1 Einleitung

Österreich ist von seiner Geschichte her primär katholisch geprägt. In der langen Ära der Habsburgermonarchie wurde die Vorherrschaft des Katholizismus durch das Herrscherhaus gefördert und in der Zeit der Gegenreformation mit Gewalt durchgesetzt. Da es in der Monarchie ethnische Gruppen mit verschiedenen Religionsbekenntnissen gab, fand jedoch seit der Zeit der Aufklärung die Idee der religiösen Toleranz auf der politischen Ebene zunehmend Anerkennung. Mit den Toleranzpatenten Kaiser Josefs II von 1781/82 erhielten Protestant*innen, orthodoxe Christ*innen und Juden bzw. Jüdinnen das Recht auf freie Religionsausübung. Nach der Annexion Bosniens erlangte 1912 auch der Islam den Status einer offiziell anerkannten Religion. Dort, wo Angehörige unterschiedlicher Religionen im selben geographischen Raum zusammenlebten, war das Verhältnis zwischen diesen Gruppen aber vielfach von Spannungen und einer ablehnenden Haltung der Mehrheit gegenüber den religiösen Minderheiten geprägt (Ehrlich 2016; Aslan et al. 2017).

Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und der Vernichtung und Vertreibung der Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus lebten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fast nur mehr Christ*innen im Gebiet des heutigen Österreich: mehr als 90 % waren katholisch, etwa 6 % evangelisch. Da sich die religiöse Praxis und Lebensweise der Angehörigen dieser beiden Konfessionen nur wenig voneinander unterscheiden, war das Verhältnis zwischen ihnen weitgehend konfliktfrei. Ab den 1970er-Jahren kam es zu einem allmählichen Wandel des religiösen Felds. Die kirchliche Religiosität verlor an Bedeutung und sozialer Bindungskraft. Von der Nachkriegszeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ging der Anteil der regelmäßigen Gottesdienstbesucher*innen von zirka 60 % auf 15 % zurück (Höllinger 2013; Zulehner 2020). Parallel dazu stieg die Zahl der Konfessionslosen. Auf der anderen Seite wurde die religiöse Landschaft durch den Zuzug von Migrant*innen bunter. Nach den Ergebnissen der Volkszählung 2001 waren etwa vier Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung Muslim*innen, zwei Prozent Mitglieder einer Orthodoxen Kirche. Der Anteil der Konfessionslosen lag bei etwa zwölf Prozent (Bundeskanzleramt 2020, S. 10).

Da seit der Volkszählung 2011 die religiöse Zugehörigkeit nicht mehr amtlich erhoben wird, kann die religiöse Struktur der österreichischen Bevölkerung nur mehr anhand der Mitgliederstatistik der Religionsgemeinschaften und anhand von Hochrechnungen geschätzt werden. 2016 waren demnach 64 % der Österreicher*innen katholisch und ca. 5 % evangelisch. Bei der Schätzung der Zahl der Muslim*innen und der Orthodoxen Christ*innen wird von der Volkszählung 2001 ausgegangen; Veränderungen im Zeitverlauf werden anhand der Nettozuwanderung von Personen aus muslimischen bzw. orthodoxen Ländern sowie aus der Geburtenbilanz der entsprechenden Populationen berechnet. Nach Schätzungen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) ist der Anteil der Muslim*innen von 2001 bis 2016 von vier Prozent auf ca. acht Prozent gestiegen. Die beiden größten Segmente der muslimischen Bevölkerung in Österreich sind Personen türkischer und ex-jugoslawischer Herkunft. In den letzten Jahren hat auch die Fluchtmigration aus dem Nahen und Mittleren Osten zu einem Anstieg der muslimischen Population beigetragen. Infolge der Zuwanderung aus Ost- und Südosteuropa seit der EU-Ost-Erweiterung ist in den letzten Jahren auch die Zahl der Orthodoxen Christ*innen stark gestiegen (vgl. Goujon et al. 2017, S. 9).

Während Migrant*innen mit orthodoxem Religionshintergrund in der öffentlichen Wahrnehmung nur wenig präsent sind, stehen muslimische Zuwander*innen seit den 1990er-Jahren im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Das Verhältnis zwischen Einheimischen und Muslim*innen ist vielfach durch wechselseitige Berührungsängste und Unverständnis für die Lebensweise der anderen Gruppe belastet (Pollack et al. 2013; Halm und Sauer 2017). Die unterschiedliche religiös-kulturelle Prägung – auf Seite der Einheimischen eine stark säkularisierte christliche Religiosität, auf Seite der Migrant*innen eine zum Teil sehr traditionelle muslimische Alltagsreligiosität – ist ein zentraler Faktor für das konflikthafte Verhältnis zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen (Amir-Moazami 2016; Irlenborn 2018; Krämer 2019; Höllinger 2020). Empirische Studien stellten fest, dass bei einem großen Teil der österreichischen Bevölkerung antimuslimische Ressentiments bestehen (Aschauer 2020; Höllinger 2020). Islamophobe Tendenzen lassen sich in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens feststellen: in der Darstellung des Islam in österreichischen Schulbüchern (Markom und Weinhäupl 2012); in der Medienberichterstattung (Saad 2012); im Verbot bzw. im Diskurs um die Erlaubnis der Errichtung von Moscheen und Minaretten (Kübel 2012); in der Debatte um das Tragen muslimischer Kopfbedeckungen im öffentlichen Raum (Gresch und Hadj-Abdou 2010); im Diskurs der politischen Parteien, insbesondere der rechtspopulistischen FPÖ (Hafez 2012).

Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Beitrag Einheimische und in Österreich lebende Muslim*innen anhand der österreichischen Daten des Religionsmonitor 2017 in Hinblick auf ihre Religiosität verglichen. Im ersten Teil des Beitrags wird erörtert, welchen Stellenwert die Religion im Alltagsleben dieser beiden Bevölkerungsgruppen hat. Im zweiten Teil wird untersucht, wie sich die Religion auf die Lebensführung auswirkt und wie die beiden Bevölkerungssegmente die Religiosität der anderen Gruppe wahrnehmen.

2 Die österreichische Befragung des Religionsmonitor 2017

Die empirischen Analysen dieses Beitrags beruhen auf der österreichischen Erhebung des Religionsmonitor 2017, der in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Österreich, der Schweiz und der Türkei durchgeführt wurde. Ziel dieser Studie war es, die Religiosität von Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen in den einzelnen Ländern und länderübergreifend zu vergleichen. Zu diesem Zweck wurde in jedem Land eine Zufallsstichprobe von ca. 1000 Personen gezogen; in den fünf westeuropäischen Ländern wurde diese Stichprobe durch ein Oversample von muslimischen Migrant*innen ergänzt. Die österreichische Erhebung besteht aus einer Zufallsstichprobe der österreichischen Wohnbevölkerung mit 1002 Befragten und einer Zusatzstichprobe von 416 in Österreich lebenden Muslim*innen, die aus der Türkei oder aus dem südosteuropäischen Raum stammen und mit Hilfe des onomastischen Verfahrens ermittelt wurden.Footnote 1 Etwa 80 % der Befragten beider Stichproben wurden telefonisch befragt, die restlichen Interviews fanden im Haushalt der Befragten statt. 95 % der Interviews wurden in deutscher Sprache geführt, die restlichen auf türkisch oder auf serbokroatisch bzw. bosnisch.

In den folgenden Analysen werden Österreicher*innen ohne Migrationshintergrund (die im Folgenden als „Einheimische“ bezeichnet werden) mit in Österreich lebenden Muslim*innen verglichen. „Migrationshintergrund“ ist laut den Kriterien dieser Studie dann gegeben, wenn der/die Befragte oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren ist.Footnote 2 Da sich Muslim*innen türkischer Herkunft und Muslim*innen, die aus südosteuropäischen Ländern stammen, in Hinblick auf ihre Religiosität erheblich unterscheiden, werden diese beiden Gruppen in einigen der folgenden Analysen getrennt betrachtet. Etwa 6 % der Befragten der Bevölkerungsstichprobe sind ebenfalls Muslim*innen. Der größte Teil dieser Befragten stammt aus der Türkei bzw. aus Südosteuropa; 22 stammen aus anderen Ländern. In der Gruppe der „Einheimischen“ gibt es keine Muslim*innen. Zirka 16 % der Hauptstichprobe sind Personen mit Migrationshintergrund, die einer anderen oder keiner Religion angehören. Da diese Gruppe in Hinblick auf nationale Herkunft und Religiosität sehr heterogen ist, wird sie bei den folgenden Analysen ausgeschlossen.

Tab. 1 zeigt die religiöse Zugehörigkeit und die demographische Verteilung der Gruppe der Einheimischen und der Muslim*innen, gegliedert nach Herkunftsregion (Türkei, Südosteuropa, sonstige Länder). 82 % der befragten Einheimischen deklarierten sich als Christ*innen, davon 92 % als Katholik*innen, 4 % als Evangelische, der Rest als Mitglieder sonstiger Kirchen, zwei Prozent gehören anderen Religionen an, 16 % gaben an, keine Konfession zu haben. Bei den Muslim*innen handelt es sich zu zwei Dritteln um Sunnit*innen, 15 % sind Alevit*innen, etwa 5 % Schiit*innen.

Tab. 1 Zusammensetzung der Stichprobe nach Herkunft und Religion

Die demographische Verteilung der Muslim*innen unterscheidet sich stark von jener der Einheimischen. Bei einem großen Teil handelt es sich um Personen, die selbst nach Österreich eingewandert sind, oder um Kinder von Einwanderern (d. h. um Migrant*innen in der ersten oder zweiten Generation). Die Muslim*innen sind daher im Durchschnitt deutlich jünger als Einheimische (vgl. dazu auch Aslan et al. 2017). Laut österreichischer Bevölkerungsstatistik für das Jahr 2017 sind etwa 50 % der erwachsenen Österreicher*innen, aber nur ca. 30 % der Migrant*innen aus der Türkei und aus Südosteuropa älter als 50 Jahre.Footnote 3 In der Religionsmonitor-Stichprobe sind diese Unterschiede noch krasser: Mehr als die Hälfte der Einheimischen, aber nur etwa 10 % der Muslim*innen sind über 50 Jahre alt, Etwa die Hälfte der befragten Muslim*innen ist unter 30 Jahre alt. Die Diskrepanz zwischen Zensusdaten und muslimischer Stichprobe ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass ältere muslimische Migrant*innen eine geringere Bereitschaft zeigen, sich befragen zu lassen. Einheimische und Muslimi*innen unterscheiden sich auch stark in Hinblick auf den Wohnort. Muslim*innen leben wesentlich häufiger in Wien und anderen größeren Städten als Einheimische.

