Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund einer breiten Diskussion über das Verhältnis zwischen literarhistorischer Erforschung und ästhetischer Würdigung historisch ferner Literatur im ersten Jahrzehnt der DVjs legt Erich Auerbach eine Lektüre von Dantes Commedia vor, die beides verbindet. In seinem Artikel »Entdeckung Dantes in der Romantik« in der DVjs von 1929 zeigt er, dass er diesen (im gleichen Jahr in dem Buch Dante als Dichter der irdischen Welt weiter ausgestalteten) Ansatz wesentlich aus Überlegungen Schellings und Hegels entwickelt hat, von denen er auch gewisse metaphysische Hypotheken übernimmt. Die darin liegende besondere Auffassung von Realismus (die 1946 in Auerbachs Buch Mimesis ausgefaltet wird) spitzt er in dem Aufsatz »Figura« von 1939 für seine Danteinterpretation unter Verwendung des bibelhermeneutischen Konzepts der Figuraltypologie zu, allerdings um den Preis einer gewissen Entstellung der historischen Tradition der Typologie. Dadurch gewinnt Auerbach der Literaturwissenschaft ein machtvolles Begriffsinstrument hinzu, das in den dann folgenden Generationen unter Hinweis auf die Polysemie des lateinischen Ausdrucks figura teils unspezifisch eingesetzt wird, nun nicht mehr einer Vorstellung von Literatur als Mimesis, sondern als Ort von Vieldeutigkeit schlechthin folgend.
Abstract
In the context of a broad discussion on the relationship between historical research and aesthetic appreciation of historically remote literature in the first decade of the DVjs, Erich Auerbach presents a reading of Dante’s Commedia that combines both. In his article, »Entdeckung Dantes in der Romantik« in the DVjs of 1929, Auerbach declares that he developed this approach (further elaborated in the same year in the book Dante als Dichter der irdischen Welt) essentially from considerations found in Schelling and Hegel, from whom he also inherits certain metaphysical presuppositions. The particular conception of realism inherent in this reading of Dante (to be unfolded in Auerbach’s book Mimesis in 1946) is further sharpened in the essay »Figura« of 1939 by the use of the hermeneutic concept of figural typology – albeit at the price of a certain distortion of the historical tradition of this concept. Thus, Auerbach adds a powerful instrument to literary studies, which in the following generations, in accordance with the polysemy of the Latin term figura, is often used in a somewhat unspecific way, now no longer following a conception of literature as mimesis, but as the locus of ambiguity par excellence.
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Zwei der einflussreichsten Konzepte des Romanisten Erich Auerbach sind mit seinen Studien zu Dante Alighieri verbunden: seine besondere Fassung des Begriffs MimesisFootnote 1 und seine Bemühung, eine bestimmte Bedeutung des Ausdrucks figura für die Mediävistik fruchtbar zu machen. Auf den folgenden Seiten soll versucht werden, ihrer innigen Verbindung zueinander anhand von Auerbachs in der Deutschen Vierteljahrsschrift 1929 erschienener Marburger Antrittsvorlesung »Entdeckung Dantes in der Romantik«Footnote 2 nachzuspüren und ihren geistigen Ort in der romanistischen Diskussion des ersten Jahrzehnts der DVjs zu ermitteln. Hieraus werden sodann einige Überlegungen zum figura-Konzept bis in die Gegenwart entwickelt, die sich freilich nicht als Beiträge zu einer Auerbach-Forschung verstehen, sondern zur Methodik literaturwissenschaftlicher Dante-Studien.
I.
geschichtlichkeit und ästhetische relevanz im ersten jahrzehnt der DVjs
Betrachtet man die Beiträge zur romanistischen Mittelalter- und Frühneuzeitforschung in den Jahrgängen bis zum Erscheinen von Auerbachs Dante-Artikel, so fallen zwei zueinander gegenläufige, gleichzeitig ausgefochtene Polemiken ins Auge, die sich gegen dominante Forschungsparadigmen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts richten. Einerseits argumentiert man gegen eine positivistisch ausgerichtete Literaturgeschichte, die die ästhetische Erfahrung vergangener wie gegenwärtiger Lesender nivelliert oder ausblendet; andererseits gegen die namentlich über die italienische Forschung eindringende idealistische Ästhetik Benedetto Croces, welche sich für geschichtliche Kontexte oder Details kaum interessiert.
Schon Helmut Hatzfelds Frankfurter Antrittsvorlesung über »Dante und Tasso als religiöse Epiker«Footnote 3 im ersten Jahrgang (1923) wendet sich gegen Croces Versuch, aus einer modernen philosophischen Anschauung heraus stimmungsgesättigte, auf das Individuum zentrierte ›Poesie‹ von – entweder Allgemeingültiges darlegender oder allgemeinen Handwerksregeln folgender – bloßer ›Literatur‹ zu unterscheiden. Zugleich lehnt Hatzfeld aber auch eine aus der äußerlichen Beobachtung historischer Phänomene gewonnene Stiltypologie ab. Stattdessen plädiert er für eine historisch informierte Stilkritik, die ästhetische Würdigungen aus dem jeweiligen geistesgeschichtlichen Zusammenhang heraus begründen soll. Auf diese Weise versucht er die Beachtung der historischen Besonderheit einerseits und aus der Gegenwartsrelevanz vergangener Dichtung andererseits zusammenzuführen.
In eine ähnliche Richtung geht die Bestandsaufnahme der deutschen Danteforschung, die Alfred Bassermann im folgenden Jahr angesichts des wackligen Neueinsatzes des Deutschen Dante-Jahrbuchs in jenen Jahren lieber in der DVjs veröffentlichen wollte. Er wirft Croce eine »Blumenlese […] ohne Sinn und Körper und Zusammenhang« vor.Footnote 4 Zwar bemüht sich auch Bassermann um ästhetische Würdigung aus gegenwärtigem Blickwinkel, nicht zuletzt auch neuer Dante-Übersetzungen, aber zugleich tendiert er zu einer kultur- und mentalitätsgeschichtlich ausgerichteten Literaturbetrachtung, die gerade das historisch Spezifische der Texte in den Blick nimmt.Footnote 5
Auch Leonardo Olschki bearbeitet die Frage von geschichtlicher Rekonstruktion versus gegenwärtiger Würdigung in dem parallel zu seinem Buch Die romanischen Literaturen des Mittelalters von 1928 im Jahrgang 1929 veröffentlichten Vortrag »Das literarische Vermächtnis des Mittelalters«.Footnote 6 Olschki will für die Literaturgeschichte die Annahme einer Epochengrenze zwischen Mittelalter und (Früher) Neuzeit aufgehoben wissen und argumentiert für eine sich seit dem 12. Jahrhundert in immer neuen Schüben bereichernde Tradition, die bis in die Gegenwart wirkt. Die Frage von Historizität und Gegenwartsrelevanz ist insofern bei ihm in einer Kontinuität aufgelöst.
