Digitalisierung bedeutet für die Wirtschaft eine (sukzessive) Substitution analoger durch digitale Leistungs- und Informationsprozesse. Sie tritt zumeist in Verbindung mit Schlagworten wie „Algorithmen“, „künstliche Intelligenz“ (KI) oder „Big Data“ in Erscheinung und soll – wie stets betont wird – „innovativ“ und „disruptiv“ daherkommen. Während KI eine wie auch immer geartete („schwache“) Annäherung an menschliche Intelligenz bedeuten soll, ist ein Algorithmus im Grundsatz so etwas wie eine abzuarbeitende Anweisungskette („Rezept“) zur Zielerreichung. Big-Data(‑Analytics) strebt gleichsam eine zu analysierende Grundgesamtheit (N) von „N = ALLES“ an, aus der mittels (möglichst nicht zufälliger) Mustererkennung statistikbasierte Prognosen abgeleitet werden. Zwar bringt die damit verbundene Abkehr vom kausalen und theoriegeleiteten Denken einige erkenntnistheoretische Probleme mit sich, das wirtschaftliche Potential digitaler und automatisierter Prozesse scheint aber außer Frage zu stehen. Der Digitalisierungstrend wirkt sich nicht zuletzt auf die Unternehmensbewertung aus, wobei allein das nicht immer ganz zutreffende Etikett „Digitalunternehmen“ zu absurden Bewertungshoffnungen verleiten kann.

Im Digitalisierungskontext werden Bewertungsobjekte neu geschaffen, Geschäftsmodelle grundlegend verändert und der Prozess der Bewertung beeinflusst, was entsprechendes Wissen der Bewertungsträger erforderlich macht (S. 7). Diese Aspekte wollen die fachlich ausgewiesenen Herausgeber Wolfgang Ballwieser und Dirk Hachmeister „anhand ausgewählter Fragestellungen mit einem Autorenteam aus Theorie und – theoriegestützter – Praxis belegen, wesentliche Resultate präsentieren, auf in der Entwicklung sich befindende und zukünftig verstärkte Relevanz aufweisende Verfahren verweisen und offene Themengebiete ansprechen“ (S. 7). Ein umfassendes Handbuch zum Problembereich „Digitalisierung und Unternehmensbewertung“ darf der Leser des 246 Seiten umfassenden Buches demnach nicht erwarten, wohl aber einen gewinnbringenden Einblick in die wichtige Thematik.

Im Eingangsbeitrag von Ballwieser/Hachmeister wird sogleich der „Zusammenhang von Digitalisierung und Unternehmensbewertung“ aufgezeigt (S. 11). Sie stellen einleitend fest, dass der vielversprechende Digitalisierungsprozess zum Schlagwort verkümmert sei und teils als Bedrohung empfunden würde. Die dabei nicht auf den ersten Blick erkennbare Bedeutung für die Unternehmensbewertung sei zwar zwischenzeitlich ins Bewusstsein gerückt, es gelte aber immer noch die „wichtigen Implikationen plausibel zu machen und auf Lücken in Theorie und Praxis zur Unternehmensbewertung zu verweisen“ (S. 13). Dabei gehen sie davon aus, dass keine ausschließliche Automatisierung von Unternehmensbewertungen zu erwarten ist, denn es „braucht den Menschen, der sich digital analysierter Komponenten und Daten bedient, aber auch ihre Ergebnisse zu würdigen und zu korrigieren versteht“ (S. 18). Diese Auffassung ist zu teilen, zumal es sich bei der Unternehmensbewertung ja um eine Art „Kunstlehre“ handeln soll, welche nach Schmalenbach „die Zweckmäßigkeit des Verfahrens ins Auge faßt.“

