Zusammenfassung
Dieser Beitrag widmet sich dem Zusammenhang von geistesgeschichtlicher Literaturgeschichtsschreibung und dem Konzept der ›deutschen Bewegung‹. Er rekonstruiert vor allem dessen germanistische Adaption und Weiterentwicklung durch Paul Kluckhohn sowie seinen polyvalenten Einsatz zum heft- und jahrgangsübergreifenden Erzählen einer fortgesetzten nationalen Geistesgeschichte in der Deutschen Vierteljahrsschrift.
Abstract
This article is devoted to the constitutive connection between the writing of intellectual history and the concept of the ›German Movement‹. It reconstructs its Germanist adaptation and further development by Paul Kluckhohn, as well as its polyvalent use in the Deutsche Vierteljahrsschrift for the retelling of a continuous national intellectual history across issues and years.
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In seinem Forschungsbericht »Deutsche Literaturwissenschaft 1933–1940« zieht Paul Kluckhohn einleitend eine Bilanz der Entwicklung des Fachs seit der Jahrhundertwende, das ausgehend von einer partiellen Lösung vom »positivistischen Wissenschaftsbegriff« im Wesentlichen durch zwei Forschungsrichtungen geprägt gewesen sei: zum einen die »geistesgeschichtliche, die von Wilhelm Dilthey wesentliche Anregung erfahren hatte« und u. a. durch Rudolf Unger vorangetrieben wurde, zum anderen die auf den Einfluss des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin zurückgehende »formanalytische, die Dichtwerke als Kunstwerke zu erfassen […] suchte«.Footnote 1 Die damit verbundene Problematik der Integration von »Gehalts- und Problemforschung« einerseits und »Gestaltsforschung« andererseits habe auch nach dem »Umbruch« der »nationalsozialistischen Machtergreifung von 1933« fortbestanden, die »Besinnung auf die lebendigen Werte des eigenen Volkstums« als »Hauptanliegen der Literaturgeschichte« hätten aber zu einer Neuperspektivierung geführt: »Viele alte Aufgaben wurden damit in einem neuen Lichte gesehen« (34). Im weiteren Verlauf betont der Mitherausgeber der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte allerdings, dass manches was nun für die »›Literaturwissenschaft als volkhafte Lebenswissenschaft‹« gefordert werde, so neu nicht sei, und konstatiert entsprechend eine »fruchtbare Weiterentwicklung«: »Weder die philologischen Grundlagen des Faches, noch die Vertiefung geistesgeschichtlichen Erkennens und die Bemühungen um Erfassung dichterischer Kunstwerke als solcher sind darum aufzugeben, vielmehr mit anderen neuen Aufgaben zu verbinden. Die Kontinuität der Forschung kann und soll bewahrt bleiben« (35).Footnote 2En passant kommt Kluckhohn dabei auf ein zentrales geistesgeschichtliches Konzept zu sprechen, das gleich in mehrfacher Hinsicht als »Scharnierbegriff« oder »Scharniererzählung«Footnote 3 dienen kann, um die geforderte beständige Weiterentwicklung bei gleichzeitiger Aktualisierung zu ermöglichen: die »Deutsche Bewegung« (36).Footnote 4 Dieses polyvalente Konzept, das Kluckhohn selbst im germanistischen Kontext adaptiert und weiterentwickelt, erlaubt nicht nur Kontinuität zwischen geistesgeschichtlicher Literaturgeschichtsschreibung und »volksbezogene[r] Wesens- und Wertewissenschaft«Footnote 5 sowie Überbrückung von fachinterner und öffentlicher Kommunikation, sondern ermöglicht auch eine Verbindung zwischen Gehalts- und Gestaltsforschung. Dem soll im Folgenden ausgehend von Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Geistesgeschichte und ›deutscher Bewegung‹ (I.) zunächst in Gestalt einer knappen Rekonstruktion von Kluckhohns Adaption des Konzepts nachgegangen werden, die sich primär außerhalb der Deutschen Vierteljahrsschrift abspielt (II.). Anschließend werden exemplarische Beiträge der Zeitschrift selbst in den Blick genommen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen auf Konzept und Begriff der ›deutschen Bewegung‹ zurückgreifen, um nationale Geistesgeschichte als heft- und jahrgangsübergreifende Fortsetzungsgeschichte mit Gegenwartsbezug zu erzählen (III.).
I.
Die Geistesgeschichte verbindet mit der ›deutschen Bewegung‹ nicht nur Wilhelm Dilthey als retrospektiv in Szene gesetzte Gründungsfigur der gesamten Forschungsrichtung wie Vordenker ihres zentralen literarhistorischen KonzeptsFootnote 6, sondern auch die konstitutive Kopplung an die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Krisendiskurse der Moderne. So geht der geisteswissenschaftlichen Wende um 1900 ein »Krisengefühl«Footnote 7 voraus, das sich fachintern vor allem als polemische Ablehnung der institutionalisierten, positivistisch ausgerichteten Philologie artikuliert. Deren (vermeintliche) Adaption naturwissenschaftlicher Methoden führe zur »›Miszellenwirtschaft‹«Footnote 8 eines intellektuellen Spezialistentums, das mit seinen mikrophilologischen Analysen lediglich isolierte, abstrakte Wissensbestände anhäufe, ohne diese einer historisch-systematisierenden Synthese oder gar lebenspraktischen Gesamtdeutung zuzuführen. Auf ein so vor allem ex negativo artikuliertes Synthese- und Orientierungsbedürfnis reagiert die Geistesgeschichte mit dem metaphysischen ›Geist‹ als einer notwendig un(ter)bestimmten und zugleich skalierbaren sinnstiftenden Einheit des Lebens, die sich flexibel vom individuellen Geist des einzelnen Dichters über den Zeitgeist einer dichterischen Bewegung oder Epoche und den Kultur‑, Volks- oder Nationalgeist zum umfassenden Welt- oder Menschengeist ausdehnen lässt.Footnote 9 Dieser sinnstiftenden Einheit sucht man sich, im Rahmen der »verehrenden Anschauung«Footnote 10 der Werke großer ›Geister‹ durch »kongeniale[] Einfühlung«Footnote 11 zu bemächtigen. Die diesem methodischen Vorgehen zugrunde liegenden Prämissen fasst Rudolf Unger in seinem DVjs-Beitrag zu »Literaturgeschichte und Geistesgeschichte« pointiert zusammen: »Sinngehalt und Gestaltungsform der Dichtung erwachsen tiefsten Grundes aus derselben Wurzel: aus dem Lebensgefühl des Dichters und weiterhin demjenigen seiner Zeit, seines Volkes, seines Kulturkreises und der in diesen Gesamtheiten geltenden Überlieferungen. Es besteht demnach hier von vornherein das Verhältnis wesentlicher Einheitlichkeit oder zum wenigsten sozusagen prästabilierter Harmonie von Gehalt und Gestalt.«Footnote 12 Dies generiert nicht nur inter-, sondern vor allem auch intradisziplinär vielfältige Anschlussmöglichkeiten, weshalb die Geistesgeschichte zunächst als möglicher Integrationspunkt für eine Synthese der sich differenzierenden neueren methodischen Strömungen der Literaturwissenschaft, von der Ideen- und Erlebnisgeschichte (Dilthey, Walzel) über die Problemgeschichte (Unger), die Kräftegeschichte (Gundolf) und die Stammesgeschichte (Nadler) bis zur Form- und Stilanalyse (Walzel, Strich, Böckmann) in den Blick gerät.Footnote 13 In diesem Zusammenhang avanciert nicht nur die Dichtung zum »Organ des Lebensverständnisses, der Lebensdeutung«Footnote 14, sondern zugleich auch die Literaturgeschichte zur »Zentralwissenschaft vom deutschen Geiste«Footnote 15. Diese stellt nun im Rahmen des mit der allgemeinen Krisendiagnose einhergehenden Orientierungsbedürfnisses nicht nur das »Leistungsangebot«Footnote 16 einer gegenwartsbezogenen, aktualisierenden Erschließung einer literarischen, kulturellen oder nationalen Tradition und ihrer zentralen ästhetischen wie ethischen Werte bereit, sondern unterbreitet so zugleich potenziell ein explizites, weltanschauliches »Ethikangebot«Footnote 17 in Gestalt praktischer Handlungsnormen.
Als »Hochzeit des deutschen Geistes«Footnote 18 erscheint in diesem Zusammenhang die Zeit um 1800 vom Sturm und Drang zur Romantik (oder von »Hamann bis Hegel«Footnote 19) als geistesgeschichtliche Einheit, in deren Verlauf sich in kritischer Auseinandersetzung mit dem Rationalismus der Aufklärung das Sonderbewusstsein eines wesenhaft ir- bzw. überrationalen deutschen Geistes konstituiert, das im Mythos von der ästhetischen Erfindung der Nation durch die Dichter und Denker kulminiert. Diese nationale Identität stiftende geistesgeschichtliche Einheit wird zeitgenössisch mittels zweier alternativer Konzeptbegriffe gefasst: zunächst mit dem Dilthey-Schüler Herman Nohl als ›deutsche Bewegung‹, später mit dem Literarhistoriker Hermann August Korff auch als ›Geist der Goethezeit‹.Footnote 20 Beide Autoren bedienen sich trotz unterschiedlicher fachlicher Provenienzen im Rahmen der Begriffsbildung ähnlicher Darstellungsverfahren, Denkmuster und Argumentationsfiguren, die z. T. so auch bereits Diltheys Basler Antrittsvorlesung kennzeichnen, auf die Nohl sich zurückbezieht.Footnote 21 Zentral ist vor allem das Darstellungsprinzip einer potenziell unabgeschlossenen Reihe von in Generationen (v. a. Sturm und Drang, Klassik und Romantik) lose organisierten repräsentativen Dichtern und Denkern, die als Abfolge von (Text-)Denkmälern und Sinnbildern des deutschen Geistes in Szene gesetzt wirdFootnote 22 und zugleich die ontogenetische Entwicklung der Nation von der Geburt über die Knabenjahre bis zum reifen Mannesalter widerspiegeln soll. Entscheidend ist dabei das Denken in polaren Gegensatzpaaren, die sich zunehmend zu Dichotomien verhärten und in analogischer Aneinanderreihung der typologischen Beschreibung des deutschen ›Wesens‹ in Abgrenzung von den westlichen Zivilisationen dienen: vor allem Rationalismus – Irrationalismus, Materialismus – Idealismus, Wertrelativismus – Wertebewusstsein, Utilitarismus – Opferbereitschaft, Mechanik – Organik, Oberfläche – Tiefe und Immanenz – Transzendenz. Diese wechseln einander im Verlauf der geistesgeschichtlichen Entwicklung in einer charakteristischen wellenförmigen Bewegung unterschiedlicher Zeitströmungen ab, in welcher der ›deutsche Geist‹ sich unter ›fremden Einflüssen‹ von sich selbst entfernt und an Charakter verliert oder sukzessive zu sich selbst (zurück)kommt und Gestalt gewinnt.