Die historische Identität mittelalterlicher Literatur mit der Frage ihrer ästhetischen Relevanz für die Gegenwart zusammenzudenken, aus welcher letztlich die Begründung für ihre Behandlung als Literatur jeweils abgeleitet wird, stellt sich also als zentrales Problem für die meisten Beitragenden. Dies ist bis heute eine (oft unausgesprochene) Frage bei jenen Forschenden, die weder Literatur ausschließlich als Materialgrundlage für andere (etwa mentalitätsgeschichtliche) Vorhaben nutzen wollen noch an einer allgemeinen Texttheorie oder -Geschichte arbeiten, sondern mit einem Literaturbegriff operieren, der – auf welche Weise auch immer – eine ästhetische Dimension einschließt. Der später breit diskutierte Gedanke, dass so etwas wie die Alterität oder auch Alternativität geschichtlich ferner poetischer Texte selbst zu deren (durch ihre Poetizität allererst ermöglichter) ästhetischer Wirkung in der Gegenwart beitragen könne, spielt in dem hier skizzierten Publikationszusammenhang noch keine nennenswerte Rolle.Footnote 7
In dieser Situation stellt nun Erich Auerbach 1929 anstelle der mehr oder minder überzeugenden Kompromisse, die sich in den erwähnten Artikeln zeigen, eine starke These in den Raum, wie ästhetische Relevanz und Historizität zusammengedacht werden könnten. Er entwickelt aus Anschauungen und Verfahren der historischen Objektebene eine Herangehensweise auf der Beschreibungsebene, die eine ästhetische Würdigung aus der Gegenwartsperspektive einschließt. Dabei nimmt er freilich gewisse metaphysische Hypotheken auf und opfert in einer späteren Weiterentwicklung des Ansatzes, wie zu zeigen sein wird, die historische Spezifik seines Gegenstandes doch ein Stück weit wieder der Gegenwartsperspektive.
II.
auerbachs dante
Im Rahmen seiner Rekonstruktion der »Entdeckung Dantes in der Romantik« in der DVjs von 1929 greift Auerbach vor allem zwei Stimmen heraus: Schelling und Hegel, deren Gedanken er emphatisch zustimmt und aus deren Dantelektüren er selbst seine im gleichen Jahr in Buchform ausgestaltete These von Dante als Dichter der irdischen Welt entwickeln wird.Footnote 8
Beiden Philosophen ist gemeinsam, dass sie Dantes Leistung in einem lebendigen Vor-Augen-Stellen der geschichtlichen Individualität des Menschen in Bezug auf eine ewig gültige Ordnung sehen. Diesen Gedanken einer individuellen Ausprägung eines Allgemeinen fassen sie aber trotz seiner strukturellen Analogie zur Mimesis-Poetik des Stagiriten gerade nicht aristotelisch, unter anderem, weil sie sich nicht auf eine dominant innerweltliche Fassung dieses Allgemeinen beschränken. Vielmehr nehmen Schelling und Hegel mit ihrer Auffassung von Dantes ewig Gültigem eine metaphysische Hypothek auf, die Auerbach von ihnen weitgehend übernehmen wird.
Diese von Auerbach aufgegriffene metaphysische Basis ist nicht lediglich ein historiographisches Zitat von Dantes mittelalterlich-christlichem Weltbild. Vielmehr erscheint sie als eine – bei dem Romanisten im Gegensatz zu den beiden Philosophen nicht explizierte – neuzeitliche Metaphysik; sie distanziert sich damit nicht zuletzt von jenen Strömungen positivistischer Literaturbetrachtung einerseits und rein ästhetischer andererseits, welche wesentliche Anteile der in der DVjs in jenen Jahren erschienenen romanistischen Arbeiten ausmachen.
Aber die von Auerbach aus Schellings und Hegels Dante-Betrachtungen entwickelte Bedeutungsbeziehung zwischen dem Menschen und der großen Ordnung ist noch in einer zweiten Hinsicht nicht aristotelisch: Sie ist nicht synekdochisch oder exemplarisch ausgerichtet; sie führt nicht vom Teil oder Exemplar zum Ganzen oder Allgemeinen hin – sondern sie ist, wie sich in den folgenden Absätzen zeigen soll, holistisch, indem sie Teil und Ganzes in ihrem Bezug simultan erstehen lässt.
Aus Schellings Schrift »Über Dante in philosophischer Beziehung« (1803) greift Auerbach den Gedanken heraus, Dantes Komödie präsentiere (in Auerbachs Paraphrase) »unsere irdische und historische Welt in ihrer wahren und ewigen Gestalt, die das göttliche Urteil enthüllt hat.« Er bezieht sich damit vor allem auf Schellings Satz: »Die Personen des Dante erhalten schon durch die Stelle, an welche er sie versetzt und welche ewig ist, eine Art der Ewigkeit.«Footnote 9
Noch deutlicher sieht Auerbach seine eigene Sicht auf Dante in Hegels Vorlesungen über die Ästhetik vorgezeichnet, aus denen er ausführlich zitiert. Der entscheidende Satz lautet: »Hier verschwindet alles Einzelne und Besondere menschlicher Interessen und Zwecke vor der absoluten Größe des Endzwecks und Ziels aller Dinge, zugleich aber steht das sonst Vergänglichste und Flüchtigste der lebendigen Welt, objektiv in seinem Innersten ergründet, in seinem Werth und Unwerth durch den höchsten Begriff, durch Gott gerichtet, vollständig episch da […] In dieser Weise umfaßt das Gedicht die Totalität des objektivsten Lebens«.Footnote 10
Bei Hegel liegt der Akzent, wie man an diesen Zeilen sieht, stärker auf dem Ganzen und dem ›Ziel der Dinge‹ und etwas weniger auf dem Individuum, aber dennoch stellt sich das Ganze gerade aus dem Blick auf das ergründete, gedeutete, gerichtete Individuum dar. Insofern kann man diese Beziehung nicht synekdochisch nennen, denn das Individuum wird nicht stellvertretend für das Ganze genannt; vielmehr sind beide aufeinander verwiesen, und über beide wird Wesentliches ausgesagt.
Auerbach selbst entwickelt in seinem im gleichen Jahr wie der Aufsatz (1929) erschienenen Buch Dante als Dichter der irdischen Welt eine stärker auf die Individuen »in ihrer äußersten Besonderheit« zentrierte Sicht, die sich aber deutlich an Schelling und Hegel anlehnt.Footnote 11 Hier wird aus dem Axiom, »dass der Mensch Eines sei«, gefolgert, dass eine Darstellung des Menschen seine Übereinstimmung mit sich selbst und seinem »Geschick« im größeren Weltzusammenhang treffen müsse;Footnote 12 daher ist auch das, was Auerbach später Mimesis nennen wird, keine Darstellung äußerer Umstände, sondern eine solche innerer Folgerichtigkeit.
Die metaphysischen Anleihen dieser Ausgangsposition werden nicht offengelegt, aber unmittelbar verbunden mit der thematischen Ebene von Dantes Dichtungen. So ist schon die Beatrice der Vita Nova »eingeordnet als ein notwendiges, im göttlichen Ratschluß vorgesehenes Glied des Heilsplanes«, sie ist »nichts Gemischtes, Zwitterhaftes, Konstruiertes, sondern die reale, sinnlich-vernünftige Synthesis der Vollkommenheit.«Footnote 13 Damit scheint impliziert zu sein, dass die zeichenhafte Überformung der Beatrice-Gestalt nicht Ergebnis eines metaphorischen Verfahrens des Textes ist, sondern in einer wie auch immer vorhandenen, visionär erlebten oder simulierten Wirklichkeitserfahrung als bereits ausgeformt angenommen und im Text lediglich mimetisch erfasst wird. Beatrice erscheint in ihrer jenseitigen Gestalt dann in ihrer Eigentlichkeit, »in der Verwandlung zum Jenseitigen ist ihre irdische Gestalt, ihre Kontingenz, erhalten und gesteigert.«Footnote 14 Dabei wird Dante die thomistische Vorstellung zugeschrieben, aufgrund der postlapsarischen Unvollkommenheit jedes Einzelnen sei nur in der Summe aller Individuen die Gottähnlichkeit überhaupt zu erreichen;Footnote 15 so wird dem Individuum besondere theologische Dignität zugewonnen.