3 Die Religiosität von Einheimischen und Muslim*innen im Vergleich

Bei interkulturell vergleichenden Surveys wird vielfach angenommen, dass man die Stärke der Religiosität von Menschen über verschiedene Religionen und Kulturen hinweg mit den gleichen Indikatoren messen kann (z. B. Norris und Inglehart 2004). Beim Religionsmonitor werden zur Messung der Religiosität für die einzelnen Weltreligionen zum Teil unterschiedliche Indikatoren verwendet; aber auch hier wird davon ausgegangen, dass man den Grad der individuellen Religiosität in unterschiedlichen Kulturen vergleichen kann, indem man die entsprechenden Items zu einer Skala aufsummiert (Huber 2003). Expert*innen für nichtchristliche Religionen kritisieren, dass derartige universalistische Religiositätskonzepte letztlich vom Modell der christlichen Religiosität ausgehen und anderen Religionen nicht gerecht werden (Fitzgerald 2000; Höllinger und Eder 2016). So wurde etwa von muslimischen Wissenschaftler*innen vorgebracht, dass der Teilnahme am Gemeinschaftsgebet im Islam eine geringere Bedeutung beigemessen wird als dem Gottesdienstbesuch im Christentum (Hassan 2007; El-Menouar 2014). Dementsprechend wird in diesem Beitrag das gemeinsame Gebet in der Moschee nicht zu den zentralen Merkmalen muslimischer Religiosität gerechnet.

Im Folgenden wird dargestellt, wie sich Einheimische und Muslim*innen in Hinblick auf ausgewählte Religiositäts-Indikatoren des Religionsmonitor unterscheiden (siehe Tab. 2). Für Muslim*innen, die aus der Türkei bzw. aus Südosteuropa stammen, wurden getrennte Werte berechnet. Aufgrund der geringen Fallzahl werden die Werte für Muslime aus sonstigen Ländern in der Tabelle nicht angegeben.

Tab. 2 Indikatoren der Religiosität, nach nationaler Herkunft (Angaben in Prozent)

Ein zentraler Indikator für die Religiosität bei Christ*innen ist der Gottesdienstbesuch. Muslim*innen wurden in analoger Weise gefragt, wie oft sie am Freitagsgebet teilnehmen. Alle Befragten, auch Personen ohne Religionsbekenntnis, sollten zudem angeben, wie oft sie – abgesehen vom Gottesdienst bzw. Freitagsgebet – eine Kirche, Moschee oder ein sonstiges Gotteshaus besuchen. Laut den Ergebnissen der Befragung ist der Anteil der Muslim*innen türkischer und ex-jugoslawischer Herkunkt, die wöchentlich am Freitagsgebet teilnehmen, etwa doppelt so hoch als der Anteil der wöchentlichen Gottesdienstbesucher bei den Einheimischen. Muslim*innen suchen auch häufiger zu anderen Gelegenheiten einen Gebetsort auf. Fast die Hälfte der befragten Einheimischen besucht nie oder fast nie einen Gottesdienst. Der Anteil der Muslim*innen, die nie oder fast nie an einem an einem muslimischen Gemeinschaftsgebet teilnehmen, ist annähernd gleich groß. Bei den Muslim*innen ist hierbei zu berücksichtigen, dass das Freitagsgebet nur für Männer vorgeschrieben ist und dass es in vielen islamischen Gesellschaften unüblich ist, dass Frauen daran teilnehmen (El-Menouar 2014). Deutlich größer sind die Unterschiede beim individuellen Gebet. Etwa 60 % der Muslim*innen gaben an, täglich oder mehrmals am Tag zu beten; von den Einheimischen tun dies nur knapp 30 %.

Ein ähnliches Ergebnismuster findet man bei den weiteren Indikatoren, die in Tab. 2 präsentiert werden: Der Anteil der Befragten, die stark an Gott glauben, die häufig die Erfahrung machen, dass Gott in ihr Leben eingreift, sowie jener, die sich selbst als religiös einstufen, ist bei den Muslim*innen jeweils deutlich höher als bei den Einheimischen. Muslim*innen aus der Türkei sind in Bezug auf die dargestellten Indikatoren etwas religiöser als jene aus Ex-Jugoslawien.