Im Vergleich mit Dilthey, in dessen Basler Antrittsvorlesung die Aufklärung noch als integraler Bestandteil eines abgeschlossenen kontinuierlichen Entwicklungszusammenhangs von ›Lessing bis zu Schleiermacher und Hegel‹ erscheint, der in der Romantik kulminiert,Footnote 23 ist dabei allerdings vor allem bei Nohl eine sukzessive Radikalisierung und Aktualisierung des Ausgangsmodells zu beobachten. Zunächst im Zusammenhang mit dem eingangs angesprochenen Krisenbewusstsein der Geisteswissenschaften und der lebensphilosophischen Wendung gegen den Positivismus, im Rahmen derer er 1911 in seinem Aufsatz »Die deutsche Bewegung und die idealistischen Systeme« dieselbe dezidiert als Gegenbewegung gegen die Aufklärung in Szene setzt:
Die neue Epoche gegenüber dem Zeitalter der Aufklärung beginnt überall da, wo der ›Reflexion‹ des Verstandes als der alle Gewißheit begründenden Macht, der Abstraktion und Demonstration des Rationalismus einerseits, der psychologischen und naturwissenschaftlichen Analyse andererseits das ›Leben‹ als ein von Grund aus individuelles, irrationales und als Totalität, die nur der Totalität des Erlebens zugänglich ist, entgegengehalten wird. Die Lage wurde allgemein so empfunden: nicht bloß daß der Verstand in der Erkenntnis mit seinen Trennungen und Gegensätzen das Leben, das ein einheitliches Ganzes ist, zerstört: die Herrschaft des Verstandes in der Aufklärung hat auch in Wirklichkeit das einheitliche Leben zerteilt, und die Aufgabe ist, diese Einheit […] wiederherzustellen. Die neue Bewegung war keine ursprünglich wissenschaftliche, sie war auf Steigerung des Lebens, Inhaltlichkeit und eine neue Produktivität gerichtet, und die Dichtung wurde ihr erstes Organ.Footnote 24
Für den Zusammenhang von Geistesgeschichte und ›deutscher Bewegung‹ ist dabei von Interesse, dass Nohl hier der dichterischen Bewegung zugleich eine theoretische Methodenreflexion (u. a. bei Winckelmann, Herder, Hamann und Goethe) zur Seite stellt, die er als geisteswissenschaftliche deklariert: »Die Methode dieser geisteswissenschaftlichen Forschung wird bestimmt als Anschauung, die den Zusammenhang (Form, Charakter, Stil, Verfassung) jeder Gestalt des geistigen Lebens in sich und mit ihrem größeren Ganzen von innen her versteht und in ihrer Entwicklung von ihrem Ursprung aus, als der gegebenen Einheit, genetisch nachbildet« (353).Footnote 25 Damit wird deutlich, dass es dem Philosophen hier nicht zuletzt darum geht, der eigenen geisteswissenschaftlichen Position eine Tradition zu erschreiben.Footnote 26 Erscheint die ›deutsche Bewegung‹ für ihn aber zu diesem Zeitpunkt noch als weitgehend abgeschlossenes Kapitel deutscher Geistesgeschichte, so ändert sich dies in Verbindung mit einer weiteren, diesmal gesamtgesellschaftlichen Krisenerfahrung: mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg, mit der das mit dem Konzept der ›deutschen Bewegung‹ verbundene deutsche Sonder- und Selbstbewusstsein in eine Krise gerät. Entsprechend erscheint dem nun zum Pädagogen gewandelten Nohl diese nun als − u. a. durch den neuerlichen Einbruch der Aufklärung zwischen 1830 und 1870 in Gestalt von Materialismus und Realismus im Allgemeinen sowie Natur- und Spezialwissenschaften im Besonderen − unterbrochenes, unabgeschlossenes Projekt, das es geisteswissenschaftlich und nationalpädagogisch zu revitalisieren und zu vollenden gilt:
Es hängt heute alles daran, daß unser Volk in seiner nationalen Not sich in solchem Bewußtsein der Einheit seines höheren Lebens befindet. […] Gibt es keinen festen Boden geistigen Lebens, auf dem wir uns alle zu Hause wissen? […]
Ich meine nun, daß wir einen solchen Fonds nationaler Bildung besitzen in dem Zusammenhang der Deutschen Bewegung, jener großen geistigen Revolution, die etwa 1770 mit Sturm und Drang einsetzt, seiner Besinnung auf deutsche Art und Kunst, und dem endgültigen Durchbruch deutscher Innerlichkeit, die sich sammelt in unserer klassischen Epoche, die dann einen zweiten Stoß in der Romantik tut, in der Entdeckung der großen nationalen Objektivitäten, und die zum drittenmal nach einer Epoche der Stagnation und Entfremdung nach 1870 hervorbricht angesichts des Widerspruchs der äußerlich gewonnenen nationalen Einheit zu der deutschen geistigen Form in der kulturkritischen Gesinnung von Lagarde, Nietzsche, dem Rembrandtdeutschen und Rudolf Hildebrandt, aber auch in der Neubegründung der Geisteswissenschaften und einer Philosophie des Lebens durch Wilhelm Dilthey, in dem Rückgang der Philosophie auf die deutschen idealistischen Systeme, in der Revolution der Kunst wie in den großen Reformbewegungen, die sich vor allem in der Pädagogik geltend machen, und in den elementaren Erscheinungen der Jugendbewegung, der Volkshochschulbewegung, eine neue deutsche Humanität und eine neue Volkskultur forderten.Footnote 27
Erneut wird hier die Funktion der Rede von der ›deutschen Bewegung‹ für eine nun anders akzentuierte Traditionsbildung der eigenen Position deutlich, aber auch die Anschlussfähigkeit und potenzielle Integrationsleistung des Begriffs im geisteswissenschaftlichen wie pädagogischen Feld der Zeit.
Durch diese nationalistische Zuspitzung, Aktualisierung und flexible Funktionalisierung des diltheyschen Ausgangsmodells und die von ihm übernommene Bewegungsmetapher, die durch ihre »Polysemie«Footnote 28 vor allem auch nach 1933 besonders anschlussfähig erscheint, weil sie neben der kulturgeschichtlichen auch eine aktuell-politische Bedeutung umfasst und so »›zwanglose[]‹ Konvergenzen von wissenschaftlicher Tradition und politischer Aktualität«Footnote 29 ermöglicht, kann sich Nohls Konzept auch in der Literaturwissenschaft etablieren. Dabei erlaubt es durch seine »Mehrfachadressiertheit«Footnote 30 zugleich Brückenschläge zwischen fachspezifischer und öffentlicher Kommunikation, indem es gleichermaßen im wissenschaftlichen Bereich intra- wie interdisziplinär »das makrologische Synthesepotential geistesgeschichtlicher Ansätze«Footnote 31 illustriert sowie im Bereich der gebildeten Öffentlichkeit zur Inszenierung als wertesetzende und orientierungsstiftende ›Lebenswissenschaft‹ befähigt. Entsprechend finden Begriff und Konzept der ›deutschen Bewegung‹ bei einer Reihe von Germanisten VerwendungFootnote 32 und gehören bis in die späten 1940er Jahre zum Kernbestand der geistesgeschichtlichen Literaturgeschichtsschreibung der Germanistik.Footnote 33
II.
Auch Paul Kluckhohn bedient sich Nohls Konzeption immer wieder. In erster Linie im Zusammenhang mit der politischen Aktualisierung seiner Forschung im öffentlichen Bereich, die er tendenziell von seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu separieren bemüht ist, um die Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Standards zu gewährleisten.Footnote 34 D. h. er rekurriert vor allem in seinen Publikationen in nicht im engeren Sinne fachwissenschaftlichen Zeitschriften, die eine breitere Öffentlichkeit adressieren, wie z. B. in der Zeitschrift für Deutsche Bildung, auf Begriff und Konzept. Dies liegt auch deshalb nahe, weil sich die Gesellschaft für deutsche Bildung als Herausgeberin der Zeitschrift selbst u. a. 1933 an zentraler Stelle programmatisch auf das Konzept beruft:
»Die Gesellschaft für Deutsche Bildung ist sich in der gegenwärtigen geistig-politischen Lage ganz besonders bewußt, daß sie mehr ist als ein Fachverband von Gelehrten und Lehrern. Sie fühlt sich von der ›Deutschen Bewegung‹ getragen, die in ihren romantischen Anfängen von den deutschen Hochschulen die stärksten Antriebe erhalten hat. Sie erstrebt, im Zuge dieser Bewegung ein volkhaftes Bildungsziel wissenschaftlich zu sichern, in dem sich die Grundkräfte der deutschen Geschichte zu einer spannungsreichen Einheit zusammen schließen. Den Mitgliedern der Gesellschaft für Deutsche Bildung fällt in besonderem Maße die Aufgabe zu, echte Wissenschaft vom deutschen Volkstum zu einer wirkenden Kraft zu machen.«Footnote 35
Neben dieser Form der »Anpassung im außerwissenschaftlichen Bereich«Footnote 36 betreibt Kluckhohn aber auch in seinen fachwissenschaftlichen Publikationen eine »Politisierung nach dem Sandwich-Prinzip«, die sich meist »auf gelegentliche politische Botschaften in Vorworten, Einleitungen oder Zusammenfassungen« beschränkt, »ohne daß sich an der Substanz der Arbeit etwas änderte«Footnote 37. Beides führte dazu, dass sich Kluckhohns konzeptionelle Auseinandersetzung mit der ›deutschen Bewegung‹ vor allem außerhalb der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte abspielt. Da Kluckhohns Beitrag zur germanistischen Adaption und Weiterentwicklung von Nohls Konzept nicht zu unterschätzen ist, soll er im Folgenden kurz rekonstruiert werden. Er bestand vor allem in einer Um- und Aufwertung der Romantik und des Biedermeiers als literarhistorischen Verbindungs- und Entwicklungsgliedern zwischen der historischen ›deutschen Bewegung‹ und einer konstatierten aktuellen in der ›Dichtung der überpersönlichen bzw. überindividuellen Bindungen‹Footnote 38 seiner Gegenwart. Dabei ist, um Kontinuitäten und Diskontinuitäten sichtbar werden zu lassen, zunächst ein Blick auf Kluckhohns geistesgeschichtlich ausgerichtete neugermanistische Forschungs- und öffentliche Diskussionsbeiträge vor Verwendung des Begriffs sinnvoll.
Die bereits 1911 begonnene aber erst 1922 publizierte Habilitationsschrift Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen RomantikFootnote 39 weist noch keine dezidiert geistesgeschichtliche Ausrichtung auf, wird aber sowohl zeitgenössisch von Rudolf Unger als auch retrospektiv von Kluckhohn selbst, u. a. mit Blick auf das im Vorwort konstatierte »Verflochtensein des Einzellebens und Einzeldenkens in die allgemeine seelische und geistige Struktur der Zeit«Footnote 40, der Problem- bzw. Geistesgeschichte zugerechnet. Dabei ist signifikant, dass Kluckhohn hier durchaus im Sinne Diltheys für die »Lebenseinstellung der Aufklärung« noch von »einer ›abendländischen Kultur‹ und einer ›geistigen Einheit Europas‹ ausgeht« und deshalb komparatistisch einleitend auch französische und englische Quellen heranzieht, sich allerdings als »Nebenertrag der Arbeit« bereits die »Unterschiede französischer und deutscher Auffassung und Erlebnisart«Footnote 41 erhofft. Im literarhistorischen Fokus stehen entsprechend neben der gesamteuropäischen Aufklärung schon die dezidiert als solche ausgewiesene ›deutsche Empfindsamkeit‹, ›Sturm und Drang‹, ›Irrationalismus‹ und die untertitelgebende ›deutsche Romantik‹.
Dass auch für Kluckhohn die Niederlage im Ersten Weltkrieg eine Krise darstellt, die zur weltanschaulichen Neuorientierung führt, dokumentiert sein Beitrag »Wege und Ziele deutscher Kultur« in der Kulturzeitschrift Die Arbeit. In diesem konstatiert er einleitend, dass durch die »Selbstprüfung, die der Krieg uns auferlegte«, die »Frage nach dem Wesen des deutschen Geistes und dem Werte der deutschen Kultur noch brennender geworden«Footnote 42 sei, und bemüht sich »Wege aufzuzeigen, die die deutsche Geistesentwicklung gegangen ist, um daraus Ziele zu erklären, die dem deutschen Geiste gemäß und folglich ihm gesetzt sind« (97). Dabei bedient Kluckhohn sich, wie zu zeigen sein wird, bereits hier zentraler Argumentationsfiguren, die später sein Konzept der ›deutschen Bewegung‹ prägen werden, ohne jedoch bereits explizit auf den Begriff Bezug zu nehmen. So konstatiert er (mit Simmel) zunächst eine grundlegende »›Dialektik des deutschen Geistes‹«, dessen widersprüchliches »Wesen« darin liege »Entgegengesetztes vereinen [zu] wollen« (99), und beobachtet ein dreifaches Synthesestreben, das aus der Vergangenheit in die Zukunft weist.