Aber Auerbachs Vorstellung davon, wie Dante dieses Individuelle erfasst, wie er die Einheit des Individuums mit seinem ›Geschick‹ modelliert, ist alles andere als abstrakt, sie ist durchaus körperlich: An der Commedia rühmt er die »Darstellung des Individualcharakters durch die Geste des ihm verbundenen Körpers.« Jede Figur des Gedichts erscheint zwar »als schon dem endgültigen Urteil Gottes unterworfen und somit an ihrem eigentlichen, ihr nach der göttlichen Ordnung zukommenden Platz gestellt«, aber die Charaktere sind dabei »nicht etwa ihres irdischen Charakters beraubt«, sondern Dante hält »die äußerste Steigerung ihres individuell-historischen Wesens« fest,Footnote 16 ihre individuelle Haltung im Jenseits ist »Fortsetzung, Steigerung und endgültige Fixierung« ihres »Wesens und Geschicks«, »Selbstverwirklichung«Footnote 17 und auch Bewahrung ihrer »Gestalt«.Footnote 18 Und gerade deshalb ist »die Komödie ein Bild der irdischen Welt […], endgültig geordnet.«Footnote 19
Die starke und im Sinne von Auerbachs erst später so benannter Mimesis-These genaue, mitreißende Affektdarstellung bei der Schilderung von Dantes Jenseitsgestalten verdankt sich eben dieser Steigerung der Gestalt, die trotz ihrer Herauslösung aus diesseitigen Beschränkungen biographisch individualisiert ist, aber zugleich auf das Allgemeine hin gedeutet wird. Die Welt der Komödie erscheint dadurch »mit all ihren Besonderheiten auf das ewige Ziel geordnet.«Footnote 20 Aber was ist eigentlich dieses ewige Ziel?
Die Vorstellung Auerbachs hiervon scheint zwischen einer Bezugnahme auf das Christentum des Mittelalters und einer modernen Metaphysik zu vermitteln. Auerbach deutet einerseits an, dass die weltanschaulichen Grundlagen heutiger Lektüre denen Dantes nicht mehr entsprechen, aber er fordert andererseits einen Umgang mit der Komödie, der nicht lediglich nach ästhetischen Gesichtspunkten (hier spielt er auf Croce an) einzelne Stellen herauslöst, sondern »ihr System und ihre Lehre« als »Wurzeln ihrer poetischen Schönheit« in Anschlag bringtFootnote 21 – eine Art weltanschaulicher suspension of disbelief, die in den 1920er Jahren nicht selbstverständlich war. Auerbachs Metaphysik geht freilich in solch ›frommer Phantasie‹ (wie Wilhelm Schmidt-Biggemann ein solches Vorgehen später nennen wird)Footnote 22 nicht auf. Seine nur ansatzweise deklarierten Anleihen insbesondere bei Hegel fundieren seine Würdigung Dantes über eine historistische Bemühung hinaus ›modern‹ und bilden die Grundlage seiner Konzeption eines mimetischen Realismus.
III.
figura
Auerbachs in seinem Dante-Buch immer wieder betontes Interesse an Dantes Darstellung seiner jenseitigen Gestalten als Steigerung und Einlösung ihres diesseitigen Lebens führt ihn ein Jahrzehnt später folgenreich dazu, Interesse an einer bis dahin in der romanistischen Literaturwissenschaft weniger beachteten Zeichenstruktur zu entwickeln. Es handelt sich um eine der Bedeutungen des Ausdrucks figura, und zwar im Sinne einer Typologie, wie sie in der mittelalterlichen Bibelauslegung eine zentrale Rolle spielt und eben ein solches Steigerungs- und Einlösungsverhältnis betrifft; ihr widmet er seinen berühmten Aufsatz »Figura« von 1939.Footnote 23
Betrachtet man die Umrisse des Begriffs in wichtigen Nachschlagewerken, so hat der Ausdruck figura im Lateinischen zunächst einmal eine alltägliche Bedeutung im Sinne von ›Gestalt‹, ›Form‹ oder auch ›Abbild‹; daneben begegnet er bei Cicero und Quintilian als Sammelbegriff für rhetorische Verfahren, beispielsweise (aber nicht nur) der Übertragungsfiguren. In theologischen Zusammenhängen wird er seit der lateinischen Patristik als Übersetzung des griechischen typos (›Prägeform‹) gebraucht, seit Tertullian im Zusammenhang mit der realprophetischen Deutung von Ereignissen des Alten Testaments als Ankündigungen künftiger heilsgeschichtlicher Ereignisse, die diese Ankündigungen einlösen und übertreffen.Footnote 24
In der Patristik wird bei der Interpretation des Verhältnisses zwischen ankündigendem und einlösendem Faktum die Überwindung der Figur durch die spätere Einlösung stark betont. Die Scholastik betrachtet den Sinn des realprophetischen Ereignisses als von Gott gewollt. Er liegt in den Ereignissen selbst, nicht in der Textform eines Berichts darüber.Footnote 25 Daher hängt im Gegensatz zur literarischen Allegorie, welche bezüglich der historischen Wahrheit der zugrunde liegenden Erzählung nicht festgelegt ist, die Typologie von der historischen Wirklichkeit des Literalsinns ab.Footnote 26
Diese Gegenüberstellung einer weiteren und einer engeren, typologischen Bedeutung von figura mag historisch betrachtet idealisierend sein, da der Begriffsgebrauch auch in der Theologie nicht von Anfang an klar definiert ist.Footnote 27 Aber es bleibt festzuhalten, dass sich Auerbach zunächst klar auf den engeren Sinn bezieht (den er freilich dann selbst wieder in gewisser Weise verwässern wird). Mit dieser Wahl gewinnt Auerbach der Literaturwissenschaft ein mächtiges Interpretationsinstrument zu, dessen Kraft aus dieser spezifischen, typologischen Bedeutung erwächst; andernfalls hätte er nur einen unbestimmten Begriff für Analogiebeziehungen jeglicher Art aus dem Wortschatz der historischen Objektebene oder Quellensprache übernommen und damit mittelalterliche Selbstbeschreibungen lediglich wiederholt. Insofern scheint es auch wenig hilfreich, ihn für diese Einengung unter Hinweis auf die Quellensprachlichkeit zu kritisieren.Footnote 28
Das Instrument der Typologie ist nun gerade für die Befassung mit Dante von Wichtigkeit, da der typologische Sinn einer der vier biblischen Schriftsinne ist, die Dante grundsätzlich und der Möglichkeit nach (wenngleich vielleicht nicht durchlaufend an jeder Stelle) für seine Commedia in Anspruch nimmt.Footnote 29 Diese Zuschreibung ist nicht nur brisant, weil sie die Commedia in theologisch riskanter Weise mit der Bibel parallelisiert, sondern auch weil sie die Frage der Faktizität des in Dantes Gedicht Berichteten aufwirft, von der ja der typologische Sinn abhängt.Footnote 30
Eben weil darin aber eine provokante Innovation Dantes liegt, ist es nicht gleichgültig, welcher Art die Bedeutungsbeziehung genau ist. Ein polysemer und damit unterbestimmter figura-Begriff würde sich zwar der quellensprachlichen Verwendung annähern, vermöchte aber nicht Dantes innovativen und den Zeithorizont überschreitenden Gebrauch der Typologie zu erklären.
