler Erkrankungen zu minimieren und die individuelle wie gesellschaftliche Krankheitslast zu reduzieren. Besonders beim klinisch tätigen Personal blieben die Influenza-Impfquoten in bislang jedoch weit unter der empfohlenen Marke.

In Deutschland beträgt die Zahl der influenza-bedingten Todesfälle jährlich etwa 5.000-10.000 (GfV 2013), in der Saison 2017/18 lag diese sogar bei 25.100 (RKI 2019). Um eine Infektion beziehungsweise assoziierte Komplikationen zu vermeiden, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) unter anderem den Risikogruppen, wie Menschen über 60 Jahren, chronisch Erkrankten und medizinischem Personal, die jährliche Influenza-Impfung. Für das Klinikpersonal in der Akutversorgung, besonders für Pflegende, erhöht sich aufgrund intensiver Patientenkontakte nicht nur das Risiko, eine Influenzainfektion zu erwerben, sondern diese auch auf (Risiko-)Patienten zu übertragen (Bödecker et al. 2019).

Die WHO und die EU legten als Impfziel eine Durchimpfungsquote von 75% bei älteren Menschen und chronisch Erkrankten fest (WHO 2014; Europäische Kommission 2014). Für medizinisches Personal gibt es keine offiziellen Impfziele, verschiedene Studien empfehlen jedoch eine Impfrate von mindestens 50% (Wicker et al. 2009). Die Influenzaschutzimpfung ist nicht nur zum Schutz der Patienten und des Personals bedeutsam. Aus ökonomischer Sicht hat die Impfung auch einen positiven Effekt auf das Arbeitskräftepotenzial der Gesellschaft, denn geimpftes Personal fällt seltener und weniger lang aus als nicht geimpftes Personal (Imai et al. 2018). Vor allem im Hinblick auf die knappen personellen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung ist die Steigerung der Impfquote bedeutsam.

Methodik der Erhebung

Für diese Arbeit erfolgte eine explorative quantitative Querschnittserhebung. An einem Berliner Krankenhaus ohne spezielle Strukturen zur Impfquotensteigerung erhielt das gesamte Klinikpersonal der somatischen Versorgung literaturgestützt erstellte Fragebögen. Bei einer Rücklaufquote von 45% wurden 291 gültige Bögen statistisch ausgewertet. Im Anschluss erfolgte eine Kategorisierung und Analyse der Ergebnisse anhand des 5C-Modells der Vaccine Hesitancy (Betsch et al. 2019).

Zahl des geimpften Klinikpersonals bedenklich gering

Von den an der Befragung teilnehmenden klinisch tätigen Personen waren 82 und damit lediglich 28,3% in der Saison 2019/20 gegen Influenza geimpft. Die niedrige Anzahl ist bedenklich und liegt deutlich unter den empfohlenen Angaben. Besonders kritisch ist dies vor dem Hintergrund, dass die STIKO aufgrund der COVID-19-Pandemie eine Erhöhung der Influenza-Impfquoten in den Risikogruppen empfiehlt, um eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems durch vermeidbare Infektionen zu reduzieren (STIKO 2020). Dies stellt die Notwendigkeit einer Impfquotensteigerung besonders in den kommenden Saisons heraus.

In den untersuchten Berufsgruppen - ärztliches, pflegerisches und therapeutisches Personal - divergiert die Impfbereitschaft beträchtlich. Über die Hälfte der Ärzteschaft ließ sich impfen (61,5%), jede vierte Person der therapeutisch Tätigen nahm die Impfung in Anspruch (25%). Im Pflegedienst ließen sich nur 23,3% impfen. Die niedrigen Zahlen weisen auf eine dringende berufsgruppenorientierte Entwicklung von Impfmaßnahmen hin. Dafür werden im Folgenden mögliche Gründe und Ursachen für das Impfverhalten im Rahmen des 5C-Modells zur Impfzurückhaltung (Betsch et al. 2019) aufgezeigt.