Erstens die Synthese von »Diesseitigkeit und Jenseitigkeit«, zu deren Illustration er u. a. auf die romantische Liebesauffassung zurückkommt, die »Idealismus und fast mystisches sich Versenken in das religiöse Erleben mit freudiger Hingabe an das Leben vereine« (101). In diesem Zusammenhang beobachtet er, nun eher mit Nohl als mit Dilthey, die partielle Überwindung der Aufklärung in der deutschen Geistesentwicklung: »Durch die Philosophie des deutschen Idealismus (Kant und Fichte) und durch die deutsche Romantik und nur in Deutschland ist die französische, oder richtiger westeuropäische Aufklärung überwunden worden, überwunden freilich nur von den geistig Führenden, während sie in weiteren Volksschichten bis heut um so stärker Wurzeln fasst« (101). Dies verdanke sich dem einseitigen Realismus des 19. Jahrhunderts, der »Untreue an unserem eigenen Wesen war« (101), der eine Mitschuld an der aktuellen Lage der Nation zuzuschreiben sei.
Als zweite wegweisende Syntheseleistung des deutschen ›Wesens‹ nennt er die von »Vaterlandsliebe und Kosmopolitismus«, von »Nationalgefühl und Universalität« (103). Ein Beispiel solcher »Vaterlandsliebe« mit »Kulturbewußtsein, das sich mit dem größten Ziele einer Menschheitskultur wohl verträgt«, zeigt sich ihm in der »organischen, nicht mechanischen Staatsidee« der Romantiker:
Während die Generation vor ihnen nach englischem und französischem Beispiel den Staat im wesentlichen als Polizeistaat aufgefaßt hatte, als eine Art Versicherungsanstalt zum Schutz der Bürger und ihres Besitzes, als einen Vertrag im Interesse der Teilhaber geschlossen, als ein notwendiges Übel, durch das man möglichst wenig gestört zu werden wünschte, war nach romantischer Auffassung der Staat eine Lebens- und Kulturgemeinschaft, der die Gesamtheit der geistigen Hüter des Volkes als Erbe der Vergangenheit und Verantwortung für die Zukunft anvertraut ist, eine Solidaritätsgemeinschaft, deren Glieder nicht durch ihre Interessen, sondern durch die seelischen Bindungen von Vertrauen und Ehrfurcht, Liebe und Treue zusammengehalten werden, und die mehr ist als die bloße Summe der gleichzeitig lebenden Volksgenossen, vergangene und zukünftige Generationen einbegreifend. (103)
In der Überwindung des fatalen Nationalismus und Chauvinismus durch die Verbindung von Volks- und Kulturbewusstsein sieht Kluckhohn in Anlehnung an Fichte so eine künftige Kulturaufgabe des deutschen Geistes im Dienste der Menschheit.
Die dritte und letzte zukunftsweisende Synthese des deutschen Geistes identifiziert Kluckhohn in der »Zusammengehörigkeit« von »Solidarität und Individualität« (106). Diese dokumentiert sich für ihn einerseits im mittelalterlichen »Verbundensein der germanischen Gefolgschaft in unbedingter Treue bis in den Tod«, anderseits in der »deutschen Kulturblüte um 1800« (105). Dort manifestiert sie sich zum einen in der Bildungsidee der Klassiker und Kants kategorischem Imperativ, zum anderen erneut in der (auf Goethes Werk und der Philosophie Kants und Fichtes fußenden) Romantik als einer »Revolution der Seele gegen die Aufklärung«, für die »alles mit den Sinnen zu greifen, mit dem Verstand zu berechnen und zu messen gewesen« sei, was zu »wirtschaftliche[m] Egoismus und materialistische[r] Weltanschauung« (106) geführt habe, während die Romantik mit dem »romantischen Individuum« zugleich auch das Streben zur »Gemeinschaft« (107) hervorgebracht habe. An dieser Stelle nimmt der Text allerdings ausgehend von der romantischen »Hingabe an den Staat« unvermittelt eine (vermutlich nicht zuletzt dem Publikationsorgan geschuldete) recht merkwürdige Wendung, wenn Kluckhohn konstatiert: »Die Ideale der Sozialdemokratie scheinen vorweggenommen; in der Tat sind Zusammenhänge zwischen Ideen der Romantik und der Sozialdemokratie historisch nachweisbar« (107). Im weiteren Verlauf ist dann auch noch mal von einer »Erziehung zur Solidarität, zu echtem Gemeinschaftsgefühl und zum Dienst an der Gemeinschaft« als »Erziehung zur Gesinnung des Sozialismus« die Rede, wobei Kluckhohn allerdings betont, dass das »Wort Sozialismus nicht im Sinne irgendwelcher Parteipolitik und Parteizugehörigkeit genommen« (109) sei. Es dient vielmehr als Signalwort, das unterschiedliche Leser*innen adressieren soll. Die konstatierte »Kampfstellung gegen den ›kapitalistischen Geist‹, gegen ›die rechnerische Wertempfindung‹« (109 f.) legt gemeinsam mit der wortspielerischen Schlusswendung, dass die Vollendung der gestellten Aufgabe deutscher Kulturentwicklung (in Anspielung auf den Zeitschriftentitel) »unsere wichtigste ›Arbeit‹« (110) sei, zwar durchaus eine im engeren Sinne sozialdemokratische Lesart nahe. Die doppelte Abgrenzung von westeuropäischer wie östlicher Kultur sowie die Idee, durch die »Erfüllung nationaler Aufgaben zugleich universal zu wirken« und »das erste Volk zu sein, das mit dem Sozialismus wirklich ernst macht« (110), deutet eher in Richtung eines, die gebildete Elite und das ›einfache Volk‹ integrierenden National-Sozialismus. Auch hier liegt der Weg in die Zukunft, nachdem im 19. Jahrhundert »materielle Bestrebungen« die »Kräfte der Seele« verschüttet haben, in einer Rückkehr zum vage formulierten und deshalb vielfältig ausdeutbaren Kulturideal von »Persönlichkeitsbildung und Gemeinschaftsgefühl« aus Klassik und Romantik (107).
Abschließend verbindet Kluckhohn dann in einer großen übergreifenden Synthese alle drei von ihm skizzierten versöhnten Gegensätze aus den »Höhenzeitalter[n]« unserer Kultur,Footnote 43 die der »Erfüllung des deutschen Wesens am nächsten kommen – noch nicht freilich solche Erfüllung darstellen« (108).Footnote 44 Dies resultiert folgerichtig in der religiös konnotierten Zukunftsaufgabe des ›deutschen Geistes‹: »Durch die Bildung der eigenen Persönlichkeit der Volksgemeinschaft zu dienen, durch die Individualitätsbildung, die Eigenkultur des Volkes hindurch der Menschheit zu dienen das wäre das Ziel«, das es nicht zum »Fortschritte der Zivilisation«, sondern um der »Seele der Menschheit« (108) willen zu erreichen gelte.Footnote 45
Dergestalt versammelt Kluckhohn hier bereits sämtliche zentrale Topoi, Denkmuster und Argumentationsfiguren, die er später, begleitet vom versatzstückartigen Einsatz einzelner immer wiederkehrender Formulierungen, mit wechselnder Akzentsetzung und kontextspezifischen Ergänzungen unter dem Begriff der ›deutschen Bewegung‹ fassen wird, die sich so als moderner Mythos seriell reproduziert: Erstens ein Rekurs auf die ›Blütezeit‹ des deutschen Geistes um 1800, in der sich in Abgrenzung von der westeuropäischen Aufklärung und Demokratie in einer einheitlichen, fortschreitenden geistesgeschichtlichen Bewegung von der Empfindsamkeit und dem Sturm und Drang über die Klassik bis zu ihrem Höhepunkt in der Romantik die zentralen Charakteristika des ›deutschen Wesens‹ ausgebildet haben. Diese werden in der Verbindung von Immanenz und Transzendenz, von Nationalgefühl und (universellem) Kulturbewusstsein, Persönlichkeitsbildung und Gemeinschaftsgefühl allerdings noch als polare, versöhnte Gegensätze, nicht als wesenhafte Differenzen gedacht, die so in der unsteten Nachkriegszeit das gesamte politische Spektrum der Öffentlichkeit adressieren können. Zweitens die dichotomische Gegenüberstellung von Materialismus/Realismus und Idealismus, Aufklärung und deutscher Geistesentwicklung, Mechanischem und Organischem, Zivilisation und Kultur, die sich in einer geistesgeschichtlichen Wellenbewegung manifestiert. Drittens die Diagnose eines neuerlichen Einbruchs der Aufklärung im 19. Jahrhundert, der zu einer Abwendung von den Idealen des deutschen Geisteslebens geführt und dafür gesorgt habe, dass diese nie zu ihrer gänzlichen Erfüllung gekommen seien. Und viertens die daraus resultierende zukünftige Kulturaufgabe des ›deutschen Geistes‹, diese Ideale und die mit ihnen verbundenen Werte zu revitalisieren und sie so allererst zu verwirklichen, was allerdings als ›deutsche Sendung‹ in den Dienst der Menschheit gestellt wird. Damit schließt er zwar einerseits, durch die Aufwertung der Romantik und deren universeller Bedeutung, noch an Diltheys Ausgangsmodell an, folgt mit anti-aufklärerischem Impetus und aktualisierendem Anspruch aber tendenziell schon eher Nohls späterer Konzeption.
