Gertraude Krell ist am 5.1. 2016 in Berlin verstorben. Sie ist in ihrem 64. Lebensjahr einem Krebsleiden erlegen. Die Personalwissenschaftlerin und Diversity-Spezialistin hat die Betriebswirtschaftslehre nachhaltig geprägt.

Gertraude Krell wurde am 18. April 1952 in Darmstadt geboren und wuchs in Groß-Bieberau (Hessen) auf. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre (Doppelabschluss) an der Freien Universität Berlin ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Universität Oldenburg gegangen. Dort promovierte sie 1983 mit der Schrift „Das Bild der Frau in der Arbeitswissenschaft“. Ihre Habilitationsschrift „Vergemeinschaftende Personalpolitik“ hat sie 1990 ebenfalls in Oldenburg vorgelegt. 1991 nahm sie einen Ruf auf die Professur für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin an, wo sie bis 2007 als Professorin am Institut für Management tätig war. Eine schwere Erkrankung hatte sie veranlasst, 2007 in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Sie war dennoch bis zu Ihrem Lebensende wissenschaftlich sehr aktiv, sowohl auf Tagungen als auch mit Projekten, die in einer Fülle von Publikationen ihren Niederschlag fanden. Der letzte, kurz vor dem Tode noch fertig gestellte Beitrag zur Entwicklung der deutschen Personalwirtschaftslehre – genauer „Eine Diskursgeschichte der Personallehre(n)“ – wird posthum 2016/17 erscheinen.

Chancengleichheit durch Personalpolitik“ war der Titel ihres Standardwerks und darf zugleich als übergreifende Klammer ihres wissenschaftlichen Wirkens gelten. Im Zentrum stand dabei die Chancengleichheit für Geschlechter.

Der Verstorbenen ist etwas Verblüffendes gelungen, sie hat das Geschlechter-Thema auf die Agenda der Betriebswirtschaftslehre gesetzt. Nicht sie allein war es, gewiss, da gibt es auch einige andere Namen, die hier zu nennen wären – aber niemand sonst hat es so beharrlich und so erfolgreich getan wie sie. Für das Agenda-Setting in so unwegsamem Gelände, wie es die deutsche Betriebswirtschaftslehre in den 1990er-Jahren diesbezüglich noch war, reichte es nämlich keineswegs aus, nur hin und wieder daran zu erinnern, dass das Geschlechterthema auch wichtig ist. Windschnittige Erfolgsgeschichten von smarten Managerinnen und ihren faszinierenden Karrieren zu erzählen, ist das eine, kontinuierlich eine Themenstellung in der wissenschaftlichen Analyse zu verfolgen – auch auf die Gefahr hin, dass man lästig fällt –, ist das andere. Wenn sich heute in der deutschen Betriebswirtschaftslehre das Geschlechterthema fest etabliert hat, so ist es eben doch so, dass dies zu wesentlichen Teilen ein Verdienst von Gertraude Krell ist.

Wie ist ihr das gelungen? Nun neben beharrlicher wissenschaftlicher Arbeit ist dies gewiss auch Ihrer Persönlichkeit zu verdanken: liebenswürdig, kompetent und durch und durch integer, aber eben auch couragiert, streitbar und konfliktbereit. Das war die richtige Mischung.

Und es kommt ein weiterer wichtiger Faktor hinzu, es ist das Praxisnetzwerk. Wie wenig andere war die Verstorbene bemüht, ihre Ideen und Forschungsergebnisse auch in die Praxis umzusetzen und aus der Praxis heraus weiter zu entwickeln. Nicht umsonst hat sie darauf beharrt, ihr Fach nicht in Human Resources Management oder Personalwirtschaft umzubenennen, sondern dafür den Begriff Personalpolitik zu verwenden. Denn aus ihrer Sicht hat das von ihr vertretene Fach viel mit Politik und damit auch mit Macht zu tun.

Den Grundstein für die erfolgreiche Etablierung der Geschlechterforschung in der Betriebswirtschaftslehre hat Gertraude Krell mit ihrem Band: „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ (zuerst 1997) gelegt, dem eine Konferenz an der FU Berlin vorausging, die Wissenschaft und Praxis zusammengeführt hatte. In diesem Band finden sich Beiträge zum gesamten Spektrum der Personalpolitik und den jeweiligen Verknüpfungspunkten zur betrieblichen Gleichstellung wie auch zu Grundsatzfragen. Der Band erfreut sich großer Popularität; er liegt zwischenzeitlich in der sechsten Auflage vor (jetzt zusammen mit R. Ortlieb und B. Sieben). Gleichstellungs-Praktiker/innen sind sich einig, dass hier ein Standardwerk der deutschen Gleichstellungspolitik entstanden ist. Dasselbe gilt für die Wissenschaft, das Buch ist dort gleichermaßen zur ersten Referenzquelle für Gleichstellungs- und später auch für Diversityfragen geworden.

