Während die Welt in der Corona-Pandemie den Atem anhält, Social Distancing, Ausgangssperren und Bronchialhygiene für "reine Luft" sorgen sollen, kommen Parallelen zum Schwarzen Tod auf. Leise und unbemerkt segelte die Krankheit auf Kriegs- und Handelsschiffen von Konstantinopel über die geschäftigen Häfen von Messina auf Sizi-lien und Marseille. Von dort bahnte sie sich ab 1347 ihren tödlichen Weg durch Europa bis nach Grönland.
In den fünf Jahren nach 1347 wurden geschätzte 20 bis 50 Mio. Menschen Opfer der Seuche, was einem Drittel der damaligen Bevölkerung entsprach. So fanden im Angesicht dieses mysteriösen Schreckens und in der Verzweiflung der Bevölkerung abstruse Erklärungen und kuriose Arzneien Abnehmer.
Ungünstige Planetenkonstellation?
Das Konzept von Infektiosität und Krankheitserregern war im 14. Jahrhundert noch unbekannt. Die damaligen international anerkannten Experten legten in ihrem "Pariser Pestgutachten" eine ungünstige Planetenkonstellation als Ursache fest, die zur Bildung giftiger Dämpfe führte. Diese Dämpfe würden durch Einatmen zur Fäulnis und Zersetzung der inneren Organe führen. Folglich sollte neben dem Ausleiten der fauligen Körpermaterie durch Schwitzen, Erbrechen, Abführen und Aderlass auch eine Reinigung der Luft helfen.
Dicke Luft
Je stickiger die Umgebungsluft war, als desto krankmachender galt sie. Besonders schlecht war trübe, neblig-feuchte Luft. Daher ordnete die Obrigkeit an, dass "öffentliche Stätten, Schlachthäuser und Gassen" gereinigt werden müssten. Ein jeder Hausvater sollte für die gute Durchlüftung seines Hauses und der Schlafkammern sorgen.
Saubere Waldluft galt als besonders rein und heilsam, weshalb viele Reiche aus den Städten auf ihre Landsitze flüchteten - allerdings auch den "giftigen Pesthauch" dorthin mitnahmen und verbreiteten. Zur Reinigung sollten Räucherungen der Raumluft sowie von Kleidung und Bettzeug beitragen. Typische Räucherarzneien waren unter anderen:
Gehölze: Sandelholz, Lorbeer, Tannenzapfen und Wacholder zählten zu den häufigsten Räuchermitteln. Laut Hildegard von Bingen mieden böse Geister alle Orte, wo Tannen wachsen. Daher wurde dem Tannenduft eine besonders reinigende und stärkende Wirkung zugeschrieben.
Harze: Bereits aus der Bibel sind Weihrauch und Myrrhe bekannt, ebenso wurden aber auch Bernstein und Kampfer eingesetzt. Bei der Verbrennung von Harzen entsteht Formaldehyd, dem eine schwach keimtötende Wirkung zugesprochen wird - ob diese jedoch ausreicht, um Pesterreger abzutöten ist eher unwahrscheinlich.
Würzkräuter und Gewürze: Stark duftender Rosmarin, Salbei oder Lavendel sollten ebenfalls zur Reinigung der Luft beitragen. Zwar ist heute bekannt, dass diese eine gewisse keimreduzierende Eigenschaft haben, jedoch ist diese im Rauch zu schwach, um Kleidung oder Raumluft wirksam zu desinfizieren. Unabhängig davon wurde die lindernde Wirkung der ätherischen Öle von Thymian bei Atemnot, Asthma und Keuchhusten bereits im Mittelalter genutzt.
Obst: Besonders beliebt waren auch Räucherungen von Pomeranzenschalen (Bitterorangen), Quitten, Äpfeln oder Heidelbeeren. Aber auch hier muss davon ausgegangen werden, dass deren Duft vor allem eine erleichternde oder stimmungsaufhellende Wirkung auf die Kranken hatte.
Neben den reinigenden Aspekten waren Räucherungen und Räucherarzneien stets auch mit einem mystischen Aspekt assoziiert. Daher war auch das Abbrennen von Schwefel beliebt. Schon in der Bibel wurde das "Übel" von Sodom und Gomorrha durch Schwefel zerstört, also sollte sein scharfer Geruch alle bösen Dämonen vertreiben und befallene Atemwege von fauligen Dämpfen reinigen. Die Mischung von Schwefel mit Salpeter und Kohle fand als Schießpulver (Schwarzpulver) nicht nur seinen Einzug in die Waffentechnik, sondern auch ins Räuchersortiment. Durch seine Explosionskraft sollten die giftigen Dämpfe (Miasmen) gebrochen und zerstört werden.
Reine Luft
Um das Krankheitsgift nicht einzuatmen, hielten die Menschen Abstand, Ärzte trugen schnabelartige Pestmasken und die Stadt Venedig verhängte als erste Stadt eine 40-tägige Sperre für alle neuankommenden Schiffe, damit die Seeleute nicht den Pesthauch in die Stadt trügen: die Quarantäne.
Mit der aktuellen COVID-19-Pandemie hat "reine Luft" wieder eine besondere Bedeutung bekommen. Wieder kursieren viele, teils widersprüchliche Informationen, wieder leben die Menschen in Angst und wieder gibt es dubiose Luftreiniger und magische Lampen zur Vertreibung des Virus.
Dr. Andrea Jessen