Confidence: Vertrauen in Impfwirksamkeit und Impfsicherheit

Die Teilnehmenden schienen ein geringes Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit des Influenza-Vakzins gehabt zu haben, da die häufigsten Gründe gegen die Impfung in der Saison 2019/20 direkt oder indirekt mit der Impfung zusammenhängen. Mehr als die Hälfte der Befragten vertraute im Schutz gegen Influenza eher dem eigenen Immunsystem als der Impfung. Mit der Angabe "ungenügender Schutz vor saisonrelevanten Virusstämmen" wurde am zweithäufigsten die Impfablehnung begründet.

Festzuhalten ist, dass die Impfung nicht zu 100% wirksam ist. Mit einer mittleren Effektivität von 40-60% (Flannery et al. 2018) lassen sich trotz schwankender Wirksamkeit Infektionen vermeiden, sodass die Risikogruppen geschützt werden. Zudem verlaufen etwaige Infektionen milder. Bildung und Aufklärung im Rahmen von Kampagnen haben das Potential, vorhandene "Mythen" bzw. Fehlinformationen zu berichtigen und somit die Impfquote zu steigern (Conte et al. 2016). Um den Aufwand für die einzelne Person gering zu halten, sind niedrigschwellige Interventionen angeraten, beispielsweise den Gehaltsabrechnungen kurze Aufklärungsschreiben beizufügen und Poster an gut einsehbaren und hochfrequentierten Plätzen anzubringen. Zudem kann die Aufklärung in unabhängig von der Influenza-Impfung stattfindenden (Pflicht-) Fortbildungen integriert werden (RKI 2019).

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Constraints: Barrieren in der Ausführung

Die meisten Befragten befürworteten Maßnahmen, die einen niedrigschwelligen Zugang zur Impfung ermöglichen. Unabhängig von Berufs- und Altersgruppe und dem Impfstatus wurde die Impfung während der Arbeitszeit und direkt auf der Station für sehr geeignet gehalten, die Impfquote zu steigern, um Barrieren wie Zeitmangel und fehlenden Zugang zu umgehen. Weiterhin wurden die Vorschläge "Impfung durch stationsärztlichen Dienst" und "Impfzeiten ausweiten" für geeignet empfunden. Das befragte klinische Personal schien die fehlenden Strukturen im Krankenhaus als so bedeutende Hürden anzusehen, dass deren Abbau zu einer erhöhten Inanspruchnahme der Impfung führen könnte. Ableitend daraus ist dem Klinikpersonal in der Akutversorgung der Impf-Zugang auf organisatorischer Ebene zu vereinfachen. Möglichkeiten sind aufsuchendes Impfen durch ein Impfangebot direkt auf der Station und Impf-Durchführung während der Arbeitszeit.

Complacency: Risikowahrnehmung der Erkrankungs-wahrscheinlichkeit

Allen Berufsgruppen gemeinsam war, dass das Vertrauen in das eigene Immunsystem der meistgenannte Grund war, sich nicht impfen zu lassen (60,5%). Das Klinikpersonal im täglichen Umgang mit vulnerablen Patienten scheint die eigene Rolle für das Infektionsrisiko der Patienten zu wenig zu reflektieren. Wird auf die Stärke des eigenen Immunsystems vertraut, gilt im Umkehrschluss, die erhöhte Gefahr für vulnerable Patienten mit supprimiertem Immunsystem zu betrachten. Hier wird erneut ein intensiver Fokus auf die Patienten- und eigene Sicherheit notwendig. Dafür bedarf es verstärkter Aufklärung und Kommunikation mit explizitem Verweis auf den Schutz der Patienten.