Der Vergleich der Ergebnisse des Religionsmonitor 2017 mit dem Sozialen Survey Österreich (SSÖ) 2016, bei dem ebenfalls eine Zusatzstichprobe von türkischen und ex-jugoslawischen Migrant*innen befragt wurde, zeigt einen deutlich höheren Anteil an religiösen Personen im Religionsmonitor. Während im Religionsmonitor 27 % der Einheimischen und 60 % der türkischstämmigen Muslime angaben, täglich zu beten, lagen die entsprechenden Anteile im SSÖ für Einheimische nur bei 15 %, für türkischstämmige Muslime bei 40 % (Höllinger und Polak 2019). Das höhere Niveau der Religiosität im Religionsmonitor könnte darauf zurückzuführen sein, dass religiöse Menschen eher bereit sind, an einer Befragung teilzunehmen, bei der das Thema Religion im Mittelpunkt steht (im SSÖ hatte dieses Thema einen sehr geringen Stellenwert). Auch die Tendenz zu sozial erwünschten Antworten könnte bei einer Befragung zum Thema Religion stärker ausgeprägt sein.

Auch wenn Muslim*innen in Hinblick auf die erfassten Indikatoren deutlich religiöser sind als Einheimische, gibt es unter ihnen doch einen erheblichen Anteil an nichtreligiösen Personen.Footnote 4 In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit sich das Niveau der Religiosität im Zuge der Migration verändert. In der Migrationsforschung findet man hierzu unterschiedliche Annahmen und Befunde: In bestimmten Konstellationen entwickeln Migrant*innen in ihrem neuen Lebensumfeld eine starke Bindung an eine ethnisch-religiöse Gemeinschaft; in diesem Fall kann die Religion für die betreffenden Personen sogar wichtiger werden als sie es zuvor im Herkunftsland war. In anderen Konstellationen hingegen lassen Migrant*innen mit dem Übertritt in die neue Gesellschaft ihre bisherigen religiösen Traditionen hinter sich und passen sich an das (niedrigere) Niveau der Religiosität in ihrem neuen Lebensumfeld an (Herberg 1983; Diehl und Koenig 2013; Baumann 2004; Nagel 2018). Die Daten des Religionsmonitor ermöglichen keinen Aufschluss zu dieser Frage. Indirekte Hinweise ergeben sich jedoch, wenn man die Ergebnisse des Religionsmonitor 2017 mit den Resultaten der letzten Erhebung des World Values Survey in der Türkei (2012) vergleicht. Demzufolge ist der Anteil derer, die nie eine Moschee besuchen und nie beten, unter türkischstämmigen Migrant*innen in Österreich deutlich höher als in der türkischen Stichprobe des World Values Survey.Footnote 5 Die geringere Häufigkeit des Moscheebesuchs bei muslimischen Migrant*innen im Vergleich zu Türk*innen in der Türkei könnte auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein. In der Türkei werden Männer während der Zeit des Freitagsgebets vielfach von der Arbeit freigestellt, was in Österreich nicht der Fall ist; auch die soziale Erwünschtheit des Moscheebesuchs (in der Türkei) könnte sich auf das Antwortverhalten auswirken. In Österreich ist es hingegen für Muslim*innen außerhalb der schwieriger, eine Moschee oder einen muslimischen Gebetsraum zu besuchen. Die geringere Gebetshäufigkeit der Migrant*innen im Vergleich zu den Türk*innen in der Türkei könnte aber darauf hindeuten, dass Migrant*innen bereits vor dem Verlassen der Türkei weniger religiös waren als der Rest der Bevölkerung oder dass sich ein Teil der Migrant*innen im Lauf der Zeit von der Religion distanziert.

Im nächsten Schritt der Analyse wurde untersucht, wie sich verschiedene sozio-demographische Gruppen bei Einheimischen und Muslim*innen in Hinblick auf Religiosität unterscheiden (Abb. 1). Bei den Muslim*innen wurde aufgrund der geringen Stichprobengröße auf eine Differenzierung nach Herkunftsland verzichtet. Für den Vergleich wurden zwei Kennzahlen verwendet:

  1. 1.

    Der Gottesdienstbesuch bzw. die Teilnahme am Freitagsgebet. Befragte, die mindestens einmal im Monat an einem Gottesdienst bzw. Gemeinschaftsgebet in der Moschee teilnehmen, werden im Folgenden als (regelmäßige) Gottesdienstbesucher*innen bezeichnet.

  2. 2.

    Eine Religiositäts-Skala, die aus vier Items besteht: „Wie oft beten Sie?“, „Wie oft denken Sie über religiöse Fragen nach?“, „Wie stark glauben Sie an Gott?“ und „Wie oft machen Sie die Erfahrung, dass Gott in Ihr Leben eingreift?“ (Da muslimische Frauen im Vergleich zu den Männern relativ selten am Freitagsgebet teilnehmen, wurde Gottesdienst- bzw. Moscheebesuch nicht in die Religiositätsskala einbezogen). Die Skala hat einen Wertebereich von 1 (sehr religiös) bis 5 (nicht religiös).Footnote 6 Befragte mit Skalenwerten bis 3 werden im Folgenden als religiös bezeichnet. Im Sinne dieser Skala wurden 45 % der befragten Einheimischen und 75 % der Muslim*innen als religiös eingestuft.