An diese Überlegungen knüpft Kluckhohn 1924 in seiner Monographie Die deutsche Romantik, die sich der Profilierung der zeitlich fest umgrenzten romantischen »Strömung des deutschen Geisteslebens«Footnote 46 in Abgrenzung von der Aufklärung und der Klassik widmet, in Einleitung und Schlussteil an, um die Aktualität seines Gegenstandes herauszustreichen. So erblickt er dort einleitend »[g]erade in der Überwindung der Aufklärung […] ein wesentliches Verdienst des deutschen Geisteslebens um 1800, der idealistischen Philosophie und der Romantik«, konstatiert aber erneut, dass »diese Überwindung nur für die geistig führenden Kreise des deutschen Volkes« gilt »und die Gegenbewegung im 19. Jahrhundert stark war« (3). Er schließt entsprechend mit einer bereits mit Nietzsche einsetzenden notwendigen neuerlichen sich rückbesinnenden Gegenbewegung gegen den im 19. Jahrhundert zwischenzeitlich wieder erstarkten »einseitigen Rationalismus und rechnerische Wertempfindung«, die, »wenn nicht an die Romantik anknüpft, so doch aus den gleichen Quellen wie diese schöpft«, wie dies auch noch der »geistige und seelische Wandlungsprozeß des beginnenden 20. Jahrhunderts und unserer Tage« tue, was die »philosophischen und wissenschaftlichen wie die künstlerischen Tendenzen der Gegenwart und auch wesentliche Tendenzen der Jugendbewegung« (286) deutlich machten. Den Begriff der ›deutschen Bewegung‹ verwendet Kluckhohn hier nicht − abgesehen von der einleitenden Bemerkung, dass die Aufklärung »keine deutsche Bewegung allein sei« (3), mit der die zitierte Diagnose von deren Überwindung in Idealismus und Romantik eingeleitet wird, die so allenfalls ex negativo als eine solche genuin ›deutsche Bewegung‹ lesbar wird.Footnote 47 Dennoch wurde zu Recht beobachtet, dass er auch hier (zumindest strukturell) an Nohls Konzeption anschließt.Footnote 48
Den konkreten Begriff nutzt Kluckhohn dann erstmals in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Deutsche Bildung, der sich 1928 mit der »Fortwirkung der deutschen Romantik in der Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts«Footnote 49 beschäftigt und 1933 dort eine Fortsetzung in einem Artikel zur »konservativen Revolution in der Dichtung der Gegenwart«Footnote 50 findet. Signifikant ist, dass beide Beiträge jeweils auf mündliche Kommunikation zurückgehen, die sich nicht an die universitäre Fachöffentlichkeit, sondern an ein breiteres Publikum aus der gebildeten Öffentlichkeit richtet: der erste auf einen Vortrag bei der Hauptversammlung der Gesellschaft für Deutsche Bildung 1927, der zweite auf drei Radiovorträge für die Deutsche Welle 1932. Der Aufsatz zur »Fortwirkung der deutschen Romantik« setzt unmittelbar mit deren »geistesgeschichtliche[r] Einordnung […] als Gegenbewegung gegen die Aufklärung, als die dritte Phase der deutschen Bewegung, von deren Anfängen« (57)Footnote 51 ein, die so als Höhepunkt und Vollendung (und nicht wie bei Nohl als Anfang vom Ende) der ›deutschen Bewegung‹ erscheint, als »ein Sichdurchsetzen eines neuen Lebensgefühls, das bedingt ist im Irrationalismus des 18. Jahrhunderts und in der Klassik« (57). Dabei kommt er zur Illustration dieses Lebensgefühls erneut auf die nun dezidiert in Abgrenzung zur »Lehre der Aufklärung« vom Staat als Vertrag situierte neue Staatsaufassung der Romantik als »organische[r] Lebensgemeinschaft« (59) zu sprechen und sieht in der aus ihr resultierenden »Gewißheit der inneren Zugehörigkeit zum Ganzen« (64) das weltanschauliche Fortwirken der Romantik im 19. und 20. Jahrhundert. Dieses habe, u. a. in der historischen Schule, ein neues Verhältnis zur »Vergangenheit des eigenen Volkes« (64) ausgebildet, das für seine weitere Argumentation zentral wird. Denn er beschreibt das 19. Jahrhundert erneut als »Auseinandersetzung zwischen der Romantik einerseits und der Fortwirkung und Neustärkung der Aufklärung andererseits«Footnote 52 in Gestalt von Positivismus, Materialismus und der von Simmel konstatierten »›rechnerische[n] Wertempfindung‹« (65 f.). Auf diese reagiert auch hier eine zur historischen ›deutschen Bewegung‹ in der Romantik analoge mit Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende und gegenwärtig andauernde neuerliche »Wandlung«, die »alle Gebiete des geistigen Lebens umfaßt« und sich u. a. wissenschaftlich »als Lösung der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften« (66) und literarisch in der »Sehnsucht des Expressionismus nach neuem Menschentum« (67) manifestiert hat. Sie gibt erneut Anlass zu einem aktualisierenden Appell zum »Bewußtwerden unserer selbst und der Schwere der uns immer neu erstehenden Aufgaben« (69).Footnote 53
Im Beitrag von 1933 verwendet Kluckhohn dann Hugo von Hofmannsthals Begriff der ›konservativen Revolution‹, um diese gegenwärtige Entwicklung zu beschreiben: »Es wird damit eine Gegenbewegung gekennzeichnet gegen jene die Neuzeit doch wesentlich beherrschenden Kräfte des Individualismus der Renaissance und Reformationszeitalters, des Rationalismus der Aufklärung und des Liberalismus des 19. Jahrhunderts − um es in ein paar Schlagworten anzudeuten −, und es ergibt sich daraus, daß […] die Wendung von heute ihre Vorläufer, vielleicht auch ihre Wurzeln in den Bestrebungen Herders und der Romantik hat.«Footnote 54 Deren Protagonisten, neben dem Vorreiter Stefan George, der »den Sinn wieder geweckt für das Heldische, für Ehre, Dienst und Bindung, für Ordnung, Maß und Zucht«Footnote 55, vor allem Paul Ernst, Erwin Guido Kolbenheyer, Hermann Stehr und Hans Grimm, aber auch Ernst Wiechert und Ernst Barlach, attestiert Kluckhohn »eine Wendung zur Vergangenheit als zu den Quellen des eigenen Wesens, eine Wendung zu den Wurzelkräften in Volkstum, Stamm, und Familie nicht nur, auch in der Landschaft, in der unmittelbaren Berührung mit der Erde« (186) und eröffnet damit Anschlussmöglichkeiten an die völkische Blut-und-Boden-Ideologie der Zeit. So ergänzt und überblendet hier die »ursprüngliche Blutsverbundenheit« (198) im unmittelbaren zeitlichen Kontext der nationalsozialistischen Machtergreifung zeitgemäß die bis dahin bei Kluckhohn dominante Charakterisierung des ›deutschen Wesens‹ über ethische wie ästhetische »Werte der Bindung« und »religiöse Werte«, die den »einzelnen in einen größeren Zusammenhang stellen« (190).Footnote 56 Diese implizite Assoziation der historischen ›deutschen Bewegung‹ mit der aktuellen nationalsozialistischen expliziert Kluckhohn dann 1934 im Nachwort der von ihm herausgegebenen Anthologie Die Idee des Volkes im Schrifttum der deutschen Bewegung von Moser und Herder bis Grimm: »Man kann geradezu sagen: der deutschen Bewegung von heute ist durch die um 1800 geistig stark vorgearbeitet worden oder – andersgesehen − wesentliche Ideen des Dritten Reiches sind aus den gleichen Tiefen deutschen Wesens gespeist, die schon die wertvollsten Epochen der deutschen Geistesgeschichte befruchtet haben.«Footnote 57 Diese Lesart entfaltet er dann 1941 in seinem Beitrag zum ›Kriegseinsatz der Germanistik‹ im Sammelband Von deutscher Art in Sprache und Dichtung mit dem Titel »Das Volks- und Nationalbewußtsein in der deutschen Bewegung«, in dem er abschließend konstatiert: »alle Gegenbewegungen des 19. Jahrhunderts gegen den westlichen Liberalismus und egoistische Wirtschaftsgesinnung, gegen den Positivismus und Materialismus haben ihre besten Kräfte aus der deutschen Bewegung um 1800 gezogen. Daß diese auch der großen Bewegung des 20. Jahrhunderts vorgearbeitet hat, die in der Dichtung der überpersönlichen Bindungen (oder der volkhaften Dichtung) und in der Jugendbewegung, viel entschiedener und wirkungskräftiger aber im Nationalsozialismus in Erscheinung trat, das dürfte ohne weiteres einleuchten.«Footnote 58 Damit erreicht die Radikalisierung der ›deutschen Bewegung‹ bei Kluckhohn mit Rekursen auf das Volk, dessen »Scholle« (85) und »Boden« (88) sowie die »Reinheit und Unvermischtheit seines Blutes« und seine »Rasse« (108) ihren Höhepunkt, wohl nicht zuletzt angesichts der zwischenzeitlich fortschreitenden Marginalisierung der Geisteswissenschaften, der so entgegengewirkt werden soll.Footnote 59
Dieser Höhepunkt kann nach 1945 zugleich zum Wendepunkt werden, da Kluckhohn im Rahmen seiner fortschreitenden Aktualisierung und Radikalisierung des Konzepts der ›deutschen Bewegung‹ immer wieder in Gestalt eines nationalen Sendungsbewusstseins (im Anschluss an Fichte) perspektivisch auch die »Blickrichtung auf die Menschheit« und die »Aufgaben für die Menschheit« (114) weiter mitlaufen lässt.Footnote 60 Entsprechend kann er nach Kriegsende in Die Idee des Menschen in der Goethezeit, nun Nohls Konzept der ›deutschen Bewegung‹ mit Korffs der ›Goethezeit‹ kombinierend, erneut »Hilfe« vom geistesgeschichtlichen Blick in die »großen Zeiten der Vergangenheit« beim »Neuaufbau« erwarten: »So soll hier versucht werden, die Idee des Menschen in der Goethezeit oder der Zeit der deutschen Bewegung zu beschwören.«Footnote 61Auch dem Prinzip der Reihenbildung großer (Text‑)Denkmäler bleibt er durch den gesperrten Druck der enigmatischen Dichter- und Denkernamen im Textverlauf treu, wobei diese sich mit Ausnahme der Integration der internationalen Vorläufer Shaftesbury und Hemsterhuis nicht wesentlich von der in seinen Schriften vor 1945 unterscheidet. Die dichotomische Denkstruktur bleibt trotz der eingeräumten »geschichtlichen Verdienste der Aufklärung« (12) ebenfalls weitgehend erhalten, wenn der einseitige Rationalismus und Materialismus der »rechnerische[n] Wertempfindung« als »Grund so vieler Irrtümer, Schwächen und Verbrechen der jüngst vergangenen Zeit« (32) erscheint und das Leitbild nach wie vor die Synthese von »Persönlichkeit und Gemeinschaft« (42) in der Romantik bleibt, deren letztes Ziel nun aber ganz explizit wieder »eine Gemeinschaft der Völker zur Verwirklichung der höchsten Aufgaben der Menschheit ist« (43). Entsprechend kann Kluckhohn auch hier abschließend wieder feststellen: »das Beste und tiefste, was jene Höhenzeit deutscher Geistesgeschichte zu sagen hatte, kann uns Hilfe sein zur Besinnung auf unser eigenes Wesen und ein Kraftquell der immer neu für uns springt« (46).
Insgesamt zeigt sich so in der Adaption der ›deutschen Bewegung‹ bei Kluckhohn, die zunächst an Diltheys Ausgangsmodell anschließt und dann tendenziell eher Nohls Konzeption folgt, ausgehend von der Mehrdeutigkeit und ›Mehrfachadressiertheit‹ des Begriffs (im Spannungsfeld von völkischen und humanistischen Bestrebungen) ein polyvalenter Einsatz des Konzepts in unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Kontexten, immer dann, wenn es darum geht, eine größere gebildete Öffentlichkeit zu adressieren und der Forschungsrichtung der Geistesgeschichte im Allgemeinen wie dem eigenen Forschungsgegenstand der Romantik im Besonderen eine besondere Aktualität und damit gesamtgesellschaftliche Relevanz zuzuschreiben. Dies lässt sich so auch für die DVjs konstatieren, nur dass hier der Begriff bei Kluckhohn und anderen sukzessive auch auf weitere literarhistorische Epochen bezogen wird, sodass dort gleichermaßen sequenziell wie seriell, über Wiederholung und Variation der entsprechenden Topoi, Denkmuster und Argumentationsfiguren, heft- und jahrgangsübergreifend Geistesgeschichte als fortgesetzte ›deutsche Bewegung‹ erzählt wird.Footnote 62
III.
Einen theoretischen Auftakt dazu markiert Rudolf Unger im ersten Heft der Zeitschrift mit seiner ›prinzipiengeschichtlichen Skizze‹ »Zur Entwicklung der historischen Objektivität bis Hegel«, welche dieselbe mit Blick auf die »aufstrebende Tendenz zur geistesgeschichtlichen Zusammenschau«Footnote 63 als neuer Methode der Literaturwissenschaft rekonstruiert. Dabei stilisiert er Hegel (im direkten und expliziten Rückgriff auf Nohls Begriff und dessen Logos-Aufsatz) zum Begründer einer neuen »philosophischen Geschichtsauffassung« aus dem ›Geist‹ der ›deutschen Bewegung‹:
Die mit dem literarischen Sturm und Drang einsetzende Wendung zur Allseitigkeit des Lebens und Erlebens, die Kantische Idee von der Selbstgesetzlichkeit des schöpferischen Geistes, das von der deutschen Klassik in selbständiger Anknüpfung an die Antike ausgebildete und künstlerisch verkörperte Lebensideal der Humanität, der neue evolutionistische Pantheismus, die seit Herder sich entfaltende Methode anschauenden genetischen Verstehens geistiger Gebilde, der Organismus- und Identitätsgedanke sowie das universale geschichtliche Bewußtsein der Romantik: all diese inneren Motive der »Deutschen Bewegung« werden von ihm mit ungeheurer Kraft konstruktiven Denkens zurückgeführt auf letzte Prinzipien und dialektisch verarbeitet zur Totalität eines die Welt, vor allem die geistig-geschichtliche, in all ihrem Umfang und ihrer konkreten Mannigfaltigkeit als die Selbstentfaltung des absoluten Geistes spekulativ deduzierenden metaphysischen Systems. (128)
Der mit diesem neuartigen, umfassenden historischen Verstehen eines sich selbst explizierenden »Weltgeist[es]« (129) verbundene »bedeutsame Gedanke […], daß es sich bei diesem um ein Tieferes, Eigengesetzlicheres, unmittelbarer Schöpferisches handelt als bei der kausal-mechanischen Naturerkenntnis« (135), lässt Hegel trotz aller im weiteren Verlauf angesprochener Differenzen als Vorreiter der literarhistorischen Geistesgeschichte in Erscheinung treten. Auch hier dient so der Rückbezug auf den dergestalt »Erntende[n]« (128) der ›deutschen Bewegung‹ also nicht zuletzt der Legitimation der geistesgeschichtlichen Methode qua Einschreibung in einen nobilitierenden Traditionszusammenhang. Entsprechend erscheint Unger eine Fortsetzung seiner historischen Betrachtung über Hegel hinaus bis in die »geisteswissenschaftliche Bewegung unserer Tage« und ihren »modernen literaturwissenschaftlichen Richtungen« zur »Klärung ihres prinzipiellen Wesens und ihrer methodologischen Bedeutung« wünschenswert, für die er einstweilen aber auf die Arbeiten Rothackers verweist und sie einer »zweiten selbstständigen Studie« (138) vorbehält. Wenn man nicht Ungers bereits anzitierten Beitrag zu »Literaturgeschichte und Geistesgeschichte«Footnote 64 als eine solche Fortsetzung des hier eröffneten theoretischen Diskussionszusammenhangs lesen will, bleibt die so avisierte Fortsetzung zumindest in der DVjs jedoch aus.