Calculation: Ausmaß der Informationssuche

Es zeigten sich deutliche Unterschiede bei den Quellen, die die Befragten zur Wissensaneignung zum Thema Influenza nutzten. Während sich die Mehrheit der Ärzteschaft (61,5%) in Gesprächen mit Kollegen über Influenza informierte, nutzte die Mehrzahl der Pflegekräfte (61%) und des therapeutischen Personals (54,2%) die haus- bzw. fachärztliche Praxis als Informationsquelle. Die Kollegenschaft wurde hier am zweithäufigsten als Quelle genannt. Daraus wird deutlich, dass die Umgebung am Arbeitsplatz eine bedeutende Rolle in der Informationssammlung spielt und damit die Impfentscheidung beeinflusst. Eignet sich ein Großteil des Klinikpersonals Wissen in Gesprächen mit Kollegen an, ist dieses Potential für eine Impf-Kampagne auszuschöpfen. Mitarbeitende können als Multiplikatoren genutzt werden, um eine größere Reichweite bei der Aufklärung zu gewinnen. Dafür könnten interessierte Kollegen geschult werden und als Vermittelnde fungieren. Sensibilisiert für die Verwendung von evidenzbasierten Erkenntnissen, bringen diese so fundiertes Wissen in die Teams ein (Pless 2017).

Collective Responsibility: Verantwortung für die Gemeinschaft

Über alle Berufs- und Altersgruppen hinweg war der Eigenschutz die größte Motivation, sich impfen zu lassen (85,7%), gefolgt vom Schutz des persönlichen Umfeldes (67,1%). Erst an dritter Stelle wurde der Patientenschutz genannt, von weniger als der Hälfte der geimpften Befragten (48,8%). Diese Erkenntnis ist kritisch zu hinterfragen, da für das medizinische Personal als Risikogruppe Impfempfehlungen sowohl zum Eigenschutz als auch für den Schutz der (vulnerablen) Patienten ausgesprochen werden (RKI 2019). In der Praxis scheint diese Problematik noch nicht genügend Aufmerksamkeit zu bekommen. Hierbei ist eine grundlegende Aufklärung über die Notwendigkeit und Vorteile der Impfung unentbehrlich. Ebenso sollte die bereits erwähnte ausführliche Erläuterung des Patienten- und Eigenschutzes durch die Impfung erfolgen.

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Impfstatus in den Berufsgruppen (Saison 2019/20)

Wissensdefizit Herdenimmunität

Ein besonders kritisch zu betrachtender Aspekt ist das Wissen zur Herdenimmunität. Nur etwa die Hälfte aller Befragten (56,1%) fühlte sich hierüber ausreichend informiert. Um eine fundierte Impf-Entscheidung zu treffen, ist es notwendig, über sämtliche Aspekte der Influenza informiert zu sein. .

Jeweils ein Fünftel der Pflegekräfte (20,1%) und des ärztlichen Personals (19,2%) fühlte sich nicht ausreichend informiert, bei dem therapeutischen Personal etwa die Hälfte (43,5%). Aufklärende und bildende Maßnahmen können einen positiven Einfluss auf die Impfquote haben (Betsch et al. 2017). In Anbetracht des selbstberichteten Wissensdefizits scheint es ratsam, dem Klinikpersonal das Konzept des Gemeinschaftsschutzes näherzubringen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen medialen Präsenz von infektionsschutzrelevanten Themen wäre es möglich, dass sich das Bewusstsein dahingehend erhöht hat. Dennoch darf dieses Thema in der Aufklärungsarbeit nicht vernachlässigt werden.

Mit multidimensionaler Kampagne die Impfquote steigern

Die vielschichtigen Gründe gegen die Influenza-Impfung in der Saison 2019/20 und die verschiedenen Faktoren des 5C-Modells belegen die Notwendigkeit einer multidimensionalen Intervention. So können mehrere Zielgruppen gleichzeitig angesprochen werden. Am erfolgreichsten haben sich dabei Impfkampagnen aus mehreren Interventionen, wie Aufklärung und Vor-Ort-Impfung, erwiesen (Lam 2010; Rashid 2016). Langfristig könnte dies einen entscheidenden Beitrag leisten, der in der aktuellen Forschungsliteratur empfohlenen Rate von mindestens 50% des medizinischen Personals näher zu kommen. Für die weitere wissenschaftliche Betrachtung ist es lohnenswert zu untersuchen, ob und wie sich die Impfquoten besonders im Kontext der COVID-19-Pandemie verändern, beispielsweise in Form von Trendstudien. Ein weiterer Aspekt, der noch näherer Untersuchung bedarf, ist die motivational-kognitive Ebene der Impfentscheidung.

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