Abb. 1
figure 1

Gottesdienst-/Moscheebesuch (Anteil der Befragten, die mind. 1–3 × monatlich den Gottesdienst bzw. das Freitagsgebet besuchen) und Religiosität (Anteil der Befragten, die als „religiös“ eingestuft wurden) nach Geschlecht, Alter, Bildung und Wohnort: Einheimische und Muslim*innen im Vergleich. (Stichprobengröße: Einheimische N = 776; Muslime N = 477. Aufgrund von fehlenden Angaben ist die Zahl der Befragten z. T. etwas geringer als die Gesamtstichprobe)

Bei den Einheimischen ist der Anteil der Gottesdienstbesucher*innen bei beiden Geschlechtern etwa gleich hoch (ca. 28 %), Frauen sind jedoch im Sinne der Religiositäts-Skala etwas häufiger religiös als Männer. In der Gruppe der Muslim*innen besuchen ca. drei Viertel der Männer, aber nur 30 % der Frauen mindestens einmal monatlich das Freitagsgebet. Der Anteil der Religiösen ist jedoch bei Frauen und Männern annähernd gleich hoch (76 % bzw. 72 %).

Besonders markant sind die Unterschiede nach Alterskohorten. Bei den Einheimischen nehmen sowohl der Gottesdienstbesuch als auch die (private) Religiosität von der ältesten zur jüngsten Alterskohorte massiv ab. Die Hälfte der über 50-Jährigen, aber nur 17 % der unter 30-Jährigen wurden im Sinne der Skala als religiös eingestuft. Wenn man dieses Ergebnismuster im Sinne eines religiösen Wandels interpretiert, der von Generation zu Generation voranschreitet, dann werden in Zukunft unter den einheimischen Österreicher*innen fast nur mehr ältere Menschen kirchliche Formen der Religiosität praktizieren. Bei den Muslim*innen lässt sich hingegen von der ältesten zur jüngsten Kohorte nur ein geringfügiger Rückgang der Religiosität feststellen. Aus derzeitiger Sicht bedeutet dies, dass die Religion bei Muslim*innen im Zeitverlauf kaum an Bedeutung verliert.

Der Bildungsgrad hat nach unseren Ergebnissen keinen Einfluss auf die Religiosität. Sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Muslim*innen sind Befragte mit niedriger Bildung etwa gleich religiös wie Befragte mit höherer Bildung. Beim Wohnort zeigen sich hingegen deutliche Unterschiede: In der Gruppe der Einheimischen ist die Religiosität am Land wesentlich höher als in der (Groß‑)Stadt. Bei den muslimischen Befragten gibt es hingegen nur geringe Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Hinsichtlich der Veränderung der Religiosität von Migrant*innen im Verlauf ihrer Migrationsbiographie und von der ersten zur zweiten Migrant*innengeneration findet man in der Forschung divergierende Ergebnisse. Ob die Religiosität von Migrant*innen mit zunehmender Aufenthaltsdauer bzw. von der ersten zur zweiten Migrant*innengeneration zunimmt oder abnimmt, hängt von verschiedenen Faktoren und Rahmenbedingungen ab: von der religiösen Kultur des Landes, in das man einwandert (ob es sich um ein hochreligiöses Land wie die USA oder ein stark säkularisiertes europäisches Land handelt), von den Möglichkeiten zur Ausübung der Religion, vom Anteil der eigenen ethnischen Gruppe im Wohnumfeld, u. dgl. (Herberg 1983; Fleischmann 2011; Diehl und König 2013; Noormann 206). Anhand der Daten des Religionsmonitor kann nur ansatzweise untersucht werden, inwieweit sich Angehörige der ersten und der zweiten Migrant*innengenerationen unterscheiden: Muslimische Migrant*innen, die bereits in Österreich geboren sind, besuchen etwas seltener das Freitagsgebet (35 %) als jene, die im Lauf ihres Lebens nach Österreich eingewandert sind (47 %). Bei der Religiositätsskala gibt es kaum Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen. Ähnliche Tendenzen wurden auch in der Migrant*innen-Befragung von Zulehner (2015) und in der bereits erwähnten SSÖ-Studie (Höllinger und Polak 2019) festgestellt.

Abb. 2 zeigt, wie sich Angehörige verschiedener christlicher und muslimischer Glau-bensrichtungen in Hinblick auf Gottesdienst- bzw. Moscheebesuch und Religiosität unterscheiden. Protestant*innen und Orthodoxe Christ*innen besuchen den Gottesdienstbesuch seltener als Katholik*innen. Bei der Religiositäts-Skala sind die Unterschiede zwischen den drei Konfessionen jedoch vergleichsweise gering. Auch die Angehörigen der einzelnen muslimischen Glaubensrichtungen unterscheiden sich stark in Hinblick auf ihre Religiosität. Unter den Sunnit*innen findet man einen hohen Anteil an Religiösen (vier Fünftel wurden als religiös eingestuft, zwei Drittel der Männer nehmen regelmäßig am Freitagsgebet teil). Die alevitische Richtung des Islam zeichnet sich durch eine stärker individualisierte und weniger ritualistische Religiosität aus (Sökefeld 2008), was sich auch in den Daten unserer Studie widerspiegelt. Bei den Schiit*innen ist die Zahl der Befragten zu gering, um zuverlässige Aussagen über den Grad der Religiosität treffen zu können.