Der Beitrag der Nohl-Schülerin und späteren -Biographin Elisabeth Blochmann »Die deutsche Volksdichtungsbewegung in Sturm und Drang und Romantik« erweist sich allerdings noch im ersten Jahrgang zumindest als eine praktisch-methodische Vor- und Fortführung solcher Geistesgeschichte im ›Geist‹ der ›deutschen Bewegung‹. Auch dieser setzt mit einer charakteristischen aktualisierenden Legitimierung der Themenwahl ein:
Eine der stärksten Bewegungen, die durch unsere Zeit gehen, ist das Verlangen nach einer neuen Volkseinheit, in der mit dem Gegensatz von Bürgertum und Arbeiterschaft auch der von Gebildet und Ungebildet irgendwie überwunden wird. Die Grundlage dieses neuen Volkstums suchen wir […] vor allem in einem Bildungsideal, das den organischen Zusammenhang zwischen den natürlichen Lebensäußerungen des einfachen, nicht gebildeten Menschen und den höchsten Formen einer umfassenden ›Menschenbildung‹ wieder herstellt. In dieser Umwandlung der bisherigen, einseitig intellektualistischen Bildung in eine neue volkseinheitliche hat das Volkslied und die Volksdichtung eine führende Stellung.Footnote 65
Den Ursprung der kritisierten intellektualistischen Bildung macht sie anschließend in der »Aufklärung« aus, in der sie »wertvolle Wurzeln unserer gesamten höheren Bildung, zugleich aber die eine Ursache der geistigen Zerrissenheit unserer Zeit« (420) sieht. Anschließend knüpft sie, ohne es explizit zu thematisieren, an Nohls Konzept an, um die Bewegung der Gegenwart mit derjenigen der Vergangenheit zu verbinden:
Zweimal schon haben vor uns junge Generationen diese Zerrissenheit zu überwinden versucht, beide Male erschien ihnen die Volksdichtung als die Quelle eines neuen, echteren Lebens. In diesem Verlangen nach einer Erneuerung des deutschen Geisteslebens aus dem Urgrund des eigenen Volkstums und des ursprünglichen Menschentums liegt das innerste Wesen der Sturm- und Drangbewegung, von hier aus ist auch die jüngere Romantik zu verstehen, und hier berühren sich beide Epochen mit dem Suchen unserer Tage. Was aber diese drei Bewegungen, die man auch als Wellen einer großen Kulturbewegung betrachten kann und muß, voneinander unterscheidet, das zeigt sich am deutlichsten an dem verschiedenen Verhältnis, das die drei Generationen trotz ihrer gleichen Grundeinstellung zum Volksganzen und zur Volksdichtung haben (420 f).
Die entscheidende Differenz besteht für Blochmann eben darin, dass die von ihr in den Blick genommene Volksdichtungsbewegung im Sturm und Drang zunächst nur eine der »Gebildeten« und »Gelehrten« gewesen und dann in der Klassik erneut zu einer »reine[n] Bildungsbewegung« (422) geworden sei, die den »Weg zur ›Totalität des Menschen‹ oder zur wahren ›Humanität‹ weisen sollte« (423), während erst der ›jüngeren Romantik‹ die »Volkspoesie zu dem Werkzeug« wurde, mittels dessen »sie ein neues Volksleben« mit »einer neuen Gemeinschaft der verschiedenen sozialen Schichten sowie aller deutschen Stämme in Nord und Süd« heraufführen wollte (424). Parallel zu Nohl und Kluckhohn konstatiert Blochmann dann einen neuerlichen Abfall von diesem romantischen Ideal, im Rahmen dessen aus der »lebendigen Bewegung in deren Natur es gelegen hätte, das ganze Volk zu erfassen, ein wissenschaftliches Forschungsgebiet« der Germanistik geworden sei, welches das »Schicksal der Spezialwissenschaften des 19. Jahrhunderts« ereilte (425). Daraus ergibt sich folgerichtig, dass das gegenwärtige Streben nach einer alle sozialen Schichten inkludierenden neuen Volkseinheit sich u. a. in der Rückbesinnung auf die Funktion der Volksdichtung in der Romantik speisen und durch deren Erneuerung erfüllen kann: »eben in der Romantik lernte man in der liebevollen Hingabe an die Volksdichtung ›das Volk als eine natürliche gottgewollte Einheit verstehen, durch Abstammung, Generationenfolge, Traditionen, Sitten, Brauch und Glauben verbunden und darin bewurzelt, nicht eine formlose Masse bildend, sondern einen nach Ständen und Berufskreisen gegliederten Organismus, in dem die gebildeten Stände so gut ihre Stelle haben wie die ungelehrten, arbeitenden‹« (452). Blochmann kündigt am Ende ihres Beitrags in einer Fußnote entsprechend an, den »weiteren Verlauf der Bewegung bis auf unsere Tage« in einer »späteren Erörterung« (452) zu schildern, zumindest in der Zeitschrift bleibt diese aber erneut aus.
Als Fortsetzung von Blochmanns wie von Ungers Beitrag liest sich Heinz Kindermanns Aufsatz »Romantik und Realismus« aus dem Jahr 1926. Denn auch er beschreibt zunächst wie die Nohl-Schülerin die »Kulturfunktion der Romantik« erneut im expliziten Bezug auf Nohls »irrationale Oppositionswelle« zur Aufklärung, »deren erstes Glied, die Sturm- und Drangbewegung, über den Bezirk des Literarischen hinauszugreifen und eine Revolutionierung der deutschen Gesamtkultur herbeizuführen« versucht, die erst das »Endglied der ›Deutschen Bewegung‹, die Romantik« durch die »kulturelle Überwindung des Rationalismus«Footnote 66 erreicht. Dabei rekurriert er wie Unger auf Hegel, diesmal allerdings in Gestalt von dessen Staatsbegriff, den Kindermann mit einem neuerlichen Verweis auf Rothacker nicht als »›Entromantisierung‹«, sondern als »›rationalistischen Überbau über der fortdauernden romantischen Basis‹« und »konstruktive Umformung des romantischen Organismusgedankens« (654) betrachtet. So verkörpert der Philosoph auch hier »die romantisch-historische Geisteswissenschaft seiner Zeit«, indem er die »retardierenden und die fortschrittlichen Kräfte« (654) in sich vereint, deren »Nebeneinander« das »Wesen des Jahrhunderts« ausmacht (658). Dergestalt kann Hegel für den Literarhistoriker einerseits zum »Sprungbrett« für die mit einer zunehmenden »Politisierung« und der »Entdeckung der Aktualität« verbundene »erste, wirkliche Opposition gegen den Geist der ›Deutschen Bewegung‹« (656) werden, die (u. a. in Gestalt Heines) das »subjektivistisch-romantische Prinzip der Liebe« zur »Nivellierungstendenz des Gleichheitsgedankens« verwandelt, »die romantische Ironie« zum »Journalistenwitz« degradiert und »die gemeißelte Kunstform der Klassik und die himmelanstrebende der Romantik einem bloßen Zweckstil« (657) weichen lässt. Andererseits erlaubt Kindermann der Rekurs auf die »Symbiose« von »irrational romantischer Traditionsehrfurcht und hegelbeeinflußter Realidealität« (658) zunächst eine »Nachwirkung« (660) des durch das »Medium Hegels gegangene[n] Geist der Romantik« (667) im »Übergangsstadium des Realidealismus« (664) zu konstatieren. Anschließend kann er dann im »psychologischen Realismus« (668) und dessen »Rettung des Irrationalen in den Bezirk des Realismus« sowie des »Gemeinschaftsgedankens« (674) das neuerliche »Emportauchen national-germanischer Wesenszüge im künstlerischen Reifestadium des 19. Jahrhunderts« (669) erkennen, mit dem »die bisherige Exklusivität gesprengt und tatsächlich die Gesamtheit der Nation in das dichterische Weltbild einbezogen« (674) wird. Insgesamt leistet der Rekurs auf die ›deutsche Bewegung‹ und ihre ambivalente Überformung durch Hegel bei Kindermann dreierlei: erstens stellt er erneut die eigene geistesgeschichtliche Methode in einen hehren nationalen Traditionszusammenhang, zweitens erlaubt er die Aufwertung des Realismus als Forschungsgegenstand und drittens ermöglicht er dessen Aktualisierung mit Blick auf »jene wesenhaft-deutschen Elemente, die ihn auch uns dauernd erlebnisnahe« (675) erhalten.
Die so begonnene Aufwertung des 19. Jahrhunderts im Rahmen des seriellen Erzählens von Geistesgeschichte als ›deutscher Bewegung‹ setzt sich 1935 in Paul Kluckhohns Beitrag »Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung« fort, in dem er im Grunde Kindermanns Strategie auf das Biedermeier als neu zu etablierende Epoche überträgt.Footnote 67 So konstatiert er, dass diese das »Erbe der ganzen deutschen Bewegung« (3) angetreten habe, und charakterisiert sie als »die bürgerlich gewordene deutsche Bewegung« (9) auf breiterer gesellschaftlicher Basis. Das Biedermeier habe deren Lebensgefühl und Lebensideal einer Verbindung des Menschen »mit den überindividuellen Mächten der menschlichen Gemeinschaften« (20) zwar ›im Innern‹ bewahrt, empfinde aber angesichts der erstarkenden Kräfte der ebenfalls noch nachwirkenden »bekämpfte[n] Aufklärung« (12) und der politischen Verhältnisse der Zeit vor allem resignativ-entsagend deren »Gegensatz zur Wirklichkeit«(14) statt nach ihrer Verwirklichung zu streben: »Es ist weniger das Lebensideal und Lebensgefühl einer stürmischen Jugend als das reiferer Menschen, die im Leben und in sich selbst so manches erfahren haben, ein Lebensgefühl der Beschaulichkeit und der Sammlung […], des Nachsommers […] – wie ja Biedermeier als Nachsommer erscheint auch in dem Sinne einer reifen Nachblüte der großen Zeit der deutschen Bewegung« (16). Zugleich ist auch Kluckhohn um die Herstellung einer aktualisierenden Traditionslinie bemüht, die er in Raabe und andern »Dichter[n] des heimlichen Deutschlands« findet, in denen der »Biedermeiergeist« (43) weiterlebt. Diese führt in Abgrenzung von einer zweiten, gegenläufigen, die vom Jungen Deutschland über den Naturalismus bis zur ›Neuen Sachlichkeit‹ reiche, »vom Biedermeier, über den poetischen Realismus zur Heimatkunst um 1900 und zu dem völkischen Realismus oder der volk- und bodenverhafteten Dichtung unserer Tage« (43), mit der die ›deutsche Bewegung‹ endgültig in der Gegenwart angekommen scheint.Footnote 68
Letzterer widmet sich Kluckhohn dann im Anschluss an die bereits zitierten Überlegungen aus seinen Hörfunk-Vorträgen für die Deutsche Welle im darauffolgenden Jahrgang erneut in einem Aufsatz zu »Berufungsbewußtsein und Gemeinschaftsdienst des Dichters im Wandel der Zeiten«.Footnote 69 In diesem rekonstruiert er vor allem für Paul Ernst und Erwin Guido Kolbenheyer sowie weitere Dichter der Gegenwart, die ein »Berufungsbewußtsein auszeichne, das sich nicht nur sich selbst, sondern überindividuellen Mächten, dem eigenen Volke und Gott, verpflichtet und verantwortlich weiß« und eine »Haltung, für die Dichten Dienst an der Gemeinschaft bedeutet« (30), eine noch weitreichendere, »lang verschüttete« (28) Traditionslinie. Diese scheint allerdings auch hier im 19. Jahrhundert von einer gegenläufigen unterbrochen, die, aus Rokoko und Aufklärung kommend, von den »volksfremde[n] Literaten« (16) des Jungen Deutschlands über die »subjektive [] Erlebnisdichtung« (18) und »Scheinkunst der Epigonen« bis zur »naturalistischen Unkunst« (19) und dem solipsistischen Impressionismus der Jahrhundertwende führe.Footnote 70 Demgegenüber entfalte sich die lange nationale Traditionslinie der sendungsbewussten Dichter im Dienste des Volkes, die Kluckhohn zu rekonstruieren sich zur Aufgabe gemacht hat, vom »germanische[n] Sänger« (2) und den höfischen wie christlichen Dichtern des Mittelalters über »Klopstock, Herder, Hölderlin und andere[] Großen der ›deutschen Bewegung‹« (30) bis zum Biedermeier und dem poetischen Realismus, die so beide erneut eine Aufwertung als Fortsetzungen der ›deutschen Bewegung‹ erfahren.