Es ist also wichtig, den typologischen figura-Begriff, der sich auf Bedeutungsbezüge in der Welt bezieht, von anderen Zeichenbeziehungen zu unterscheiden, und insbesondere von textuellen Allegorie-Verfahren. Verwirrung entsteht aber dadurch, dass in der Lehre vom vierfachen Schriftsinn der Bibel der typologische Sinn, der sich auf die Bedeutungsverhältnisse in der menschlichen Geschichte bezieht, gerade als sensus allegoricus bezeichnet wird, also terminologisch nicht von der textuellen Allegorie geschieden scheint. Bezogen auf die Bibel als Text stellt dieser allegoricus in der Tat eine texthermeneutische Ebene dar, aber er bildet eben dem Anspruch nach nur sekundär eine Sinnebene ab, die ihrerseits bereits in der Welt und in der Geschichte vorhanden ist. Um diese Ambivalenz des Allegoriebegriffs zu berücksichtigen, wird in der Forschungsliteratur auch zwischen einer allegoria in verbis und in factis unterschieden.Footnote 31 Die Rekonstruktion dieser Unterscheidungen sollte im Übrigen nicht nur den Begriffsgebrauch klären und die expliziten theoretischen Äußerungen der historischen Akteure analytisch einholen, sondern auch die impliziten Differenzierungen und Regularitäten mittelalterlicher Praxis freilegen.
Zwei Kautelen sind hier noch zu beachten: Erstens kann aus heutiger Sicht nicht leicht metaphysikfrei zwischen dem ›Bericht‹ über eine zeichenhafte Beziehung in der Welt, einer literarischen Fiktion einer solchen und einer rhetorischen Figur im Text selbst unterschieden werden; hier ist eine gewisse ›fromme Phantasie‹ gefragt. Dabei ist auch in Anschlag zu bringen, was im (christlichen) Zeithorizont verständlich gewesen sein mag (ohne dass heutige Interpretationen jedoch im Horizont des zeitgenössisch Üblichen oder schon Gesagten befangen bleiben müssten, denn sonst wäre so etwas wie Innovation nicht erklärbar).
Zweitens ist, wie Christian Kiening zu Recht anmerkt, auch mit möglichen Hybridbildungen zwischen der Bezugnahme auf eine in der Geschichte angenommene Typologie und der textuellen Allegorie zu rechnen.Footnote 32 Aber Voraussetzung für den Nachweis solcher Hybridbildungen wäre jedenfalls eine klare analytische Trennung zwischen Zeichenbeziehungen, die genuin auf der Ebene des Textes liegen, und solchen, die sich im Text aus der Bezugnahme auf eine (angeblich) bereits bedeutungshaft gestaltete Außenwelt ergeben und erst dadurch zu einer Dimension der Schriftauslegung werden. Insbesondere scheint es wenig ratsam, mithilfe des figura-Begriffs den jeweils interpretierten Texten Aussagen über weitreichende und tiefgehende Bedeutungsbeziehungen zwischen Aspekten von Welt und Geschichte zuzuschreiben, die sich bei näherem Zusehen nur als allgemeine und oft auch etwas unbestimmte Analogiefiguren auf der Ebene der Elocutio erweisen.
Auerbach knüpft also an die theologische Bedeutung von figura im Sinne einer »Realprophetie« an und betont, dass bei einer Realprophetie Zeichen und Bezeichnetes »innergeschichtlich« sind.Footnote 33 Diese Konzeption wendet er nun aber auf das zentrale Interesse seines Dante-Buchs an, nämlich die Erfassung der Beziehung zwischen der irdischen Existenz des Individuums und seiner gedeuteten und gerichteten Gestalt im Jenseits, die, so Auerbach, wiederum auf die irdische Existenz deutend zurückverweise. In historisch gesehen mindestens exzentrischer Weise verwendet er für diese Verweisstruktur den figura-Begriff im Sinne einer Art Selbst-Typologie:Footnote 34 Die irdische Menschengestalt ist die Realprophetie ihrer jenseitigen ›Einlösung‹ durch sich selbst. Die damit implizierte Identität von figura und Einlösung findet sich freilich nicht in den von Auerbach zum Vergleich herangezogenen Beispielen der exegetischen Literatur und würde auch schwierige Fragen der Prädestination aufwerfen. Überhaupt scheint der Gedanke, die Verdammnis der Sünder im Inferno könne die Einlösung eines vom Schöpfer in der Geschichte gemachten Versprechens im Diesseits sein, theologisch riskant. Abgesehen davon könnte man auch daran zweifeln, dass die jenseitige Erfüllung der jeweiligen Gestalt als Zustand außerhalb der Zeit noch »innergeschichtlich«Footnote 35 zu nennen ist. An diesen Abweichungen und Verwerfungen sieht man, dass Auerbachs Metaphysik nicht wirklich eine Rekonstruktion der christlichen Theologie von Dantes Epoche ist, sondern einen eigenen, neuzeitlichen Standpunkt begründet. Dass er diesen in Anschlag bringt, ist verständlich, wenn man bedenkt, dass es ihm nicht lediglich um eine historische Erforschung ferner Texte geht, sondern auch um deren ästhetische Relevanz im Rahmen eines gegenwärtigen Literaturbegriffs. Aber gerade dadurch wird seine Anwendung des figura-Konzepts historisch schief.
Auerbachs Argumentation geht nun darauf hin, dass literarische Darstellung des Wirklichen eben genau dann in seinem emphatischen Sinne Mimesis ist, wenn sie diesen in der Welt bereits vorhandenen Sinnbezug hervortreibt – und nicht etwa aufgrund einer wie auch immer genauen Erfassung äußerer Umstände oder Einzelheiten. Insofern stellt dieses Konzept von figura geradezu den Konvergenzpunkt von Auerbachs Mimesisdenken mit seiner Dante-Interpretation dar: Eine genaue Darstellung einer bereits gedeuteten Welt enthüllt insbesondere die Sinnbezüge innerhalb derselben.
Diese sind freilich nicht im Sinne eines linearen Fortschreitens vom Zeichen zum Bezeichneten zu begreifen, bei der dann Letzteres als Ergebnis der Operation allein übrig bliebe. Niklaus Largier hat darauf hingewiesen, dass in der von Auerbach beschriebenen Zeichenbeziehung die beiden Glieder in einer starken Zusammengehörigkeit und Wechselseitigkeit zueinander stehen. Sie sind Teile eines auch sinnlichen Ganzen, das als Ganzheit wahrzunehmen ist und nicht auf eine rein intellektuelle Bedeutung reduziert werden kann.Footnote 36
Auerbachs Version der figura ist allerdings, wie gesagt, exzentrisch in ihrer Anwendung auf die Beziehung des diesseitigen Menschen zu seiner jenseitigen Existenzform, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind darin Zeichen und Bezeichnetes im Grunde identisch. Zweitens würde eine solche göttliche Offenbarung des Jenseitigen im Diesseitigen nicht lediglich so etwas wie Prädestination suggerieren, sondern geradezu Determinismus. Wenn Gott durch Guido da Montefeltros Verhalten im Diesseits (Inferno XXVII) bereits auf die erfüllte Gestalt des verdammten Guido im Jenseits vorauswiese, so hätte er diesen nicht nur schon vor allem Handeln verdammt, sondern Gottes Autorschaft an der typologischen Bedeutungsbeziehung würde schwierige Theodizeefragen aufwerfen. Die ›Erfüllung‹ des göttlichen Versprechens wäre letztlich die ›Leere‹ oder Negativität der Hölle.