Abb. 2
figure 2

Gottesdienst/Freitagsgebet und Religiosität (Anteil der Befragten, die mind. 1–3×monatlich den Gottesdienst bzw. das Freitagsgebet besuchen) (in %), nach Religionszugehörigkeit (Anteil der Befragten, die als „religiös“ eingestuft wurden)

4 Religion und Lebensführung

Sowohl das Christentum als auch der Islam vertreten ein patriarchales Geschlechtsrollenbild und eine Moral, die sexuelle Beziehungen nur im Rahmen einer Ehe zwischen Mann und Frau erlaubt. In den westlichen Gegenwartsgesellschaften wird demgegenüber in zunehmendem Maße das Ideal der partnerschaftlichen Mann-Frau Beziehung und der Wahlfreiheit in Bezug auf sexuelle Lebensformen vertreten. Im Vergleich zu Westeuropa scheinen in muslimischen Gesellschaften traditionelle Geschlechterrollen wesentlich stärker verankert zu sein (Alexander und Welzel 2011; Zulehner 2015). Eine Untersuchung von muslimischen Migrant*innen in Deutschland zeigte jedoch, dass der Grad der Traditionalität stark nach Herkunftsland variiert (Bechert und El-Menouar 2014). Muslimische Migrant*innen aus der Türkei und aus Südosteuropa, die in der österreichischen Erhebung des Religionsmonitor befragt wurden, präsentieren sich überraschend egalitär (siehe Tab. 3). Sie sprechen sich mit großer Mehrheit und fast ebenso häufig wie Einheimische dafür aus, dass Männer genauso viele Hausarbeiten übernehmen sollten wie Frauen. Die Ansicht, dass sich Frauen mehr um den Haushalt kümmern sollten als um den Beruf, wird von Muslimen etwas häufiger vertreten als von einheimischen Männern; bei Frauen zeigen sich kaum Unterschiede zwischen Musliminnen und Einheimischen. nur geringfügig häufiger vertreten als von Einheimischen. Angesichts der Tatsache, dass Frauen türkischer und ex-jugoslawischer Herkunft eine erheblich niedrigere Erwerbsquote haben als Männer aus diesen Ländern (Expertenrat für Integration 2018, S. 53), stellt sich allerdings die Frage, inwieweit es sich bei den Fragebogenangaben um sozial erwünschtes Antwortverhalten handelt. Sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Muslimen vertreten Frauen häufiger egalitäre Positionen als Männer; wenn es um die Frage der Berufstätigkeit der Frau geht, sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei den Muslim*innen jedoch deutlich größer als bei den Einheimischen. Starke Unterschiede zwischen Einheimischen und Muslim*innen können bei der Beurteilung der Homosexuellenehe festgestellt werden. In den europäischen Gesellschaften ist die Akzeptanz für homosexuelle Beziehungen in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Dies spiegelt sich in den Ansichten der befragten Österreicher*innen wider: Fast zwei Drittel der religiösen und sogar vier Fünftel der nichtreligiösen Einheimischen befürworten die Homosexuellenehe. Auch die Mehrheit der nichtreligiösen Muslim*innen spricht sich dafür aus; religiöse Muslim*innen lehnen diese Form der Ehe hingegen mehrheitlich ab.

Tab. 3 Einstellungen zu Geschlechterrollen und Homosexualität, nach Herkunft und Religiosität

Im Islam gibt es einige rituelle Vorschriften, die im Widerspruch zum Alltagsverhalten der einheimischen Bevölkerung stehen, wie etwa die Vermeidung von Alkohol und von Schweinefleisch oder das Verbot, Personen des anderen Geschlechts die Hand zu schütteln. Die Befolgung derartiger Vorschriften hat für religiöse Muslim*innen eine hohe Bedeutung, sie erschwert aber die Aufnahme von sozialen Beziehungen zu Einheimischen. Nach den Ergebnissen des Religionsmonitor 2017 hält sich etwa die Hälfte der befragten Muslim*innen an die Vorschriften, keinen Alkohol zu trinken und nur geschächtetes Fleisch zu essen. Etwa ein Drittel vermeidet es, Personen des anderen Geschlechts die Hand zu schütteln (sh. Tab. 4). Die Einhaltung der religiösen Gebote korreliert stark mit der privaten Religiosität und der Zugehörigkeit zu bestimmten Richtungen des Islam: Befragte, die fest an Gott glauben und regelmäßig beten, halten sich wesentlich häufiger an religiöse Verhaltensvorschriften als nichtreligiöse; Angehörige der alevitischen Richtung des Islam halten sich viel seltener an diese rituellen Vorschriften als Sunnit*innen und Schiit*innen (vgl. dazu auch Sökefeld 2008).

