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Ungleichheits-Schlagzeilen auf Bild-Online – ein Sprachrohr der Wertehierarchie?

Bild-Online’s inequality headlines— a mouthpiece of the deservingnes hierarchy?

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Zusammenfassung

Obwohl Arbeitslose und Menschen mit Migrationserfahrung signifikant häufiger von Armut bedroht sind als Ruheständler, erfährt eine wohlfahrtstaatliche Intervention für letztere Gruppe innerhalb der deutschen Bevölkerung wesentlich höheren Zuspruch. Der vorliegende Beitrag untersucht, inwiefern über die Medien kolportierte, narrative Erzählungen möglicherweise dazu beitragen, dass sich die Legitimität sozialstaatlicher Ansprüche und faktische Bedürftigkeit voneinander entkoppeln. Hierzu wird eine qualitative und quantitative Sentiment-Analyse der im Online-Portal der Bild-Zeitung vorliegenden Berichterstattung mit Ungleichheits- oder Armutsbezug durchgeführt. Während Berichte über die Situation von Älteren, Kranken und Arbeitslosen klar die verbreitete sozialstaatliche Wertehierarchie spiegeln und sich häufig einem Leistungsgerechtigkeitsnarrativ zuordnen lassen, zeichnen Artikel über Immigranten ein ambivalentes Bild. Dabei gilt zu beachten, dass Geflüchtete aufgrund ihres speziellen Migrationsgrunds und der damit verbundenen institutionellen Rahmung eine Sonderrolle in der Wertehierarchie einnehmen. Entsprechend werden Menschen mit Fluchthintergrund in einer Vielzahl von Artikeln als „ehrlich“ und „hochmotiviert“ dargestellt, wohingegen Zugewanderte aus Osteuropa in den wenigen Berichten, in denen sie auftauchen, konsistent als „Armutsmigranten“ abgewertet werden, die es lediglich aufgrund der Sozialleistungen nach Deutschland zieht. Die Ungerechtigkeit von Altersarmut wird stark emotional nachgezeichnet; Arbeitslose werden hingegen als „Sozialschmarotzer“ oder „Hartz-IV-Betrüger“ portraitiert. Mit Ausnahme der Berichte über Geflüchtete, haben dominierende Darstellungen in der Berichterstattung der Bild-Zeitung damit das Potenzial, die Solidarität der Gesellschaft mit den sozio-ökonomisch bedürftigsten Gruppen weiter zu unterminieren und leisten einer Wertehierarchie Vorschub, die insbesondere unter Anhängern der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) verfängt.

Abstract

Although the unemployed and immigrants rather run the risk of poverty than retirees, welfare state interventions for the latter group is much more popular among the German population. This paper examines the extent to which narratives, disseminated through the media, contribute to the decoupling of the legitimacy of welfare state entitlements and actual need. For this purpose, a qualitative and quantitative sentiment analysis of the coverage of inequality and poverty in the online portal of the Bild-Zeitung is conducted. While reports on the elderly, the sick and the unemployed largely reflect the widespread welfare deservingness hierarchy and entail a strong merit-based justice narrative, articles with reference to immigrants reveal a more ambivalent picture. It needs to be noted that refugees constitute an exception to the deservingness hierarchy due to their particular characteristics as well as the institutional setting. Accordingly, people with a refugee background are portrayed as “honest” and “highly motivated”, immigrants from Eastern Europe are defamed as “poverty migrants” who are only drawn to Germany for the sake of social benefits. The injustice of old-age poverty is portrayed particularly emotionally, while the unemployed are depicted as “welfare parasites” or “Hartz IV cheaters”. Except the reports on refugees, the Bild’s coverage thus has the potential to further undermine society’s solidarity with the socio-economically neediest groups and to promote a hierarchy of values that resonates especially among supporters of the right-wing populist Alternative for Germany (AfD).

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Abb. 1
Abb. 2

Notes

  1. Die Beurteilung von Armutsrisiken nach Altersgruppen (sowie deren zeitliche Entwicklung) hängt zu einem gewissen Teil auch von der verwendeten Datenquelle ab. Eine detaillierte Diskussion der Befunde folgt in Kap. 3.

  2. European Social Survey (2016), eigene Berechnungen.

  3. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass in vielen westeuropäischen Staaten Anhänger rechtspopulistischer Parteien die Arbeitslosigkeit deutlich stärker überschätzen als Anhänger anderer Parteien (Diermeier und Niehues 2019).

  4. Für eine Diskussion der engen Beziehung zwischen Beschränkungen der Einwanderungsperspektive („hospitality“) und Legitimität der sozialstaatlichen Ansprüche („deservingness“) im Kontext von Fluchtmigration siehe Kyriakidou (2021).

  5. Neben den in Abb. 2 identifizierten Risikogruppen zeigen sich weiterhin deutlich erhöhte Armutsrisiken und materielle Entbehrungen bei Alleinerziehenden-Haushalten sowie erkennbar überdurchschnittliche Risiken bei Alleinstehenden, Mieterhaushalten und Menschen, die in Ostdeutschland leben. Da in der Betrachtung die Wertehierarchie im Vordergrund steht, bleibt diese Differenzierung hier außen vor. Aus selbigem Grund steht auch das erhöhte Niedrigeinkommensrisiko der unter 18-Jährigen im weiteren Verlauf nicht im Fokus der Betrachtung.

  6. Verzichtet wird an dieser Stelle auf eine zeitliche Differenzierung der Ergebnisse. Es bleibt aber anzumerken, dass die Text-Mining Analyse auf eine deutlich kritischere Bild-Berichterstattung zum Thema Migration ab 2017 hinweist: Vor 2017 weist der Algorithmus 3,1 mal so viele positive wie negative Wörter und einen Sentimentwert von 13,1 auf. Ab 2017 kommen hingegen auf jedes negative Wort nur noch 2,1 positive Wörter. Diese Entwicklung spiegelt sich ebenso in einem Absinken des Sentimentwerts auf −8,5 wider.

  7. Unklare Fälle wurden unter den Autoren diskutiert und blieben im weiteren Zweifel bei der Beurteilung der Einordnung außen vor.

  8. Allerdings wird in einigen Berichten ein anderer Konflikt thematisiert, indem auf die unterschiedliche Situation von Rentnern gegenüber Pensionären oder Polit-Rentnern hingewiesen wird, beispielsweise mit den Worten „Berliner Bezirksfürsten sind gut versorgt“.

  9. Eine Befragung für den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht zeigt, dass die meisten Menschen das höchste Armutsrisiko in der Bevölkerung ab 65 Jahren vermuten, wenngleich die Empirie das höchste Armutsrisiko bei jungen Menschen verortet (Adriaans et al. 2020).

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Danksagung

Die Autoren danken allen Teilnehmenden des Workshops „Narrative ökonomischer Ungleichheit“ an der Universität Duisburg-Essen im Dezember 2019 sowie Ruth Maria Schüler und Georg Cremer für wichtige Hinweise sowie Lennart Bolwin für seine wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung der Text Mining Analysen.

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Diermeier, M., Niehues, J. Ungleichheits-Schlagzeilen auf Bild-Online – ein Sprachrohr der Wertehierarchie?. Z Politikwiss 32, 163–188 (2022). https://doi.org/10.1007/s41358-021-00281-4

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