Zeitschriften stellen Kommunikation auf Dauer, indem sie die Publikationstätigkeit verstetigen und die Beiträge archivieren. Zugleich werden sie von einer umfangreichen Kommunikation begleitet, von Gesprächen und Korrespondenzen, die im Unterschied zu den Beiträgen in der Zeitschrift nicht publiziert werden. Überreste dieser zahlreichen Briefe, Notizen, Entwürfe finden sich verstreut in Archiven. Dass es überhaupt so etwas wie ein Redaktionsarchiv der DVjs gibt, verdanken wir seiner Überlieferung in den Nachlässen von Paul Kluckhohn und Erich Rothacker. Aus diesen verhältnismäßig reichen Beständen wurden 17 Dokumente aus der Geschichte der DVjs zwischen 1914 und 1949 ausgewählt – auch in der Hoffnung, dass in Zukunft der Überlieferung von Redaktionsarchiven wissenschaftlicher Zeitschriften größere Bedeutung zugemessen wird.Footnote 1

Bei der Transkription der im Folgenden abgedruckten Dokumente haben wir offensichtliche Tippfehler stillschweigend korrigiert, uns ansonsten aber streng an die als Typoskripte archivalisch überlieferten Vorlagen gehalten. Handschriftliche Zusätze sind als solche markiert (hds.), unleserliche Stellen mit einem Fragezeichen; Zusätze der Herausgeber erscheinen in eckigen Klammern. Personen und Ereignisse, die in den Dokumenten eingehender behandelt werden, sind in den Fußnoten sparsam und ohne Anspruch auf Vollständigkeit kommentiert.

Nr. 1: Walzels Programm

Wann genau erste Überlegungen und Gespräche über die Gründung einer neuen literarhistorischen Zeitschrift stattfanden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Zunächst plante der Verleger Hermann Niemeyer mit Franz Saran und Oskar Walzel als Herausgeber; mit ihnen schloss er vor dem Ersten Weltkrieg entsprechende Verträge ab. Um 1914 dürfte auch das folgende Programm entstanden sein, mit dem Walzel um zukünftige Mitarbeiter warb;Footnote 2 seinem Mitherausgeber Saran schrieb er dabei eine untergeordnete Rolle zu.

Oskar Walzel, vertrauliches Rundschreiben, undatiert [ca. 1914]

Nachlass Fritz Strich, Burgerbibliothek Bern

Dresden A. 16,

Marschnerstraße 27.

Datum des Poststempels

Streng vertraulich!

In der Forschung auf dem Gebiet der deutschen Literaturwissenschaft ist seit einiger Zeit frisches neues Leben zu verspüren. Von verschiedener Seite wird auf mannigfache Weise versucht, neue Gesichtspunkte aufzustellen und nach ihnen zu arbeiten oder auch vergessenen Arbeitsmethoden, die ihre Kraft noch lange nicht eingebüsst haben, wieder Anerkennung zu verschaffen.

Aus äusseren und inneren Gründen lassen die vorwärtsstrebenden Sucher und Vorkämpfer ihre Aufsätze nur selten in den eigentlichen Fachzeitschriften erscheinen, sondern ziehen vor, sich an die Zeitschriften allgemeinwissenschaftlichen oder auch belletristischen Charakters zu wenden, zuweilen auch an Blätter anderer Fächer, die ihren Sonderabsichten am nächsten stehen. Daher besteht Gefahr, dass eine ganze Reihe wertvoller und für die Entwicklung der Literaturforschung wichtiger Arbeiten den Fachkreisen entgehe oder mindestens schwer zugänglich bleibe. Noch bedenklicher wäre, wenn der angedeutete Brauch überhaupt das Gefühl erschütterte, dass all diese vorwärtsstrebende Arbeit zunächst der Weiterentwicklung der Literaturgeschichtsforschung dient und auf den Wegen weiterschreiten will, die von den grossen Vertretern der Disziplinen im 19. Jahrhundert eröffnet worden sind.

Ein Sammelpunkt für die reiche Fülle neuer Absichten und Hoffnungen ist nötig. Eine Zeitschrift scheint am besten geeignet, ein solcher Sammelpunkt zu werden. Wirklich will die Zeitschrift für deutsche Literaturgeschichte, die der Unterzeichnete vom Herbst 1914 ab im Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S. herauszugeben beabsichtigt, allen Bestrebungen offenstehen, die eine Förderung und vielleicht auch eine Verjüngung unserer Wissenschaft zum Endziel haben.

In erster Linie liegt dem künftigen Herausgeber daran, den Absichten zu dienen, für die er selbst seit Jahren eintritt. Die Zeitschrift soll vor allem den gedanklichen Grundlagen und der künstlerischen Form der Dichtung vertiefte Betrachtung schenken, mithin einerseits die Beziehungen Dichtung und Weltanschauung verfolgen, anderseits Literaturgeschichte im Sinne der Kunstwissenschaft treiben. Selbstverständlich soll die Richtung der neuen Zeitschrift nicht einseitig durch dieses eine Ziel festgelegt werden, sondern auch Raum bleiben für andere neue und fördernde Gesichtspunkte. Wenn vollends besonderes Augenmerk den Untersuchungen geschenkt werden soll, die unter Eduard Sievers’ Führung auf dem Feld der SprachmelodieFootnote 3 und der sprachlichen Konstanten in Rede und Musik vorgenommen werden, so dient sie damit nur ihrer Hauptaufgabe, das Wesen der künstlerischen Form zu ergründen.

Um ihren Zwecken uneingeschränkt nachleben zu können, schaltet die neue Zeitschrift alle Veröffentlichungen ungedruckter Papiere und neuer Quellen aus, soweit sie um ihrer selbst willen veranstaltet werden. Ebenso alles Reinbiographische, dann jeden Versuch einer Bibliographie, ferner auch Besprechungen über einzelne Werke oder Sammelberichte einzelner Dichtergruppen. Doch behält sie sich vor, selbständige Aufsätze an bedeutende Werke anzuknüpfen.

Der ganze Umfang der deutschen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart soll umspannt werden. Und zwar wird Herr Professor F. Saran,Footnote 4 Erlangen, die Aufsätze über ältere deutsche Literatur und über Verslehre in Empfang nehmen. Nichtdeutsche Literatur wird nur, soweit sie mit der deutschen in Verbindung steht und ihrem Verständnis dient, herangezogen.

Der Herr Verleger denkt die Zeitschrift in so rascher Folge erscheinen zu lassen, dass die Mitarbeiter auf schnelle Veröffentlichung ihrer Beiträge rechnen dürfen. Für den Oktavbogen soll M 80,-- gezahlt werden.

Diese vorläufige Mitteilung lasse ich Ihnen, sehr geehrter Herr, zukommen, da ich auf Ihre Mitwirkung besonders zähle. Ein öffentlicher Prospekt wird bald folgen. Dankbar wäre ich, wenn Sie mir bald eine Arbeit zur Verfügung stellten. Jedenfalls bitte ich mir schon jetzt mitzuteilen, ob Sie geneigt sind, an dem neuen Unternehmen mitzuarbeiten.

In aufrichtiger Wertschätzung

ergebenst O. Walzel

Nr. 2: Niemeyers Pläne

1922 konnte endlich die bereits vor dem Ersten Weltkrieg abgeschlossene Habilitationsschrift von Paul Kluckhohn bei Niemeyer im Druck erscheinen.Footnote 5 Seit 1914 war er in die Überlegungen zur Gründung einer literarhistorischen Zeitschrift eingebunden.Footnote 6 Neben Ernst Troeltsch und Eduard Spranger war Kluckhohn für Hermann Niemeyer einer der wichtigsten Ratgeber in dieser Angelegenheit. Ihm gewährte der Verleger Einblick in seine Überlegungen und die Gründe für seine Entscheidungen.

Hermann Niemeyer an Paul Kluckhohn, 14. März 1922

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8852/3

Sehr verehrter Herr Professor!

Besten Dank für Ihr Schreiben vom 10.3. Die in Leinwand gebundenen ExemplareFootnote 7 werden Sie inzwischen erhalten haben. Die nachbestellten gehen heute mit den übrigen bestellten Sachen ab. Die fest bestellten Exemplare Ihres Buches sende ich jetzt schon hinaus und da ich Anfang April Ihr Buch auf der Frankfurter Messe ausstelle, wird es auch dort schon in den Handel kommen. Ich kann nur jetzt nicht die zur Ansicht verlangten Exemplare versenden, das muss ich geschlossen mit den übrigen Novitäten vornehmen. Den Buchhändlern in Münster will ich das Erscheinen des Buches schon jetzt bekannt geben, sie können es dann bestellen.

Die Notgemeinschaft hat endgültig meine Kalkulation anerkannt und ich freue mich auch für Sie, dass nun trotz des langen Hinauszögerns der Drucklegung für Sie keinerlei Kosten entstehen. Ich übersende Ihnen an die aufgegebene Adresse 1000.– Mk. Honorar und schreibe die übrigen 1000.– Mk. Ihrem Konto gut.

Die Besprechungsexemplare gehen in den nächsten Tagen hinaus, ich berücksichtige noch folgende Zeitschriften: Zeitschrift für Deutschkunde, Ztschr. f. deutsche Philologie, Ztschr. f. französische Sprache und Literatur, Süddeutsche Monatshefte, Westdeutsche Wochenschrift, Kölnische Volkszeitung und Dr. Schönemann. Die übrigen noch von Ihnen genannten Zeitschriften bringen meist nur Titelanzeigen oder sehr späte Rezensionen, sodass ich erst einmal anfragen werde, ob sie auch gewillt sind, eine ausführliche Besprechung baldigst zu bringen.

Ich möchte heute Ihnen nun einige Mitteilungen machen über die Pläne, welche mir bezüglich einer literarischen Zeitschrift in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen sind. Herr Privatdozent SternFootnote 8 in Giessen und Privatdozent Dr. Rotacker [sic] in Heidelberg sind vor einiger Zeit mit dem Plan an mich herangetreten, eine Zeitschrift für Kulturphilosophie oder Geisteswissenschaft im Allgemeinen zu begründen. Unter anderen hofften die Herren auf die Mitarbeit von Professor Spranger und Geheimrat Troeltsch in Berlin. Es sollten auch ausser Philosophen Literaturhistoriker, Kunsthistoriker und Geschichtsforscher zur Mitarbeit herangezogen werden. Nun habe ich diesen Plan eingehend mit Herrn Professor Spranger und Geheimrat Troeltsch, auf deren Mitwirkung es mir sehr anzukommen schien wenn das Unternehmen tragfähig sein sollte, besprochen. Beide Herren waren der Meinung, dass ein solches Unternehmen unter den heutigen schwierigen Verhältnissen nicht ganz gerechtfertigt wäre, zumal es eine Konkurrenzzeitschrift für den LogosFootnote 9 bedeuten würde. Als ich Herrn Professor Spranger andeutete, dass mir eigentlich auch mehr noch der lange gehegte Plan einer Literaturzeitschrift am Herzen liegt, kamen wir auf den Gedanken, die beiden Ideen in irgend einer Form zu kombinieren, zumal wir der Ansicht waren, dass für eine Literaturzeitschrift ein weit grösseres Bedürfnis vorliegt. Ich glaube ich schrieb Ihnen nun schon früher einmal, dass ich mit Herrn Geheimrat Walzel vor dem Kriege einen Kontrakt über eine Literaturzeitung eingegangen bin. Ich vermute, dass Herr Geheimrat Walzel nicht ohne weiteres von dem Kontrakt zurücktreten wird, streng vertraulich möchte ich Ihnen aber mitteilen, dass ich keine Lust mehr habe, mit Walzel die Sache zu machen. Nun bleibt mir eventuell folgender Ausweg: entweder die Literaturzeitung mit der Zeitschrift für Geisteswissenschaften zu kombinieren oder aber einfach die bisher vorliegenden Saranschen BausteineFootnote 10 als abgeschlossene Serie zu betrachten und »Bausteine zur neueren Literaturgeschichte«, neue Folge, herauszugeben von Professor Saran etc., in der Form einer literarischen Zeitschrift zu frisieren. Die letztere Form wäre mir auch insofern sehr sympathisch, als wir uns gänzlich unabhängig machen von einem bindenden Umfang. Walzel könnte unter solchen Umständen keine Schwierigkeiten machen, da das Ganze wie eine Fortsetzung der Bausteine unter mehreren Herausgebern aussehen würde. Sollte aus diesem zweiten Plan etwas zu machen sein, so befürchte ich nur, dass Professor Saran eine Kombination mit dem Stern-Rotackerschen Plan ablehnt und eine rein literaturwissenschaftliche Zeitschrift befürworten wird, was mir an sich auch das Liebste wäre. Dies wäre der äussere Rahmen, in dem sich meine verschiedenen Ueberlegungen bewegt haben. Sie sehen, es ist äusserst schwierig, da überall gewisse Bindungen vorhanden sind. Als Mitarbeiter für die Zeitschrift müssten wir wohl alle die heranziehen, welche im Diltheyschen Sinne weiterbauen. Ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie mir einmal mitteilen würden, ob Ihnen eine Kombination des Stern-Rotackerschen Planes mit einer Literaturzeitung möglich erscheint, oder ob Ihnen ein Zusammengehen mit Saran recht wäre und wen Sie sich eventuell noch als Mitarbeiter und Mitherausgeber denken würden. Es sind nicht allzuviele, welche heute in der streng Diltheyschen Richtung arbeiten und wir dürften nicht gleich in den ersten Jahren an Stoffmangel leiden. Der ganze Plan muss sehr reiflich überlegt werden, da gerade in der jetzigen Zeit es für mich ein ausserordentliches Wagnis bedeutet, eine neue Zeitschrift zu begründen. Ich bitte Sie jedenfalls ganz frei und offen mir gegenüber zu äussern, wie Sie über alles denken, und bitte Sie über meine Mitteilungen zunächst absolutes Schweigen zu bewahren, bevor man nicht genau weiss, welche endgültige Gestalt das Unternehmen annehmen wird.

Mit hochachtungsvollen Grüssen verbleibe ich,

Ihr sehr ergebener

H. Niemeyer

Nr. 3: Entscheidende Begegnungen

Reisen und wissenschaftliche Tagungen boten Gelegenheiten für persönliche Begegnungen über die räumlichen Trennungen hinweg (Kluckhohn lebte in Münster, Rothacker in Heidelberg und Niemeyer in Halle). Am Rande der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle kam es 1922 zu folgenreichen Begegnungen. Rothacker beeindruckte Niemeyer durch sein Draufgängertum, seine rhetorischen Fertigkeiten, seine weitreichenden Pläne und persönlichen Beziehungen.

Hermann Niemeyer an Paul Kluckhohn, 10. Juli 1922

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8852/9

Verehrter lieber Herr Professor,

Die Kanttagung ist überstanden u. ich will Ihnen berichten. Am Dienstag war ich mit Stern zusammen und entwickelte ihm vorsichtig unseren Plan: Literaturzeitschr. hrsg. von Ihnen u. Rothacker. Ich führte als Gründe an, dass es für mich technisch sehr schwer sei, mit 3 ev. 4 Hauptherausgebern zu arbeiten, aber er zwang mich weiter zu dem Bekenntnis, dass wir manchen Mitarbeiter wohl nicht bekommen würden, wenn er als mehr Unbekannter an der Herausgabe mitwirkte. Er war gekränkt u. tat mir leid. Er wollte sich mit dem Referatenteil begnügen. Auch das konnte ich nicht zusagen, stellte ihm aber als Trost in Aussicht, dass wir ev. ein zweites Unternehmen machen könnten in Form einer Broschüren- u. Buchreihe. Das leuchtete ihm ein. Am Mittwoch traf er nun mit Rothacker gleichzeitig bei mir ein, das war schade, denn ich hätte Rothacker gern erst 10 Minuten allein gesprochen. Ich wiederholte beiden Herren meinen Vorschlag. Worauf dann Rothacker seine Ideen u. Pläne entwickelte. R. ist ein weitblickender, energischer und kluger Mann. Er hat entschieden wertvolle Beiträge in Aussicht, grosse Personalkenntnisse u. gute Beziehungen. Sein Programm schien mir so reichhaltig, dass ich wieder Zeitschrift u. Beiträge = Serie als sich ergänzende Unternehmungen in Erwägung zog. Beim Empfangsabend nahmen wir Fühlung mit Tröltsch [sic]. Leider konnte Spranger nicht kommen, da sein Vater gestorben ist. Tröltsch war zurückhaltend u. seine Ansicht gipfelte darin, dass nur Erstklassiges von Erfolg sein könnte, glaubte aber, dass die Ztschr. für Literatur- u. Geistes-gesch. tragfähiger wäre, wie eine reine Geistes-wiss. Ztschr. (Vielleicht ein Wink für mich bezügl. Stern). Nun kam die Überraschung, Rothacker nahm mich beiseite. Zu meinem grössten Erstaunen eröffnete er mir, dass es ihm unmöglich erschiene, die Sache mit Stern zu machen. Erstens sei er nur Pädagoge u. Psychologe u. dann Jude u. daran würden sich viele wertvolle Mitarbeiter stossen. Vor allem Burdach.Footnote 11 Nun sah die Sache für mich ganz anders aus, u. wir beiden verabredeten für den nächsten Tag eine neue Besprechung auf anderer Basis. Wir gingen dabei von dem Gesichtspunkt aus, dass die Sachen über die Personalfragen gestellt werden müssten. Rothacker erklärte, dass er sehr gern bereit sei, mit Ihnen zusammen die kombinierte Zeitschrift zu machen, wobei die Literatur in den Vordergrund gerückt werden könnte. Wie [?] sich später seine weiteren Pläne angliederten würde sich schon finden. Im Ergebnis meinte er, dass Tröltsch unter diesen Umständen zu gewinnen sei. Zu Gundolf hat er gute Beziehungen, glaubt aber nicht, dass G. mitmacht, weil er grundsätzlich seine Sachen in den »Blättern für die Kunst«Footnote 12 veröffentlicht. Aber er will natürlich den Versuch machen, ihn zu gewinnen. Auf Strich legt er weniger Wert. Er wird die »Dioskuren«Footnote 13 bevorzugen. Ich glaube nicht an langen Bestand der »Dioskuren«. Von Walzel rät R. direkt ab, da sonst Burdach nicht mitmacht, ich glaube auch Saran nicht. LiepeFootnote 14 hält auch nicht viel von Walzels jetziger Arbeitsweise.

Rothacker u. ich waren dann den ganzen Abend zusammen, ich brachte ihn mit BrunnstädFootnote 15 zusammen, der zufällig eine famose polit. Rede hier hielt. So kamen wir uns auch menschlich näher.

Stern hatten wir nur noch flüchtig bei den Versammlungen der Tagung gesprochen. Mit gemischten Gefühlen brachte ich ihm die rauhe Wirklichkeit unserer Entschlüsse bei. Er fand sich damit ab, vielleicht mit der Erkenntnis, dass die ganze Aktivität bei Rothacker liegt.

Gemäss Ihrem Vorschlag haben wir nun verabredet, am 15. Juli in Heidelberg alles Nähere mit Ihnen zu besprechen u. dann flott ans Werk zu gehen. Der Weg scheint frei u. ich gehe endlich mit Freude an die Sache. Mein Verhältnis zu Walzel muss ich noch durch Kündigung des Vertrages klarstellen, ich könnte mich sonst in eine Zwangslage bringen. Bitte geben Sie mir zu diesem Schritt freie Hand, selbst wenn es Walzel verstimmt.

Rothacker hat gleich mir die besten Hoffnungen und wenn wir etwas Ordentliches zusammenschmieden, hoffe ich auch, dass ich für Sie die materielle Seite so gestalten kann, dass Sie nicht unter Seufzern an dieser Stange ziehen.

Liepe macht beim CreizenachFootnote 16 mit, er kommt in den nächsten Tagen zu mir u. dann schreibe ich mehr darüber.

Bitte empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin.

Mit freundlichen Grüssen

Ihr ergebenster H. Niemeyer

Nr. 4: Rothackers Projekt

Man muss sich Rothacker als einen Strategen auf dem Felde der Geisteswissenschaften vorstellen. Im Gefüge der wissenschaftlichen Fachdisziplinen beanspruchte er für die Philosophie und für sich selbst eine zentrale Rolle, die er historisch und systematisch zu begründen und durch eine kluge Vernetzung zu realisieren versuchte. Als Kooperationspartner für sein Periodikum (Schriftenreihe oder Zeitschrift) wollte er u. a. Eduard Spranger als Mitherausgeber gewinnen, dem sich wiederum Hermann Niemeyer verpflichtet fühlte, wie Rothacker wusste.