Man könnte nun gegen diesen Determinismus-Vorwurf einwenden, dass er allzu simpel Zeitlichkeit in Kausalität und Vorauswissen in Absicht konvertiere; man könnte anführen, sie verkenne, dass Gott selbst sich nach theologischer Lehre außerhalb der Zeit befindet und dass er und die Seelen des Paradieses, wie Cacciaguida dem Pilger ›Dante‹ in Paradiso XVII, 37–45 erklärt, in diesem zeitlosen Stande gewissermaßen im Futur II darum wissen, wie sich der Mensch je frei entschieden haben wird. Aber dieser Einwand gilt nicht gleichermaßen für die Adressaten der typologischen Zeichenhandlung, die Menschen, und für die wesenhaft zeitlich strukturierte Botschaft von Ankündigung und späterer Erfüllung, die sich eben an die Menschen richtet. Für sie findet die Zeichenhandlung in der Geschichte, in der Zeit statt, und ihnen erschiene dieses Verhältnis folglich als Determination, die die Lehre vom freien Willen bedrohen würde.
An die Menschen richtet also die figura ihren Sinn, sie ist nicht göttliches Selbstgespräch, und in der Fassung des »Figura«-Aufsatzes wäre sie nicht zuletzt deshalb religiös betrachtet problematisch. Es ist aus der Warte der Dantistik hinzuzusetzen, dass nichts in Dantes Text die Relation zwischen der irdischen Biographie und der jenseitigen Existenz der Gestalten der Commedia spezifisch als eine figuraltypologische ausweist (wenngleich die grundsätzliche Inanspruchnahme auch des typologischen Sinns für die Commedia zugegeben die Frage aufwirft, wo genau dieser zu situieren ist).
Auerbach selbst rückt später, in einem heute vielleicht zu wenig bekannten Aufsatz von 1946, von der Selbsttypologie wieder ab:Footnote 37 Hier ist die Figuralbeziehung nicht auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst angewandt, sondern auf das Verhältnis von Schöpfung und antiker bzw. alttestamentarischer Geschichte zur Heilsgeschichte. Der Adler, beispielsweise, kündigt gemäß traditionellem Verständnis immer schon Christus an, und so kann der träumende ›Dante‹ den Adlertraum (Purgatorio IX, 13–33) als Ankündigung seiner künftigen Begegnung mit Christus deuten. Der Sinn des Traumes ist selbst allegorisch (nicht typologisch), aber er beruht auf einer bereits außerhalb des Traumes in der Welt vorhandenen typologischen Beziehung zwischen Ankündigung (im geschaffenen Wesen des Adlers) und Einlösung (im Kommen Christi). Die beiden Elemente der Zeichenbeziehung sind wesensmäßig verschieden, sie sind nicht Entwicklungsstadien einer Person, und insofern besteht hier zwar das (im Epochenhorizont einigermaßen lösbare) Problem der bedeutungsvollen Lenkung der Geschichte durch den Schöpfer, aber nicht das des Determinismus. Hier bewegt sich Auerbach also stärker auf die Mitte der theologischen Figuraltypologie zu.
Aber nicht diese stärker historisch abgewogene Lesart, sondern die größere Freiheit des »Figura«-Aufsatzes hat die Rezeption bestimmt. Das starke Profil von Auerbachs figura-Interpretation hat diesem Konzept beachtliche Konjunktur verschafft, im Zuge welcher nicht nur die Voraussetzungen und Implikate der Figuraltypologie teils aus dem Blick gerieten, sondern auch die Probleme, die Auerbachs Freiheit des Umgangs damit der Mediävistik und speziell den Dantestudien eingehandelt haben, weitgehend unterschätzt wurden.
IV.
post figuram
Wichtig an dem Beispiel des Adlers aus dem Artikel von 1946 ist, dass die figurale Zeichenbeziehung nicht vom literarischen Text selbst gestiftet wird. Sie ist (von dem hier historisch relevanten Text- und Wirklichkeitsverständnis her gesehen) bereits in der Welt. Dies gilt, bei aller sonstigen Exzentrik, auch für die Selbsttypologie des »Figura«-Aufsatzes: Die dargestellten Figuren sind (angeblich) historisch reale oder für solche gehaltene (etwa mythologische). In ihnen liegende Verweisungsbeziehungen werden daher lediglich durch die genaue und lebendige Darstellung durch den Dichter herauspräpariert; sie gehören dem Selbstverständnis des Textes nach nicht zu dessen eigenen sinngebenden Verfahren, wenn sie uns auch im Nachhinein, aus skeptischerer Warte, als solche erscheinen mögen.
Und genau hierin scheint mir ein wesentlicher Unterschied zu späteren Anwendungen des figura-Konzepts jenseits von Auerbach zu liegen. Viele von ihnen behandeln die Typologie als dichterisches Verfahren auf der Basis von Fiktion, jener »bella menzogna« (›schönen Lüge‹) im Sinne von Dantes Convivio II,i,3, für die eben nicht der auf geschichtlicher Wirklichkeit basierende vierfache Schriftsinn, sondern nur der (moralische) Sinn der poetischen Allegorie gilt. In der zumal mediävistischen Literatur seit den 1950er Jahren gibt es inspirierende und komplexe Interpretationen, die als Figuralbeziehungen lediglich analogistische innertextliche Verweise, Spiegelungen und metaphorische Modellierungen bezeichnen: alles Phänomene, deren Relevanz unstrittig ist, die aber anders gedacht werden müssen als solche der Figuraltypologie. Ziel dieser Interpretationen ist oft die freie Erweiterung der Deutungsmöglichkeiten und also gerade nicht die Rekonstruktion eines (dem Selbstverständnis nach) mimetischen Zugriffs des Textes auf schon gedeutete Welt.
Die dabei entstehende Unschärfe zwischen einer rhetorischen Vorstellung von ›Figur‹ und der theologischen Figuraltypologie führt zu scheinbar weitreichenden und staunenswerten, aber letztlich auf der religiösen Ebene nicht mehr nachvollziehbaren Deutungen, deren ästhetisches Erlebnisangebot zudem durch eine gewisse Beliebigkeit dünner wirkt als dies bei einer historisch informierten und kontextualisierten Lektüre der Fall wäre.