Nicht zuletzt hier verdeutlichen sich so noch einmal die Aporien einer funktionalisierenden und legitimierenden Erzählung von Geistesgeschichte als ›deutscher Bewegung‹, die sich durch serielle Variation und flexible Ergänzung sequenziell aktualisierend bis in die Gegenwart fort- und so in unterschiedliche politische und gesellschaftliche Kontexte einschreiben lässt. Dergestalt kann die aktualisierende Traditionsbildung des ›Dichters als Führer‹ im Dienst der Volksgemeinschaft 1936 zugleich auch der Legitimation und Nobilitierung der neuen nationalsozialistischen Bewegung dienen, auch wenn Kluckhohn diese Verbindung hier im wissenschaftlichen Kontext nicht explizit herstellt, sondern lediglich einleitend mit dem vagen Bezug auf »[u]nsere Zeit des Umbruchs, die viele grundlegend neue Aufgaben stellt und alte neu sehen lehrt« (1), nahelegt.Footnote 71
Notes
Paul Kluckhohn, »Deutsche Literaturwissenschaft 1933–1940«, Forschungen und Fortschritte 17/ 4/5 (1941), 33–39, hier: 33. Dass es sich nur um eine eingeschränkte, primär polemische Abwendung von der Philologie gehandelt hat, dokumentiert nicht nur das Vorwort zum ersten Heft der von Kluckhohn mitherausgegebenen Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, indem dort »philologische Strenge und Gewissenhaftigkeit selbstverständliche Voraussetzung« aller Methoden bleibt ([»Vorwort«], DVjs [1923], Vf., hier: V). Auch die Forschung hat zum einen eine »keineswegs nur akzidentelle[] Fortsetzung philologischer Tradition in der Geistesgeschichte« konstatiert (Rainer Kolk, »›Repräsentative Theorie‹. Institutionengeschichtliche Beobachtungen zur Geistesgeschichte«, in: Petra Boden, Holger Dainat [Hrsg.], Atta Troll tanzt noch. Selbstbesichtigungen der literaturwissenschaftlichen Germanistik im 20. Jahrhundert, Berlin 1997, 81–101, hier: 85 f.) und zum anderen Gemeinsamkeiten zwischen Wilhelm Scherer und Wilhelm Dilthey als vermeintlichen Antipoden in der Auseinandersetzung von Positivismus und Geistesgeschichte herausgearbeitet (vgl. u. a. Tom Kindt, Hans-Harald Müller, »Dilthey gegen Scherer. Geistesgeschichte contra Positivismus. Zur Revision eines wissenschaftshistorischen Stereotyps«, DVjs 74 [2000], 685–709).
Kluckhohn bezieht sich hier auf Heinz Kindermanns Forderung nach einer neuen Literaturwissenschaft als »volkhafte Lebenswissenschaft«. Ders., Dichtung und Volkheit. Grundzüge einer neuen Literaturwissenschaft, Berlin 1937, 40. Zu Fragen der Kontinuität und Diskontinuität in der Germanistik nach 1933 vgl. grundlegend: Wilhelm Voßkamp, »Kontinuität und Diskontinuität. Zur deutschen Literaturwissenschaft im Dritten Reich«, in: Peter Lundgreen (Hrsg.), Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1985, 140–162.
Gerhard Kaiser, Grenzverwirrungen. Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus, Berlin 2008, 29 f. u. 464–484. Kaiser definiert »Scharnierbegriffe« im Rekurs auf Clemens Knobloch als solche, die »als ›Boten‹ oder ›Fähren‹ zwischen fachlicher und öffentlicher Kommunikation dienen können, weil sie in beiden Feldern für zirkulationsfähige Inhalte stehen«, und verweist mit Georg Bollenbeck auf deren »starke Wert- oder Affektladung« (30).
Das Konzept »deutsche Bewegung« prägte der Dilthey-Schüler Herman Nohl 1911 [ders., »Die Deutsche Bewegung und die idealistischen Systeme«, Logos 2.3 (1911/12), 350–359] im Anschluss an die Basler Antrittsvorlesung seines akademischen Lehrers. Vgl. dazu: Daniela Gretz, Die deutsche Bewegung. Der Mythos von der ästhetischen Erfindung der Nation, München 2007. Kluckhohn verweist in seinem Forschungsbericht nicht nur auf die von ihm herausgegebene anthologische Zusammenstellung Die Idee des Volkes im Schrifttum der deutschen Bewegung von Moser und Herder bis Grimm (Berlin 1934), sondern mit Blick auf die »Einheit dessen, was man gern und mit Recht Deutsche Bewegung nennt,« u. a. auf Franz Schultz, Klassik und Romantik der Deutschen, 1. Bd. Die Grundlagen der klassisch-romantischen Literatur, Stuttgart 1935 u. 2. Bd. Wesen und Form der klassisch-romantischen Literatur, Stuttgart 1940. Kluckhohn (Anm. 1), 34 u. 38.
Kaiser (Anm. 3), 464.
Vgl. Hans-Harald Müller, »Zwischen ›Bewegung‹ und Wissenschaft. Eine wissenschaftshistorische Untersuchung zur Gründung der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« (in diesem Heft). Diese retrospektive Inszenierung als Gründungsfigur der Geistesgeschichte, z. B. durch Rudolf Unger oder Paul Kluckhohn und Erich Rothacker im Vorwort zum ersten Heft der DVjs, sowie Herman Nohls Rekurs auf die Basler Antrittsvorlesung als Modell seiner ›deutschen Bewegung‹ erfolgen jeweils im Rahmen der ›Erfindung einer Tradition‹ (Hobsbawm, Ranger), die vor allem der Legitimation der je eigenen Position bzw. Institution und Sammlung heterogener geisteswissenschaftlicher Reformbestrebungen dient. Vgl. dazu Tom Kindt, Hans-Harald Müller, »Konstruierte Ahnen. Forschungsprogramme und ihre ›Vorläufer‹. Dargestellt am Beispiel des Verhältnisses der geistesgeschichtlichen Literaturwissenschaft zu Wilhelm Dilthey«, in: Jörg Schönert (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Wissenschaftsforschung, Stuttgart, Weimar 2000, 150–173, bes. 168–170 sowie Kindt, Müller (Anm. 1), 708.
Kolk (Anm. 1), 97.
Holger Dainat, »Anpassungsprobleme einer nationalen Wissenschaft. Die Neuere deutsche Literaturwissenschaft in der NS-Zeit«, in: Boden, ders. (Anm. 1), 103−126, hier: 109.
Vgl. zur »Unbestimmtheit des Geistbegriffes« und dessen vielfältigen Deutungsmöglichkeiten: Johannes Hoffmeister, »Zum Geistbegriff des deutschen Idealismus bei Hölderlin und Hegel«, DVjs 6 (1928), 1−44, hier: 2.
Fritz Blättner, »Winckelmanns deutsche Sendung«, DVjs 21 (1943), 23–66, hier: 56.
Rudolf Unger, »Literaturgeschichte und Geistesgeschichte«, DVjs 4 (1926), 177–192, hier: 182.
Unger (Anm. 11), 188. Parallel dazu umreißt Paul Böckmann später die »polare Aufgabe« der Literaturwissenschaft als Geistesgeschichte: »Erst so gewinnt die Literaturwissenschaft ihre innere Substanz und bringt das zu Bewußtsein, was als Gehalt die einzelne Dichtung in ihrer Gestaltung eingefangen hat. […] Die Erforschung der Weltanschauung wie des individuellen Wesens ist gebunden an die Lebensprobleme, wie sie Unger genannt hat, und womit er besonders glücklich auf die Art hinweist, wie das Geistige in der Dichtung zu fassen ist: als in die Gestalt gebanntes Leben.«. Ders., »Von den Aufgaben einer geisteswissenschaftlichen Literaturbetrachtung«, DVjs 9 (1931), 448–471, hier: 458.
Bereits im Vorwort zum ersten Heft der DVjs wird das dort konstatierte »Nebeneinander« der zeitgenössischen Forschungsrichtungen, denen die Zeitschrift, die der »Geschichte deutschen Geisteslebens« dienen soll, einen »gemeinsame[n] Wirkungsboden« verschaffen will, von der Hoffnung auf eine ›fruchtversprechende und wegweisende Verbindung‹ geistesgeschichtlicher und form- und stilanalytischer Ansätze begleitet ([»Vorwort«] [Anm. 1], V). In der Tat haben anschließend nicht nur alle oben anzitierten Ansätze ›nebeneinander‹ Eingang in die Zeitschrift gefunden, sondern neben Rudolf Unger, der einem »beziehungslosen Nebeneinander« oder »feindlichem Gegeneinander« abschließend emphatisch die »in regster organischer Wechselwirkung vorwärtsdrängenden methodischen Auswirkungen der einen unteilbaren Literaturwissenschaft« entgegenhält (Unger [Anm. 11], 192), skizziert u. a. auch Paul Böckmann (Anm. 12) punktuell eine produktive Verbindung von Ungers problemgeschichtlichem und seinem stilgeschichtlichen Ansatz. Beide beziehen sich auf Scherer, dessen positivistisch-philologischer Ansatz (bei aller gleichzeitiger Kritik) geistesgeschichtlich integrierbar scheint: »Und selbst in Scherers […] Literaturgeschichtsschreibung wahrt der Gedanke von der Entfaltung eines ethischen Lebensideales im Ganzen der nationalen Entwicklung, jedenfalls dem letzten Ziele der Betrachtung nach, noch den Zusammenhang mit den romantisch-idealistischen Überlieferungen deutscher Geistesgeschichte.« Unger (Anm. 11), 180.
Paul Kluckhohn, »Geistesgeschichte«, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. von Paul Merker, Wolfgang Stammler, neu bearbeitet von Klaus Kanzog, hrsg. Werner Kohlschmidt, Wolfgang Mohr, Berlin 1958–1988, Bd. 1: A–K, Berlin 1958, 537–540, hier: Sp. 539.
Böckmann (Anm. 12), 451, es handelt sich hierbei wiederum um ein Zitat von Rudolf Unger, »Von Nathan zu Faust«, in: Ders., Aufsätze zur Literatur- und Geistesgeschichte, Berlin 1929, 67−103, hier: 99.
Kaiser (Anm. 3), 470 u. 483. Vgl. dazu auch Böckmann, der es als Aufgabe der Literaturwissenschaft bezeichnet, ein »erfülltes Traditionsbewußtsein vom Leben des deutschen Geistes« zu schaffen. Ders. (Anm. 12), 470 f.
Kolk (Anm. 1), 98 sowie mit Blick auf die flexible Anpassung dieses Angebots an die jeweilige historische Bedarfslage über eine nationale oder humanistische Auslegung der ›ewigen Wahrheiten großer Dichtung‹ Dainat (Anm. 8), 125 f.
Johannes Hoffmeister, Hölderlin und Hegel, Tübingen 1931, 4.
So Rudolf Unger in seinem DVjs-Sammelreferat im Rekurs auf den Titel einer Studie von Herbert Cysarz. Ders., »Vom Sturm und Drang zur Romantik. Eine Problem- und Literaturschau [I]«, DVjs 2 (1924), 616−645, hier: 637.