Erich Rothacker an Eduard Spranger, 20. Juli 1922 Footnote 17

ULB Bonn, Rothacker I

Sehr geehrter Herr Professor,

verzeihen Sie wenn ich die Arbeitslast des Semesterendes, die Ihnen nach schmerzlichen Erlebnissen besonders drückend sein mag durch ein so umfangreiches Schreiben noch vermehre. Jedoch Herr Niemeyer ermutigt mich dazu und gerne schmeichelte ich mich der Hoffnung dass die Sache, die mir am Herzen liegt und an deren Bedeutsamkeit ich glaube schliesslich doch Schritt für Schritt Ihr Interesse zu gewinnen vermöchte. Ich möchte vermuten, dass Sie den Entwürfen eines geisteswissenschaftlichen Zeitschriftenunternehmens, die Ihnen Herr Stern und ich im Februar unterbreiteten mit Wohlwollen aber auch einiger Skepsis gegenüber standen. Wenn ich eine Andeutung Herrn Niemeyers richtig verstand schien Ihnen auch die Eröffnung eines philosophischen Unternehmens mit der Veröffentlichung eines Briefwechsels nicht ohne Bedenken. Eben an diesem Punkte möchte ich einsetzen. Was ich ins Leben zu rufen gedenke – Herr Stern ist wie Sie wissen ausgeschieden – ist keine »Zeitschrift«, sondern eine Sammlung. Eine Sammlung von Monographien sehr verschiedenen Inhalts und dennoch ganz bestimmter philosophischer Prätention. Weshalb das?

Wenn man die Sachlage reichlich durchdenkt, so kommt man wohl zu dem Ergebnis dass auch ein schärferer spekulativer Kopf als Wilhelm Dilthey an der Aufgabe die er sich genial stellte gescheitert wäre. Aus einem ganz einfachen Grunde (dem Dilthey selbst ein Menschenleben nachgab): Es fehlte ihm an Vorarbeiten. Und kann denn heute jemand »auf Diltheys Schultern« seine Ziele bereits erreichen? Ihre »Lebensformen«Footnote 18 die ich mir mit Troeltsch’s GeschichtsphilosophieFootnote 19 an der Spitze des Unternehmens gewünscht hätte, diese beiden Schriften sind die erfolgreichsten Schritte die bisher in der von Dilthey eingeschlagenen Richtung einer Einarbeitung des historischen Bewusstseins in das Weltbewusstsein gemacht wurden. Das Ziel wird vielleicht in 100 Jahren erreicht sein. Ich glaube Sie werden mir diese Äusserung weder missdeuten noch verübeln. An der analogen philosophischen Verarbeitung des exacten Weltbilds arbeiteten Generationen von Genies.

Auch diese hätten aber Ihr [sic] Ziel nie erreicht, wenn der Genialität ihrer systembildenden Reflexion die produktive Kunst exacten naturwissenschaftlichen Denkens nicht Nahrung zugeführt hätte. Vielleicht haben die Geisteswissenschaften – solche Vergleiche sind natürlich nicht zu pressen – ihren »Newton« schon gehabt. Ich denke an Savigny, Ranke, Grimm. Dilthey war, als er den Gedanken einer Kritik der historischen Vernunft konzipierte der erste, der nach dem Siegeskranze Kants griff. »Kritik der historischen Vernunft«, das ist ein heute noch allmächtiges Missverständnis, das heisst nicht »Logik der Geschichtswissenschaft«. Deshalb waren Rickerts »Grenzen«Footnote 20 eine epochemachende Leistung der Wissenschaftslehre, nicht der Philosophie im letzten Sinne. (Erst sein »System«Footnote 21 ist hochphilosophisch, verleugnet aber genau besehen das tiefste des Jugendwerks). Die Kritik der historischen Vernunft ist die theoretische Explikation des historischen Bewusstseins und zielt nicht auf historiographische Feststellungen und selbst nicht »Synthesen«, sondern auf eine besondere Form der Weltanschauung. Der Rationalismus denkt nicht deshalb »unhistorisch« weil er nicht Geschichte schreiben kann, sondern weil sein Weltbild keines Hauches historischen Geistes d. h. Herderschen, Rankeschen, Goetheschen Geistes verspürte. Die Liebe zum Individuellen, ein positives Verhältnis zur Welt in ihrer Mannigfaltigkeit, die Wertung des »Echten« und der »Epochen des Glaubens« sind nicht nur Voraussetzungen der Historiographie, sondern »Vorurteile« von rein philosophischer und weltanschaulicher Intention. Mein »Geist der historischen Schule«,Footnote 22 mit dessen Niederschrift ich mich kasteie will nichts anderes zeigen. Aber angesichts dessen was die Geisteswissenschaften in ihren höchsten Vertretern bereits »haben« – und selbstverständlich ist ihr Weltbild unbegrenzt weiterbildungsfähig – will mir alles was ich von ihrem Gehalt heute formulieren kann unendlich vorläufig erscheinen.

3. Dem Sieg derselben grossen Sache soll das geplante Unternehmen dienen. Dabei zwingt uns der gegenwärtige Stand der Forschung dazu, verschiedene Wege einzuschlagen: 1.) sind die wenigen heute möglichen philosophischen Arbeiten, die mit wirklichem Erfolg an dieser Aufgabe wirken, zu sammeln. Sie werden später, nach wenigen, wohlausgenützten Jahren ganz von selbst das Übergewicht erlangen. Über die besondere redaktionelle Technik ihrer Sammlung und in welch verschiedener Richtung hier philosophische Arbeit zu leisten wäre, s. u. 2.) Es kommt aber nicht nur auf die logische Kraft dieser philosophischen Arbeiten an, sondern auf ihren Standpunkt. Eine Marburger Rechtsphilosophie, die »Kulturpsychologie«, eines reinen Psychologen wäre flott abzulehnen. Ihre »Lebensformen«, wie gesagt, Tröltschs [sic] Geschichtsphilosophie wären die willkommensten Eröffnungsbände der Sammlung gewesen. [Karl] Voßlers Sprachphilosophie, [Otto] Hintzes Typologie der Verfassungen hoch erwünscht. Damit ist bereits der Übergang zu einer 2. Aufgabe bezeichnet: produktive Leistungen von »echt« geisteswissenschaftlicher Haltung – es gibt viele solcher Haltungen und falsche! – sind in sparsamster Auswahl hier zu konzentrieren. Sie werden – wenn sie klassisch sind – auch einzelwissenschaftlich sein dürfen, ihr philosophischer Wert haftet an der gemeinsamen Tiefe ihres geisteswissenschaftlichen Standpunktes. Die gegenwärtige Situation erfordert es eben, daß die vom deutschen Idealismus und der Romantik ererbte Position, aus der heraus Dilthey philosophierte und die Einleitung in die Geisteswissenschaften entwarf nicht nur systematisch geklärt, ausgebaut und gerechtfertigt wird, sie fordert auch dass dieser Standpunkt auch in seinen Anwendungen auf Sonderfragen gefestigt, gefördert und in seiner Geschlossenheit zur Geltung komme (dabei können (!) Anwendungen von Prinzipien diese oft tiefer fassen als die jeweiligen Prinzipienlehren selbst). Wir wollen genauso exklusiv sein wie der Logos und Husserls Jahrbücher.Footnote 23 Dabei ist die Befürchtung dogmatischer Enge leicht zu beschwichtigen. In diesem Hause sind viele Wohnungen. Alle unsere grossen Philologen, Historiker, Theologen, [Otto von] Gierke,Footnote 24 [Georg] Dehio,Footnote 25 [Friedrich] MeineckeFootnote 26 und selbstverständlich alle unsere Mitherausgeber und bei aller Differenz der Anschauungen Sie, Prof. Troeltsch, Prof. [Heinrich] Maier,Footnote 27 alle diese Gelehrten und ihre Fächer sind in ihren Grundauffassungen der Kultur und des geistigen Lebens, und zwar nicht nur nach dessen Struktur- sondern auch seiner Wertseite verwandt. Alle diese Wissenschaften haben seit 100 Jahren ein System von »Heimlichkeiten«, wie Harnack sagen würde, gemeinsam. Simmel, Gundolf, Max Weber, Lamprecht u. A. aber sind zwar Ableger desselben Mutterstamms, gefährden, verfälschen, verlassen aber die Grundposition, natürlich in sehr verschiedener Richtung und mit sehr verschiedenem Talent. Alle Rationalisten gar sprechen hier von aussen über eine ihnen völlig fremde Sache. Mir scheint, dass, da die Jugend unter dem Eindruck der Publizistik und der Buchhandlungsschaufenster bereits ein völlig falsches Bild der Situation hat, vor diesem Nachwuchs die Macht und der Reichtum des geisteswissenschaftlichen Selbstverständnisses erst recht zur Geltung kommen wird, wenn die äußere Zusammenfassung einiger besonders repräsentativer Leistungen ihre innere Einheit und ihren Unterschied von anderen Grundhaltungen drastisch anschaulich gemacht haben wird. Offen gesagt, obwohl bei weitem die stärkere Partei, haben wir bereits eine Schlappe erlitten. Deshalb heisst es sammeln, Gräben ziehen, umgruppieren. So wird die unentbehrliche Basis künftiger Philosophien – vergl. das oben gestreifte Verhältnis der exakten Wissenschaften und der neueren Philosophie – erst wieder gewonnen sein.

(3.) Genau in der Mitte zwischen Geistesphilosophie und produktiver Repräsentation eines Standpunktes liegen, teils Programme formulierend, teils Selbstbesinnung übend die einzelwissenschaftlichen Prinzipienlehren und Methodologien. Nach meiner Ansicht die intimsten Berührungspunkte von Philosophie und Einzelwissenschaft, wahre Fundgruben für eine umfassende philosophische Problematik der Geisteswissenschaften. Fundgrube, d. h. natürlich nicht einzige Quelle! Aber wir müssen uns von den Einzelwissenschaftlern, d. h. den wahren Sachkennern die zu beantwortenden Prinzipienfragen stellen lassen, wir müssen diese Fragen, wie sie dauernd gestellt werden, als Philosophen beantworten können. Wenn sich die Einzelwissenschaften doktrinär geschulmeistert fühlen oder unsere Antworten nicht verstehen, verzichten sie auf unseren Rat und holen sich ihre philosophischen Anregungen am falschen Ort.

Wovon handeln eigentlich Prinzipienlehren? Worum drehen sich die sogenannten Methodenkämpfe? Worin differieren die praktisch angewandten Methoden selbst? In nichts anderm als der Differenz der Anschauungen über den »wahren« und »falschen« Weg. Kein Forscher entzieht sich dieser Scheidung und schon die Heftigkeit mit der diese Methodenstreitigkeiten durchgefochten werden, lässt ahnen, dass es sich bei ihnen um »letzte Dinge« handelt. Nur eine durchgeführte philosophische Prinzipienlehre der Geisteswissenschaften kann nun zeigen:

  1. 1.

    dass das der Fall ist, dass alle prinzipiellen Gegensätze stofflich verkleidete weltanschauliche Gegensätze sind,

  2. 2.

    dass alle Methodenstreitigkeiten eines bestimmten Fachs (wie der Religionswissenschaft, Kunstwissenschaft, Sprachwissenschaft u.s.w) unter einander zusammenhängen,

  3. 3.

    dass alle diese Methodenstreitigkeiten in ihrem Zusammenhang in allen Fächern sich wiederholen, analog auftreten und letztlich identische Probleme betreffen, kurz dass die Problematik aller Geisteswissenschaften eins ist,

  4. 4.

    dass von dieser Frage nach den wahren Methoden, d. h. Prinzipien die Frage nach der logischen Struktur dieser Methoden aufs schärfste zu trennen ist.

So z. B. will Vossler in »Idealismus und Positivismus in der Sprachwissenschaft«Footnote 28 nicht nur den logischen Unterschied der positivistischen oder idealistischen grammatischen Begriffsbildung herausarbeiten. Sein Hauptziel ist zu zeigen, dass der Idealist im Recht, der Positivist im Unrecht ist. Oder: wer den »Siegeslauf der vergleichenden Methoden in den Geisteswissenschaften« bejubelt, der hält dieselben für richtig und zweckmäßig und stellt eine ganz andere Behauptung auf als der Logiker, der die komparative Allgemeinheit der mittelst dieser Methode gebildeten Begriffe untersucht. Selbstverständlich ist auch das letztere ein wichtiges Problem. Es ist die Frage nach dem logischen Wie der »Begriffsbildung«. Hier sind alle Ergebnisse Windelbands und Rickerts zu übernehmen.

Aber a) hat diese Untersuchung mit der Frage Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften gar nichts zu tun; b) dürfen neben der »historischen Begriffsbildung« die verschiedenen Arten der theoretischen und dogmatischen Begriffsbildung, die für die Einzelwissenschaften von höchster Bedeutung sind, von der Logik keinesfalls vernachlässigt werden. c) ist die Einsicht in diese klar zu vollziehende Trennung der logischen und prinzipiellen Fragen dadurch erschwert worden, dass Rickert insbesondere früher dazu neigte gerade die Beantwortung unserer »Wahrheits«frage ebenfalls für rein »logisch« möglich zu halten.

Ich weiss nicht wie weit ich mich mit diesen wenigen Zeilen voll verständlich zu machen vermag. Meine Absicht ist in einer kleinen der Sammlung vorauszuschickenden Programmschrift über den »Zusammenhang der Geisteswissenschaften und die Philosophie«Footnote 29 in knapper Fassung das Ganze der vorliegenden Probleme auseinanderzulegen und zusammenzufassen. Denn selbstverständlich sollen auch Probleme der Logik und Wissenschaftslehre behandelt werden. Keinesfalls ist aber die Problematik der Standpunkte darüber zu vernachlässigen.

Dieses Programm hoffe ich auf folgende Weise konkret durchzuführen: Zunächst ist garnicht abzusehen welche Arbeiten angeboten werden. Ich muss gestehen, dass ich vor den eventuellen Wirkungen eines Rundschreibens an alle geisteswissenschaftlich interessierten Philosophen und philosophisch interessierten Geisteswissenschaftler fast Angst hätte. Vor allem fürchte ich ein Überangebot philosophischer Beiträge, die fast alle besser würden wenn ich erst das weiter unten folgende Programm einige Jahre durchgeführt hätte. Grundsätzlich werde ich sehr exclusiv sein, alles neukantische an den Logos verweisen. Dissertationen werden nicht aufgenommen. Im Laufe der Jahre wären »kulturphilosophische« oder »geschichtsphilosophische« Arbeiten z. B. von Paul TillichFootnote 30, Richard Hamann,Footnote 31 Hans Freyer,Footnote 32 Willibald Böhm, Alb. Dietrich, Otto WestphalFootnote 33 um nur ein paar Namen zu nennen wohl willkommen zu heissen. Vor allem erweisen sich hoffentlich die Herausgeber als produktiv. Aber, ich komme damit auf eine bereits oben gemachte Bemerkung zurück: Da das Wort Geschichtsphilosophie gerade fiel, so verkenne ich nicht, dass in gewissen Briefen des Grafen Yorck an Dilthey oft mehr »Synthese« steckt als in ganzen synthetischen Bibliotheken. Hier wird aus der Tiefe eines selten universalen historischen Bewusstseins über alle Dinge der Welt und des Lebens philosophiert und eben darin, dass ich auch Briefe veröffentlichen will, (übrigens rein gelehrte und sachlich interessante) sehen Sie, wie wenig der grundsätzliche Ausgang meines Buches und zumal des folgenden Bandes vom »Stand der Wissenschaft« mich an deren »Gegebenheit« (mit ihren eventuellen Zufällen) bindet.

Die Veröffentlichung des Briefwechsels Dilthey – YorckFootnote 34 wird in mehrfacher Hinsicht für die Gelehrtenwelt eine Überraschung ersten Ranges werden. Und einige Stücke aus Yorcks Nachlass, den ich vor wenigen Wochen in Klein-Oels einsah, erst recht. Kennen Sie eigentlich die Gräfin v. d. Schulenburg,Footnote 35 die die Edition besorgen wird? Diese Briefe sind mir um der höheren Wahrheit ihres Gehaltes willen weit lieber als [Hermann] Cohens falsches System. Ja ich will um der möglichst vollkommenen Repräsentation unseres programmatischen Standpunktes willen gar nicht ängstlich sein und würde mich eventuell nicht scheuen z. B. mich etwa um Gierkes »Kleine Schriften« zu bewerben. Um seine Rede über die Historische Schule und die Germanisten,Footnote 36 die eine der ganz wenigen brauchbaren Äusserungen, die es über die historische Schule gibt, enthält, führe ich seit Jahren ähnliche Kämpfe mit den Bibliotheken wie um Diltheys Akademieabhandlungen. Weshalb soll es der Nachwuchs, dem diese Sachen empfohlen werden nicht besser haben? Auch ein kommentierter Neudruck von Droysens kleiner HistorikFootnote 37 wäre gelegentlich erwünscht. Es soll, ich wiederhole mich, kein Mittel gescheut werden um die wahre Position ins Licht zu stellen und zu festigen. Dass das selbstverständlich nicht nur mit Neudrucken und Briefwechseln geschehen soll unterstreiche ich. Zudem wird das meine Programmschrift mit Bestimmtheit aussprechen.

Neben der Vereinigung erstens philosophischer, zweitens einzelwissenschaftlicher Schriften von verwandter Weltauffassung soll die Sammlung 3) aus ganz bestimmten Gründen auch Wissenschaftsgeschichte pflegen: mir scheint nämlich dass z. B. klassische Untersuchungen über klassische Historiker eine weit tiefere Auffassung der Historiographie, ihres Wesens und ihrer Aufgabe vermitteln als alle mir bekannten Lehrbücher der historischen Methode. Neben dem was ein Mann wie Eduard Schwartz vom Wesen der Historiographie »weiss« ist das was Bernheim u. A. darüber sagen grenzenlos trivial.Footnote 38 Deshalb möchte ich von Schwartz eine Geschichte der antiken Historiographie. Andere Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, die unseren Zweck zu erfüllen vermögen, sind eventuell in Sonderheften zu gruppieren, wenn wirklich geeignete Beiträge zu gewinnen sind. Auch dies wird das Niveau der Methodologien heben.

(4.) sollen auch diese zur Sprache kommen. Bei den einzelwissenschaftlichen Vorstudien zu meinem Buch ist mir ganz von selbst eine gewisse Personalkenntnis zugeflossen. Ich glaube von dutzenden Einzelwissenschaftlern zu wissen was sie »können«, welche philosophischen Interessen, welche philosophische Vorbildung, welche naive »Philosophie« (das ist meist die bessere) sie haben, womit sie sich gerade beschäftigen. Ich hoffe es wird mir gelingen einige Prinzipienlehren und eine Reihe von methodologischen Untersuchungen zusammen zu bringen, die nebeneinandergestellt, wenn ich irgend wie recht habe, schlagend die behauptete Identität der geisteswissenschaftlichen Problematik zeigen müssen. Dabei wird die Gruppierung der mir zugesandten z. T. von Autoritäten erbetenen Beiträge eine höchst wichtige Aufgabe sein. Z. T. werden einige umfassende Prinzipienlehren, immer ihre Qualität vorausgesetzt, als selbständige Bücher erscheinen müssen. Z. T werden Erörterungen methodologischer Spezialprobleme zu besonderen Bänden zusammen zu stellen sein, und zwar nicht nach Fächern geordnet sondern in einer Auswahl, die quer durch die Fächer läuft. Das Ergebnis wird doch einigermaßen verblüffen, und ich beabsichtige dabei keineswegs die Produktion methodologischer Schriften besonders zu fördern (wogegen viele Einzelwissenschaftler berechtigte Bedenken hegen), sondern dieselben zu reduzieren. Die Leute sprechen nämlich alle vom selben! Auch wo diese Probleme unter dem Gesichtspunkt ihres von mir behaupteten weltanschaulichen Zentrums betrachtet, mehr oder weniger peripher sind, sind sie trotzdem all den verschiedenen Fachwissenschaften gemeinsam. Dafür möchte ich doch einige Beispiele anführen:

So schrieb etwa der Kirchenhistoriker [Walther] Köhler ein Schriftchen über »Idee und Persönlichkeit in der Kirchengeschichte« (1910). Selbstverständlich aber tritt dasselbe Problem auch in den andern Fächern auf. Und genau so die nur scheinbar verwandten Probleme Persönlichkeit und Milieu, Individuum und Gemeinschaft u.s.w.

So betrifft das in der methodologischen Literatur der historischen Theologie im letzten Jahrzehnt viel diskutierte Problem: Dogmengeschichte oder Frömmigkeitsgeschichte, einen alten Programmpunkt der historischen Rechtsschule und hat auch nach deren eigentlicher Blüte noch eine so hervorragende Behandlung gefunden wie die im § 3 von [Rudolf von] Jherings Geist des Römischen Rechts. Was aber z. B. Fritz Kern (Hist. Ztsch. Bd. 120, S. 1 ff, 74 ff)Footnote 39 programmatisch über Weltanschauungsgeschichte sagt, zielt völlig in dieselbe Richtung. In der neueren Geschichte spielt sich dieser Widerstreit zwischen den Historikern im engern Sinne und den von der Jurisprudenz kommenden Verfassungshistorikern ab. In der Kunstgeschichte hängt er mit dem Gegensatz Wölfflins und Dehios eng zusammen. Parallelen aus der Bildungsgeschichte werden sich Ihnen genug aufdrängen.