Ein weiterer wesentlicher Meilenstein in der wissenschaftlichen Arbeit von Gertraude Krell war das aufsehenerregende Projekt zur impliziten Diskriminierung von Frauentätigkeiten im Dienstleistungssektor. Gegenstand der Analyse waren Arbeitsbewertungssysteme und die ihnen zugrunde liegenden Kriterien. Durch diese Kriterien soll die Bewertung der Arbeit vergleichbar und objektiv werden. Dass diese Objektivität im Hinblick auf Geschlechterdifferenzen bisweilen nur eine scheinbare ist, wurde immer wieder vermutet, diese Studie hat es nachprüfbar belegt. Damit war nicht nur ein Weg aufgezeigt, wie man Benachteiligungsvorwürfe prüfen kann, sondern darüber hinaus auch ein Baustein geliefert, mit dem die nach wie vor bestehenden hohen Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern erklärt werden können. Die Ergebnisse dieses Projektes flossen nicht nur in die wissenschaftliche Diskussion ein (etwa: Zur Analyse und Bewertung von Dienstleistungsarbeit. Ein Diskussionsbeitrag, in: Industrielle Beziehungen, 2001, Jg.8, S. 9–36), sondern gingen auch konkret in die politische Diskussion um die Reform des Tarifsystems für den öffentlichen Dienst und zahlreicher anderer Tarifsysteme ein.

Wissenschaftlich hat sich das von Gertraude Krell bevorzugte Forschungsgebiet im Laufe der Zeit immer stärker konturiert und ist international unter dem Stichwort Gender Studies zu einem fast schon selbstverständlichen Forschungszweig geworden – bisweilen sogar als Teildisziplin begriffen.

Wer nun allerdings glaubte, die Verstorbene als Advokatin für alle und jede im Umlauf befindliche Genderthese vereinnahmen zu können, wurde bald eines Besseren belehrt. Gertraude Krell war unbestechlich. Auch dort, wo alles schon festzustehen schien, beharrte sie auf einer sauberen wissenschaftlichen Analyse. Und wenn es schließlich so nicht herauskam, wie alle gedacht hatten, dann waren eben die Dinge von Grund auf neu zu überdenken.

In jüngerer Zeit hatte sich die Verstorbene dann immer mehr dem Thema des Diversity-Managements zugewandt und auch hier wiederum einen Meilenstein für die Weiterentwicklung der Personalwirtschaftslehre gesetzt. Das Diversity-Themengebiet greift weiter aus als Gleichstellungspolitik, es ist ein multidimensionales Konstrukt, das neben Geschlecht auch Alter, Nationalität, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Religion umfasst. Im Unterschied zu früher wird jetzt die ökonomische Vorteilhaftigkeit solcher auf Diversität ausgerichteten Maßnahmen stärker in den Vordergrund gestellt, was der raschen Verbreitung des Konzeptes in der Praxis zugutekam.

Neben ihrem Zentralthema hat sich Gertraude Krell immer auch mit Emotionen in Organisationen beschäftigt – und immer stand sie einer Emotionalisierung mit großer Distanz und Skepsis gegenüber. Ihr kritischer Vorbehalt richtete sch zunächst auf Betriebsgemeinschaften. Später dehnte sie diesen Fokus auf Organisationskulturen aus – immer mit dem Verdacht, Organisationen würden sich illegitimer Weise der Emotionen ihrer Mitglieder bemächtigen und in eigennützige Bahnen lenken. Dasselbe gilt auch für ihren (2006 mit R. Weiskopf publizierten) Band: Die Anordnung der Leidenschaften, in dem insbesondere die Thesen von Tom Peters und seine radikale Emotionalisierung organisatorischen Handelns (Stichwort: Leistung aus Leidenschaft) zum Gegenstand scharfer Kritik gemacht werden.

Ein zweites Thema, das ihr Wirken stets mitbegleitete und dem in den allerletzten Jahren ihr besonderes Interesse galt, war die Diskurstheorie und ihre Übertragung auf betriebswirtschaftliche Themenfelder. Stellvertretend für diese Arbeiten sei der Band: Diskurs und Ökonomie genannt (gemeinsam herausgegeben mit R. Diaz-Bone; 2015 in 2. Auflage erschienen). Verwiesen sei auch noch einmal auf ihren letzten Beitrag, in dem sie die Entwicklung der Personalwirtschaftslehre als Diskursgeschichte bearbeitet.

Vieles an Gertraude Krells Arbeiten war ungewöhnlich, besser sollte man vielleicht sagen: war zunächst ungewöhnlich, denn später wurden viele ihrer Argumente „gewöhnlich“. Auch wurden viele ihrer Thesen zunächst stark in Zweifel gestellt, oftmals wollte man vieles nicht wahrhaben. Heute weiß man, dass sie in vielen Fällen Recht behalten sollte.

Man wird ihre Stimme im personalwissenschaftlichen Diskurs sehr vermissen – Adieu Gertraude Krell.

Georg Schreyögg, Freie Universität Berlin und Universität Graz