Um ein etwas älteres und insofern vielleicht von aktuellen Polemiken entlastetes Beispiel heranzuziehen: Wenn Amilcare Iannucci in einem AufsatzFootnote 38 die in Inferno II, 55–74 zur Rettung Dantes in die Hölle hinabsteigende Beatrice als figura Christi in Bezug auf dessen Rettung der Patriarchen aus dem Limbus bezeichnet, dann ist schlicht nicht verständlich, wie das Verhältnis von Ankündigung und Einlösung hier gedacht werden soll, denn Christi Erlösungstat liegt zu dem im Text erwähnten Zeitpunkt schon mehr als zwölf Jahrhunderte zurück. Eine rückwärtsgewandte Ankündigung wäre jedenfalls als Zeichenhandlung Gottes in der Geschichte von geringem Informationsgehalt, und einer der wichtigsten Kenner der Typologie, Friedrich Ohly, hält eine solche für das Mittelalter für exzentrisch oder gar nichtexistent.Footnote 39
Auch der Begriff der Postfiguration würde hier nicht weiterhelfen, da dieser in der allgemein akzeptierten Bedeutung als ›Antitypos‹ nichts anderes als die Einlösung des typologischen Heilsversprechens meint (und daher im vorliegenden Beispiel auf Christus anzuwenden wäre).Footnote 40 Iannucci selbst verwendet ihn auch durchaus im Sinne einer Einlösung, und zwar um damit (zusätzlich zur Christusfiguration) das Verhältnis zwischen der irdischen und der verklärten Beatrice im Sinne Auerbachs als Selbsterfüllung zu deuten.Footnote 41
Dadurch werden allerdings die aufgerufenen typologischen Beziehungen insgesamt unklar. Zudem setzt schon Iannuccis titelgebende Hypothese »A Metaphoric Harrowing of Hell« mit der Hinzunahme des Metaphernbegriffs eine Vermischung der theologischen figura-Konzeption mit der Rhetorik ins Werk, durch die der Status der gemeinten Verweisungsbeziehung zwischen Beatrice und Christus weiter ambiguisiert wird. Wesentlich einleuchtender wäre es, in solchen Zusammenhängen mit dem Konzept der imitatio Christi zu arbeiten.Footnote 42
Anders verhält es sich – dies sei hier hinzugefügt – mit Beatrices Auftritt als Richterin im Irdischen Paradies (Purgatorio XXX–XXXIII). Hier funktioniert durchaus eine Deutung Beatrices als außerbiblische figura Christi venturi im Hinblick auf dessen Wiederkehr am Ende der Zeiten – wenngleich dieser typologische Fingerzeig nur bedingt als innerweltlich gelten kann: Das Purgatorium ist zwar ein Reich der Zeitlichkeit, aber nicht der Geschichte, und es ist Lebenden (und also den Adressaten einer solchen Offenbarung) nicht zugänglich – mit der gnadenhaft gewährten Ausnahme des Pilgers ›Dante‹. In der Tat erhält ›Dante‹ den Auftrag, den Menschen, die im Leben nicht dorthin gelangen können, das im Jenseits Geschaute zu künden und so die Zeichenhaftigkeit in factis wiederum in solche in verbis zu überführen.Footnote 43
In diesem Zusammenhang verdient noch die besondere Beziehung zwischen der Dame Cavalcantis, Giovanna oder Primavera, und Beatrice in Dantes Vita Nova kurze Beachtung. Dante suggeriert durch die Erwähnung einer ›Johanna‹ als derjenigen, die Beatrice vorausgeht, und durch die Deutung des Namens Primavera im Sinne von »Prima verrà« (»sie wird als erste kommen, vorausgehen«) eine Figuralbeziehung zwischen Giovanna und Beatrice, so wie sie zwischen Johannes dem Täufer (dem praecursor) und Christus besteht, und diese Zuordnung wird im Text durch erklärende Worte Amors auch explizit gemacht.Footnote 44
Das ist sicher gewagt, denn Amor unterstellt damit sozusagen Gott selbst eine typologische Lenkung eher privater als geschichtlicher Begebnisse. Es sei jedoch der Hinweis gestattet, dass es sich lediglich um eine von einer (allegorischen) Figur auf der Handlungsebene vorgebrachte Interpretation handelt, die einen anderen Status hat als eine direkte Bezugnahme des Textes auf die Welt. Jedenfalls kann man aber hieraus nicht (wie manche es tun) folgern, dass Beatrice in der Vita Nova als figura Christi auftritt. Denn aus der Parallelität zwischen zwei Ankündigungsbeziehungen A–B und C–D folgt nicht, dass auch A und C in einer solchen Ankündigungsbeziehung stehen, wiewohl A und C natürlich über diese Parallelsetzung einander analog sind. Dantes Text betont im Übrigen, dass Beatrices Zahl nicht die Trinitätszahl Drei, sondern die Neun ist, deren Wurzel die Drei ist: Sie ist damit deutlich von der göttlichen Zahl abgeleitet und ihr nachgeordnet, sie folgt sozusagen Christus und geht ihm nicht voraus.Footnote 45
Dantes Beatrice-Erlebnis in der Vita Nova ist in gewisser Weise ein Christus-Erlebnis, aber es ist nicht typologischer Natur, schon deshalb nicht, weil es (im Gegensatz zur Begegnung mit Beatrice als Richterin im Purgatorio) keine heilsgeschichtliche Dimension hat. Hier ohne näheres Zusehen den figura-Begriff zu bemühen verdeckt die vielen anderen und in diesem Fall reicheren und tieferen Deutungsmöglichkeiten Beatrices, als imitatrix Christi, als Trägerin eines Weisheits-Konzepts oder als exemplarisches Mitglied des ›Leibes‹ Christi im Sinne der Gemeinschaft der Erlösten.Footnote 46
Ein unterdeterminierter und im Sinne der Quellensprache polysemer figura-Begriff vermag zwar großes Suggestionspotenzial zu eröffnen, aber die Spezifik und Innovativität, teils vielleicht sogar Transgressivität von Dantes Umgang mit den unterschiedlichen Verweisungsbeziehungen wird dadurch unkenntlich. Um sie einzuholen, bedarf es eines enger gefassten Begriffs, wie ihn Auerbach formuliert, aber im »Figura«-Aufsatz selbst wieder verwässert hat.
Indem er dieses Konzept dort durch die Anwendung auf das Selbstverhältnis von Dantes Gestalten zwischen irdischer und jenseitiger Existenz wiederum in eine anachronistische Schieflage bringt, verfehlt Auerbach am Ende doch das in seinem Dantebuch und dem DVjs-Aufsatz von 1929 erkennbare Ziel, aus Anschauungen und Verfahren der historischen Objektebene einen Ansatz für die literarästhetische Würdigung auf der Beschreibungsebene im Sinne seines Mimesis-Konzepts zu entwickeln: Der »Figura«-Aufsatz verdunkelt letztlich das Historische ein Stück weit zugunsten des Gegenwärtigen.
Ganz ähnlich, aber auf der Basis eines anderen Literaturbegriffs, verhält es sich zum Teil in den Generationen nach Auerbach. Hier wird das Leitkonzept der evokativen, energetischen Darstellung einer in ihrem Wesen gedeuteten Welt im Sinn des Mimesis-Buchs, das Auerbachs Anverwandlung der figura bestimmte, zumeist als antiquiert zurückgelassen. Häufig wird es dann durch eine – ebenso programmatische – Setzung von Literatur als dem Ort rhetorisch erzeugter Vieldeutigkeit schlechthin ersetzt. Die vor diesem Hintergrund oft getroffene Entscheidung für einen unterbestimmten, sehr offenen figura-Begriff ermöglicht phantasievoll entgrenzte Interpretationen und verleiht diesen zugleich eine gewisse geschichtliche Färbung. Aber gerade weil die Konturen der dazu herangezogenen Typen von Figuration weniger scharf voneinander abgesetzt sind, verflüchtigt sich leicht die Chance auf ein – nicht zuletzt ästhetisches – Erlebnis präzise erfasster historischer Alterität oder Alternativität zu unserer Erlebniswelt und Denkweise.
Will man sich nicht auf eine rein ›geschichtliche‹ Erfassung schriftlich überlieferter Textzeugnisse aller Art zurückziehen, lässt sich auch historisch informierte Literaturwissenschaft nicht ganz ohne Bezug zu einem in der eigenen Gegenwart verständlichen Literaturbegriff betreiben. Das Kunststück bestünde darin, in der fruchtbaren Auseinandersetzung des Eigenen mit dem historisch Anderen die geschichtliche Spezifik von Verfahren wie der Figuraltypologie nicht dem legitimen Bemühen um Gegenwartsrelevanz zu opfern.
Notes
Vgl. Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1946.
Erich Auerbach, »Entdeckung Dantes in der Romantik«, DVjs 7 (1929), 682–692. Zur Bedeutung, die Auerbach der DVjs beimaß, und seiner späteren Abwendung von der Zeitschrift vgl. künftig: Elke Dubbels, »Erich Auerbach und die DVjs: Eine Beziehungsgeschichte (1925-1951)«, DVjs 97/3 (2023).