Ein ganz anderes Problem: vor einiger Zeit war ich Zeuge einer Unterhaltung unseres Kunsthistorikers Carl NeumannFootnote 40 und des Kirchenhistorikers [Hans Georg Wilhelm] v. Schubert.Footnote 41 N. knüpfte, wenn ich nicht irre an Dehios Darstellung der Gotik an und propagierte eine andere Wertung des romanischen Stils. Merkwürdig, sagte Sch.: ich lese z. Zt. eine Geschichte des deutschen Glaubens und mache dabei die seltsamsten Beobachtungen über das Auftauchen und Eindringen eines bestimmten dem Dogma ursprünglich völlig fremden Elements in der selben romanischen Epoche. Tauchen nun nicht dieselben Fragen in der Rechtsgeschichte auf? Dabei entsteht dort interessanterweise da, wo in dieser Frage die reinen Feststellungen in Wertungen übergehen, auch noch der Gegensatz einer »historischen« Rechtfertigung unseres römischen Rechts und einer ebenfalls »historischen« Verteidigung eines germanistischen Standpunktes. In meinem Buch habe ich das Problem wie gewöhnlich in einige Sätze gepresst, es lässt sich aber allerhand darüber sagen. Die analogen Positionen im Streit um das humanistische Gymnasium liegen klar zu Tage. Wie wäre es wenn man einmal sechs Aufsätze autoritativer Vertreter sechs verschiedener Fächer über diese Frage in einem Band vereinte? Prof. Neumann hat sich sein Leben lang um dies Problem bemüht. Prof. v. Schubert behauptet Entdeckungen gemacht zu haben. Sehr interessant spricht übrigens Seebergs DogmengeschichteFootnote 42 über Germanismen. Heimsoeth hat jüngst die Frage für die PhilosophiegeschichteFootnote 43 aufgegriffen. Vielleicht fände man auch noch einen geeigneten Autor, der der Geschichte des Problems besonders nach seiner Wertungsseite nachginge, das, wie allgemein bekannt aber längst nicht allgemein verstanden, in Herders Fragmenten und besonders glänzend in Mösers Gegenschrift gegen Friedrich den Grossen formuliert ist. Gerne schriebe ich das philosophische Nachwort. Es haben sich ja viele Gelehrte während des Krieges über nationale Fragen geäussert, aber wie wenige sehen die Paradoxie im Begriff einer »historischen« oder »nationalen« Kultur. Genau besehen sind die Fundamente unseres Lebens, Treue gegen uns selbst, Stolz auf die Väter naiv ebenso bejaht als von der Ethik teils unbeachtet, teils formalistisch missverstanden, teils, da steckt das Problem, philosophisch unformulierbar. Vor einiger Zeit frug ich einmal einen namhaften jüngeren Ästhetiker neukantianischer Richtung: Wie stellt man sich eigentlich in Ihren Kreisen zu dem philosophischen Zentralproblem von Neumanns Rembrandt? der Frage nationaler Kultur? Der junge Gelehrte war völlig perplex, er hatte den Begriff des Nationalen oder historischen noch nie voll apperzipiert.

Die Erwähnung des »historischen« bringt mich auf einen anderen Gedanken: Der schöne Aufsatz Prof. Jaegers in »Vom Altertum zur Gegenwart«Footnote 44 ist mir noch in voller Erinnerung. Wenn ich nicht irre sind Sie mit ihm seit Jahren befreundet. Wie wäre es, man könnte ihn – es müsste nicht eben für eine der ersten Nummern sein – zu einem eingehenden geschichtsphilosophischen Aufsatz über Tradition bewegen? Autoren dieses Ranges könnten bis zu 100 Seiten schreiben. Und über Tradition äussert [Max] Scheler, der sonst trotz aller Berührungspunkte seine unhistorische Abkunft selten verleugnet, immer wieder merkwürdig tiefe Gedanken. Das wäre schon Nummer 2. Dabei käme zugleich der katholische Traditions- und Autoritätsbegriff, mit das Interessanteste, was der Katholizismus z. Zt. zur Geschichtsphilosophie zu sagen hat, zur Aussprache. Einen dritten originellen Kopf müsste man wohl finden, dann wäre auch diese Nummer wenigstens entworfen.

Die bemerkenswerten Äusserungen Prof. Kerns über Prinzipienfragen habe ich oben schon erwähnt. Dabei prägt er einen bestimmten Begriff der »Geistesgeschichte«. Wie oft frägt einen ein Student: was heisst eigentlich Geistesgeschichte? Wie gern würde man da auf einen guten Aufsatz hinweisen, wie ihn Kern schriebe. Und sehr interessant wäre mirs Prof. GotheinFootnote 45 in dieser Frage noch einmal zur Sprache kommen zu lassen.

Ich schrieb neulich schon Prof. Troeltsch: es könne wohl sein, dass in den nächsten Jahren die wissenschaftliche Diskussion gewaltig über dem Problem des »Schauens«, der intuitiven Methode, des Verstehens aufflackerte. Da könnte eine Reihe wahrhaft qualitätvoller Äusserungen, seine an der Spitze, von ausschlaggebender Wirkung sein. Er schreibt mir, er habe keine Zeit, was ich sehr bedaure. Meinen Plan habe ich deshalb nicht aufgegeben, – wie ich überhaupt nicht so leicht von meinen Plänen abgehe – die Hoffnung auf Troeltsch auch nicht. Ich denke bei diesen Sonderheften wirklich nicht an Enqueten! Einige erstklassige Abhandlungen genügen. Dieselben dürfen wenn es sein muss Bücher werden. Man muss aber die philosophierende Jugend, die immer wieder in diese transzendentalen Turnvereine eintritt, mit der Nase auf echte Probleme stossen. Hier liegt ein Problem. Die bisherige Abweisung desselben redete an der Sache vorbei. Mystisches und ästhetizistisches »Schauen« ist durchaus nicht mit der klassischen Intuition Rankes (»das Real-Geistige, welches in ungeahnter Originalität Dir plötzlich vor Augen steht, lässt sich aus keinem höheren Prinzip ableiten«) zu verwechseln. Rickert, der in dem neuen wirklich bewundernswerten Kapitel seiner Grenzen der historischen Weltauffassung mächtige Konzessionen macht, und jetzt ein »Nacherleben« anerkennt, steht nun vor dem Problem: Ist dieses Nacherleben neben der historischen Begriffsbildung irgend wie wissenschaftlich (theoretisch) relevant? Ich komme um meine Formulierung der Frage S. 273 Anm. 2 meines Buches nicht herum. Schon angesichts der völlig vorwissenschaftlichen Menschenkenntnis steht man vor der Frage: ist sie ohne jede theoretische Geltung, wieso gibt es dann gute und schlechte Menschenkenner? Mit dieser Unterscheidung ist bereits eine »Logik« der betreffenden Akte gesetzt.

Soll ich in Vorschlägen fortfahren? Wie lehrreich wäre auch für die Logik und Wissenschaftslehre eine gute Untersuchung über »dogmatische Begriffsbildung«. Und noch interessanter – nicht damit man mehrere höre, sondern damit das logische Problem sich vom Stoff ablöse – wäre es einen Juristen, einen Theologen und einen – Grammatiker darüber zu hören. Auch darüber habe ich für meine LogikFootnote 46 ein Kapitel ausgearbeitet und hätte mir manche Mühe und Arbeit erspart, wenn ich solch eine Vorarbeit gehabt hätte. Auch in der Kunstwissenschaft gibt es übrigens dogmatische Begriffsbildungen, nur sind sie nicht in eigenen Teilwissenschaft repräsentiert.

Eine äusserliche Frage wäre es ob nicht gelegentlich eine Vereinigung weniger aber sehr eingehender Rezensionen wünschenswert und möglich wäre. Ich würde z. B. zu Gotheins 70. Geburtstag im Herbst 23 ganz gerne ein Heidelberger Heft herausbringen. Würden Sie nicht Rickerts System übernehmen? Die Gräfin Schulenburg würde vorzüglich über Gundolf schreiben. Auch wäre eine treffliche Charakteristik Max Webers zu gewinnen. Dies nebenbei.

Die Liste meiner Sondernummern ist längst nicht zu Ende. Was ich von denselben erwarte brauche ich kaum zu sagen. Die Geisteswissenschaften drängen zu einem theoretischen Bewußtsein ihres Zusammenhangs. Der gegenwärtigen Philosophie muß Stoff zugeführt werden, sonst läuft der Mechanismus des Denkens leer. Den Geistesphilosophischen Arbeiten sind hier unentbehrliche Vorarbeiten zu leisten. Ein Sammelpunkt für die in dieser Richtung strebenden Forschungen fehlt längst. Wie viele Philosophen aber, die sich in 2‑3 Jahren in geistes- und geschichtsphilosophische Probleme eingearbeitet haben, werden hier erst merken, wo Probleme liegen. Und ich meine doch eine Sammlung wäre schwerer zu übersehen als wenige getrennt marschierende Bücher. Husserl verdankt seinen Enderfolg nicht zuletzt seinem Jahrbuch. Den vereinten Kräften der Herausgeber muß es gelingen, die rollende Kugel der gegenwärtigen Philosophie um ein Wesentliches aus ihrer jetzigen in eine gesündere Bahn zu lenken.

Ich habe nun nach meiner Besprechung mit Herrn Niemeyer die unbescheidene Bitte: Machen Sie mit! Und zwar nicht als Mit-Herausgeber sondern als Herausgeber. Ihr Eintritt in die Reihe der Protektoren des Logos scheint mir dem nicht im Wege zu stehen. Von Konkurrenz der beiden Unternehmen kann keine Rede sein. Er bringt, wenn ich von dem einen Gierke-AufsatzFootnote 47 im letzten Heft absehe, der garnicht in den Logos paßt, nie Abhandlungen, die uns interessieren würden. Das sind zwei Welten, die sich nicht zu stören brauchen. Auch bringen wir viel zu umfangreiche Untersuchungen und sehr hoffe ich mit Herrn Niemeyer auf Ihre künftigen Bücher, die Sie doch nicht im Logos publizieren können.

Zu Mitherausgabe sollen aufgefordert werden: die Herren

Tröltsch, Ed. Schwartz od. W. Jaeger, Ed. Meyer, Gothein

Maier, Burdach, Hintze, Erich Kaufmann

Misch, Emil Wolff, G. von Below

Spranger, K. Neumann

Die Ordnung wird alphabetisch! Das Titelblatt – leider fehlt immer noch der Titel – würde lauten:

»Beiträge zur Grundlegung der Geisteswissenschaften«

oder

»Bausteine zur Philosophie des Geistes«

unter Mitwirkung von xyz

herausgegeben von Eduard Spranger und Erich Rothacker

Redaktionsgeschäfte erwachsen Ihnen selbstverständlich keine. Ihre Meinung über die Liste der Mitherausgeber zu hören wäre mir aber natürlich von größtem Interesse. Und herzlich dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie den einen oder anderen Mitherausgeber für das Unternehmen interessieren und zu gewinnen vermöchten ohne daß es nötig wäre, daß ich ihnen meine Pläne in ähnlicher Ausführlichkeit darlegte. Zur obigen Liste habe ich zu bemerken: 1. Herr Niemeyer ist für Einschränkung der Herausgeberzahl, sonst hätte ich gerne noch einen Dilthey-Schüler etwa Ritter dabei gehabt. 2. ist deshalb die Theologie durch Tröltsch [sic] mitvertreten und 3. die große Sphäre des objektiven Geistes nur durch zwei Herren, die sich hoffentlich nicht zanken. Prof. Maier war seinerzeit nicht sehr für die Zuziehung Gotheins, ich würde ihn aber aus bestimmten Gründen sehr ungern missen. KaufmannFootnote 48 ist der einzige mir zur Zeit bekannte Jurist, der volles Verständnis für unsere Problemstellung haben wird und zudem, wie ich hoffe, tätig mitwirken wird. Rickerts Wut auf ihn, man kann nicht anders sagen, finde ich nur ganz subjektiv begründbar. Prof. Ed. Meyer soll sich seiner Zeit sehr für die Zeitschrift interessiert haben. Hoffentlich ist das nicht noch so ein (Erich) Sternen-Mythos, die sich meist nicht bewahrheitet haben. Was schreibt er uns? Eine Geschichtsphilosophie? Prof. Hintzes Rezensionen in Schmollers JahrbuchFootnote 49 gehört [sic] zum besten was ich an Methodologischem je gelesen habe. Meine Hoffnung geht zudem auf eine Verfassungsgeschichte. Bitte tun Sie etwas dafür! Prof. von Below

[Hier bricht der Brief ab, der im Rothacker-Nachlass den Vermerk »unvollständig« trägt.]

Nr. 5: Prospekt: Philosophie und Geisteswissenschaften

Von dem hier angekündigten Programm wurden nur zwei Schriftenreihen realisiert: Zum einen Neudrucke klassischer Texte der Geisteswissenschaften als Studienausgaben, zum anderen die Beihefte. Als Textausgaben erschienen hier zwischen 1923 und 1929 u. a. Johann Gustav Droysens Grundriß der Historik, Leopold von Rankes Das politische Gespräch, Heinrich von Treitschkes Gesellschafswissenschaft und Johann Jakob Bachofens Selbstbiographie (hrsg. von Alfred Baeumler). Unter den Monographien sind hervorzuheben der Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey mit dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg (hrsg. von Sigrid von der Schulenburg) und die große Studie von Bernhard Groethuysen über Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich.

Erich Rothacker an Hermann Niemeyer, 7. Dezember 1922, Anlage.

ULB Bonn, Rothacker I

Philosophie und Geisteswissenschaften in Verbindung mit Heinrich Maier, Georg Misch, Ernst Troeltsch, Eduard Spranger herausgegeben von Erich Rothacker.

Jährlich etwa 30 Bogen in Heften verschiedenen Umfangs. Der Prospekt wäre etwa folgender (Selbstverständlich ist diese Fassung eine ganz vorläufige)

Der einzigartige Versuch einer Einarbeitung des Historischen Bewusstseins in das Weltbewusstsein, den die »Deutsche Bewegung« von Herder bis zu Hegel und der historischen Schule ist noch nicht zu so klassischen Ergebnissen gelangt wie der vorangehende grossartige Verschmelzungsprozess des philosophischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Rationalismus in den Systemen des 17. und 18. Jahrhunderts. Auch Wilhelm Dilthey hat unter der ihm überlieferten Doppellast historischer und philosophischer Aufgaben das Ziel einer Kritik der historischen Vernunft erst geahnt. Kritik der historischen Vernunft bedeutet mehr als eine Aufgabe der Wissenschaftslehre. »Unhistorisch« nennen wir auch nicht die Epochen, welche nicht Geschichte zu schreiben vermochten, sondern deren Weltanschauung vom Geiste Herders, Goethes, Rankes noch nicht berührt ist. Die grossen Systeme der Metaphysik beruhten bis zu Kant auf einer Personalunion philosophischer und naturwissenschaftlicher Forschung. Die heutige Philosophie, die deutliche Ansätze zu einer kommenden Philosophie des Geistes zeigt, wird dieses Ziel nur in engster Fühlung mit der produktiven Arbeit der Geisteswissenschaften erreichen.

In den Dienst dieser Aufgabe will sich die neue Zeitschrift stellen. Philosophie und Geisteswissenschaften sollen in ihr in die rege Wechselwirkung treten, aus der allein hoffnungsvolle Neubildungen sich erwarten lassen.

Veröffentlicht werden

  1. 1.

    Beiträge allgemein philosophischer und philosophiegeschichtlicher Art, jedoch mit besonderer Bevorzugung der Gebiete der Geschichtsphilosophie und Kulturphilosophie, der Philosophie des Staates, des Rechts, der Gesellschaft und Wirtschaft, der Sprache, Kunst und Religion und Erziehung, der Wissenschaftslehre und Methodologie der Geisteswissenschaften. Jeder Jahrgang wird mindestens ein Sonderheft erhalten, in welchem neben Philosophen besonders berufene Vertreter der Einzelwissenschaften jeweils für ihr Fach zu einer brennenden geisteswissenschaftlichen Frage Stellung nehmen sollen. Beispiele

  2. 2.

    Sammelreferate aus allen Gebieten der Philosophie, Philosophiegeschichte und der Prinzipienwissenschaften. Insbesondere soll dem heute schwer empfundenen Mangel an Berichten über die exakte philosophiegeschichtliche Forschung Abhilfe geschehen.

  3. 3.

    Eine geisteswissenschaftliche Rundschau in Form von Notizen und ausgewählten Rezensionen.

  4. 4.

    Beihefte in einer philosophiegeschichtlichen und einer geistesphilosophischen Reihe.

Als Beiheft der philosophiegeschichtlichen Reihe wird erscheinen: Erich Frank.Footnote 50

Als Beiheft der geistesphilosophischen Reihe: Der Briefwechsel Wilhelm Diltheys und des Grafen Yorck.

Nr. 6: Eine Konkurrenz für die DVjs

Kluckhohn zeigte sich besorgt über Rothackers weitausgreifende Pläne. Vor allem befürchtete er, dass mit einer zweiten Zeitschrift Konflikte über Zuständigkeiten und Ressourcen entstehen würden, aber auch dass eine produktive Verbindung von Literaturwissenschaft und Philosophie einer disziplinären Differenzierung zum Opfer fallen könnte. In dieser Hinsicht kam den Sammelreferaten oder ForschungsberichtenFootnote 51 eine wichtige Rolle zu.

Paul Kluckhohn an Erich Rothacker, 29. Dezember 1922

Kopie, DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8031/1

Lieber Herr Rothacker

Meinen Brief von heute morgen, bei dem ich unterbrochen wurde, will ich jetzt noch die Antwort auf den ersten Teil Ihres BriefesFootnote 52 folgen lassen. Seine ausführlichen Darlegungen haben meine Befürchtung eine Konkurrenz für die Deutsche Vierteljahrsschrift z. Teil behoben, und ich kann schliesslich mit Ihnen diese Sorge in erster Linie unserem Verleger überlassen. Aber dieser neue Plan ist doch etwas wesentliches anderes wie die Pläne von denen bisher die Rede war und denen ich freudig zustimmte. Das neue liegt in dem Zeitschriftencharakter, der auch die Sammelreferate bedingt,Footnote 53 die mich erschreckten; dass diese in Philosophie und Geisteswissenschaften dringender seien als in der Vierteljahrsschrift, vermag ich nicht einzusehen. Was die Geschichte der Philosophie betrifft, so haben wir ja seiner Zeit schon besprochen, dass Arbeiten zur Geschichte der antiken Philosophie im allgemeinen zu sehr an der Peripherie der Vierteljahrsschrift liegen. So auch das Buch von Frank, das Sie ruhig in dem besonderen Unternehmen lassen mögen, dessen einzelne Hefte doch ganz verschiedenen Umfang haben könnten. Wenn Mischs Aufsatz über den jungen Dilthey tatsächlich 80 Seiten umfasst, so könnte er doch selbstständig in dieser philosophiegeschichtlichen Reihe erscheinen, die darum noch keine Zeitschrift zu sein bräuchte. Ebenso könnte z. E. auch die ursprünglich geplante geisteswissenschaftliche Reihe grössere Werke und Schriften kleineren Umfangs in beliebiger Folge bringen und damit die Möglichkeit geben Ihrer Abhandlung über das System der Geisteswissenschaften und ähnliches sofort zum Druck zu bringen. Ich halte nach wie vor diesen im Juli besprochenen Plan für den glücklichsten. Und auch für den Modus, der Sie am wenigsten belastet. Die Redaktion einer Zeitschrift wie Sie sie jetzt planen, halte ich für eine viel umfangreichere und drückendere Arbeit und die Redaktion zweier Zeitschriften nebeneinander für eine Aufgabe, der zusammen mit eigener Forschung und Lehrtätigkeit u. a. auch Ihre grosse Arbeitskraft, kaum gerecht werden könnte. Die Herausgabe der Vierteljahrsschrift würde dann praktisch ganz wesentlich auf meine Schultern zu liegen kommen, was an sich nicht mein Wunsch wäre.

Die Vereinigung von Literatur- und Geistesgeschichte in der Vierteljahrsschrift ist doch einmal geschaffen und wir können unser Programm nicht gut wieder ändern, da sie eben zu erscheinen beginnt.Footnote 54 Auch halte ich diese Vereinigung für glücklich und rechne gerade auf die heute Gott sei Dank nicht seltenen Leute – unter den reinen Historikern allerdings seltener, so dass das Beispiel der Historischen Zeitschrift verloren gegangenen AbonnentenFootnote 55 m. E. nicht ganz passt –, die so wohl literarhistorisch wie philosophiehistorisch interessiert sind und gerne Günther MüllersFootnote 56 doch auch auf die Philosophie des Mittelalters neben Ungers oder anderer Untersuchungen über Hegel lesen, und weiss, dass gerade diese beiden Abhandlungen ein und dieselben Leser besonders interessieren.