Vgl. Holger Dainat, »›Dieser ästhetische Kosmopolitismus ist aus für uns‹. Weimarer Klassik in der Weimarer Republik«, in: Lothar Ehrlich, Jürgen John (Hrsg.), Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur, Köln, Weimar, Wien 1998, 99–121, hier: 111 f.
Vgl. dazu auch Gretz (Anm. 4), 135−145. Diese prägen den literarhistorischen Diskurs zu diesem Zeitraum auch dort, wo nicht explizit auf diese Konzeptbegriffe zurückgegriffen wird.
Dabei wird über den polyvalenten Begriff der ›Gestalt‹ gleichermaßen eine Analogiebeziehung zwischen der Gestalt des Dichters und der Gestalt seiner Werke bzw. der Gestalten in ihnen (allen voran Goethes »Faust«) einerseits und der Gestalt der Nation andererseits hergestellt: durch die Dichtung spricht nicht nur der Dichter, sondern zugleich auch der Geist der Nation.
Vgl. zur »›Vollendung‹ der Aufklärung in der deutschen Romantik« bei Dilthey Rainer Rosenberg, »›Aufklärung‹ in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts«, in: Holger Dainat, Wilhelm Voßkamp (Hrsg.), Aufklärungsforschung in Deutschland, Heidelberg 1999, 7–20, hier: 19. Signifikant für die zentrale Bedeutung der Aufklärung bei Dilthey ist, dass er den Begriff der ›deutschen Bewegung‹ zwar in seiner Antrittsvorlesung nicht verwendet, im gleichen Jahr aber just in einem Beitrag zu Lessing, der später auch Eingang in dessen Band Das Erlebnis und die Dichtung finden wird, en passant konstatiert, dass Leibniz mit seinem monadischen Entwicklungsgedanken, an den Lessing anknüpft, die »große deutsche Bewegung wissenschaftlich vorbereitet hat«. Ders., »Ueber Gotth. Ephr. Lessing«, Preußische Jahrbücher 19 (1867), I. 117−161; II. 271−294, hier: 289.
Nohl (Anm. 4), 350. Diese Modifikation gegenüber Dilthey ist entscheidend für die Stilisierung als genuin ›deutsche Bewegung‹, die ausschlaggebend für die Karriere des Konzepts in den 1920er und 30er Jahren ist, in diesem Sinne – als »Gegenbild« – wird »die Aufklärung für die Geistesgeschichte die wichtigste aller Epochen«. Holger Dainat, »Die wichtigste aller Epochen: Geistesgeschichtliche Aufklärungsforschung«, in: Ders., Voßkamp (Anm. 23), 21−37, hier: 37.
Auch Diltheys Basler Antrittsvorlesung dient nicht zuletzt der eigenen, geisteswissenschaftlichen Positionsbestimmung. Vgl. dazu Rosenberg (Anm. 23), 19. Später findet sich in Fritz Blättners Aufsatz »Winckelmanns deutsche Sendung« (Anm. 10), der zwar nicht auf den Begriff rekurriert, aber Nohls Rekonstruktionsmodell nationaler Identität als Abgrenzung von einer »romanistischen Entartung« (25) folgt, die explizite Charakterisierung von »Kunstwissenschaft (Geisteswissenschaft) als Organ des deutschen Geistes« (51). Blättner rekurriert auf Korffs ›Geist der Goethezeit‹, um diese »Funktion der Geisteswissenschaften« zu illustrieren: »aus dem großen Erbe wird zu verehrender Anschauung ein Bild gestaltet, in dem […] uns ererbte Gebilde des Geistes dargeboten und gedeutet und in einen Zusammenhang eingeformt werden, den wir überschauen und verstehen können. Es ist eine schöpferische Leistung, in der wir Deutschen uns unserer Väter und unser selbst bewußt werden« (59).
Insofern scheint es durchaus berechtigt, Nohls Aufsatz in den von Kluckhohn kolportierten und von der Forschung fortgeschriebenen Gründungsmythos der Geistesgeschichte einzubeziehen, der deren Ursprung auf das Jahr 1911 datiert: das Todesjahr Diltheys, in dem Friedrich Gundolfs Shakespare und der deutsche Geist und Rudolf Ungers Hamann und die Aufklärung als prototypische Vertreter der neuen Richtung erscheinen. Vgl. Kluckhohn (Anm. 14), 538, Kolk (Anm. 1), 90 und Ralf Klausnitzer, »Zentrum oder Peripherie. Faszinations- und Wirkungsgeschichte der Heidelberger Romantik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, in: Friedrich Strack (Hrsg.), 200 Jahre Heidelberger Romantik, Berlin, Heidelberg 2008, 551–582, hier: 558 f, der u. a. Nohls Aufsatz als weiteren Text ergänzt, der konzeptionell wie methodisch einflussreich gewesen sei.
Herman Nohl, »Die Göttinger Vorlesung«, in: Ders., Die deutsche Bewegung. Vorlesungen und Aufsätze zur Geistesgeschichte von 1770–1830, hrsg. Otto Friedrich Bollnow, Frithjof Rodi, Göttingen 1970, 87−230, hier: 87 f.
Thomas Lischeid, »Deutsche Bewegung. Völkische Germanistik in Deutschland 1933−1945 und ihr Bild der Goethezeit«, KulturRevolution 24 (1991), 44−46, hier: 44.
Elke Dubbels, »Zum Verhältnis von wissenschaftlicher Tradition und Politik im ›Dritten Reich‹. Die Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte in den Jahren 1933−1944«, DVjs 78 (2004), 672–706, hier: 694.
Kaiser (Anm. 3), 470. Dabei entfaltet die Begriffsbildung durch ihre begriffliche Vagheit und vielfältige Ausdeutbarkeit ähnlich wie die Geistesgeschichte nicht nur fachintern eine integrative Wirkung, indem sie für unterschiedliche nationalistische Strömungen, vom nationalistischen Humanismus (Korff, Schultz, Unger) über den nationalistischen Irrationalismus (Kindermann), den nationalistischen Protestantismus (Böckmann), den nationalistischen Existenzialismus (Heidegger), die George-Schule (Bertram, Gundolf) und den ethnologischen Nationalismus (Nadler) bis hin zum Nationalsozialismus als Selbstverständigungsformel attraktiv war. Lischeid (Anm. 28), 46.
Kaiser (Anm. 3), 470.
U. a. bei Heinz Kindermann, Hennig Brinkmann, Paul Böckmann, Frantz Schulz, Richard Benz, Walter Linden, Fritz Martini, Rudolf Bach, Benno von Wiese, Erich Ruprecht und Hans Pyritz. Vgl. dazu: Lischeid (Anm. 28), 45; Ralf Klausnitzer, »Umwertung der deutschen Romantik? Aspekte der literaturwissenschaftlichen Romantik-Rezeption im Dritten Reich«, in: Holger Dainat, Lutz Danneberg (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Nationalsozialismus, Tübingen 2003, 185−214, hier: 204; Gretz (Anm. 4), 63−76 u. Kaiser (Anm. 3), 472−484.
Danach wird unter Beibehaltung des grundlegenden Modells einer (Re‑)Konstruktion nationaler Identität über ästhetisch vermittelte Werte vermehrt auf Korffs nun unverfänglicheren ›Geist der Goethezeit‹ zurückgegriffen, wobei es zu einer tendenziellen Aufwertung der Klassik kommt. Vgl. dazu u. a. Paul Kluckhohn, Die Idee des Menschen in der Goethezeit (=Der Deutschenspiegel. Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung; Bd. 13), Stuttgart 1946 u. Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946.
Dies entspricht, wie Elke Dubbels es am zwischen Kluckhohn und Rothacker im Redaktionsbriefwechsel diskutierten Kriterium des »(Zu‑)Aktuellen« herausgearbeitet hat, auch der Publikationspolitik, die Kluckhohn als Mitherausgeber der DVjs an den Tag legt. Dubbels (Anm. 29), 676.
»Entschließung des Hochschulausschusses und des Schulausschusses der Gesellschaft für Deutsche Bildung über die allgemeinen Ziele der Gesellschaft«, Zeitschrift für Deutsche Bildung 9 (1933), 216. Zit. n. Lischeid (Anm. 28), 44. Die Zeitschrift für Deutsche Bildung zählt zu den wichtigsten Verteilermedien zwischen literaturwissenschaftlichem und erzieherischem Feld und adressiert nicht nur eine fachwissenschaftliche Leserschaft, sondern mit einem »dezidiert volkspädagogisch-politischem Impetus auch auf den erzieherischen und politischen Resonanzraum«. Kaiser (Anm. 3), 518.
Michael Grüttner, »Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik und die Geisteswissenschaften«, in: Dainat, Danneberg (Anm. 32), 13–39, hier: 27.
Grüttner (Anm. 36), 26. Vgl. dazu auch Franziska Bomski, »Überindividuelle Mächte und die Idee des Menschen. Zu Paul Kluckhohns Romantikkonzeption«, in: Matthias Löwe, Gregor Streim (Hrsg.), ›Humanismus‹ in der Krise. Debatten und Diskurse zwischen Weimarer Republik und geteiltem Deutschland, Berlin, Boston 2017, 57−77, hier: 77. Bomski betont, dass bei Kluckhohn diese Strategie nicht nur vor, sondern auch nach 1945 zur Anwendung kommt.
Vgl. dazu: Paul Kluckhohn, Das Ideengut der deutschen Romantik [1941], dritte überarbeitete Auflage, Stuttgart 1953, sowie ders., »Berufungsbewußtsein und Gemeinschaftsdienst des deutschen Dichters im Wandel der Zeiten«, DVjs 14 (1936), 1–30, hier: 26.
Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik [1922], 3. unveränderte Auflage 1966, 1. – Vgl. dazu auch den Beitrag von Ludwig Stockinger in diesem Heft.
Vgl. Rudolf Unger [Rez.], »Paul Kluckhohn. Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik«, Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 61 (1924), 75–82, hier: 78 und Kluckhohn (Anm. 14), 538, sowie Müller (Anm. 6), 12. Bereits im Vorwort der zweiten Auflage von 1931 kündigt Kluckhohn eine Neubearbeitung der »hier behandelten Probleme durch die ganze deutsche Geistesgeschichte hindurch« an. Kluckhohn (Anm. 39.), o.S.
Kluckhohn (Anm. 39), 2. Kluckhohn bezieht sich hier zwar nicht programmatisch auf Dilthey, zitiert neben dessen Leben Schleiermachers, das ihm als eine zentrale Quelle dient, aber auch aus der Aufsatzsammlung Das Erlebnis und die Dichtung, die ebenfalls eine gesamteuropäische Perspektive eröffnet und mit ihrem Darstellungsprinzip einer mit Lessing beginnenden Abfolge von Dichtern und Denkern aus Aufklärung, Klassik und Romantik als Repräsentanten des ›deutschen Geistes‹ der Basler Antrittsvorlesung folgt.
Paul Kluckhohn, »Wege und Ziele deutscher Kultur«, Die Arbeit. Monatsschrift für deutsche Kulturgemeinschaft 1 (1920), 97–110, hier: 97. Insofern scheint das Ende des Ersten Weltkriegs für die Nationalisierung der Geistesgeschichte eine größere Rolle zu spielen als die nationalsozialistische Machtergreifung.
Mit Mittelalter und Romantik handelt es sich um die bis dahin bevorzugten Forschungsgegenstände Kluckhohns, sodass die geforderte kulturelle Rückbesinnung zugleich die eigene Forschungstätigkeit gleichermaßen legitimiert wie nobilitiert.
Dem entspricht auch das Urteil, dass der geforderte »neue Geist« letzten Endes »identisch mit dem« sei, »was wir als deutschen Geist aus der Kulturentwicklung erkennen können, mit einem Grundzug deutschen Wesens, der freilich noch nie zu objektiver dauernder Gestaltung gelangt ist« (109).
Vgl. zur Mittelstellung der Nation zwischen Mensch und Menschheit, die zu ihrer herausragenden Stellung in der Geistesgeschichte führt, da sie Synthese und Orientierung ermöglicht: Holger Dainat, »›Durch die Eigenkultur des Volkes hindurch der Menschheit dienen‹ Die Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte und ihre internationalen Beiträge(rInnen) von 1923 bis 1956«, in: Andrea Albrecht u. a. (Hrsg.), »Zwischenvölkische Aussprache«. Internationaler Austausch in wissenschaftlichen Zeitschriften 1933–1945, Berlin, Boston 2020, 181−212, hier: 186.