Tab. 4 Einhaltung muslimischer Gebote, nach religiöser Zugehörigkeit (in %)

5 Offenheit und Abgrenzung gegenüber anderen Religionen

Anhäng*innen des Eingottglaubens erheben vielfach den Anspruch, dass ihre Religion die einzig richtige ist. Dieser monotheistische Exklusivitätsanspruch hat im Verlauf der Geschichte immer wieder zu Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Religionen und Konfessionen geführt (Assmann 2016). In Europa wurde der Absolutheitsanspruch religiöser Wahrheiten seit der Zeit der Reformation und der Epoche der Aufklärung in zunehmendem Maß in Frage gestellt. Im modernen säkularen Staat hat der Einzelne die Möglichkeit, unterschiedliche religiöse Überzeugungen zu vertreten oder auch gänzlich ohne Religion zu leben; zugleich wird von ihm erwartet, dass er die religiösen Überzeugungen anderer Gesellschaftsmitglieder grundsätzlich akzeptiert (Taylor 2012). Während traditionelle Formen der Religion in Europa im Verlauf des 20. Jahrhunderts stark an Bedeutung verloren, fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den muslimischen Gesellschaften bis heute eng mit dem Islam verbunden. Als Reaktion auf die Verwestlichung kam es vielfach sogar zu einer fundamentalistischen Retraditionalisierung des Islam (Schäfer 2008; Koopmans 2020). Dementsprechend wird es in muslimischen Gesellschaften als wesentlich problematischer erachtet, religiöse Dogmen und Werte in Frage zu stellen.

Im Religionsmonitor wurden einige Fragen gestellt, die es ermöglichen, Einheimische und Muslim*innen in Hinblick auf ihre religiöse Offenheit zu vergleichen (Tab. 5). In der Gruppe der Einheimischen stimmen jeweils nur 10 bis 20 % der Befragten den Aussagen zu, „es gibt nur eine wahre Religion“, „es gibt nur eine richtige Interpretation der religiösen Gebote“ sowie „nur Menschen, die die religiösen Pflichten erfüllen, können wahre Christen sein“. Auffällig ist, dass die Rate der Zustimmung zu diesen Aussagen auch unter religiösen Personen recht niedrig ist. Bei den Muslim*innen finden wir hingegen diesbezüglich starke Unterschiede nach dem Grad der Religiosität. Nichtreligiöse Muslim*innen distanzieren sich fast ebenso häufig von fundamentalistischen Religionskonzepten wie nichtreligiöse Einheimische. Etwa die Hälfte der religiösen Muslim*innen vertritt jedoch die Ansicht, dass es nur eine wahre Religion gibt und dass nur Menschen, die die religiösen Gebote befolgen, richtige Muslim*innen sein können. Die Ansicht, dass Frauen in der Öffentlichkeit eine Kopfbedeckung tragen sollten, wenn sie gute Muslimas sein wollen, teilt hingegen nur ein Fünftel der befragten Muslim*innen (Männer vertreten diese Ansicht doppelt so häufig als Frauen).

Tab. 5 Offenheit versus Abgrenzung gegenüber anderen Religionen, nach Herkunft (Einheimische versus Muslime) und Religiositäta

In zwei weiteren Frageblöcken der Studie geht es um das Verhältnis zu verschiedenen Religionen und deren Angehörigen (Tab. 5, Teil 2 und 3). Im ersten Frageblock sollten die Befragten angeben, als wie bedrohlich oder bereichernd sie verschiedene Religionen wahrnehmen. In der Tabelle wird nur die Bewertung des Christentums und des Islams dargestellt. Es zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Einheimischen und Muslim*innen in Hinblick auf die Wahrnehmung dieser Religionen. Das Christentum wird von der Hälfte der Einheimischen und von einem Viertel der Muslim*innen als Bereicherung wahrgenommen, nur 4 % der Einheimischen und 15 % der Muslim*innen finden das Christentum bedrohlich. Der Islam hingegen wird nur von 9 % der Einheimischen als Bereicherung erlebt, etwa die Hälfte nimmt ihn als bedrohlich wahr. Bei den muslimischen Migrant*innen verhält es sich genau umgekehrt: Die Hälfte von ihnen empfindet den Islam als Bereicherung, ein Zehntel nimmt ihn als bedrohlich wahr. Auf die Beurteilung der anderen Weltreligionen (Judentum, Hinduismus und Buddhismus) kann hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden; die Resultate zeigen jedenfalls, dass Einheimische den Islam im Vergleich zu anderen Weltreligionen seltener als Bereicherung und viel häufiger als Bedrohung wahrnehmen (vgl. dazu auch Pollack et al. 2013; Höllinger 2020). Das negative Image des Islam ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass diese Religion in unseren Medien häufig mit Terrorismus, religiöser Intoleranz, patriarchalen Familienstrukturen und Unterdrückung der Frau in Verbindung gebracht wird (Schiffer 2015); zum anderen löst die Anwesenheit der mittlerweile recht großen muslimischen Migrant*innenpopulation, deren Lebensweise sich stark von der der Einheimischen unterscheidet, bei vielen Einheimischen Angst vor Überfremdung aus. Nach den Ergebnissen des Religionsmonitor 2017 scheint die Ablehnung von Muslim*innen in Österreich etwas stärker zu sein als in anderen westeuropäischen Ländern mit einem vergleichbaren muslimischen Bevölkerungsanteil (wie Deutschland, Schweiz, Frankreich und England) (vgl. Halm und Sauer 2017).