Dass Sie in Zweifels [sic] und Konfliktfällen nicht gegen das Interesse der Vierteljahrsschrift handeln werden, dieses Zutrauen habe ich allerdings zu Ihnen; hätte ich es nicht, so würde ich mich jetzt noch von der Vierteljahrsschrift zurückziehen; denn so etwas darf man nur in voller Einigkeit und mit vereinter Kraft machen. Aber ich bitte Sie doch noch einmal zu erwägen, ob Sie nicht mit dem ursprünglichen Plane der zwei Schriftenreihen dasselbe wie mit der neuen Zeitschrift erreichen können und mit geringerem Kraftaufwand für Sie und geringerem Kostenaufwand für den Verleger und reibungsloser. – – – – – Ueber den Prospekt schreibt mir heute v. d. Leyen: »Ich erinnere mich nicht, dass ich eine so gute Ankündigung [ab hier hds.] wie die Ihre je gelesen habe, bescheiden, ohne jede Übertreibung, klar, sachlich und würdig … Ihre Absicht … ausgezeichnet.–[«]Footnote 57

Nr. 7: Verlagskontrakt

Nur wenige Monate vor dem Erscheinen des ersten Heftes der DVjs im Januar 1923 wurde der Verlagskontrakt zwischen Hermann Niemeyer, Paul Kluckhohn und Erich Rothacker unterzeichnet. Zu den Mitherausgebern, die auf dem Titelblatt namentlich genannt wurden, gehörte auch der Musikwissenschaftler Hermann Abert (Halle), der im Vertrag noch keine Erwähnung fand. An die Stelle der früh verstorbenen Mitherausgeber Ernst Troeltsch und Clemens Baeumker trat ab Band 3 der Historiker Heinrich Finke (Freiburg i.Br.). Die politisch und ökonomisch instabile historische Lage fand in § 11 ihren Niederschlag. Die Angaben über Honorare (§ 5) waren aufgrund der Inflation bald hinfällig und mussten später neu ausgehandelt werden.

ULB Bonn, Rothacker I

Zwischen den Herren Professor Dr. Paul Kluckhohn in Münster i. W. und Dr. Erich Rothacker in Heidelberg einerseits und der Verlagsbuchhandlung Max Niemeyer Halle/Saale anderseits ist folgender Verlagskontrakt abgeschlossen, in drei gleichlautenden Exemplaren ausgefertigt und von den drei Kontrahenten eigenhändig unterschrieben worden.

§ 1

Die Herren Professor Kluckhohn und Dr. Rothacker übernehmen die Herausgabe der »Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« in Verbindung mit den Herren Geheimrat Professor Dr. Cl. Bäumker, München, Professor Dr. W. Brecht, Wien, Geheimrat Professor Dr. K. Burdach, Berlin, Professor Dr. A. Heusler, Basel, Professor Dr. H. Naumann, Frankfurt a. M., Geheimrat Professor Dr. K. Neumann, Heidelberg, Geheimrat Professor Dr. H. Oncken, Heidelberg, Professor Dr. F. Saran, Erlangen, Professor Dr. L.L. Schücking, Breslau, Professor Dr. E. Spranger, Berlin, Professor Dr. F. Strich, München, Geheimrat Professor Dr. E. Trorltsch [sic], Berlin, Professor Dr. R. Unger, Königsberg, Geheimrat Professor Dr. K. Vossler, München, als Mitherausgeber, nach einem besonders und gemeinsam ausgearbeiteten Plane.Footnote 58

§ 2

Die Herausgeber verpflichten sich, keine gleichartige oder ähnliche Zeitschrift in einem anderen Verlage herauszugeben.

§ 3

Der Verleger ist berechtigt eine Auflage bis zu 2000 Exemplaren zu veranstalten. Eine Erhöhung der Auflage über 2000 bedarf der vorherigen Zustimmung der beider [sic] Hauptherausgeber. Jedoch ist es dem Verleger gestattet je nach der Gangbarkeit des Unternehmens die Auflage zu kürzen.

§ 4

Die Zeitschrift erscheint in Jahresbänden zu je vier Heften, die möglichst zu Beginn jeden Kalendervierteljahres erscheinen sollen. Der Umfang eines jeden Bandes soll bis 40 Bogen zu je 16 Seiten Oktav-Format betragen.

§ 5

Das Honorar für die beiden Redakteure bleibt für jeden Band besonderer Vereinbarung überlassen. Über die Verteilung dieses Redaktionshonorars haben sich die beiden Herausgeber unter sich zu verständigen. Die Mitarbeiter erhalten 1000.– Mk. für den Druckbogen zu 16 Seiten. Der Honorarsatz ist bei einem Reichsgold = Ankaufspreis von 10.– Mk. = 10000.– Mk. Papiergeld festgesetzt und soll in Zukunft der Entwertung bezw. Wertsteigerung der Papiermark unter Berücksichtigung der allgemeinen Wirtschaftslage angepasst werden. Redakteure und Verleger haben sich hierüber zu verständigen. Jedoch soll bei dem ersten Bande der Zeitschrift eine Erhöhung des Honorars lediglich in das Ermessen des Verlegers gestellt werden, da die Tragkraft des Unternehmens sich bei Abschluss des Vertrages nicht übersehen lässt.

§ 6

An Freiexemplaren erhalten die Redakteure und Mitherausgeber je ein komplettes Exemplar jedes Bandes. Die Mitarbeiter erhalten 10 Freiexemplare ihres Beitrages im Separatdruck, ohne jedoch hierzu einen Separattitel oder irgend welche Änderung des Satzes beanspruchen zu können.

§ 7

Die Hauskorrektur wird von der Druckerei besorgt, die erste und zweite Korrektur von dem betreffenden Verfasser. Verfasser-Korrekturen, das heisst Korrekturen die durch Änderungen am Manuskript nach erfolgtem Satz entstehen, fallen dem Verfasser zur Last. Über den Versand der Korrekturen verständigen sich die Redakteure mit dem Verleger.

§ 8

Über die Ausstattung der Zeitschrift haben sich die Redakteure und der Verleger zu verständigen, und die Ausstattung des ersten Bandes gilt als Norm für alle folgenden.

§ 9

Zur Erleichterung der Redaktionsarbeit liefert der Verlag den Redakteuren das notwendige Korrespondenzmaterial und hat vollen Ersatz zu leisten für Porto und sonstige Auslagen, die je nach Bedarf beim Verlag anzufordern sind.

§ 10

Der Zeitschrift soll eine Folge von Beiheften angegliedert werden. Als Redaktionshonorar für die Beihefte zahlt der Verlag dem betreffenden Redakteur eine Pauschale und zwar bei einer Auflage bis 500 Exemplare 1000.– Mk. bis 1000 Exemplare 2000.– Mk., bis 1500 Exemplare 3000.– Mk., bei 2000 Exemplare 4000.– Mk. u. s. fort. Ausserdem erhalten beide Redakteure sämtliche Beihefte in einem Exemplar gratis zur Fortsetzung. Für Korrekturen und Erhöhung bezw. Ermässigung der Honorarsätze gelten die gleichen Bestimmungen der Paragraphen 5 bezw. 7.

An Freiexemplaren der Beihefte erhalten die Autoren 10 Stück bis zu einer Auflage von 2000 Exemplaren, für jedes Tausend mehr werden weitere 5 Freiexemplare geliefert. Weitere Exemplare liefert der Verlag den Autoren zum Buchhändlernettopreis mit 30 % vom jeweiligen Ladenpreis, soweit sie zum eigenen Bedarf bestimmt sind.

§ 11

Dieser Kontrakt kann nur mit Zustimmung beider Kontrahenten geändert oder aufgehoben werden, doch bleibt es der Verlagsbuchhandlung unbenommen, von dem Vertrage zurückzutreten, falls die wirtschaftlichen Verhältnisse oder politischer Umsturz eine Weiterführung der Zeitschrift unmöglich machen. Für diesen Fall fallen alle Verlagsrechte an die Herausgeber zurück, sodass sie berechtigt sind, die Fortführung des Unternehmens mit einem anderen Verlage zu vereinbaren.

Münster i. W., den

Heidelberg, den 18.11.22. Dr. Erich Rothacker [hds.]

Halle/Saale, den 14. Nov. 1922. Max [sic] Niemeyer [hds.]

Nachtrag zu § 10. Hinter »werden« ist einzuschalten: Die aufzunehmenden Beihefte bestimmen lediglich die Herausgeber, jedoch kann der Verlag aus wirtschaftlichen Gründen die Drucklegung von Beiheften ablehnen oder spätere Drucktermine mit den Redakteuren vereinbaren. Bestimmung der Auflagenhöhe und die Höhe des Honorars für die Beihefte sind in das Ermessen des Verlages gestellt.

Münster i. W., den 18.11.22, Dr. Erich Rothacker [hds. – sic]

Heidelberg, den

Halle/Saale, den 14. Nov. 1922, Max [sic] Niemeyer [hds.]

Nr. 8: Vorwort

Dem ersten Heft der DVjs wurde ein kurzes programmatisches Vorwort vorangestellt, das der Forschung als Referenztext dient, wenn es um die Ziele der Zeitschrift geht. Besonders der Satz, dass man sich in die Tradition Wilhelm Diltheys stelle, wird gern zitiert. Zugleich betont der Text die Offenheit für andere Richtungen. Für diese Pluralität steht die stattliche Liste der Mitherausgeber, die im Vorwort ebenso wenig namentlich genannt werden wie die Beiträger des ersten Heftes. Von den angekündigten Aufsätzen und Autoren blieben u. a. Ernst Cassirer, Gustav Ehrismann, Hugo Bieber, Ludwig Curtius und Sigrid von der Schulenburg ihre Beiträge schuldig. Im Unterschied zu Kluckhohn wurde Rothacker hier übrigens nicht als Beiträger erwähnt.

Die Herausgeber und der Verleger, »Vorwort«, DVjs 1 (1923), V–VI

Wenn Verleger und Herausgeber es wagen, bei der jetzigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands eine neue wissenschaftliche Zeitschrift ins Leben zu rufen, so sind sie von der Überzeugung erfüllt, daß Vertiefung in die eigene Geistesgeschichte uns heute nötiger ist als je, und von der Hoffnung, daß diese Überzeugung von vielen geteilt wird. Der Geschichte deutschen Geisteslebens will die Deutsche Vierteljahrsschrift dienen, im besonderen der deutschen Literatur. Sind bisher viele und nicht die schlechtesten Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte in allgemein bildenden Zeitschriften oder Organen benachbarter Wissenschaften, auch in solchen des Auslands, erschienen, so soll hier den verschiedenen Richtungen der Literaturgeschichte, deren lebendiges Nebeneinander für die heutige Lage dieser Wissenschaft charakteristisch ist, ein gemeinsamer Wirkungsboden geschaffen werden. Neben der geistesgeschichtlichen Richtung, vornehmlich Diltheyscher Schule, soll besonders die form- und stilanalytische gepflegt werden. Gerade eine Vereinigung dieser beiden Methoden erscheint fruchtversprechend und wegweisend. Auch andere Richtungen, so die literarsoziologische, sollen zu Worte kommen und Untersuchungen zur Poetik und methodologische Erörterungen die Selbstbesinnung der Wissenschaft fördern. Für Arbeiten aller Methoden aber wird philologische Strenge und Gewissenhaftigkeit selbstverständliche Voraussetzung bleiben müssen.

Mit besonderem Nachdruck soll die Literatur des Mittelalters in die geistesgeschichtliche und stilanalytische Literaturbetrachtung einbezogen werden. Und neben der Literaturgeschichte werden die anderen Gebiete der Geistesgeschichte Pflege finden, so die Geschichten der Philosophie, Religion, Ethik, der bildenden Kunst, Musik und Sprache sowie des öffentlichen Lebens. Sie machen erst in ihrer Gesamtheit eine Geschichte des deutschen Geistes möglich. Wie aber diese alle mit der Geistesgeschichte anderer Völker verflochten ist und gerade in enger Wechselwirkung mit ihnen ihre Eigenart entfaltet, so sollen auch Untersuchungen zur Literatur- und Geistesgeschichte der Nachbarvölker aufgenommen werden, die für die deutsche und für die allgemeine europäische Geistesgeschichte von Bedeutung sind oder grundlegende Fragen der literaturwissenschaftlichen Methode behandeln.

Die beiden Herausgeber werden durch Mitherausgeber unterstützt, anerkannte Gelehrte der älteren und jüngeren Generation der Germanisten, Philosophen und Vertreter der Nachbarwissenschaften, deren Namen die Vielseitigkeit des Programms verbürgen.

Arbeiten, die bloß Materialsammlungen sind, rein stoffliche Quellenuntersuchungen, Funde, die nicht von ganz besonderer geistesgeschichtlicher Bedeutung sind, Miszellen u. dergl. sollen aus der Vierteljahrsschrift ausgeschlossen bleiben.

Besprechungen sind nicht vorgesehen, aber größere Sammelreferate auf den verschiedenen Gebieten werden vorbereitet, z. T. von den Mitherausgebern selbst.

Die nächsten Hefte werden neben anderen folgende Beiträge bringen: W. Brecht, Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts; E. Cassirer, Das Formproblem der romantischen Philosophie; H. Cysarz, Der Begriff des Barock; G. Ehrismann, Die Ethik des höfischen Rittertums; E. Jenisch, Goethe und das ferne Asien; W. Gurlitt, Musik und Musikanschauung im Zeitalter der Gotik; V. Klemperer, Arten der historischen Dichtung; H. Naumann, Versuch einer Geschichte der deutschen Prosa; H. Nohl, Von der metaphysischen Funktion der Kunst; Fr. Schultz, Geschichte des Begriffs ›Romantik‹ im 19. Jahrhundert, methodologische Prolegomena zu einer Geschichte der deutschen Romantik; ders., Die Göttin Freude im 18. Jahrhundert, eine geistes- und gefühlsgeschichtliche Untersuchung. Ferner Arbeiten von J. Bernhart, H. Bieber, L. Curtius, W. Flemming, M. Hauttmann, H. Heimsoeth, G. Hübener, W. W. Jäger, P. Kluckhohn, Fr. Neumann, H. Oncken, L. Olschki, R. Petsch, L.L. Schücking, S. v.d. Schulenburg, M. Sommerfeld, Fr. Strich, E. Troeltsch, K. Vossler, G. Wehrung, E. Wolff u. a. m.

Der Vierteljahrsschrift wird eine Reihe von Beiheften angegliedert, die in zwangloser Folge größere Arbeiten aus den obigen Stoffgebieten bringen und für die Abonnenten zu ermäßigtem Preise abgegeben werden.

Die Herausgeber. Der Verleger.

Nr. 9: Verstimmungsbrief

Rothacker, der sich im Positiven wie im Negativen als radikaler und offener für innovative Studien als der bedächtigere Kluckhohn erwies,Footnote 59 sah sich zunächst durch seinen Mitherausgeber ausgebremst. Nach dieser anfänglichen Verstimmung fanden ihre unterschiedlichen Charaktere zu einer erfolgreichen und weitgehend störungsfreien Kooperation. Nur 1935 gab es noch einmal eine ähnliche Verstimmung zwischen den beiden Herausgebern, als Kluckhohn sich über eine ungleiche Arbeitsverteilung sowie Rothackers Engagement für Hans Naumann und Oskar Walzel beschwerte. Nach 1945 wollte Kluckhohn nicht auf seinen Partner Rothacker verzichten, ungeachtet seiner NS-Verstrickungen und seines Rückzugs aus der redaktionellen Arbeit.

Erich Rothacker an Paul Kluckhohn, 21. Januar 1923

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.9006/2

Lieber Herr Kluckhohn,

ich kann Ihnen nicht verhehlen, dass es, abgesehen von der immer zeitraubenden Fertigstellung einer Arbeit, eine schwer zu überwindende Verstimmung war, die mich in den letzten Tagen immer wieder hemmte meine Korrespondenz zu erledigen. Ihre Briefe kommen mit Hartnäckigkeit auf meine Zeitschriftenpläne zurück. Ich muss Sie aber wirklich einmal fragen, ob Sie sich ganz klar gemacht haben, welche Rolle Sie in meinem Leben spielen würden, wenn es Ihnen wirklich gelänge, mir meine redaktionelle Tätigkeit, dann aber auch jede, zu verleiden. Handelt es sich doch bei »Philosophie und Geisteswissenschaften« immerhin um eine so persönliche und so eng mit meinen selbstgesetzten Lebenszielen verknüpfte Sache, dass ich mich wirklich frage, wie komme ich dazu in ihrem Verfolg gerade von Ihnen als Einzigem aufs schwerste gehemmt zu werden? Ich bin mit meinem philosophischen Programm zu Niemeyer gekommen und habe mich in die Vierteljahrsschrift nicht eingedrängt. Wenn ich mir aber mit derselben aufs schwerste »Konkurrenz« machte, indem ich eine Menge Arbeitszeit auf ihre Förderung verwandte, so unternahm ich das doch ganz gewiss nicht um mir damit selbst eine Grube zu graben. Sollten heute wirtschaftliche Umstände die Gründung von Ph. u. Gw. [Philosophie und Geisteswissenschaften] für einige Zeit verhindern, in Gottes Namen. Die Verhältnisse werden sich bessern, auch werden sie einer eventuellen Konkurrenz auch hinderlich sein. Sollte aber, infolge der nur von Ihnen herbeigeführten Verzögerung, mir irgendein findiger Jude, und ich bin in Äusserungen über meine Pläne und literarischen Ideen nie vorsichtig gewesen, zuvor kommen so werden Sie Ihre Konkurrenz haben, ich aber werde Ihnen diese, dann vollendete Durchkreuzung meiner Pläne nie verzeihen können. Ich fühle mich jetzt schon kompromittiert genug und im Verdachte der Unzuverlässigkeit und Renommisterei, indem ich Spranger, Troeltsch u.s.w., denen ich im Sommer ganze Programmabhandlungen (in denen viel Arbeit steckte) geschickt habe, seit Wochen und Monaten einfach ohne Nachrichten lasse, Nachrichten die sie in diesen Ferien unbedingt hätten erhalten müssen. Troeltsch hat noch nicht einmal ein Billet betreffs der Refusierung des Baron erhalten. Maier und Misch aber, die von dem neuen Plane unterrichtet sind stimmen begeistert zu, der erstere will unbedingt eine philosophische Zeitschrift haben und darin publizieren. Auch kann ich Spranger garnicht bitten sich wieder nach dem Erasmusaufsatz Werner Jägers umzutun, ohne über meine Pläne endlich Klarheit zu verbreiten. Eine Zeitschrift herauszugeben die »allen methodischen Richtungen« einen Wirkungsboden schaffen will ist eine sehr nützliche Sache, aber der Versimmelung, Verjudung und Dilettantisierung unserer Geistesphilosophie entgegen zu wirken kann geradezu Pflicht sein und jede andere Realisation dieser Pläne (und sie kommt!) kann die ganze Bewegung in eine von mir nach bestem Wissen und Gewissen für irrig gehaltene Bahn lenken. Ich bin unter der Voraussetzung, dass meine Pläne in der von mir nach reiflichster Überlegung für richtig gehaltenen Form realisiert würden auf Niemeyers Vorschläge eingegangen und fühle mich schlechtweg als der Düpierte, wenn die Ereignisse einen andern Weg nehmen sollten.– Was haben Sie mir als Ersatz in der Vierteljahrsschrift zu bieten? Das Unglück will es, dass dieselben Briefe die meine philosophischen Pläne durchkreuzen, zugleich meine redaktionelle Tätigkeit in der Vj. in dem bedenklichsten Licht erscheinen lassen. Welche Motive habe ich wohl gehabt in die Redaktion einer literarhistorischen Zeitschrift einzutreten? Geistesgeschichte zu fördern, das wäre mir von der Seite der Philosophiegeschichte her näher gelegen. Wenn ich trotzdem an dieser Stelle einsprang, so konnte es doch eigentlich nur in der Hoffnung geschehen, dabei der Literaturgeschichte nützlich sein zu können. Ich kannte Autoren und Arbeiten die mir beträchtlich interessanter und wertvoller zu sein schienen als der Durchschnitt der literarhistorischen Produktion und mit diesem Kapital wollte ich mich beteiligen. Die literarhistorischen Durchschnittsleistungen, die noch dazu eines unerhört schlechten Leumunds in der öffentlichen wissenschaftlichen Meinung sich erfreuen (vergl. die Briefe Jägers, Heideggers, [Wilibald] Gurlitts, von mündlichem zu schweigen,) einfach zu kanalisieren konnte mich doch kaum reizen. Und jetzt wo ich mit Schrecken bemerke, dass Ihre Kollegen auch noch steril sind erstrecht nicht! Wie aber gestaltet sich praktisch meine Tätigkeit an der Vj.? Alle meine Bemühungen der Zeitschrift nicht nur Beiträge der abgestempelten Leute zu verschreiben, sondern neues Blut einzuflössen, der eigentliche Witz der redaktionellen Tätigkeit, worauf zu allen Zeiten der Erfolg von Zeitschriften beruhte, stösst auf Ihren aktiven oder passiven Widerstand. Und dies angesichts eines anerkannten Mangels an Beiträgen. Nachdem unsere treffliche erste Nummer durch gute Namen meist fertiger Autoren anzog, wird jetzt alles davon abhängen dass wir in den folgenden Nummern durch sachlich vortreffliche Beiträge beweisen, dass wir das Talent und Glück haben, weitere Interesse erregende Autoren zu finden, denn Burdach, Unger und [Walther] Brecht zu finden das war keine Kunst, das kann jeder. Wenn Sie statt [Hugo] Bieber, [Siegbert] Elkuss, Sigrid Schulenburg unseren Lesern mehrere Nummern lang [Egon] Cohn, [Willi] Flemming, [Erich] Jenisch vorsetzen, werden Sie bald merken, dass unsere Vj. nicht erst der »Konkurrenz« bedurfte um das öffentliche Interesse zu verlieren. Für Franz Schultz’Footnote 60 Unzuverlässigkeit sind Sie freilich gewiss nicht verantwortlich, auch betreffs seiner habe ich aber den Eindruck dass viele Leute sehr darauf gespannt sind ihn sozusagen wieder auftreten zu sehen. Auf dieses Gespanntsein kommt viel an. Ganz abgesehen davon, dass ich überzeugt bin der Beitrag werde gut sein, was wir ja sehen werden. Ich sage Ihnen ferner: die Schulenburg wird uns durch die Qualität ihrer Arbeit mehr Abonnenten schaffen als mancher treffliche Ordinarius da das Publikum bei dem einen oder andern denkt: dessen Art kennen wir ja. Übrigens irren Sie wenn Sie a priori annehmen, sie werde Gundolfs KleistFootnote 61 »zerreissen«. Sie und ElkussFootnote 62 hatten das ›absolute Gehör‹ und sie weiss sehr genau zwischen amusischen und intuitionslosen Leuten (wie Walzel) und Leuten mit echtem Kunstverstand wie Gundolf zu unterscheiden, für die letzteren gilt dann freilich: de gustibus est disputandum. Dass eine Nummer mit einem grossen Beitrag Elkussens aber einen Einzelabsatz ersten Ranges erzielte, das höre ich jeden Tag. Über BieberFootnote 63 sind wir verschiedener Ansicht, warum einmal nicht? Zweifellos kenne ich aber seine wissenschaftliche Persönlichkeit genauer als Sie, ja besser als die vieler anderer junger Forscher. Wenn Sie meinem Urteil über einen mir so genau bekannten Autor kein Vertrauen schenken, so weiss ich nicht, warum Ihre Wahl gerade auf mich als Ihren Mitarbeiter fiel. Ihr Vetorecht in Ehren. Auch ich habe Ihnen meine Bedenken gegen Flemmings Methodologie mit sachlichen Gründen entwickelt, dass aber alle meine Vorschläge Ihrer Skepsis unterliegen, dass ich Autoren überhaupt nicht mehr auffordern und Beiträge überhaupt nicht annehmen kann ohne in jedem – oft unerträglichen – Fall sagen zu müssen, ich muss aber erst mit meinem Mitherausgeber sprechen (was doch mehr eine Abwehrmassnahme ist, bezw. eine unserm Takt überlassene Konvention in Bezug auf Fälle die wirklich an der Peripherie der Zeitschrift liegen wie der Beitrag Zimmers,) das verleidet mir auf die Dauer jede Freude an diesem Geschäft. Ich bin nicht zum Subalternen geboren. Ich habe Ihnen gegenüber [Günther] Müller, Jenisch, [Hans] Naumann u.s.w. auch freie Hand gelassen. Schreiben Sie meinetwegen unter manche Beiträge »made in Heidelberg« wir werden sehen wie das sachverständige Publikum schliesslich urteilt. Mein lieber Herr Kluckhohn, das klingt viel schärfer als ich es meine, aber bitte lassen Sie mich etwas explodieren, ich habe zuviel Ärger verschluckt. Ich schlage Ihnen die Mitarbeit eines Mannes wie Gerhard RitterFootnote 64 vor, dessen Tätigkeit ich genauestens kenne, und dessen Veröffentlichungen durch die Heidelberger Akademie auch Ihnen zugänglich sind, auch hier Ihre Bedenken. Weshalb nicht Bedenken im einzelnen Fall? Ich bin doch selbst für freiste Aussprache. Aber in fast jedem das verstimmt mich und erweckt die Frage: wozu der Aufwand. Ich kann unter diesen Bedingungen überhaupt niemanden mehr angehen. Am Ostern übrigens ist Historikerkongress in Frankfurt. Ich kann aber weder jedem Autor, den ich spreche gegenüber die Reserve machen, Sie schickten ihm seinen Beitrag vielleicht wieder zurück, ohne günstigstenfalls als Ihr Sekretär angesehen zu werden; noch kann ich ohne mich zu blamieren meinen Freunden bei wirklich guten Arbeiten sagen, ich finde das vortrefflich, muss aber erst noch mal fragen ob es auch wahr ist, sonst erwidern sie mir mit Recht: ehe Du Redakteur warst hast Du das auch allein gewusst. Genug, ich muss Sie in aller Freundschaft bitten der Sicherheit meines Urteils dasselbe Vertrauen zu schenken wie ich dem Ihren und im Übrigen ebenso meinem Takt zu vertrauen, dass ich Ihnen im Zweifelsfalle stets zur gemeinsamen Entscheidung unterbreite. So habe ich es bisher auch gehalten und würde mich wohl hüten Sie gegebenenfalls zu desavouieren. Es gehört zu den Vorzügen einer zweiköpfigen Redaktion, nachdem wir gerade einige Nachteile gespürt haben, dass, da der Einzelne es doch nie jedem recht machen kann, gerade eine Zeitschrift, die verschiedenen wissenschaftliche Richtungen zu dienen sich vorsetzt, dadurch eine gewisse Verbreiterung ihrer Basis erhält. Es wird vorkommen, dass nicht jede Arbeit, die Sie annehmen, mir gefällt und umgekehrt, die Hauptsache wird sein, dass sie ein gewisses Niveau hat. Im übrigen bleibt ja unsere beiderseitige Verständigung stets im Gange. Wenn aber einer von uns es für nötig hält etwas schlechtweg zu nehmen, so wird der andere seine Gründe dafür achten müssen, sonst ist eine Zusammenarbeit sinnlos.