Helmut Hatzfeld, »Dante und Tasso als religiöse Epiker«, DVjs 1 (1923), 230–242.
Alfred Bassermann, »Dante-Literatur der Neuzeit«, DVjs 2 (1924), 852–884, hier: 872. Eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit Croce folgt einige Jahre später im gleichen Organ bei Hans Feist, »Benedetto Croce, Gestalt und Werk«, DVjs 8 (1930), 609–646.
Die für die Zeitschrift programmatische Tendenz zur Zusammenführung von Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte entwickelt im ersten Jahrzehnt der DVjs auch kulturgeschichtliche und (aus späterer Warte betrachtet) ansatzweise kulturwissenschaftliche Ansätze. Hennig Brinkmann unterscheidet in »Diesseitsstimmung im Mittelalter«, DVjs 2 (1924), 721–752, zwischen Geistesgeschichte, Kulturwissenschaften (zu denen er Literatur- und Kunstwissenschaften, aber auch die Rechtswissenschaft zählt) und Kulturgeschichte. Alfred von Martin rekonstruiert in »Das Problem der mittelalterlichen Weltanschauung«, DVjs 3 (1925), 485–500, eine Ordo-Vorstellung, die Askese und Weltbejahung über den Harmoniegedanken zusammendenkt (hier: 495). In einem Artikel über »Die Autobiographie des Abtes Wibert von Nogent«, DVjs 3 (1925), 566–614, betont Georg Misch, wie in der sich darin artikulierenden Weltvorstellung Diesseits und Jenseits sich wechselseitig erklärend ineinandergreifen (hier: 576). Grundsätzlich fordert Julius Schwietering (»Wesen und Aufgabe der deutschen Volkskunde«, DVjs 5 [1927], 748–765) eine Zusammenarbeit zwischen modernen Philologien und einer Archäologie (wie bei der klassischen Philologie), in Abgrenzung zu einer stärker soziologisch und historisch ausgerichteten Volkskunde (hier: 765).
Leonardo Olschki, »Das literarische Vermächtnis des Mittelalters«, DVjs 7 (1929), 329–347. Gegen vereinheitlichende Epochentheorien argumentiert auch Brinkmann (Anm. 5).
Diese Diskussion ist seit den 1970er Jahren sehr lebendig. Sie unterscheidet allerdings zu wenig zwischen a) einer Alteritätsannahme als heuristischer Kautele, b) einer möglichen ästhetischen Alteritätserfahrung, die zugleich eine Selbsthinterfragung ermöglicht, und c) einer bloßen Abgrenzung gegenüber dem (eventuell abgewerteten) Fremden, wie sie insbesondere der angelsächsische Alteritätsbegriff meint. Wichtige Wegmarken dieser Diskussion sind Paul Zumthor, Essai de poétique médiévale, Paris 1972; Hans Robert Jauß, Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956–1976, München 1977, hier vor allem: 10; Stephen G. Nichols (Hrsg.), Altérités du Moyen Âge, Littérature 130 (2003); Anja Becker, Jan Mohr (Hrsg.), Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren, Berlin 2012; darin zu Dante: Andreas Kablitz, »Alterität(en) der Literatur. Überlegungen zum Verhältnis von Geschichtlichkeit und Ästhetik poetischer Rede (nebst einem Fallbeispiel: Der zehnte Gesang des Inferno aus Dantes Divina Commedia und die Geschichte seiner Deutung)«, 199–242; Manuel Braun (Hrsg.), Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität, Göttingen 2013; Vincent Ferré, »Altérité ou proximité de la littérature médiévale? De l’importation d’une notion ›européenne‹ en Amérique du Nord«, Perspectives Médiévales 37 (2016), https://doi.org/10.4000/peme.9609, 17.8.2022.
Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 2. Auflage mit einem Nachwort von Kurt Flasch, Berlin, New York 2001.
Auerbach (Anm. 2), 690. Friedrich Wilhelm Josef Schelling, »Über Dante in philosophischer Beziehung«, in: Eva Hölter (Hrsg.), Dante Alighieri. Texte zur literarischen Rezeption im deutschsprachigen Raum, Würzburg 2016, 75–83, hier: 78. Zu Auerbachs Bezugnahme auf Schelling und Hegel vgl. auch Christian Rivoletti, »Dal particolare all’universale«, in: Simone Brambilla, Luca Mazzoni (Hrsg.): Dante fra Italia ed Europa nell’ottocento, Mailand 2021, 61–101.
Bei Auerbach (Anm. 2), 691, ohne Quellenangabe, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, »Vorlesungen über die Ästhetik«, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, hrsg. Eva Moldenhauer, Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1986, III, Bd. 15, 406.
Auerbach (Anm. 8), 103. Das Individuelle interessiert Auerbach auch schon in seinem Artikel »Über das Persönliche in der Wirkung des heiligen Franz von Assisi«, DVjs 5 (1927), 65–77.
Auerbach (Anm. 8), 5.
Ebd., 78.
Ebd., 79.
Vgl. ebd., 105 unter Berufung auf Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, 47, 1.
Ebd., 107–108.
Ebd., 110–111 und 113.
Ebd., 178.
Ebd., 166.
Ebd., 168.
Ebd., 195–196.
Wilhelm Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt a.M. 1998, 18.
Erich Auerbach, »Figura« (1939), in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern, München 1967, 55–92.
U. Dierse, Art. »Figur« I, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel 1972, 948–951. Vgl. auch Peter Jentzmik, Zu Möglichkeiten und Grenzen typologischer Exegese in mittelalterlicher Predigt und Dichtung, Göppingen 1973, besonders 132–134.
Stuart George Hall, Art. »Typologie«, in: Theologische Realenzyklopädie, hrsg. Gerhard Müller, Berlin, New York 2002, Bd. 34, 208–224, hier: 210 und 212. Zu den Voraussetzungen und Problemen der Typologie im Zusammenhang mit einer allgemeinen Theorie der Allegorie vgl. Andreas Kablitz, Zwischen Rhetorik und Ontologie. Struktur und Geschichte der Allegorie im Spiegel der jüngeren Literaturwissenschaft, Heidelberg 2016, besonders 82–86, 105, 107–110.
J.R. Darbyshire, Art. »Typology«, in: Encyclopaedia of Religion and Ethics, hrsg. James Harris, Bd. 12, Edinburgh 1921, 500–504, hier: 500.
Vgl. Ulrich Johannes Beil, »Vom Typos zur Typologie. Ansätze figurativen Denkens bei Paulus«, in: Christian Kiening, Katharina Mertens Fleury (Hrsg.), Figura. Dynamiken und Zeichen im Mittelalter, Würzburg 2013, 21–49.
Dies tut Katharina Mertens Fleury in ihrem anregenden Artikel »Figura – Zeichen, Ordnungen, Emergenz. Überlegungen zum St. Trudperter Hohelied«, in: Kiening/Mertens Fleury (Anm. 27), 249–261, hier: 249. Sie zeigt in ihrem Beitrag, dass Typologie und andere ›Figuren‹ wie etwa die Allegorie in manchen Texten eher ineinandergreifen als nicht unterschieden sind – und dies kann sie überzeugend tun, weil sie selbst die beiden eben unterscheidet (vgl. auch 260).