Im zweiten Block sollten die Befragten angeben, ob es ihnen angenehm oder unangenehm wäre, wenn ein Angehöriger einer anderen Religion in die eigene Familie einheiratet. Etwa 40 % der Einheimischen fänden es unangenehm, wenn ein Muslim oder eine Muslima in die eigene Familie einheiraten würde. Bei den Muslim*innen verhält es sich ähnlich: Ca. ein Drittel der nichtreligiösen und die Hälfte der religiösen Muslim*innen äußern Vorbehalte gegenüber einer Heirat eines Familienmitglieds mit einem Christen oder einer Christin. Als noch problematischer beurteilen religiöse Muslim*innen die Heirat mit einem/r Atheisten/in. Untersuchungen für Deutschland zeigen, dass nur ein sehr kleiner Anteil der türkischen Migrant*innenpopulation (acht Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen) mit einem bzw. einer Deutschen verheiratet ist. Auch in der zweiten Migrant*innengeneration haben etwa 90 % eine/n türkische/n Ehepartner/in, während andere Migrant*innengruppen (z. B. Spanier, Italiener und Griechen) viel häufiger einen deutschen Ehepartner bzw. eine deutsche Ehepartnerin wählen (Kalter und Schroedter 2010, S. 20ff.). Für Österreich liegen keine entsprechenden Statistiken vor, die Situation dürfte ähnlich sein. Die geringe Zahl der bikulturellen Ehen zwischen Türk*innen und Deutschen bzw. Österreicher*innen verweist auf die große kulturelle Distanz zwischen diesen Nationen. Die unterschiedlichen Religionen und die unterschiedliche Bedeutung der Religion im Leben der Einheimischen und der Muslim*innen dürften ein maßgeblicher Faktor für diese Distanz sein.

6 Resümee

Die Ergebnisse des Religionsmonitor 2017 zeigen deutlich, dass sich die Religiosität bei Österreich*innen ohne Migrationshintergrund und bei muslimischen Migrant*innen in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Bei den Einheimischen ist die kirchlich-religiöse Praxis in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Die geringe Religiosität von jüngeren im Vergleich zu älteren Befragten deutet darauf hin, dass die Tendenz zur Entkirchlichung weiter voranschreiten wird. Ein Teil der Bevölkerung wendet sich aber alternativen Formen der Spiritualität zu (Höllinger und Tripold 2014). Das Niveau der Religiosität von muslimischen Migrant*innen aus der Türkei und aus Südosteuropa scheint niedriger zu sein als in der Bevölkerung der Herkunftsländer. Nach den hier präsentierten Ergebnissen sind in Österreich lebende Muslim*innen aber erheblich eligiöser als Einheimische; jüngere und ältere Befragte wie auch Angehörige der ersten und der zweiten Migrant*innengeneration unterscheiden sich diesbezüglich nur wenig. Es ist daher anzunehmen, dass die Religion für einen erheblichen Teil der muslimischen Migrant*innen auch in Zukunft kaum an Bedeutung verlieren wird.

Gläubige Muslim*innen vertreten häufig die Ansicht, dass es nur eine wahre Religion und nur eine richtige Interpretation der religiösen Gebote gibt. Für die betreffenden Personen bedeutet dies wohl nur, dass sie fest zu ihrem muslimischen Glauben stehen wollen; aus dem Blickwinkel vieler Menschen in unserer säkularisierten westlichen Gesellschaft sind solche Ansichten jedoch Hinweise auf eine Tendenz zu religiösem Fundamentalismus. Die hohe Bedeutung des Islam im Alltagsleben von Muslim*innen zeigt sich auch darin, dass etwa die Hälfte der muslimischen Befragten die muslimischen Ernährungsvorschriften und das Alkoholverbot einhält. Das Tragen einer weiblichen Kopfbedeckung wird hingegen nur von einem Viertel der Befragten als religiöse Verpflichtung wahrgenommen.

Aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung, die die Religion für Einheimische und für Muslim*innen hat, wie auch aufgrund der jeweiligen kulturellen Traditionen und Lebensformen, die mit dem säkularisierten europäischen Christentum und dem Islam in Verbindung stehen, gibt es auf beiden Seiten Vorbehalte, Ängste und Vorurteile gegenüber den Glaubensvorstellungen und Lebensweisen der anderen Gruppe. Ein großer Teil – in der hier präsentierten Studie etwa die Hälfte – der österreichischen Bevölkerung empfindet den Islam als Bedrohung. Dies trägt dazu bei, dass zwischen Einheimischen und Muslim*innen vielfach ein distanziertes Verhältnis besteht. Diese Situation lässt sich wohl kaum ändern, indem man von Muslim*innen fordert, sich (vollständig) an die westliche Lebensweisenanzupassen. Die Integration von Muslim*innen in unsere Gesellschaft kann vielmehr nur dann gelingen, wenn man die Existenz muslimischer Parallelgesellschaften ein Stück weit akzeptiert, zugleich aber auf möglichst vielen Ebenen den Dialog zwischen Einheimischen und Muslim*innen fördert. Der interreligiöse Dialog zwischen Christ*innen und Muslim*innen und ein überkonfessioneller Religions- oder Ethikunterricht könnten einen wichtigen Beitrag dazu leisten.