Nun endlich zur Sache.

ad Jenisch:Footnote 65 die Arbeit ist sicher belehrend aber doch auch recht durchschnittlich. Bieber wären gewisse matte Stellen über Klassizismus nicht untergelaufen. Vom »Vetorecht« natürlich keine Rede. Zumal nachträglich. Im Gegenteil ein Heft von 10 Bogen wird meist zum Drittel mit solchen Beiträgen gefüllt sein müssen bei denen die Hauptsache ist, dass sie den Stoff beherrschen und erschöpfen.

Dasselbe gilt für den beiliegenden Vortrag von Mackensen.Footnote 66 Einiges, besonders in der zweiten Hälfte setzt zweifellos einen Bekanntheitsgrad mit der deutschen Rechtssprache voraus, wie ihn nicht jeder Germanist wird erwerben können. Jedenfalls habe ich da etwas gelernt. Auch ist der Beitrag kurz. Insofern bin ich nicht abgeneigt. Auf keinen Fall zusammen mit Jenisch veröffentlichen. Im ganzen eines Hefts nimmt sich je ein derartiger Beitrag abrundend aus.

CissarzFootnote 67 [sic] ist sicher viel interessanter, auch für unsere Leser, die einen Eindruck von ihm bekommen wollen, obwohl ich – vorerst – gewisse Bedenken gegen sein wissenschaftliches Gewicht nicht unterdrücken kann.

L. Curtius verspricht den Beitrag bestimmt auf 28. Februar. Umfang: 1 starker Bogen.

[Hermann] Abert zu schreiben konnte ich mich noch nicht entschließen. Eilt auch nicht. soll noch geschehen.

Von HollFootnote 68 beiliegende Karte. Ein Beitrag von ihm wäre ein grosser Gewinn für uns gewesen, wie auch der rapide Absatz des kaum erschienenen unheimlich teuren Lutherbuches zeigt. Von Hirsch, Pinder, Hamann noch keine Antwort, Pinder sehe ich wohl anfangs März in Leipzig, wo ich in einer neugegründeten geisteswissenschaftlichen Gesellschaft einen Vortrag halten werde.

Carl NeumannFootnote 69 hatte Bedenken gegen Hagen als Sammelreferenten.Footnote 70 Er kenne sein Buch genau (handelt es doch von N.s Steckenpferd). H. sei ein künstlerischer Mensch, insofern von ihm geschätzt, die wissenschaftliche Grundlage sei aber unzureichend. Dies sagte er mir vertraulich. Wir wollten über den in Betracht kommenden Herrn noch einmal sprechen, aus dem Stegreif wisse er keinen. Wir wollten doch auch sicher nicht Referate über die ganze Literatur, was uns das nütze? Sonderthemen leuchteten ihm weit mehr ein. HautmannFootnote 71 achtet er hoch. Oncken ist z. Zt. im Umzug nach München, auch frage ich ihn nicht, ich weiss doch was er sagt. Übrigens wird Ritter der mit seiner Universitätsgeschichte schwer belastet ist kaum etwas annehmen. Wohl wäre aber eventuell eine Arbeit über Erasmus von ihm zu haben, an dem er sitzt, freilich dasselbe Thema wie Werner Jäger.

Unger bedauerlich. Material für sein Referat bekäme er allerdings geliefert. Sommerfeld für 18.? Dass Sie die Romantik übernehmen freut mich ausserordentlich.

Was KlempererFootnote 72 angeht so bin ich durchaus für seine Beiträge, habe gegen sein Sammelreferat bis jetzt nur den angegebenen Grund, den ich allerdings für stichhaltig halte. Versendung von Probenummern halte ich an sich für hocherwünscht ihre Werbekraft ist nicht zu unterschätzen, frägt sich nur ob sich Niemeyer das leisten kann und will. Ich habe ihm neulich einen ähnlichen Wunsch unterbreitet. Wollen wir Kl. [Klemperer] nicht ein begrenztes Ref. oder Sammelthema geben? Alles was er will ausser dem 19. Soll ich Rob. Curtius fragen ob er diese übernehmen wolle? Bin zwar zweifelhaft.

Zu Walzels Angebot ist wenig zu sagen. Die Arbeit kann natürlich begabt sein. Kommt auf Ihren Eindruck an. Wir bleiben energisch beim Standpunkt betreffs Erstlingsarbeiten. Umso erfreulicher wenn es uns gelingt jungen Autoren die wirklich schon »Autoren« sind die Wege zu ebnen.

Heimsoeth schade. Geht uns scheints öfter so. Für Sammelreferat schlage ich GlocknerFootnote 73 vor. Sehn Sie sich doch einmal ausser seinen Vischer und Hebbelarbeiten und den Logosaufsätzen auch die Rezensionen in neueren Nummern der Zt. für Ästh. an.

Auf PetersensFootnote 74 Beitrag bin ich gespannt. Der Sohn Friedländers, der hier Literaturgeschichte studiert, hat mir davon erzählt.

Herrn CohnFootnote 75 nehmen wir in Gottes Namen, wenn die Arbeit Ihres Erachtens etwas taugt. Sie haben das ja im Prospekt provoziert. Wenn möglich in Heft 3, damit nicht alle die mich kennen an mir irre werden.

Nohl ist ähnlich faul wie Schultz.

An Heidegger mag ich erst schreiben wenn die Frage Ph. u. Gw. im reinen ist.

Von SommerfeldFootnote 76 betreffs Autobiographie erhalten wir in diesem Monat noch Nachricht.

Noch etwas wollte ich Sie bitten. Reservieren Sie mir doch für No. 2 bis auf weiteres genau 24 Seiten. Ich hielt es nämlich für die beste Erwiderung auf Westphals ahnungsloses Gerede in der HZ wenn ich in dieser eine Arbeit veröffentlichte die sich selbst rechtfertigte und habe eben ein Manuskript »Savigny, Grimm, Ranke. Ein Beitrag zur Frage nach dem Zusammenhang der historischen Schule« druckfertig gemacht und an Meinecke geschickt mit der ausdrücklich begründeten Bitte um Veröffentlichung dort.Footnote 77 Sollte er annehmen gut. Sollte er nicht, so wäre mir eine sofortige Veröffentlichung bei uns sehr erwünscht. Zugleich eine Gelegenheit dem Materialmangel abzuhelfen. Lieber wäre mir natürlich die Annahme dort, am allerliebsten freilich, was ich natürlich an Meinecke nicht schreiben kann, eine sofortige Veröffentlichung bei uns und eine folgende glänzende Besprechung von Meinecke selbst in der HZ. Aber das wäre »zu schön«.

Zum Thema Autorennot, die mich schwer kränkt, schlage ich vor: 1) wirklich Gediegenes darf länger als 2 Bogen sein. Morgen muss ich Unglücksmensch wieder einige Stunden nach Frankfurt. Wenn ich diesmal Schultz treffe werde ich ihm, vorbehaltlich Ihrer Zustimmung andeuten ausnahmsweise dürfe der erste Romantikaufsatz auch etwas länger als zwei Bogen sein wenn dadurch seine Fertigstellung beschleunigt werde.

2) Lieber kürzen wir einmal ein Heft, oder reduzieren mit Berufung auf die wirtschaftliche Lage der Zeitschrift auf 36 Bogen. Die Preise wechseln ja doch ständig, als dass wir schlechtes drucken.

Von Liepes Buch, das die Geschichte des Prosaromans weniger weit verfolgt als ich aus irgendeinem Grunde geglaubt habe, hatte ich einen trefflichen Eindruck. Ein Referat wollen wir ihm doch auf alle Fälle geben, meinen Sie nicht? Eventuell könnten wir ihn doch durch Niemeyer fragen lassen, was.

Von der Opportunität einer Erweiterung unseres Programms kann ich mich garnicht überzeugen. Für Aufnahme der Philosophiegeschichte, auch der reinen, habe ich [mich] zwar schon einmal ausgesprochen ohne eine bestimmte Antwort erhalten zu haben, aber schon das Sammelreferat »Geschichtsphilosophie«, das ich natürlich gerne schriebe, passt so wie ich es mir denke, nicht in die Vjs. Sie ist einmal vornehmlich literarhistorisch, wie Sie selbst im Programm entwickelten. Ich muss wissen zu wem ich spreche, ich kann und muss, wenn ich rein theoretische Fragen erörtere, an philosophisch eingestellte Leser denken. Ob irgendein philosophisches Seminar Deutschlands selbst wenn wir unser Programm stark erweiterten, die Vj abonnieren kann, ist mir äusserst fraglich. Es kann sich’s einfach nicht leisten, eine Menge Beiträge die ausserhalb des philosophischen Interessenkreises liegen teuer mitzubezahlen. Selbst Heideggers Sammelreferat, für dessen Erwerbung ich oben grundsätzlich als philosophiegeschichtlich eintrat, wäre eigentlich für das philosophische Publikum verloren. Was z. B. Niemeyers Interesse garnicht ist. Und mein geschichtsphilosophisches Referat gehört unbedingt mit Rechtsphilosophischem, Kulturphilos., u. a. zusammen, die keinesfalls in die Vj. passten. Ich kann Ihnen nur meine feste Überzeugung aussprechen: nicht verzetteln, Literar- und Geistesgeschichte auf einem recht guten Niveau halten, neue Gesichtspunkte nicht in methodologischen Programmen sondern praktisch in die Literaturgeschichte einführen; wenn wir nicht in irgendeinem, wenn auch bescheidenen Maße literarhistorisch Epoche machen arbeiten wir umsonst. Völlig unabhängig von einander haben mir verschiedene Herren hier und in Frankfurt gesagt: nur nicht so ein Sammelsurium wie die Dioskuren! Ich fürchte aber Sie tendieren mindestens in diese Richtung. Wenn die Jahresberichte wirklich wieder aufgenommen [werden], bin ich erst recht für Konzentration auf Spezialreferate Gelegentlich mach ich gern ein in die Zt. passendes kulturphilosophisches Referat. Poetik: ist mir Merker als langweilig verdächtig, gelesen habe ich ihn nicht.

Protestantischer Theologe Ref. »Frömmigkeitsgeschichte«.

Katholik eher für Mystik. Bernhart hochwillkommen.

Philos: Bergmann nicht.

Vosslers Beitrag selbstverständlich famos.

Interessieren Sie sich für mittelalterliche Staatslehre?

Über die Referate im Lauf der Woche mehr. Ich muss da noch einige Unlust überwinden.

Was Ph. u. Gw. anbelangt so muss ich um freie Hand bitten. Am 27. kommt Niemeyer hierher. Gott weiss was er zur Wirtschaftslage sagt. Ich muss diese Woche noch über alles nachdenken, mein Vorschlag wird sein, Prospekte zu drucken und Beiträge zu sammeln, ehe das erste Heft gedruckt wird. Das Zeitschriftenartige überhaupt auf ein Minimum zu beschränken schon um weniger Arbeit zu haben. Aber ich muss unbedingt eine Gelegenheit haben gewisse Arbeiten von denen jetzt eine nach der andern fertig wird zu drucken und so geht es anderen Leuten ähnlich. Ich kann Ihnen nochmals sagen die Zeitschrift kommt und es gibt für die Vj. keinen günstigeren Fall als den, dass jemand in beiden Redaktionen die Konkurrenzgefahr bewusst fern hält. Im übrigen berufe ich mich nochmals darauf, dass das alles schon vorher verabredet war und dass eine philosophische und historische Zeitschrift zweierlei sind. Eine Entscheidung muss jetzt fallen, da die Dilthey-Korrespondenz druckfertig ist. Gott sei Dank habe ich mir jetzt einiges vom Herzen geredet, leben Sie wohl.

Ihr Rothacker

P.S. mit Niemeyer werde ich über diese innerredaktionellen Differenzen möglichst wenig sprechen. Die Schwierigkeiten, die Sie meinen philos. Plänen in den Weg legen sind ihm dagegen ja bekannt.

Nr. 10: Redaktionsarbeit

Dass Rothackers Verstimmung durchaus ihre Berechtigung hatte, belegt der folgende Brief. Denn sowohl Walter Benjamins Wahlverwandtschaften-Essay wie eine Vorstufe von Martin Heideggers Sein und Zeit wären vielleicht in der DVjs erschienen, wenn nicht Kluckhohn gewisse Einwände geäußert hätte. Außerdem gewährt der Brief Einblick in das Alltagsgeschäft der beiden Herausgeber, das den bei Weitem größten Teil der umfangreichen Korrespondenz bestimmte.

Erich Rothacker an Paul Kluckhohn, 6. April 1923

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.9007/17

Lieber Herr Kluckhohn,

ich schicke Ihnen anbei 2 Manuskripte von Benjamin und Ullrich. Das BenjaminscheFootnote 78 hat mich gestern sehr gegen meine Dispositionen die halbe Nacht gefesselt und obwohl ich offen gestanden nicht alles verstanden habe bei erster flüchtiger Lektüre so muss ich doch sagen: wenn wir schon junge Talente fördern wollen – und wenn immer Benjamin – so liegt uns hier eine Pflicht ob. Der Aufsatz hat einen starken Eindruck auf mich gemacht. Ich wäre Ihnen sehr für eine möglichst eingehende, und auf das eben gesagte gar keine Rücksicht nehmende Äusserung dankbar. Zugleich natürlich über den besonders schwierigen Punkt was wir mit dem Aufsatz anfangen, der einen unheimlichen Umfang hat, und an dem Kürzungen nicht leicht vorzunehmen sein werden. Der Autor wird wenn er bei uns publizieren will seine Ausfälle gegen Gundolf zwar abschwächen muss [sic], wird aber den betreffenden Abschnitt nicht streichen wollen, was ich auch insofern unrichtig fände als er im Einzelnen z. B. S. 10 »planzenhaft« ganz recht hat, in prinzipiellen aber einen Standpunkt vertritt der von dem traditionellen der Schererschule ebenso weit abweicht wie der Gundolfsche und dennoch von diesem wieder durch eine ganz selbständig-moralisch-ästhetische Position radikal sich trennt. Nun wie gesagt ich bin sehr gespannt was Sie sagen werden. Einzelne »Versäumnisse« (15), »Olympier« (16), »Lebensangst« (19), und besonders Goethes »Altersstil« (29 ff), »Novelle« (30 f), fand ich wirklich bedeutend, auch in der Formulierung, die freilich oft dunkel ist.

Glauben Sie nicht dass man von dem Verfasser, der wie er mir s.Zt. sagte an die Pandora herangehen will auch etwas höchst selbständiges über diese erwarten darf? Dass er ein Buch über die romantische Kunstkritik geschrieben hat, wissen Sie vielleicht. Könnte man den Aufsatz, der ja 3 Abschnitte hat vielleicht trennen? Merkwürdig diese ganz strengen moralischen (auch Cohenzitate!) durch Goethe und Hölderlin durchgegangenen Juden.

Übrigens Elkussens Handschrift, wenn auch sonst die Differenzen des Stils und Charakters gross sind. Und ein redaktionelles Problem für sich, denn durchschnittlich wäre der Beitrag keinesfalls.

Der zweite Fall Ulrich ist leichter zu behandeln. Ein Schelerschüler, wie mir die starke Übertreibung S. 4 unten des kleineren Manuskripts schon anzudeuten scheint. Immerhin kennt er wie der beiliegende historische Abriss zeigt die Literatur. Ganz liegen tut mir diese Art der Phänomenologie nicht, aber als Beitrag zur Poetik, dazu noch von jemand mit allen psychoanalytischen Hunden gehetztem, wird ihn mancher unserer Leser mit Interesse aufnehmen, was meinen Sie? Ich fände wir könnten den Beitrag, der übrigens kurz ist, vielleicht sogar unmittelbar mit dem Sommerfeldtschen [sic] zusammendrucken. Da erst der 2. Band in Frage kommt, wird ja der letztere bis dahin auch so weit sein. Komisch ist, dass er sich S. 1 des grossen historischen Manuskripts, Anmerkg. bereits als Mitarbeiter der Vj. zitiert.