Grundlegend zum vierfachen Schriftsinn: Henri de Lubac, Exégèse médievale – Les quatre sens de l‘Ecriture, 2 Bde., Lyon 1959. Der sogenannte ›allegorische‹ Sinn, den Dante in Convivio II, i, 3–4 als den spezifisch theologischen ausweist, ist zwar allegorisch in Bezug auf den Text der Bibel, legt aber einen typologischen Zeichenbezug frei, der bereits in der ›Geschichte‹ (im Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament) angelegt ist. Dante nimmt ihn im Cangrande-Brief, §20–25, für die Commedia in Anspruch und stellt sich damit gegen Thomas von Aquin, der eine Übertragung des vierfachen Schriftsinns auf außerbiblische Texte ablehnt; vgl. Bruno Sandkühler, »Die Kommentare zur Commedia bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts«, in: August Buck (Hrsg.), Die italienische Literatur im Zeitalter Dantes und am Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, Heidelberg 1987, 167. Umfassend zu diesem Problem Otfried Lieberknecht, Allegorese und Philologie: Überlegungen zum mehrfachen Schriftsinn in Dantes «Commedia», Stuttgart 1999. Einschränkend ist zu sagen, dass die Echtheit des Cangrande-Briefs bis heute umstritten ist; vgl. aber hierzu Thomas Ricklin, »Einleitung«, in: Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, in: Ders., Philosophische Werke, Bd. 1, Hamburg 1993, XV–LXXXVIII.
Man kann diese Frage wie Lieberknecht (Anm. 29) im Sinne einer künstlerischen Simulation des vierfachen Schriftsinns lösen, aber aussichtsreicher scheint mir, die (angenommene) Geschichtlichkeit der in der Commedia (in einer wie auch immer überformten Begegnungsgeschichte) je vorgestellten Gestalten aus Historie und Mythologie als Grundlage eines möglichen typologischen Sinns zu nehmen. Nicht die Begegnung mit ihnen (und die Jenseitsreise) wäre also faktisch wahr, sondern ihre (angenommene) geschichtliche Existenz. So kann Marcellus, auf den in Purgatorio XXX, 21 angespielt wird, figura Christi in Bezug auf dessen frühen Opfertod sein, und Beatrice kann im Irdischen Paradies die Wiederkehr Christi beim Jüngsten Gericht ankündigen.
Armand Strubel, »›Allegoria in factis‹ et ›Allegoria in verbis‹«, Poétique 23 (1975), 343–357.
Christian Kiening, »Einleitung«, in: Kiening/Mertens Fleury (Anm. 27), 7–20, hier: 14.
Auerbach (Anm. 23), 68, 71–72, 77. Zur Kritik an Auerbachs »Figura« vgl. auch Andreas Kablitz, »Zeitlichkeit und Ewigkeit in Dantes Purgatorio: Das Fürstental am Fuß des Läuterungsbergs«, in: Dieter Ingenschay, Helmut Pfeiffer (Hrsg.), Werk und Diskurs. Karlheinz Stierle zum 60. Geburtstag, München 1999, 33–72, hier: 33–34, Anm. 1.
Auerbach (Anm. 23), 90–91.
So ebd., 77.
Niklaus Largier, »Zwischen Ereignis und Medium. Sinnlichkeit, Rhetorik und Hermeneutik in Auerbachs Konzept der figura«, in: Kiening/Mertens Fleury (Anm. 27), 51–70, hier: 55 und 63.
Erich Auerbach, »Figurative Texts Illustrating Certain Passages of Dante’s Commedia«, Speculum 21 (1946), 474–489.
Amilcare Iannucci, »Beatrice in Limbo: A Metaphoric Harrowing of Hell«, Dante Studies 97 (1979), 23–45, hier: 32.
Vgl. Friedrich Ohly, »Halbbiblische und außerbiblische Typologie«, in: Ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, 394. Schon Pierre Abaelard betont, dass in dem Augenblick, in dem die angekündigte Heilswirklichkeit eingetreten ist, Figuren und Vorausdeutungen darauf nicht mehr nötig sind (Expositio in Epistolam ad Romanos, übers. und eing. von Rolf Peppermüller, 3 Bde., Freiburg u. a. 2000, hier: Bd. 2, 484). Dies hat bei Abaelard selbst komplexe, von Frank Bezner herausgearbeitete Hintergründe und Implikate, ist aber ein gutes Argument gegen die rückwärtsgewandte Typologie. Vgl. Frank Bezner, »Iam non opus est figuris. Konzeptualisierung und Literarisierung des Figuralen bei Peter Abaelard«, in Kiening, Mertens Fleury (Anm. 27), 127–172. Grundsätzliche Zweifel an Ohlys These einer ›außerbiblischen Typologie‹ in der Kaiserchronik äußert Jentzmik (Anm. 24), hier: 238–247, der Typologie im engeren Sinne nur zwischen dem Alten Testament und Christi Heilstat gelten lässt und mittelalterliche Anverwandlungen lieber als »Exemplarik« bezeichnet, um deutlich zu machen, dass das Verhältnis der beiden so in Beziehung gesetzten Personen oder Ereignisse kein heilsgeschichtliches von Versprechen und Einlösung ist.
Vgl. die Studie von A.C. Charity, Events and their Afterlife. The Dialectics of Christian Typology in the Bible and Dante, Cambridge 1966, hier: 204.
Iannucci (Anm. 38), 32. Daneben wird an der gleichen Stelle auch noch der Pilger ›Dante‹ als figura des Menschen nach dem Sündenfall und vor der Erlösung bezeichnet, was ein ähnliches Chronologie-Problem aufwirft.
Jentzmik (Anm. 24) bezeichnet die ›Nachfolge‹ im Sinne der imitatio Christi als »Postfiguration« (197), aber wenn man diese Terminologie übernimmt, muss man sich im Klaren sein, dass man nicht wie bei der Figuraltypologie ein Bedeutungsverhältnis von Versprechen und Einlösung meint, das in einer von Gott gewollten Geschichte gestiftet wird, sondern sich auf eine bewusst an einem Vorbild ausgerichtete Handlung eines Menschen bezieht: also etwas ganz Anderes. Jentzmik unterscheidet die einzelnen Bedeutungsbeziehungen auch terminologisch sehr genau, etwa wenn er das wieder anders gelagerte Verhältnis von Augustus zu Christus in einer Predigt als »Exemplarik« (208) und nicht als Typologie versteht, weil Augustus nicht als »heilsgeschichtlich bedeutsame Größe« auf Christus bezogen wird (209). Vgl. auch oben Anm. 39.
Vgl. Florian Mehltretter, »Gott als Dichter der irdischen Welt. Zum Triumphzug in Dantes Purgatorio XXX-XXXIII«, Deutsches Dante-Jahrbuch 79/80 (2005), 103–160; weitere Bibliographie dort. Eventuell könnte man sogar sagen, dass Beatrices Auftritt als Figur des als Richter wiederkehrenden Christus eine künstlerische Simulation von Typologie ist, da sie in einer innerfiktional von Gott selbst inszenierten Performanz auftritt.
Dante Alighieri, Vita Nova, hrsg. Stefano Carrai, Mailand 2018, 118. Der Passus findet sich nach der von Carrai übernommenen Nummerierung von Guglielmo Gorni in Kapitel 15, 3–4, nach der traditionellen Zählung in XXIV.
Vgl. Vita Nova 19,6 (Gorni) bzw. XXIX,3 (traditionell), (Anm. 44), 186.
Zu diesen und anderen Optionen vgl. Mehltretter (Anm. 43).
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Mehltretter, F. Geschichtlichkeit und ästhetische Relevanz. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 97, 333–349 (2023). https://doi.org/10.1007/s41245-023-00198-6
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