Paul Kluckhohn, Die deutsche Romantik, Bielefeld, Leipzig 1924, 2. Auch die für die konstatierte Abgrenzung von Aufklärung und westeuropäischen Demokratien zentrale Bestimmung der deutschen, romantischen Staatsauffassung aus dem Arbeit-Beitrag übernimmt Kluckhohn hier in nur leicht variierender Formulierung (vgl. 159). Vgl. dazu: Bomski (Anm. 37), 64. Dieser Staatskonzeption widmet Kluckhohn anschließend die gesonderte Abhandlung Persönlichkeit und Gemeinschaft, Studien zur Staatsauffassung der Romantik, die 1925 als 5. Band der Buchreihe der DVjs erscheint.
Dabei grenzt er seine epochenspezifische Lesart der Romantik noch von jener Auffassung (in Nadlers Literaturgeschichte) ab, »die in der Romantik nur die Krönung einer jahrhundertelangen Bewegung wesentlich antirationalistischer, mythischer Art oder auch diese Bewegung selbst in ihrer ganzen Ausdehnung« (2) sieht.
Bomski (Anm. 37), 62. Dies gilt auch für die von ihr konstatierte Selbstinszenierung Kluckhohns als »Wiederentdecker der deutschen Romantik« (65), welche der traditionsbildenden und legitimatorischen Funktion des nohlschen Konzepts entspricht.
Paul Kluckhohn, »Die Fortwirkung der deutschen Romantik in der Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts«, Zeitschrift für Deutsche Bildung 4 (1928), 57−69.
Paul Kluckhohn, »Die konservative Revolution in der Dichtung der Gegenwart«, Zeitschrift für Deutsche Bildung 9 (1933), 177−190.
Dabei bezieht er sich nicht nur auf Julius Petersens Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik (Leipzig 1926), sondern offensichtlich auch auf einen vorhergehenden Beitrag im Rahmen der Hauptversammlung der Gesellschaft für Deutsche Bildung zurück, wenn er hinzusetzt »von deren Anfängen Sie heute schon gehört haben«.
Ebd., 61.
Dies lässt sich als Hinweis darauf lesen, dass es sich bei der Wellenbewegung, in der sich das ›deutsche Wesen‹ konstituieren soll, um eine potenziell unendliche handelt, die (im Rekurs auf die Formulierung aus dem Aufsatz von 1922) permanente ›Arbeit‹ erfordert. Vgl. Kluckhohn (Anm. 42), 101.
Kluckhohn (Anm. 50), 177. Für diese Vorgeschichte verweist er mit einer Fußnote auf seinen früheren Beitrag zurück. Eine explizite Verbindung dieser ›konservativen Revolution‹ mit der ›deutschen Bewegung‹ erfolgt 1933 in einer weiteren Bearbeitung der drei Radiovorträge, die ebenfalls zunächst in Vortragsform erfolgte. Vgl. Paul. Kluckhohn, Die Gegensätze in der Dichtung der Gegenwart und ihre geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, Stuttgart 1933, 28−30, bes. 30: »So könnte man auch die heutige Bewegung wie jene um 1800 und mit noch mehr Recht, da sie noch weitgehender volksbewußt ist, als deutsche Bewegung bezeichnen.« Vgl. zu Kluckhohns »Klaviatur der rhetorischen Anpassung« in diesem Vortrag in Gestalt einer Affirmation der Bücherverbrennungen auch Bomski (Anm. 37), 72.
Kluckhohn (Anm. 50), 179.
Allerdings deutet Kluckhohn auch hier im Rekurs auf den »Dritte[n] Humanismus als eine Bewegung auf den Staat hin«, die glaubte, »die Spaltung gebildet – ungebildet überwinden zu können« (189), eine spezifische Stoßrichtung dieser Überblendung an.
Kluckhohn (Anm. 4), 223. Auch hier erweitert sich so der Adressatenkreis der Sammlung, die verspricht, »auch außerhalb der Universitätsseminare Übungen anderer Bildungsanstalten und den Erörterungen von Fachschafts- und Zellenabenden u. dgl. fruchtbare Anregungen zu bieten« (ebd.).
Paul Kluckhohn, »Das Volks- und Nationalbewußtsein in der deutschen Bewegung«, in: Von deutscher Art in Sprache und Dichtung, hrsg. im Namen der germanistischen Fachgruppe von Gerhard Fricke, Franz Koch und Clemens Lugowski, 4. Bd., Stuttgart, Berlin 1941, 79−126, hier: 125. Eine vergleichbare, aber weniger explizite Formulierung findet sich mit dem Verweis darauf, dass »der große völkische Umbruch unserer Tage auf allen Gebieten vieles mit der Romantik gemein hat«, auch in Kluckhohns im gleichen Jahr publizierter populärwissenschaftlicher Schrift Das Ideengut der deutschen Romantik (Anm. 38), 180.
Vgl. Grüttner (Anm. 36), 37.
Vgl. auch Kluckhohn (Anm. 38), 119, wo ein Bewusstsein dafür konstatiert wird, dass »die nationalen Aufgaben der Deutschen zugleich universale Aufgaben für die Menschheit seien«, und Kluckhohn (Anm. 54), 31: »Nur so, wenn wir den Mut zu uns selbst haben, werden wir auch Europa am besten dienen können.« Zentral scheint in diesem Zusammenhang: Paul Kluckhohn, »Der europäische Gedanke in der deutschen Romantik«, Europäischer Wissenschafts-Dienst 3 (1943) 12, 7–9, wo sich der »Glaube an die deutsche Europa-Aufgabe« (8) artikuliert. Vgl. dazu: Ine Van Linthout, Ralf Klausnitzer, »Europäischer Wissenschafts-Dienst ›Zwischenvölkische Aussprache‹ oder expansive Internationalisierung im Rahmen des ›Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften‹?«, in: Albrecht u.a (Anm. 45), 142−179, bes. 166−171, die ebenfalls von einer »Mehrfachadressierung« (168) im Rahmen der kulturellen Legitimation von Geltungsansprüchen ausgehen.
Kluckhohn (Anm. 33), 7. Auch bei dieser Publikation handelt es sich signifikanterweise erneut um einen bereits Ende 1945 an der Universität Tübingen und danach wiederholt gehaltenen Vortrag. Vgl. zu Kluckhohns Verwendung der »gleichen althergebrachten kulturkonservativen, verfallstheoretischen, Rationalismus- und modernefeindlichen Argumentationsversatzstücken« auch Bomski (Anm. 37), 75, die sich hier auf dessen Monographie Die deutsche Romantik von 1924 bezieht, im Grunde arbeitet Kluckhohn bereits 1922 mit einem Teil dieser Versatzstücke, aber eben auch noch mit jenen humanistisch-universellen, die er nun ebenfalls erneut reaktivieren kann.
Vgl. zum Konzept des »heft- und jahrgangsübergreifenden« bzw. »thematisch textsortenübergreifenden seriellen Erzählens« von Zeitschriften am Beispiel der Gartenlaube: Claudia Stockinger, An den Ursprüngen populärer Serialität. Das Familienblatt »Die Gartenlaube«, Göttingen 2018, 150 u. 152. Diese Form einer fortgesetzten Literaturgeschichte als erzählter Geschichte des deutschen Geistes tritt so gleichermaßen an die Stelle der von Niemeyer avisierten synthetisierenden Gesamtschau in Gestalt einer in doppelter Hinsicht ertragreichen Monographie, die nie realisiert wurde. Vgl. dazu den Beitrag von Holger Dainat in diesem Heft.
Rudolf Unger, »Zur Entwicklung der historischen Objektivität bis Hegel. Eine prinzipiengeschichtliche Skizze«, DVjs 1 (1923), 104−138, hier: 128.
Vgl. Unger (Anm. 11).
Elisabeth Blochmann, »Die deutsche Volksdichtungsbewegung in Sturm und Drang und Romantik«, DVjs 1 (1923), 419−452, hier: 419. Die Arbeit ist, wie die letzte Fußnote verrät, auf Anregung Nohls entstanden.
Heinz Kindermann, »Romantik und Realismus«, DVjs 4 (1926), 651–657, hier: 652. Auch dieser Artikel geht auf einen mündlichen Vortrag im Rahmen der 55. Philologentagung in Erlangen im September 1925 zurück. Dabei verweist die Vorstellung der Romantik als Vollendung der ›deutschen Bewegung‹ erneut eher auf Diltheys und Kluckhohns bzw. Kindermanns eigene Lesart des Konzepts, die er parallel zur Entstehung des Aufsatzes in einer Reihe von Studien entfaltet, auf die er in einer Fußnote hinweist.
Paul Kluckhohn, »Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung«, DVjs 13 (1935), 1–43. Das gesamte erste Heft des Jahrgangs, den Kluckhohns Beitrag eröffnet, ist der Etablierung des Biedermeier als neuem Epochenbegriff gewidmet. Dabei folgt Günter Weydt in seinem Beitrag »Literarisches Biedermeier II« (ebd., 45–58) Kluckhohns Argumentation, wenn er das Biedermeier als »Verwirklichung« der Ideale der Romantik »um den Preis des Entsagens« (58) definiert, während Rudolf Haller in seinem Beitrag »Goethe und die Welt des Biedermeiers« (ebd., 442–461) komplementär dazu strategisch auf Korffs Begriff der »Goethezeit« (442) zurückgreift, um den neuen Forschungsgegenstand über das Fortwirken ihres ›Geistes‹ zu legitimieren. Vgl. zur zeitgenössischen Biedermeierdiskussion: Petra Boden, »Im Käfig des Paradigmas: Biedermeierforschung 1928–1945 und in der Nachkriegszeit«, Euphorion 90 (1996), 432–444.
Vgl. dazu Boden (Anm. 67), 436.
Kluckhohn (Anm. 38).
Vgl. zu dieser Tradition eines »asozialen Individualismus« Dubbels (Anm. 29), 702. Eine ähnliche aber stärker formal-gestaltästhetische Argumentation legt Emil Ermatinger bereits 1926 in seinem Beitrag »Zeitstil und Persönlichkeitsstil. Grundlinien einer Stilgeschichte der neueren deutschen Dichtung« (DVjs 4 [1926], 615−650) an den Tag.
Kluckhohn selbst hatte Bedenken gegen die Veröffentlichung des Aufsatzes, der eigentlich in der popularisierenden Zeitschrift für Deutschkunde erscheinen sollte, weil er mit dem Rekurs auf Gegenwartsdichtung und seinem aktualisierenden Duktus den wissenschaftlichen Prinzipien der DVjs zuwiderlief. Vgl. dazu Dubbels (Anm. 29), 703 und Kaiser (Anm. 3), 474. Rothacker (und auch Niemeyer, vgl. dazu den Beitrag von Holger Dainat in diesem Heft) waren anderer Meinung. 1938 erscheint dann noch eine vor allem in der sprachlich-metaphorischen Diktion noch viel offensichtlicher auf Kontinuität zum Nationalsozialismus bedachte zusammenfassende Neuauflage und Fortsetzung von Kindermanns und Kluckhohns Argumentation von Franz Stuckert, der u. a. das berufsmäßige Literatentum Börnes und Heines als »Zersetzung jedes Gehaltes« und »Verhöhnung alles arthaft Deutschen« durch »das Judentum« charakterisiert und das Fazit zieht: »Das 19. Jahrhundert hat zwar die Krankheiten erzeugt, an denen unser Volkskörper fast zugrunde gegangen wäre, aber es hat auch, und zumal auf dem Boden der Dichtung, die Gegenkräfte erweckt, aus denen sich unsere Zeit schöpferisch erneuern konnte.« Ders., »Die Entfaltung der deutschen Dichtung im 19. Jahrhundert. Ein Versuch«, DVjs 16 (1938), 376–400, hier: 381 u. 400.
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Gretz, D. »Viele alte Aufgaben wurden damit in einem neuen Lichte gesehen«. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 97, 655–678 (2023). https://doi.org/10.1007/s41245-023-00201-0
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