Ich wäre Ihnen für eine baldige Rückäusserung auch hier dankbar, dass ich dem Autor endlich den Empfang des Manuskriptes bestätigen kann.

Dass Gundolf zusagte habe ich Ihnen schon geschrieben. [Wilibald] GurlittFootnote 79 ist nicht totsicher, wird aber vermahnt, wenn er nächstens hierher kommt. Vielleicht war der frühe Termin 1. Mai doch etwas erschreckend.

HeideggerFootnote 80 schreibt mir eben, er arbeite grundsätzlich sehr gerne mit, werde aber mit dem Beitrag in dem Jahr nicht mehr fertig, da seine Jahrbuchpublikation sich verzögert habe. Ich schrieb inzwischen Ebbinghaus. Könnten Sie nicht von Joseph Bernhart ein Referat o.ä. über Mystik (eventuell, was doch sehr aktuell ist »katholische Philosophie« i.a. [?]) für das Philosophie-geschichtliche Heft erbitten?Footnote 81

In der Osterbeilage zur Deutschen Tageszeitung 31.3.23. hat G. v. BelowFootnote 82 in einem Aufsätzchen »die Romantik als geistesgeschichtliche Bewegung« sehr freundlich unserer beiden Bücher und der Ztschrft. gedacht. Es ist eigentlich doch recht schade dass man unter den heutigen schwierigen Bedingungen bei solchen Gelegenheiten nicht auch einmal ein Heft dedizieren kann, denn vermutlich hat Below kein Rezensionsexemplar erhalten, sondern tut das vornehmlich aus persönlichem Wohlwollen.

Was [Joseph] Müller-Blattau anbelangt so habe ich ihn um Vorschläge für Spezialreferate gebeten. Was übrigens Abert angeht, so scheinen Sie mir jetzt vielleicht etwas zu pessimistisch gestimmt zu sein. Gurlitt schrieb mir damals auch, als ich ihm mitteilte wir hätten Abert aufgefordert: A. sähe im »methodisch geschulten Philologen« das wahre Heil für die Musikwissenschaft, während ihm (Gurlitt) eine Art Vosslerscher Musikwissenschaft vorschwebe. Ich muss aber sagen, dass wir Beiträge wie Aberts »Goethe und die Musik« recht gut brauchen könnten, dass mir das sozusagen »geistesgeschichtlich« befriedigend erscheint. Lassen Sie sich das Büchlein doch einmal zur Orientierung als Rezensionsexemplar kommen, J. Engelhorns Nachf. Stuttgart 1922. Übrigens wäre mir wie Sie wissen Gurlitt als Mitherausgeber sehr willkommen gewesen. An Wolters würde ich wegen des Beterschen [?] Buches nicht schreiben, wir werden schon einen würdigen Rezensenten für dasselbe finden. Übrigens ist da wie ich aus den Verzeichnissen ersehe allerhand erschienen z. B. Moser No. 5144, Grundski [sic] No. 4764, u.A.

Nun zu den Verzeichnissen. Da ich keine Bestellkarten habe, habe ich bis jetzt nichts bestellt. Und da die ersten acht Nummern desselben vergriffen waren, und ich erst von 9 ff die Hefte habe, kann ich noch nicht alles von Ihnen vorgeschlagene bestellen. Ich schreibe aber sofort an Niemeyer um Karten. In Zukunft wäre es doch wohl wünschenswert, dass wir uns gegenseitig die bestellten Nummern mitteilen, was ja auf einem kleinen Zettelchen zugleich mit den Bestellungen geschehen kann und nicht erst Briefen einverleibt zu werden braucht. Meinen Sie nicht? Beachten Sie übrigens No. 6911 auch etwas musikgeschichtliches. Nein, das ist ja mein Ressort, es bleibt also dabei, dass Bestellungen 2‑11 nur ich ausführe, gerne übernehme ich wenn Sie wünschen auch 16,17. Bestellten Sie übrigens 4768, Karl Robert? Das hätte ich gern. Übrigens bei Niemeyer erschienen, wie ist es eigentlich mit dem technischen der Bestellungen? Nähere Adressen brauchen die Verleger wohl nicht? Schreiben Sie bei der Bestellung die No. des Verzeichnisses dazu? Für den Titel genügen doch wohl Stichworte? Sodann wie führen wir die eingegangenen Bücher auf, nach Fächern getrennt? oder vorerst, solange es so wenige sind, alphabetisch? Vor einigen Wochen traf bei mir unter der Adresse: Zeitschrift für Geisteswissenschaft ein »Die Transzendenz des Erkennens« von Frau Dr. Edith Landmann,Footnote 83 Blätter f.d. Kunst, Berlin bei Georg Bondi. Ich möchte vorschlagen dass diese Schrift, für welche Zeitschr. sie auch bestimmt gewesen sein mag, vorerst in der der Liste der Vj. aufgeführt wird solange Ph. u. Gw. noch nicht existieren. Wenn Sie den StrygowskiFootnote 84 noch nicht aufgeschnitten haben sollten, so schicken Sie ihn mir bitte. Ich habe ihn mir nämlich gekauft in der Voraussetzung dass ich das für Ph. u. Gw. anzufordernde Rezensionsexemplar dem Buchhändler zurückgeben könnte. Was mir sehr angenehm wäre denn das Buch kostet Tausende und hat einen Wert von knapp 3 Papiermark. Darin blättern müssen Sie auf alle Fälle. Besonders S. 58 letzter Abschnitt. Leider wird der Brief zu lang, sonst würde ich Ihnen eine wundervolle Geschichte erzählen die Gurlitt neulich zum besten gab als ich ihn über Str. fragte. Ich werde in Ph. u. Gw. ein Sammelreferat über »Gundlegungsliteratur« bringen (Litt, Freyer, Strygowski u.s.w.) Vielleicht auch ein besonderes über Geschichtsphilosophie, alles übers Jahr, übers Jahr [sic], für dieses Jahr bin ich besetzt. Bei der Gelegenheit soll Str. gehörig hoch genommen werden. Wir sind da übrigens bei einem alten Thema aber Sie werden doch auch finden, dass diese vorwiegend philosophischen Referate in die philosophische Abteilung gehören. Dagegen hätte ich sehr gerne ein wissenschaftsgeschichtliches [hds. Zusatz: Deutscher Geist] Referat in die Vj. alle Literatur über Deutsche Historiographen, Philologen, Kunsthistoriker etc. also auch Biographien. Ist Ihnen das Recht? Dazu besorgen Sie mir vielleicht das Buch über Gervinus von dem Sie mir einmal erzählten. Ich muss die Sachen doch lesen für eine kommende Auflage meiner Einl.. In unserem Verzeichnis können wir auch anführen: Jos. Müller-Blattau, Grundzüge einer Geschichte der Fuge. Königsberger Studien zur Musikwissenschaft, I, 1923, verlegt durch das Musikwissenschaftl. Seminar, Königsberg i. Pr. Auslieferung durch die Musikalienhandlung K. Jüterbock in K.i.Pr. Viele Grüsse für heute Ihr Rothacker.

Nr. 11: Im »geistesgeschichtlichen Strudel«

Gegen Ende der 1920er Jahre hatte sich die Geistesgeschichte so weit etabliert, dass die polemischen Kämpfe einer sachlicheren Auseinandersetzung um die spezifischen Aufgaben der Philologie, Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte wichen. Um 1930 fand ein eher stiller Wandel in den Beiträgen der DVjs statt; plakativ gesagt: Der Autorentyp Herbert Cysarz mit seinen steilen Thesen zur Geistesgeschichte wurde durch das Modell Robert Petsch mit seinen Untersuchungen zur Form von Drama und Epik verdrängt.

Erich Rothacker an Julius Petersen, 28. Januar 1930

DLA, D: Petersen 62.416/2

Sehr verehrter Herr Petersen!

Ich lese eben mit grossem Interesse Ihre AnzeigeFootnote 85 von Franz Schulzens [sic] Dialogen und möchte Ihnen, da ich mich durch Ihre SchlussbemerkungFootnote 86 doch ein wenig mitgetroffen fühle, doch ganz gerne sagen, inwiefern ich Ihrer Bemerkung gegen den »geistesgeschichtlichen Strudel« gerne zustimme, in welcher Hinsicht nicht. Ich halte Geistesgeschichte durchaus für keine rein oder speziell literarhistorische Angelegenheit, sondern für eine Aufgabe, welche idealiter nur an literarischen, philosophiegeschichtlichen, kunstgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen etc. Material zugleich erfasst werden kann; und insofern einen einheitlichen Process zum Thema hat, der sich im Material dieser Einzelwissenschaften nur partiell spiegelt. Wieweit seine Erarbeitung praktisch möglich sein wird ist eine Frage für sich, die m. E. nur Forschungsinstitute oder nur [neue?] Vermögensbildungen lösen werden. Die letzte Lösung käme für meine Person leider zu spät.

Etwas anderes ist »Geistesgeschichtliche Methode« innerhalb der Literaturgeschichte, d. h. Fruchtbarmachung geistesgeschichtlicher Erkenntnisse für die Interpretation des Gehaltes der literarischen Kunstwerke. Hier spielt nun die geschilderte Situation, dass die eigentliche geistesgeschichtliche Arbeit keine legitime Stätte hat, eine eigenartige Rolle: Ganz gewiss würde eine ganze Reihe von Literarhistorikern zur Geistesgeschichte abwandern, wenn das im angedeuteten Sinn äusserlich möglich wäre, während ihr die treu bleiben würden, die ihre Aufgabe in der Geschichte der literarischen Form als der, auch nach meiner Ansicht eigentlich legitimen Aufgabe der Literaturwissenschaft sehen. Solange aber die von den Formfragen letztlich gar nicht ablösbaren Gehaltsfragen nicht von einer selbständigen geistesgeschichtlichen Forschung, (welche die gemeinsamen wenn immer vielschichtigen Hintergründe aller besonderen geistigen Strömung zu erforschen hat) gefördert werden, werden einzelne Forscher, und das ist ein ganz beträchtlicher und sehr begabter Teil der jüngeren Generation[,] nicht gut aus der ihnen durch eine immanente Notwendigkeit der Sache vorgeschriebenen Bahn zu werfen sein.

Also: Entlastung der literarischen Formforschung durch Organisation spezifisch geistesgeschichtlicher Arbeit, welche allen historischen Sonderdisziplinen gleicher Weise zu gute käme. In diesem Sinne möchte ich auch das Programm meiner V.J. interpretieren: Literaturwissenschaft als Erforschung der literarischen Form, wozu in erster Linie Kunstverstand gehört, Geistesgeschichte als gemeinsame Aufgabe aller historischen Geisteswissenschaften, von deren Erfüllung eine für alle diese Disziplinen wünschenswerte Entlastung von mehr oder weniger einseitig und unmethodisch betriebenen geistesgeschichtlichen Teilaufgaben abhinge. Gleichzeitig schicke ich Ihnen eine kleine Gelegenheitsarbeit und bin mit den besten Empfehlungen Ihr aufrichtig ergebener E. Rothacker.

Nr. 12: Ein ›glücklicher‹ Ministerialbeamter

Eher selten findet man in den Korrespondenzen von Geisteswissenschaftlern Aussagen, dass ein Protagonist sich glücklich fühle. Für Rothacker ging 1933 ein Traum in Erfüllung. Für kurze Zeit durfte er glauben, Wissenschaftspolitik im großen Maßstab zu machen. Kluckhohn kümmerte sich unterdessen weitgehend allein um die DVjs. Nach dem Ende des NS-Regimes behauptete Rothacker, niemals Beamter des Propagandaministeriums gewesen zu sein und weder eine schriftliche Ernennung noch ein Gehalt erhalten zu haben.Footnote 87

Erich Rothacker an Paul Kluckhohn, 14. April 1933

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.9023/10

Lieber Kluckhohn, Du scheinst die Zeitungsnotiz überlesen zu haben, dass ich vor einigen Tagen in das Ministerium Goebbels als Leiter der Abteilg für Volksbildung berufen wurde. Wenn alles gut geht, ist das das kommende Reichskulturministerium. Nicht ohne dass einige Ressortkämpfe mit den Landesministerien wohl vorausgehen werden. Ich habe den Dienst sofort angetreten, was den Nachteil hatte, dass ich von Geschäften in einem schlechthin garnicht zu schildernden Maasse überrannt worden bin. Dass ich dennoch sehr glücklich bin, kannst Du Dir denken. Aber wie ich die laufenden Privatgeschäfte neben einem Dienst von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends und dann womöglich von einer Verabredung zum Abendessen mit irgendeinem halbamtlichen Charakter, noch erledigen soll ist mir ein völliges Rätsel. Zumal ich in meinem neuen Büro noch keine Sekretärin habe und zu Hause erst recht keine. Über Ostern habe ich mich da auch Goebbels verreist ist, für ein paar Tage losgeeist. Aber auch das bringt mir keine Erholung, da ich um der Reise den Charakter als Dienstreise zu geben, erst in Weimar, dann in Bonn und dazwischen in Heidelberg amtliche Geschäfte erledigen muss. Was eine grosse Hetze sein wird. Leider muss ich Goebbels am Mittwoch 19. wieder vortragen, sonst wäre ich gerne zur Frankfurter Tagg gefahren. Ausgeschlossen ist es nicht, dass ich das noch tun werde, aber nicht sehr wahrscheinlich. Sei mir nun nicht bös wenn ich Dir erst nach und nach einiges erzähle zumal die ganze Geschichte erst im Werden ist, und ich nächste Woche erst Referenten bekomme usw. Lass Dich nur herzlich bitten mir für diese nächste Zeit die Redaktionsgeschäfte anzunehmen.

Zu fragen brauchst mich überhaupt nichts, da ich doch keinen Gedanken fassen kann. Höchstens im Telegrammstil berichten, wie das nächste Heft werden soll. EberleinFootnote 88 werde ich als einen meiner Räte vorschlagen, für Kunsterziehung. Mit dem Oktoberheftvorschlag [hds. darüber: Renaissance v. Burdach], den Du am 6. machst, bin ich ganz einverstanden. Auf Wechsler als Mitarbeiter lege ich keinen übergrossen Wert.

Die Sache im Kultusministerium hat nicht geklappt, umso großartiger, dass Goebbels sofort zugriff. Natürlich habe ich nun bis auf weiteres auf die preussischen Hochschulen nur beschränkten Einfluss.

Kennst Du übrigens Herrn v.d. württembergischen Hochschulverwaltung näher? mit denen man über »Gleichschaltung« verhandeln könnte, wie ich es in Thüringen u. Heidelberg eben tue. Es handelt sich nicht etwa um Benachteiligung von stammes- und landschaftscharakteren [sic], sondern um eine Entfaltung derselben im Rahmen einer einheitlichen deutschen Ordnung. Dafür garantiert schliesslich mein eigener schwäbischer Stammescharakter. Weiter bitte ich Dich herzlichst als mein Tübinger Vertrauensmann mir über alle kulturpolitisch wesentlichen Dinge Vakanzen, Berufungen, Konflikte usw. stichwortartige Nachrichten zukommen zu lassen.

Auch Dein Schüler SchumannFootnote 89 soll mir alles schreiben was er auf dem Herzen hat.

Eure Senatsentschliessung benötige ich dringend: bitte doch Euren Kanzler mir sie offiziell zu schicken.

Meine Adresse lautet: Prof. R… Persönlich. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda; Abteilg 7. Wilhelmsplatz.

Für die Konservative RevolutionFootnote 90 vielen Dank, herzlichen. Ich werde einzelnes für eine Denkschrift verwerten.

Was das Gegenwartheft angeht, so wollen wir die Frage lieber etwas vertagen. Und in einigen Wochen habe ich mich hoffentlich so weit wieder eingerichtet, dass ich auch einige private Gedanken wieder fassen kann.

Grüsse Deine liebe Frau herzlichst auch von Kätschen.

Dein Rothacker

[hds. Zusatz]

Nr. 13: »Betrifft: Buchreihe: Vertraulich«

Die Weltwirtschaftskrise bescherte dem wissenschaftlichen Buchmarkt langwierige Absatz- und Strukturprobleme, die sich im Handel mit Monographien stärker auswirkten als bei den Zeitschriften. Insofern kann die Buchreihe als Indikator für eine Entwicklung dienen, die auch die DVjs betreffen sollte.Footnote 91 Die Frage lautete, wie sich unter den gegebenen Bedingungen geisteswissenschaftliche Publikationen finanzieren ließen.

Hermann Niemeyer an Paul Kluckhohn, 5. Februar 1938

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8874/7

Lieber Kluckhohn!

Endlich komme ich dazu, Ihren ausführlichen Brief vom 29.1. zu beantworten, und hoffe, dass ich dabei nicht allzu oft unterbrochen werde.

Zunächst Ihnen und Herrn Prof. Rothacker meinen grossen Dank für Ihre grundsätzliche Zustimmung zu meinen Vorschlägen.Footnote 92

Es hat mich besonders gefreut, dass von so kompetenter Seite die Grundsätze meiner bisherigen Verlagsführung anerkannt wurden. Solche Zustimmungen haben mir immer wieder Mut und Auftrieb gegeben, bei dem geduldigen Zuwarten der letzten Jahre.

Gleich Ihnen nahm ich bisher eine Krisenzeit an, seit einiger Zeit glaube ich aber, es handelt sich nicht um eine vorübergehende Wirtschaftskrise für den wissenschaftlichen Verlag, sondern es vollzieht sich eine völlige Umwälzung auf geistigem Gebiet, deren Auswirkung sich in keiner Weise überblicken lässt. Das alte wissenschaftliche humanistische Ideal soll verblassen. Ob gegen den aufkommenden Amerikanismus die alte Universitas zu halten ist, erscheint fraglich.

Wie ich bereits schrieb: Die Entscheidungen gehen für mich nicht mehr in erster Linie um geschäftliche Vor- und Nachteile, sondern um die Frage, ob es möglich sein wird, eine gewisse Höhenlage deutscher Forschung und Wissenschaft auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften noch aufrecht zu erhalten und fortzuführen. Vielleicht ist die Zahl der Interessierten noch grösser als es scheint, aber diese sind materiell und geistig entrechtet und kämpfen einen Kampf mit ungleichen Waffen.

Um das Angedeutete zu beleuchten, ein Beispiel: Soll ein Verlag wie der meinige Bücher wie »Langenbucher, Dichter der Zeit«Footnote 93 verlegen? Würden Sie es über sich bringen, solchen Stil mitzumachen? Dabei will ich solche Bücher als auch notwendig durchaus gelten lassen. Mit ihnen wird jedenfalls das Geschäft gemacht. Ihr Ankauf wird nachdrücklich empfohlen, sodass ohne weitere Reklame mit Schulen, Volksbibliotheken und Lehrern als sicheren Abnehmern zu rechnen ist. Falsch ist aber, dass nichtempfohlene Bücher bei allen diesen Stellen kaum noch Beachtung findet, aus Angst, sie könnten unerwünscht sein.

Hierhin gehört auch das sehr schwierige Kapitel »Propaganda«. Nur wer jahrelang die Wirkungen verschiedener Propagandaarten in der Praxis beobachtet, kann sich über notwendigen bzw. unfruchtbaren Umfang der Propaganda ein Urteil bilden. Jede marktschreierisch, mit Superlativen arbeitende Reklame scheidet von vorneherein für den ernsten wissenschaftlichen Verlag aus. Die Versendung des vornehmen Prospektes, die Aufgabe von Anzeigen und Rezensionen in einschlägigen Zeitschriften sind die üblichen wirtschaftlich tragbaren Propagandamittel. Das Adressenmaterial setzt sich zusammen aus: Bibliotheken und Fachgelehrten des In- und Auslandes. Aus Schulen und Lehrern, Buchhändlern und Mitgliedern gelehrter oder sonstiger Gesellschaften. Mehr Interessenten kann nur der ortsansässige Sortimenter feststellen.

Tausende und Abertausende von Prospekten und Katalogen sind in dieser Weise immer wieder von uns verteilt. Ich habe schon früher Herrn Prof. Rothacker einmal geschrieben,Footnote 94 er sollte doch nicht die billige Ausrede glauben: »Das Buch kenne ich noch nicht, ich habe noch nie eine Anzeige erhalten«. Der Mann hat meist so oft den Titel gelesen, dass er glaubt, sein Ansehen könnte darunter leiden, wenn er zugibt, das Buch nicht gelesen zu haben, zumal wenn er vom Autor selbst interpelliert wird. Ich gebe zu, dass ich den blödsinnigen Reklameaufwand, wie er in »goldenen« Zeiten von sogenannten »Reklamechefs« einiger Verleger betrieben wurde, nie mitgemacht habe. Leider zu spät erkannte der Buchhandel, dass durch ein planloses »Zuviel« nur die rasche Füllung der Papierkörbe erreicht wurde. Herr Kollege Kohlhammer hat ganz recht, wenn er feststellt, das der Abnehmerkreis für das geisteswissenschaftliche Buch auf ein Minimum gesunken ist. Schirmer’s Englische LiteraturgeschichteFootnote 95 ist eines der bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Bücher, die in den letzten Jahren erschienen sind. Sein Erscheinen füllte eine peinliche Lücke aus. Der Verlag hat rund 2000 Prospekte verschickt. Die Rezensionen des In- und Auslandes sind einfach fabelhaft. Um den bisherigen Absatz von rund 700 Exemplaren beneiden mich die Kollegen. Das also ist heute ein Rekord!! Der Verlag hat dabei die knappe Hälfte der Herstellungskosten gedeckt.