Welche Verbindungen bestehen zwischen Digitalisierung und Unternehmensbewertung und wo liegen die typischen Bewertungsprobleme? Viele Bewertungsobjekte der Plattform-Ökonomie haben laut Ballwieser/Hachmeister kaum bilanziertes Vermögen und erzielen lange Zeit hohe Verluste, was die Anwendung von Ertragswert- und DCF-Kalkülen erschwert (S. 20). Bei Börsennotierung weisen sie jedoch hohe Kurse auf, die nicht mit dem Wert (≠ Preis) im Einklang stehen müssen. Hohe „Bewertungen“ können auf „zeitlich nachgelagerten, wenngleich hohen Ausschüttungserwartungen“ (S. 20) beruhen. Die Kernfrage lautet dann, wie sich solche Unternehmen „angemessen bewerten lassen“ (S. 21). Hier weisen Ballwieser/Hachmeister auf die IDW-Diskussionen hin, nach denen ein „Drei- statt Zwei-Phasen-Modell“ und das Ende von Detailplanungszeitraum und ewiger Rente im Digitalisierungskontext anstehen könnten, was sie als „sympathisch“ werten (S. 29). Obgleich Ertragswert‑, DCF- und Multiplikator-Verfahren in Betracht kommen, sind gerade die nicht unumstrittenen Multiplikatoren von praktischer Bedeutung (S. 24). Die Bestimmung von Pre-Money- und Post-Money-Werten veranschaulichen Ballwieser/Hachmeister anhand eines Zahlenbeispiels und erörtern die Probleme (S. 24 f.).

Weiter diskutieren Ballwieser/Hachmeister die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Bewertungsprozess in der „VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity)“ (S. 21). „Die theoretisch wie praktisch bedeutsame Frage lautet hier, wie die Digitalisierung die Einschätzung der Marktposition des Bewertungsobjekts, seine Strategieentwicklung, die Cashflow-Prognose und die Risikoanalyse, auch und gerade in Abgrenzung von Konkurrenzunternehmen, methodisch und inhaltlich unterstützen kann“ (S. 22).

In Bezug auf „die Nutzung neuer Bewertungshilfen“ (S. 23) zielen Ballwieser/Hachmeister auf die Frage ab, „welche Dienstleistungen hier für Bewertungen sinnvoll verwendet werden können und inwiefern diese die klassische Bewertung durch Wirtschaftsprüfer oder andere Spezialisten nur entlasten oder gar überflüssig werden lassen“ (S. 23). Der Berater- und Prüferbranche wird allein die Frage nicht gefallen, deren Beantwortung wohl auch unter Zuhilfenahme der Literatur (S. 27) offengelassen werden musste.

Ballwieser/Hachmeister schlussfolgern, dass die Digitalisierung „die Kalküle zur Unternehmensbewertung selbst nicht verändert“, die Schätzgrößen und deren Gewinnung aber schon „in einem vorher unbekannten und unvorstellbaren Ausmaß“ (S. 29).

An den Eingangsbeitrag knüpfen vorwiegend das Bewertungsobjekt betreffende Beiträge von Hayn/Bassemir zu „Neue[n] Plattformen und Apps als Bewertungsproblem“ (S. 35) und von Büchelhofer „Zur Bewertung digitaler Geschäftsmodelle“ (S. 59) sowie zur „Bewertung bei der Beteiligung zur Finanzierung von digitalen Unternehmen mit Risikokapital“ (S. 85) von Honold et al. an. Sellhorn/Hillert/Menacher untersuchen sodann die „Automatisierte Textanalyse für Bewertungszwecke und Portfolioentscheidungen“ (S. 119), in dem nach dem Nutzenpotenzial unstrukturierter digitaler Daten für Prognosen und Parameterbestimmung gefragt wird. Im Fokus stehen Texte als unstrukturierte (d. h. nicht nach Zeilen und Spalten o. Ä. angeordnete) Datenquellen einer computergestützten Analyse, wie sie z. B. in den stetig wachsenden und teils informationsüberladenden Geschäftsberichten zu finden sind (S. 123 f.). Vor dem Hintergrund mehr oder weniger informationseffizienter Kapitalmärkte vermuten Sellhorn/Hillert/Menacher in der automatisierten Textanalyseverfahren eine „große Chance“, da gleichsam ein „Datenschatz“ gehoben werden könnte (S. 124). Bislang vernachlässigte immaterielle Wertreiber könnten so einer Analyse zugänglich gemacht und wertrelevante Signale extrahiert werden. Quantitative Informationen werden dabei zunehmend durch Narrative, einen „wertvollen Kanal für die Kommunikation mit Außenstehenden“, ergänzt (S. 125). Daneben spielen für Anleger unternehmensexterne Informationskanäle wie Internetforen, Social-Media-Plattformen eine Rolle (S. 125 f.). Hier können automatische Textanalysen das Portfoliomanagement und die Unternehmensbewertung unterstützen, indem diese „für die Beschaffung und Aufbereitung der Datenquellen (Textkorpora) genutzt werden“, dabei die Effizienz der Extraktion von Informationen erhöht wird und zudem „latente Signale aus narrativen Informationsquellen approximiert und erhoben werden“ (S. 126).