Damit komme ich wieder auf unsere Buchreihe. Bedenken wir, an welch kleinem Kreis sich die meisten Bände wenden! So ist das Absatzergebnis gar nicht so schlecht.

Von 1‑9 (mit Ausnahme des ganz speziellen PiurFootnote 96) sind ja 300 bis zu 650 Expl. verkauft. Ab Band 10 [1927] beginnt die Not. Der Absatz der meisten dieser Bände liegt unter 300. Zu meiner Genugtuung sehe ich, dass ich vorausahnend die Auflagenzahlen stark gekürzt habe. Sowie die Themen allgemeiner sind wie bei Stadelmann,Footnote 97 Naumann-Müller,Footnote 98 PetschFootnote 99 und FranzFootnote 100, liegt der Absatz über 300. Es ist nun verständlich, dass bei den Büchern mit kleinen Auflagen die Ladenpreise verhältnismässig hoch sind, wodurch die Buchreihe im ganzen genommen teuer wird. Während z. B. Franz, Petsch u. a. billig kalkuliert sind.

Es wäre aber gänzlich falsch zu glauben, dass der Germanist GabettiFootnote 101 die Buchreihe kaufen würde, selbst wenn ich sie ihm zum halben Preis anböte. Der Absatz deutscher Bücher ist in die romanischen Länder seit jeher ein so geringer gewesen, dass er kaum ins Gewicht fällt – die Leute hatten niemals viel Geld, und bei der heutigen Devisenlage sind die Schwierigkeiten des Auslandsabsatzes noch viel grössere geworden.

Den Preis muss der Verleger nach der Zahl der Käufer richten, und nicht nach den Leuten, denen jede Ausgabe für ein Buch unmöglich ist.

Ich möchte nun die Preise auf keinen Fall noch mehr belasten. Durch Erhöhung der Honorare würde dies aber notwendig werden. Im schöngeistigen Verlag, der mit Auflagen von 5000 Expl. an rechnet, gilt 15 % als Normalhonorar und 20 % vom Ladenpreis als Höchsthonorar. Meine Bitte um Reduzierung des Honorars geschah mit Rücksicht auf die Kalkulation. Ein Band wie Naumann-Müller wäre einfach nicht zu machen gewesen, wenn zu den 15 % für den Autor noch ein Redaktionshonorar gekommen wäre. Ab Band 10 der Buchreihe sind Naumann und Petsch die einzig aktiven Bände für mich. Franz verspricht es zu werden. Ich hatte lange überlegt, ob es möglich ist, diesen Band innerhalb der Buchreihe zu kalkulieren.

Ich meine nun, wir wollen an den Abmachungen über die fertigen Bände, also bis zum 23. Bd. nichts ändern. Ich rechne darüber wie bisher ab. Die gehabten Ausgaben an Herstellung sind von mir verschmerzt.

In Zukunft aber bitte ich um die einheitliche Linie: Die Herausgeber erhalten 5 % vom Ladenpreis des brosch. Expl. vom Absatz über 300 Stück. Die Abmachungen mit dem Autor müssen sich nach den Erfolgsaussichten des Buches richten. Dabei bleibt es sowohl dem Herausgeber wie dem Verlag überlassen, ob sie Bände, die keinen Absatz über 300 Stück versprechen, überhaupt betreuen wollen. Jedenfalls werde ich, sobald mir ein gutes geisteswissenschaftliches Buch, welches Erfolg verspricht, angeboten wird, im Hinblick auf die Neuregelung mit weniger Hemmungen das Buch an die Buchreihe empfehlen.

Mir geht es auch gegen den Strich, den Band WeiseFootnote 102 zu teuer zu machen. Es sind 26 Bogen (Text) und 8 Bogen Exkurse, dazu 60 Abbildungen auf 2 Bogen. Der normale Preis würde etwa 26.– sein, für das broschierte Expl. Ich will diesen Preis gern anstreben, und wenn Herr Prof. Weise 1500.– RM Zuschuss erhält und vor allem umfangreiche Korrekturen vermieden werden, ist schon viel geholfen. Gegen die Teilung in 2 Bände hätte ich keine Bedenken. Der Privatmann kauft ein solches Werk leichter, wenn die Ausgabe sich zeitlich verteilt, und nimmt dabei eine Mehrzahlung von RM 2.– für den Einband in Kauf. Allerdings sind wieder andere Interessenten, die von ersten Bänden nichts wissen wollen, weil sie den Umfang zweiter und folgender Bände fürchten. Da das Manuskript ganz vorliegt, der zweite Band also sichergestellt ist, ist es für mich gleichgültig, wie diese Frage entschieden wird. Es wäre natürlich ideal, wenn das Buch nach Ihrem Vorschlag auf 18-20 Bogen gebracht werden könnte. Der Absatz würde ein viel leichterer sein. Soeben erhalte ich den ausführlichen Brief von Herrn Prof. Weise, und er schreibt, dass er einen Durchschlag auch Ihnen zugeschickt hat. Nach seinen Ausführungen sind die Kürzungen, die er vornehmen will, offenbar das Äusserste, was er uns zugestehen möchte. Vor allem das Hineinarbeiten der Exkurse in den Text scheint mir doch nicht möglich zu sein, ohne den Charakter des ganzen Buches zu verändern.

Es ist schade, dass Herr von WartburgFootnote 103 in Amerika ist. Er kann nur nach dem Manuskript entscheiden, ob er die Exkurse in die Beihefte nehmen will. Ich glaube, er wird es nicht tun. So wertvoll die Zusammentragung und die Beobachtungen für den Romanisten sein mögen, diese literarisch-kulturelle Auswertung der Texte liegt an der Peripherie der Aufgaben der Z.R.Ph. Ich kann auch verstehen, dass Herr Prof. Weise nur ungern auf die Exkurse, die seine Gedankengänge unterbauen, im Buch selbst verzichtet. Obwohl an Kosten bei der Verwendung von Petit-Satz wenig gespart wird, will ich doch den Exkursen, um diese vom Haupttext abzuheben, zum mindesten die Beispiele in Petit bringen. Vor der Drucklegung werde ich mir noch eine neue Satzprobe anfertigen lassen.

Ittenbach hat mir noch nicht geantwortet. Ich hoffe, dass er auf Ihre Vorschläge eingehen wird, damit wir diesen Band in die Buchreihe bringen können.Footnote 104 Von dem späteren Band »Petsch, Dramaturgie«,Footnote 105 der sich auch an die Schulkreise wendet, verspreche ich mir einen flotten Absatz.

Ich schrieb Ihnen von den Gehältern einiger Dozenten.Footnote 106 Diese Fälle scheinen doch nicht so vereinzelt zu sein. Prof. Baesecke erzählte mir erst neulich, dass er sich 5 Mal im Kultusministerium bemüht hat, Prof. Wagner hier zu halten. Es ging aber nicht, und Wagner, mit 3 Kindern, sah sich genötigt, rein aus pekuniären Gründen an eine Hochschule für Lehrerbildung zu gehen, wo seine wissenschaftliche Tätigkeit erschwert ist. Sehr schade für Halle.

Die Rechnung mit den 36000 RMFootnote 107 hat der Rektor von Giessen als Unterlage für eine Sitzung mit Vertretern des Ministeriums aufgemacht. Es muss doch also stimmen.

Entschuldigen Sie tausend Mal, dass ich Sie nochmals durch ein so langes Schreiben aufgehalten habe. Mögen Sie daraus ersehen, wie schwer es mir wird, Ihnen und Herrn Rothacker die Bedingungen zu verschlechtern. Ich halte es für notwendig, dass Sie wirklich davon überzeugt sind, dass der Ernst der Lage mich zu solchen Massnahmen zwingt. Die neuesten Nachrichten über die grosse Umwandlung in den Reichsstellen tragen nicht dazu bei, meinen Pessimismus zu mildern.

Für heute mit herzlichen Grüssen von Haus zu Haus!

Ihr H. Niemeyer

Von der Nachricht NeumannFootnote 108 hat Ihnen wohl Frl. Lezius Kenntnis gegeben? Wir lassen die Bücher also zurückkommen.

Nr. 14: Neubeginn

Nach dem Jahrgang 1944 setzte die DVjs ihr Erscheinen erst 1949 fort, ohne dass in der Zwischenzeit die Arbeit an der Zeitschrift unterbrochen worden wäre.Footnote 109 Im Rückblick irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Redaktionsgeschäfte fortgesetzt wurden, als ob nichts geschehen wäre.

Paul Kluckhohn an Hermann Niemeyer, 24. November 1945

Durchschlag, DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.7959/3

Lieber Niemeyer!

Endlich ist es so weit, daß man nach den anderen Gebieten Deutschlands Briefe schreiben kann und ich so mit Ihnen hoffentlich wieder direkte Verbindung bekomme. Es war mir eine große Freude und Beruhigung, inzwischen durch Siebecks zu hören, daß Ihre Familie und Ihr Haus durch die Monate der Katastrophe relativ gut hindurchgekommen sind. Von meiner Frau und mir werden Sie durch die Ihren Aehnliches vernommen haben. Meine Frau hat zwar lange an einer sehr schweren Krankheit infolge schwerer Sepsis (Thrombose u. a.) gelegen, was für mich eine böse Sorge und starke Nerven- u. a. Inanspruchnahme bedeutete, inzwischen sich aber doch einigermaßen erholt, und wir sind sehr dankbar, noch in unserem Hause sein zu dürfen und wenigstens ein Zimmer warm zu haben. Von Rothacker habe ich neulich auch leidliche – dafür muss man heute ja schon dankbar sein – Nachrichten erhalten. Auch er ist noch in seinem Hause, wenn auch hungernd und weniger leistungsfähig, und kämpft noch um seine Wiedereinstellung, die hoffentlich durchgehen wird, da in Bonn ja seine scharfe Kritik an der Partei usw. bekannt ist. Dagegen habe ich meine Bemühungen für seine Berufung nach Tübingen als nahezu aussichtslos erkennen müssen, weil hier das, was er in den letzten Jahren gesagt hat, wenig bekannt ist, aber das, was im letzten Kapitel seiner Geschichtsphilosophie steht, jedem vor Augen liegt. Sie werden sich denken können, daß ich das ganz ausserordentlich bedauere. Für den Fall, daß er in Bonn nicht wieder eingesetzt werden würde, glauben Sie, daß das seine weitere Mitherausgeberschaft an unserer Vierteljahrsschrift in Frage stellen würde? Sie wissen, wie sehr ich ihn und mich in dieser Hinsicht als zusammengehörig empfinde und wie wenig ich geneigt war, auf die Zusammenarbeit mit ihm zu verzichten und das gilt auch für heute. Ob sich das Weiterbestehen der Vierteljahrsschrift und ihr Druck und Erscheinen in Halle jetzt wohl bald wird erreichen lassen? Ich würde das sehr wünschen, im anderen Falle aber natürlich auch den Ausweg begrüssen, von dem Ihr Herr Schwiegersohn mir sprach als von Ihrem Vorschlag, einstweilen der Firma J.C.B. Mohr den Verlag zu übergeben. Wenn es schon nicht Max Niemeyer Verlag sein kann, dann wäre die Firma J.C.B. Mohr die willkommenste, mit der mich ja auch gute persönliche Bande verbinden.

Es dürfte das Nächstliegende sein, den Jahrgang 1945 einfach zu überspringen und Bd. XXIII 1946, das erste Heft gegen Ende des Winters, erscheinen zu lassen. Dabei würde das Referatenheft 1944 wohl unter den Tisch fallen müssen. Die beiden Referate, die für dieses Heft in erster Linie vorgesehen waren, Kindermanns Goethereferat und der II. Teil von Naumanns Epik-Referat dürften nicht nur der belasteten Persönlichkeiten ihrer Verfasser wegen, sondern voraussichtlich auch wegen so mancher Stellungnahme und Urteile heute kaum mehr tragbar sein, sodaß wir auf sie verzichten müssen. Bis aber andere Referate zur Verfügung stehen würden, würde voraussichtlich doch soviel Zeit vergehen, und es wird ja auch für die nächste Zeit und noch länger mit nur langsamer Ausführung der Druckaufträge zu rechnen sein, sodaß das nächste Referatenheft wohl nicht vor Ende des Jahres 1946 würde herauskommen können und dieses Heft dann noch als Referatenheft 1944 zu bezeichnen und das Referatenheft 194[5] erst Ende 1947 herauszubringen usw. dürfte etwas seltsam und verwirrend sein. Da wäre es wohl besser unter Entschuldigung durch die Zeitumstände das zugesagte Referatenheft 1944 unter den Tisch fallen zu lassen. Es wäre dann zu überlegen, ob wir in Zukunft zur Erleichterung der Redaktionsgeschäfte auf die Einrichtung der besonderen Referatenhefte wieder verzichten, und, wenn möglich, die einzelnen Hefte wieder etwas stärker machen wollen, was ich hiermit zur Diskussion stellen möchte.

Für die nächsten Hefte sind Beiträge von [Gustav Klemens] Schmelzeisen, Liselotte Moeller, Joachim Müller, [Friedrich] Sengle, [Adolf] Dyroff schon gesetzt, Manuskripte von Hermann Binder und Benno von Wiese bei Ihnen in Halle; ein Manuskript von Werner Günther-Neuchâtel »Ueber die absolute Poesie. Zur geistigen Struktur neuerer Dichtung« liegt bei mir, das ich zunächst zurückgehalten hatte, weil darin Namen wie Thomas Mann zitiert sind, nun aber in das erste Heft geben möchte, ferner noch ein Manuskript von Rudolf Meissner. In absehbarer Zeit würde auch ein Aufsatz von [Friedrich Wilhelm] Wentzlaff-Eggebert über den Kreuzzugsgedanken des Mittelalters und auch ein Aufsatz von mir fertiggestellt werden können. Damit hätten wir Material für mehr als 2 Hefte beisammen und von den Beiträgen, die seit längerer Zeit in Aussicht stehen, dürfte der eine oder andere sich wohl auch noch erreichen lassen, sodaß einem normalen Weiterlauf der Deutschen Vierteljahrsschrift von inhaltlicher Seite aus keine Schwierigkeiten im Wege stehen würden.

Ob wir dafür auch noch ein Kapitel aus dem zweiten Teil der Dramaturgie von PetschFootnote 110 würden bekommen können, das ist mir noch nicht klar. Wie Sie wohl auch inzwischen erfahren haben werden, ist Petsch am 10. September gestorben. Ich erhielt die Nachricht schon vor einiger Zeit durch einen gemeinsamen Schüler und vor ein paar Tagen von Frau Petsch direkt.Footnote 111 Wir dürfen seinetwegen nicht klagen, müssen vielmehr dankbar sein, daß ihm Bitternisse erspart geblieben sind, die ihm sehr wahrscheinlich noch beschieden gewesen wären. Für die Wissenschaft und für uns ist dieser Verlust freilich schwer. Nachdem ein großer Teil seines Lebenswerks durch die Luftangriffe auf Hamburg zerstört worden war, hat er nun auch die Dramaturgie nicht fertigstellen können. Frau Petsch schreibt mir darüber: »Der zweite Band Dramaturgie wurde noch im Stoff fertig, der nur ungeordnet und ungekürzt blieb, eine Arbeit, die er immer noch vorhatte. Das Erscheinen des ersten war ihm eine große Freude.« Ich habe sie daraufhin gefragt, ob wohl einer seiner Schüler diese Schlußarbeit am II. Band würde ausführen können. Ich würde es natürlich sehr bedauern, wenn die Dramaturgie von Petsch ebenso wie die »Wissenschaft von der Dichtung« von PetersenFootnote 112 ein Torso bleiben müsste. Bei der Eigenartigkeit, ja Eigenwilligkeit der Methode und Terminologie von Petsch wäre es für jemanden, der nicht sein Schüler war, eine schwierige Aufgabe, solche Schlußredaktion durchzuführen. Wie liegen aber überhaupt die Möglichkeiten für Sie, einen II. Band von Petsch herauszubringen? Ja, wie steht es überhaupt mit einer Fortführung Ihrer Verlagspläne? Und der ganzen Existenz Ihrer Firma? Ich hoffe sehr, darüber bald einigermassen beruhigende Nachrichten von Ihnen zu erhalten und brauche Ihnen kaum zu versichern, daß ich sowohl aus sachlichen wie aus persönlichen freundschaftlichen Gründen von Herzen wünsche, daß die Firma Max Niemeyer weiterbestehen und weiter produzieren dürfe. Da Sie nicht zur Partei gehört haben, werden Sie hoffentlich politisch keine Schwierigkeiten haben. Mir kommt dieser Umstand der Nichtzugehörigkeit zur Partei jetzt auch sehr zugute, wenn er mir auch manche Arbeit auferlegt. Wissen Sie noch, wie ich bei meinem letzten Aufenthalt in Diessen einen Brief vom Dekan meiner Fakultät bekam mit der dringenden Bitte, dem NS-Dozentenbund beizutreten? Ich habe ja damals und bei anderen Gelegenheiten widerstanden, was nicht ganz leicht war, worüber ich selbst aber jetzt sehr froh bin.

Wir stehen hier jetzt in regem Semesterbetrieb, obwohl wir viel frieren müssen. Die germanistischen Vorlesungen und Uebungen, besonders die Anfängerübungen, sind wieder überfüllt. Besonders störend ist die Unmöglichkeit eine ausreichende Zahl von Grammatiken und Texten zu beschaffen. Haben Sie noch Exemplare der mittelhochdeutschen Grammatik und werden Sie wohl noch im Laufe der nächsten Monate Pakete hierher schicken können?

Dabei noch eine andere Frage. Haben Sie die Möglichkeit, Bücher in das englisch besetzte Gebiet zu schicken? Wenn ja, so lässt Herr Prof. Friedrich MartiniFootnote 113 Sie bitten, Bücher, die für das Referat Erzählkunst bestimmt sind und noch in Halle liegen, ihm nach Schleswig, Flensburger Str. 40 bei De Boor senden zu lassen. Ich bezweifle aber, ob das möglich sein wird.

Von dem Allgemeinen lassen Sie mich schweigen. Ich weiß, daß Sie da ähnlich empfinden und leiden werden wie ich. Persönlich lassen Sie mich Ihnen noch herzliche Wünsche für die Ihren sagen, im besonderen den Wunsch, daß ihr Max bald zurückkehren möge. Von meinem Neffen Erwin, dem Kunsthistoriker,Footnote 114 dem einzigen Sohn meines Bruders, der zuletzt als Leutnant in Ostpreussen kämpfte, ist seit Januar keine Nachricht mehr gekommen. Von meinen Verwandten in Berlin und von unseren verschiedenen Wiener Freunden haben wir auch noch gar nichts gehört usw.

Mit sehr herzlichen Grüßen von Haus zu Haus

treulich Ihr

Nr. 15: Verlagsprobleme im Osten und Westen

Ausgestattet mit einer »uneingeschränkte[n] Vollmacht zur Vertretung meiner Verlagsinteressen in den westlichen Besatzungszonen«Footnote 115, ließ Hermann Niemeyer seinen Mitarbeiter Greif SanderFootnote 116 in allen drei westlichen Besatzungszonen Möglichkeiten für eine Zweigniederlassung des Verlags sondieren, um eine Druckgenehmigung für die DVjs zu erlangen.

Greif Sander an Paul Kluckhohn, 27. Oktober 1946

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.9053/2

Sehr geehrter Herr Professor!

Von laengeren Besprechungen aus Halle zurueckgekehrt finde ich Ihren Brief vom 10.d.M. vor und bitte, meinen verbindlichsten Dank entgegenzunehmen. Sicher werden Sie inzwischen das von Herrn Niemeyer an Sie gerichtete Telegramm und angekuendigten Brief erhalten haben. Den naeheren Kommentar zu diesen zu geben, bin ich beauftragt.