Detaillierter erörtert wird die Extraktion latenter Signale hinsichtlich der Tonalität (S. 129), der Unternehmenseigenschaften und -risiken (S. 129 f.), der Managementeigenschaften (S. 130 f.), der thematischen Inhalte (S. 131) sowie der qualitativen Textattribute (S. 131 f.). Interessant wäre es für den Leser gewesen, Näheres darüber zu erfahren, wie genau nach bestimmten Mustern extrahierte Informationen „im Unternehmensbewertungskalkül berücksichtigt werden“ können (S. 127).

Nach Eingehen auf die entsprechenden Methoden der Informationsextraktion (S. 133–137) thematisieren Sellhorn/Hillert/Menacher schließlich die Herausforderungen, angesichts derer „bislang noch wenig Anlass zur Euphorie“ (S. 138) besteht. Bisweilen steht der Mensch wohl vor einer Art Black-Box. Beispielsweise kann das Machine Learning „menschlich schwer nachvollziehbar und interpretierbar“ sein, „was ihrer Akzeptanz abträglich sein kann“ (S. 137).

Neben den gewissen Problemen hinsichtlich der Prognosekraft (S. 138–141), die sich theoriefrei auch für unsinnige Faktoren feststellen lässt (auch der Krake Paul konnte Fußballergebnisse richtig „prognostizieren“ und die Anzahl der Nicolas-Cage-Filme scheint mit Poolunfällen korreliert zu sein), sehen Sellhorn/Hillert/Menacher (weitere) methodische Schwächen und Einschränkungen der Datenlage als problematisch an (S. 141 f.). Das neue European Single Electronic Format (ESEF) werten sie aber als „Schritt in die richtige Richtung“, welcher „freilich noch größer ausfallen“ könne (S. 142). Da die zentrale (EU-weite) Festlegung von technischen Lösungen stets den dezentralen Wettbewerb der Ideen zu unterminieren droht, kann man hier auch anderer Meinung sein.

Etwas zu kurz gekommen scheint mir auch – wie in der gesamten Digitalisierungsdebatte – die Gefahr eines geistigen Rückschritts bei der automatischen Analyse zu sein. Der kausal-theoretisch arbeitende Denkapparat des Menschen erkennt früher oder später, dass der Blitz nicht durch den Donner erzeugt wird, während der final gleichgerichtet bedingte Reflex des niederen Tieres nur die zeitliche Abfolge mechanisch berücksichtigt. Nach den Erkenntnissen der vergleichenden Verhaltensforschung im Sinne von Heinroth, Lorenz und Tinbergen dürfte die automatisierte Analyse eher mit letzterem vergleichbar sein. Eine sog. „künstliche Intelligenz“, welche den in der Evolution entstandenen menschlichen Denkapparat substituieren kann, erscheint ohnehin utopisch. Hier gilt der obige Hinweis von Ballwieser/Hachmeister, nach dem der Mensch unverzichtbar bleibt (S. 18).

Interessante Beiträge zum „Einfluss der Digitalisierung auf konzerninterne Finanzplanprozesse als Basis einer Unternehmensbewertung (S. 149) von Diel/Hachmeister, zum Thema „Digitalisierte Peer-Group-Bestimmung und Beta-Anpassung“ (S. 173) von Dierkes/Sümpelmann und zum „Einsatz stochastischer Simulationen im Rahmen der Unternehmensbewertung“ (S. 193) von Ungemach/Hachmeister runden das Werk ab. Die zu guter Letzt von D. Ballwieser behandelten „Auswirkungen der Digitalisierung auf Journalismus und Verlage“ (S. 221) fallen thematisch etwas aus dem Rahmen.

Insgesamt gibt der vorliegende Sammelband dem interessierten Leser einen vielfältigen und problemorientierten Überblick über die Verbindung von Digitalisierung und Unternehmensbewertung. Es erscheint – etwa hinsichtlich der ober näher betrachteten „automatisierten Textanalyse“ – auch als Einstieg in speziellere Themengebiete gut geeignet. Das Buch ist daher allen Studenten, Lehrenden und Praktikern zu empfehlen, welche sich mit Bewertungs- und Anlagefragen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Substitution analoger durch digitale Leistungs- und Informationsprozesse (Digitalisierung) befassen.