Leider ist Herr Niemeyer nicht imstande, offen oder auch nur mit einer Andeutung von Offenheit ueber dortige Zustaende und Probleme zu schreiben. So ist erklaerlich, dass die katastrophale Lage des Privatverlages drueben nur wenig bekannt und von hier aus kaum im ganzen Umfange uebersehen werden kann. Die wenigen Privatverlage die neben den wie Pilze emporgeschossenen, alles an sich reissenden Staatsverlagen wie »Volk und Wissen«, »Aufbau« usw. bisher lizensiert worden sind, haben eine Produktion im allgemeinen noch nicht aufnehmen koennen. Boehlau in Weimar z. B. hat seit 1. April d.J., dem Tage seiner Lizensierung einen Band Schiller gedruckt. Herr Niemeyer selbst fuehrt seit Monaten einen hartnaeckigen Kampf um die Lizenz, der bei taeglich neuen Enttaeuschungen und Querschlaegen einen unsagbaren Aufwand an Geduld und Nervenkraft erfordert. Es ist leider, nachdem die fuer September mehrmals muendlich zugesagte Lizenz auch im Oktober nicht erteilt worden ist, an der Unaufrichtigkeit der gegebenen Versprechungen kaum mehr zu zweifeln. Als vorbeugende Massnahme, die evtl. sich auf den ganzen Verlag ausdehnen kann, hat sich Herr Niemeyer daher entschlossen, mich mit der Errichtung eines Zweigverlages im Westen zu beauftragen. Dass das Unternehmen vorlaeufig unter meinem Namen laufen muss, ist ein Erfordernis der Verhaeltnisse. Denn, wuerde der Name Niemeyer im Westen auftauchen, so waere eine sofortige entschaedigungslose Enteignung des Geschaefts- und Privatbesitzes die umgehende Folge, was bereits an mehreren Beispielen deutlich dokumentiert worden ist. Es ist daher auch eine von Herrn Niemeyer gewuenschte und vorgesehene Reise hierher augenblicklich nicht moeglich. Die Zustaende haben sich nach den Wahlen erheblich verschaerft, da bei dem geringen Vertrauen der Bevoelkerung zur SED eine hoehere Einmischung ueber dieses Organ nicht mehr recht erfolgreich zu sein scheint. Zu Anfang naechsten Jahres hofft Herr Niemeyer allerdings, diese Reise unternehmen zu koennen. Ich persoenlich bin auf das mir von Herrn Niemeyer trotz meiner Jugend gegebene Vertrauen stolz und hoffe ihn nicht zu enttaeuschen.

Nach den Plaenen Herrn Niemeyers war als Sitz des Verlages zunaechst Bonn bzw. Honnef vorgesehen, da mir hier ein freundschaftliches Unterkommen bei Herrn Prof. Arntz geboten wurde. Die ersten vier Wochen Bonner Erfahrungen haben allerdings kein wesentlich guenstiges Bild besonders in Papier- und Herstellungsfragen ergeben, sodass ich beauftragt bin, die Verhaeltnisse in Marburg/L. also der amerikanischen Zone zu klaeren. Sollte auch dieser Platz als sehr unguenstig erscheinen, so erwaegt Herr Niemeyer u. U. einen Uebergang nach Tuebingen. Er bittet Sie daher um Ihr Urteil, wie ein solcher Wechsel des Niemeyerschen Verlages bei den betreffenden entscheidenden Stellen aufgenommen wuerde und ob sich ein baldiges Ingangkommen ermoeglichen liesse. Die Lizenzerteilung wuerde allerdings wohl, wie in der Britischen Zone, auch unter freundlichster Gewogenheit der alliierten Stellen Monate in Anspruch nehmen. Als vornehmstes und zuerst zu erstrebendes Ziel nach der Lizenzerteilung hat Herr Niemeyer die Wiederingangsetzung der Vierteljahresschrift gestellt. Sollte sich Marburg als geeignet erweisen, so hoffe ich bald vorwaertszukommen, da mir eine Reihe ausgezeichneter englischer, amerikanischer und deutscher Referenzen zur Verfuegung stehen, die auch hier den Gang der Formulare erheblich beschleunigen wuerden.

Ich hoffe, sehr geehrter Herr Professor, Ihnen ein Klarheit bringendes Bild der augenblicklichen Situation des Verlages entworfen zu haben. Ich hoffe ferner, in Kuerze Marburger Berichte und Entschluesse mitteilen zu koennen.

Bis dahin bitte ich, den Ausdruck meiner vorzueglichen Hochachtung zu genehmigen Ihr sehr ergebener Greif Sander

Nr. 16: Neue Pläne und Perspektiven

Von nicht endenden Schwierigkeiten handeln die Briefe Hermann Niemeyers zwischen 1945 und 1949. Das betrifft Verlagslizenzen, Druckgenehmigungen, Papierkontingente, aber auch Kommunikationsprobleme und die Erlaubnis von Reisen in die anderen Besatzungszonen. Ein besonders heikler Punkt war die Herausgeberfrage. Zum einen erwies sich Rothackers NS-Engagement als schwerwiegende Belastung, zumal Kluckhohn nicht auf seinen Partner verzichten wollte, und zum anderen benötigte man für den Lizenzantrag einen Herausgeber, der wie der Max Niemeyer Verlag in der Sowjetischen Besatzungszone ansässig war; aus Tübingen und Bonn ließ es sich nicht bewerkstelligen. Ende 1948 musste Niemeyer eingestehen, dass seine Bemühungen gescheitert waren und er den beiden Herausgebern gemäß § 11 des Verlagskontrakts zugestand, sich einen anderen Verlag zu suchen.Footnote 117 Von 1949 bis 1953 erschien die DVjs im Gemeinschaftsverlag der Firmen J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Max Niemeyer Verlag und Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, ab 1954 in der J. B. Metzlerschen Verlagsbuchhandlung und Carl Poeschel Verlag GmbH Stuttgart.

Hermann Niemeyer an Paul Kluckhohn, 26. April 1947

DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8887/7

Lieber Kluckhohn!

Ihren Brief vom 27.3. [hds.: 23.3.] erhielt ich kurz vor meiner Reise nach Berlin am 18.4. und komme daher heute erst zur Beantwortung. Mir war auch lieb, die Probleme mit Sander nochmals durchzusprechen, der jetzt hier ist.

Meine Reise nach Tübingen verzögert sich leider, da der Interzonenpass voraussichtlich erst Mitte nächster Woche genehmigt wird, zu welchen Reisedaten, weiss ich noch nicht. – Mit tiefstem Bedauern höre ich, dass es Ihrer Frau und Ihnen im Winter nicht zum Besten ging. Es ist einfach zuviel, was am Menschen hängt und zehrt. Hoffentlich können Sie sich im Sommer auf Ihrem schönen Berg gut erholen und hoffentlich hat sich die allgemeine Kohlen- und Ernährungslage bis zum nächsten Winter gebessert.

Ich kann mit Ende vorigen Jahres dankbaren Herzens einen glücklichen Aufstieg verzeichnen. Im Dezember kam die Verlagslizenz, die zweifellos durch deutsche Stellen verzögert war. Schon Anfang Februar erhielt ich die ersten Druckgenehmigungen und Papier. Dann kam Marianne und die Nachricht über meinen Max. Wie anders sieht die Welt und die Arbeit für uns wieder aus! Und jetzt komme ich aus Berlin zurück mit neuen wichtigen Genehmigungen. Darunter das grosse Buch von [Franz] Altheim: Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter, I. Alexander der Grosse. Also ein geschichtliches Werk. Ausserdem habe ich mit den Slawisten Prof. [Max] Vasmer und Prof. [Margarete] Woltner eine Sammlung slawistischer Lehr- und Handbücher vereinbart und das Programm der Texte aufgestellt. Bei den Behörden bin ich nun gut eingeführt, sodass ich mir eine erspriessliche Zusammenarbeit verspreche, selbst wenn einige Autoren, wie z. B. jüngst Benno von Wiese von ihren Verträgen zurücktreten. Ich glaube noch nicht einmal, dass Verlage wie Klostermann und Hoffmann und Campe schneller arbeiten können als wir hier. Die technischen Möglichkeiten sind jedenfalls hier günstiger. Die »Beiträge« sind im Druck. Genehmigt ist die »Anglia«. Ich muss diese Zeitschrift aber umstellen, da [Hermann] FlasdieckFootnote 118 nach Heidelberg gegangen ist. Sowohl die Behörden als die Berliner Gelehrten selbst sind stark interessiert am Verbleib der Zeitschriften im hiesigen Sektor.Footnote 119 So ist die allgemeine Lage, die ich jetzt auch wieder mit Herrn KunischFootnote 120 besprochen habe. Er betont immer wieder, dass er nur der Sache dienen will und nicht aus persönlichem Ehrgeiz oder Vorteil der V.J.S. die Hand reichen will.

Nachdem mir Frl. Enick berichtete, dass Siebeck auch nicht von heut auf morgen mit dem Beginn der Zeitschrift rechnen kann, möchte ich doch die V.J.S. hier wieder herausbringen.

Zu Ihren Vorfragen:

  1. 1.

    Rothacker kommt m. E. weder hier noch in der britisch-amerikanischen Zone als Herausgeber in Frage. Wie es in der französischen Zone damit steht, weiss ich nicht. Wenn er aber sein Kind lieb hat, so wird er Ihnen auch weiterhin beratend zur Seite stehen. Mehr hat er auch in den letzten Jahren nicht getan.

  2. 2.

    Lizensierte Zeitschriften erscheinen ohne Vorzensur. Die Hefte werden ausgedruckt und ausgeliefert, Belegexemplare und Freistücke sind an die amtlichen Stellen zu liefern. Der Verleger ist wie in der britisch-amerikanischen Zone verantwortlich für den Inhalt. Wir werden politische Dinge nicht bringen, von Nazismus haben wir uns schon immer freigehalten. Auch nazistische Ausdrücke sind unerwünscht. Der Mitarbeit von PGs steht nichts im Wege, soweit es sich nicht gerade um Aktivisten handelt und soweit neutrale, wichtige Themen vorgelegt werden. Es wird sich natürlich empfehlen, nicht gleich in den ersten Heften verhältnismässig viele solcher Beiträge zu bringen. Das gleiche dürfte für die Westzonen gelten.

  3. 3.

    Die Einschränkung der Auslieferung beruht leider auf Gegenseitigkeit. Wir liefern noch bei weitem mehr in die amerikanische Zone z. B. als diese hierher. Die Auslieferung in die englische und französische Zone ist nicht beschränkt. Überhaupt ist bisher unbeschränkte Auslieferung über Leipziger Kommissionär[e] möglich.

    Das Ausland wird sich hoffentlich bald öffnen und ich denke, auch die Amerikaner werden die wissenschaftliche Publikation bald wieder zulassen. Ich sperre mich oft, wie auch z. B. im Fall Martini, damit die Hochschulen von sich aus Schritte tun, um den geistigen Austausch von Zone zu Zone wieder zu erreichen. Es geht unmöglich, dass wir in dieser Beziehung tatenlos zusehen, wie das deutsche Sprachgebiet in Stücke gerissen wird.

  4. 4.

    Wenn uns daran liegt, die Vierteljahresschrift bald wieder erscheinen zu lassen, so würde ich davon abraten, allzuviel Gewicht auf einen Herausgeberstab zu legen. Spranger als Herausgeber auf dem Titel wäre leider unmöglich. Warum nicht: Herausgegeben von Paul Kluckhohn und H. Kunisch? Ihr Name und der Ruf der Zeitschrift genügen um reichlich Mitarbeiter heranzubringen. Der alte Stab wird treu bleiben, besonders in dieser Zeit der Druckerschwernisse. Herr Kunisch wird Lizenzträger und wird sich Ihren Erfahrungen im Sachlichen unterordnen. In diesem Falle wird es gut sein, ihn nicht in einem Stabe von Mitherausgebern verschwinden zu lassen, dessen Zusammenstellung wieder viel Zeit erfordern würde.

  5. 5.

    Um den Inhalt der mysteriösen Verpflichtung, die der Herausgeber unterschreiben soll, zu erfahren, habe ich bei FringsFootnote 121 angefragt. Heute früh erhielt ich dieses Telegramm: »Frings hat nichts unterschrieben.« Auch in Berlin wusste man nichts von einer solchen Verpflichtung. [hds. Zusatz:] Das scheint also eine Alarmnachricht gewesen zu sein.

  6. 6.

    Wie wäre es, wenn wir Prof. AltheimFootnote 122 hier als Mitherausgeber neben Kunisch hinzuzögen? Er wäre sicher gerne bereit. Altheim, eigentlich Althistoriker, besitzt unbedingt die universelle Weite, die so befruchtend wirkt. Es hat neben dem Alexanderbuch auch eine geistvolle Studie über Roman und Dekadenz bei mir liegen, die eigentlich »nebenher« abfiel. Den Berliner Stellen wäre er sicher nicht unangenehm da er gute russische Verbindungen hat.

Nach all dem hoffe ich, dass Sie zu einem Entschluss kommen können. Telegrafieren Sie bitte, wann ich den Antrag stellen soll. Ich verhandele dann wieder persönlich in Berlin. Wir haben jetzt hier die Möglichkeit, morgens hinüberzufahren und abends wieder in Halle zu sein. Das ist eine grosse Erleichterung.

Prof. [Wilhelm] Wissmann war Professor der Germanistik und Indogermanistik in Königsberg und ist jetzt in Berlin für ältere Germanistik beamtet. Ein netter Mann, von [Georg] Baesecke als Gelehrter geschätzt.

Mit herzlichen Grüssen und in der lebhaften Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen Ihr H. Niemeyer

P.S.) Vor den Strapazen der Reise graut mir etwas.

Nr. 17: Geistesgeschichte und Interpretation

Nach 1945 bemühte sich vor allem Paul Kluckhohn, besonders solche Literaturwissenschaftler, die vertrieben oder emigriert waren, (wieder) für eine Mitarbeit zu gewinnen.Footnote 123 Das hatte auch ökonomische Gründe, denn der deutschsprachige Markt war zunächst nicht in der Lage, die Zeitschrift finanziell zu tragen. Wichtiger war es jedoch, einen Neubeginn in der Literaturwissenschaft zu signalisieren. Eine ›Stunde Null‹ hat es jedoch in der Germanistik nicht gegeben, und eine Zeitschrift für Geistesgeschichte konnte nicht einfach mit werkimmanenten Interpretationen einen Richtungswechsel vornehmen.

Paul Kluckhohn an Karl Viëtor, 13. Dezember 1948

Durchschlag, DLA, A: DVjs-Kluckhohn 78.8170/9

Lieber Herr Viëtor!

Sie waren so liebenswürdig mir Sonderdrucke Ihrer 1944 und 45 in den PMLA erschienenen Aufsätze zu senden.Footnote 124 Ich danke Ihnen herzlich dafür und möchte damit zugleich auch meiner Freude Ausdruck geben, Sie als Mitglied der Friedrich Hölderlin Gesellschaft begrüssen zu können. Durch Herrn Mitchell hat die Geschäftsstelle der Gesellschaft Ihre Mitgliedsanmeldung erhalten. Ich danke Ihnen dafür und darf wohl auch hoffen, dass Sie Herrn Mitchells Bemühungen für unsere Gesellschaft in den USA zu werben, durch das Gewicht Ihres Namens unterstützen werden. Für diese Bemühungen sind wir ihm und Ihnen zu grossem Dank verpflichtet. Unsere Gesellschaft hat es zur Zeit ja nicht leicht. Die Armut, in die so viele Menschen durch die Währungsreform versetzt sind hat verständlicherweise manche Austritte aus der Gesellschaft zur Folge und die Kapitalien, die in erster Linie die Stuttgarter [Hölderlin-]Ausgabe unterstützen sollten, sind dahin.

Ich habe Ihre Abhandlung über Goethes Gedicht auf Schillers Schädel mit starkem Interesse und grossem Genuss gelesen und muss Ihnen in allem Wesentlichen zustimmen, finde auch, dass Ihre Auffassung des Vermerks »ist fortzusetzen« durch die Diskussion, die sich daran angeschlossen hat, im Grunde nur befestigt worden ist. Kennen Sie übrigens das Buch »Gedicht und Gedanke. Auslegungen deutscher Gedichte« herausgegeben von Heinz Otto Burger bei Niemeyer 1942?Footnote 125 Darin steht eine Interpretation von »Schillers Reliquien« durch Günther Müller, die die Ihre zu stützen und zu ergänzen geeignet ist, freilich nur ein Teil der Fragen Ihrer Abhandlung behandelt. Dieser ganze Band Interpretationen ist recht interessant, sehr verschiedenartig in der Methode und im Wert und kennzeichnet die Wandlung unserer Wissenschaft, für die Interpretationen jetzt durchaus im Vordergrunde stehen. Das stimmt überein mit Ihrer Auffassung von der Aufgabe und Lage unserer Wissenschaft, die Sie in dem Aufsatz »Deutsche Literaturgeschichte als Geistesgeschichte« dargelegt haben. Dass ich diesen Aufsatz mit ganz besonderer Anteilnahme und persönlich interessiert gelesen habe, werden Sie sich denken können. Ihrer Meinung, dass die geistesgeschichtliche Methode heute nicht mehr die Vormachtstellung hat wie vor 25 Jahren und dass sie nur einen Teil der Aufgaben unserer Wissenschaft hat bewältigen können, stimme ich natürlich zu. Aber es haben sich doch auch nur sehr wenige von den Literarhistorikern, die grössere geistesgeschichtliche Arbeiten verfasst haben, ausschliesslich auf diese Methode und diese Aufgabe beschränken wollen. Vielleicht darf ich zu Einzelheiten noch ein paar Bemerkungen machen: Zu S. 901 unten Max Scheler war nur ein paar Monate in Göttingen im Sommer 1910, nicht schon zu Beginn des Jahrhunderts, hat freilich in der kurzen Zeit eine starke Wirkung ausgeübt. Ich selbst bin ihm auch weiterhin verbunden geblieben. Mein Buch über die Auffassung der Liebe übrigens, ist nicht unter dem Einfluß von Unger entstanden, wie Sie anzunehmen scheinen (S. 904), sondern von mir im Jahre 1911 konzipiert worden, als Ungers HamannFootnote 126 noch nicht erschienen war. Diese Problemstellungen lagen damals gleichsam in der Luft. – Was Sie S. 907 über die Aufgabe einer Geschichte des literarischen Stilwandels schreiben, hat meinen ganz besonderen Beifall. – Im Zusammenhang der Aufgaben von Formgeschichten der erzählenden und der dramatischen Literatur könnte man auf die Vorarbeiten hinweisen, die die Bücher von [Robert] Petsch: »Wesen und Formen der Erzählkunst« und »Wesen und Formen des Dramas« dafür bedeuten, die freilich m. E. unter einer nicht sehr glücklichen Systematisierung leiden und deren historische Erkenntnisse man sich eben erst mühsam zusammensuchen muss. – Zu S. 910 Ende von IV. Auf die Wichtigkeit der Wirkungsgeschichte ist ja schon verschiedentlich hingewiesen worden, im letzten Jahrzehnt u. a. von [Heinz] Kindermann und von mir. Eben bin ich mit der Durchsicht einer ausgezeichneten Dissertation eines Schülers von mir beschäftigt, über Jean Pauls Wirkung im Biedermeier.Footnote 127 – Ihre kurzen und treffenden Beurteilungen von Bertram und Nadler haben meinen vollen Beifall. – Ob die geistesgeschichtliche Betrachtungsweise schon ganz am Ende ist, ja sich in einem Zustand der Sterilität befindet, das ist insofern schwer zu entscheiden als ja von den Arbeiten, die in den letzten 10 Jahren in Deutschland verfasst worden sind, erst ganz wenige zum Druck gekommen sind. Ich glaube, man macht sich im Ausland kaum eine richtige Vorstellung davon, unter welchen äusseren und inneren Schwierigkeiten die deutschen Forscher während des nationalsozialistischen Regimes und besonders im Kriege zu arbeiten hatten, wie gross aber auch heute noch die Schwierigkeiten sind, die etwa dem Druck einer Arbeit entgegenstehen. Das hat z. B. zur Folge, dass von meinem sehr tüchtigen Assistenten Friedrich SengleFootnote 128 die Habilitationsschrift über das historische Drama noch nicht gedruckt ist. Uebrigens hat dieser jetzt gerade eine Wieland-Biographie zum Abschluss gebracht, die bei allen, die sie im Manuskript gelesen haben, ehrliche Bewunderung erregt hat, ein nicht nur wissenschaftlich sondern auch literarisch bedeutendes Werk. Unsere Wissenschaft neigt sich heute wie der Interpretation so auch der Biographie wieder zu. Gerade gestern ging mir eine Erasmus-Biographie von Richard Newald zu. Die heutigen Schwierigkeiten sind auch schuld daran, dass die Deutsche Vierteljahrsschrift immer noch nicht wieder in Gang gekommen ist. Ich müsste Seiten füllen, um Ihnen die immer erneuten Verzögerungen verständlich zu machen, habe aber meine Bemühungen und Hoffnungen nicht aufgegeben und hoffe Ihnen in kurzem den neuen Werbeprospekt senden zu können. – Schon in dem Methodenstreit der 20er Jahre habe ich die Meinung vertreten und Rothackers und meine Zeitschrift haben ihr dienen wollen, dass die sehr mannigfachen Aufgaben unserer Wissenschaft verschiedene Methoden nebeneinander erfordern und ich glaube Ihrem Aufsatz, besonders den Schluss des vorletzten Absatzes so verstehen zu sollen, dass das auch Ihre Meinung sei, und ich freue mich dieser Uebereinstimmung.

Seien Sie nochmals herzlich bedankt für Ihre wertvolle Zusendung, und lassen Sie sich meine besten Wünsche zum neuen Jahre versichern.

Mit herzlichen Grüssen aufrichtig der Ihre