Im Sommer 1951 veröffentlichte der Merkur-Herausgeber Hans Paeschke die Artikelserie »Der Geist des Auslandes im Spiegel seiner Zeitschriften«, in der er zahlreiche Literatur- und Kulturzeitschriften aus Europa, den USA und Südamerika miteinander verglich.Footnote 1 Vorausgegangen war dem Aufsatz eine mehrteilige Sammelbesprechung für den Nordwestdeutschen Rundfunk, die die Frage aufgeworfen hatte, inwiefern die Lektüre von literarischen, philosophischen und politischen Journalen eines Landes Aussagen über den dortigen »Geist« erlaube. Anhand von »Momentaufnahmen von der aktuellen geistigen Problemlage, wie sie sich in diesen Zeitschriften als den seismographischen Apparaturen des kulturellen Lebens eines Volkes spiegelt« und den darin identifizierbaren »Mustern« und »Grundfiguren« hoffte Paeschke unter anderem bestimmen zu können, ob noch »von einem bestimmten Geist des romanischen Kulturkreises« zu sprechen sei oder ob Südamerika in seiner Abgrenzung »gegen den nordamerikanischen Geist« eine »Rückwendung zum europäischen Geist« vollzogen habe (765). Im Hintergrund des Interesses an solchen Bewegungen stand nicht zuletzt die Krise des »deutschen Geistes«, dessen Rehabilitation durch internationale Öffnung sich die Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken damals verschrieb.Footnote 2

Paeschkes Rede vom »Geist« und seinen Nationaltypen, auf die er trotz deren Indienstnahme durch völkische und nationalsozialistische Ideologie nicht verzichtete, gründete weniger in expliziter Anknüpfung an theoretische Traditionen der Geistesgeschichte als in der Überzeugung des Praktikers, dass Zeitschriften auf besondere Weise Kräfte, Grundhaltungen und Antriebe des Geistes in der Zeit verkörpern.Footnote 3 Dies konkretisieren typologische Bemerkungen, die der Herausgeber seiner Kulturseismologie voranstellte. Darin wird zwischen einer »schöpferischen« und einer »dienenden Rolle« unterschieden, die Periodika im »kulturellen Haushalt einer Nation« einnehmen, wobei sich der »dienende« Typus durch den Anspruch auszeichne, »für den Kulturspiegel eines Landes repräsentativ zu sein« (574 f.). Diese Repräsentativität wiederum verdanke sich der spezifischen Beobachtungs- und Wiedergabefähigkeit, die dem Medium inhärent sei: Die »Revue« sorge für die »Musterung« des kulturellen Bestands, den sie, anders als etwa die »schöpferischen« Zeitschriften der Avantgarden, nicht selbst hervor-, sondern in der »Funktion eines Spiegels« oder eines »Filters« zur Darstellung bringe (575). Anders als die »schöpferische« Zeitschrift versuche die »repräsentative« zudem nicht, sich zum »Sprachrohr« ästhetischer, literarischer oder politischer Bewegungen zu machen, sondern diesen vielmehr eine »Bühne« zu bieten (575). Ihre vitale Bedeutung liege darin, als »Katalysator« den »Blutkreislauf des intellektuellen Lebens einer Gesellschaft [zu] regulieren« (578).

Musterung, Filterung, Aufzeichnung und Regulierung: Die Bedeutungsspanne der optischen und technischen Metaphern legt nahe, dass die Zeitschrift nicht nur ein wichtiges Instrument, sondern im Rahmen einer reformierten und mediengeschichtlich erweiterten Geistes- und Ideengeschichte beziehungsweise Intellectual History ein durchaus theoriefähiger Gegenstand ist.Footnote 4 Anders als in den Selbstzeugnissen aus der Praxis hat diese Einsicht in der literatur-, kultur- und wissensgeschichtlichen Forschung über lange Strecken jedoch kaum mehr als Randnotizen nach sich gezogen, was weniger auf die Bedeutungslosigkeit des Mediums zurückzuführen ist als auf seine Allgegenwärtigkeit: Schließlich ist das Zeitschriftenmachen in der Geschichte moderner Öffentlichkeiten eine ebenso zentrale wie geradezu selbstverständliche Praxis. Zwar gab und gibt es unzählige literatur- und kulturgeschichtliche Studien, in denen einzelne Periodika als Institutionen, Knotenpunkte oder Foren anerkannt und als bedeutende Textkorpora erschlossen wurden. Ihre grundlegendere Befragung als mediale Phänomene, die Denken, Schreiben und Wissen in der Moderne nicht nur aufgrund ihrer Inhalte, sondern aufgrund der ihnen spezifischen Formgebung prägen, blieb jedoch ein Desiderat, und Zeitschriftenforschung weitgehend auf den Bereich der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften beschränkt.

Erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich ein breiteres Interesse am Funktions- und Gebrauchswandel serieller Publizistik und mit ihm an theoretisch fundierten und institutionell verankerten Periodical Studies verzeichnen.Footnote 5 Während die Buchgeschichte sich schon in den 1980er-Jahren für die »social and cultural history of communication by print« zuständig erklärte,Footnote 6 ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine ganze Reihe an Gesellschaften, Forschungsgruppen, Arbeitskreisen und nicht zuletzt Zeitschriften entstanden, die sich speziell der »incroyable [...] performance de la revue dans la création et la diffusion des formes, du savoir ou des opinions« widmen.Footnote 7 Unter dieser Maßgabe brachen die Periodical Studies mit der Praxis, Zeitschriften hauptsächlich als Quellencontainer für nicht-zeitschriftenspezifische Fragestellungen zu erschließen, und positionierten sie als eigenständige, eigensinnige und deshalb theoriebedürftige Objekte.Footnote 8 Wo die Publizistikwissenschaft das Medium anhand messbarer Kategorien wie Aktualität und Periodizität, Publizität bzw. Verbreitung und inhaltlicher Universalität typologisch unter Kontrolle zu bringen versuchte, hat sich als eine zentrale Prämisse kulturwissenschaftlicher Zeitschriftenforschung herauskristallisiert, dass die spezifische Produktivität ihres Gegenstands nicht zuletzt darin liegt, sich Typologien zu entziehen und immer neue Hybride zwischen Formen und Formaten, Feldern und Disziplinen zu generieren. Zweifellos gewinnbringend ist es vor diesem Hintergrund, die Zeitschrift als einen »Zwischenort« zu betrachten, der »eine speziell gestufte Aufmerksamkeit auf Wissen und seine kulturelle Prozessualität ermöglicht«, wie Frank, Scherer und Podewski es formulieren.Footnote 9 Mit Blick auf die Rahmungen und (Re‑)Kontextualisierungen, die Zeitschriften ihren Inhalten gegenüber permanent vornehmen, geraten diesbezüglich auch vielfältige Formen von »Metaisierung« in den Blick.Footnote 10 Wird entsprechend betont, dass Journale und Magazine nicht reine »Cargo-Trucks« für fertige Güter seien, ließe sich mit Blick auf Theorien der Logistik noch ergänzen, dass auch Infrastrukturen der Zirkulation auf die Produktion dessen, was sie befördern, stets zurückwirken.Footnote 11

Insbesondere für intellektuelle Historiografien lässt sich feststellen, dass in ihnen der materielle, ästhetische und epistemologische »Wert« der Zeitschrift häufig vorausgesetzt, aber nur selten produktiv gemacht wird.Footnote 12 Auch hier zeugen unzählige Fallbeispiele davon, dass die Medialität der Zeitschrift eine zeitliche und räumliche Infrastruktur ist, die ihren Gegenständen gegenüber alles andere als neutral, sondern für sie konstitutiv und formgebend ist. Übersetzungs‑, Transfer- und Popularisierungsprozesse, Autorinnen- und Leserschaftskonzepte oder Selbstverständigungs- und Repräsentationsweisen von gelehrten, literarischen oder politischen Milieus lassen sich durch die Optik des Mediums ebenso schärfer stellen wie die Frage nach den Effekten, die zeitschriftenförmiges Denken, Lesen und Schreiben in der Geschichte moderner Öffentlichkeiten hatten und haben. Hierbei kann die Intellectual History auf jüngere Studien zur Serialität wie jene von Claire Petitt oder Claudia Stockinger zurückgreifen, die eindrücklich davon handeln, inwiefern periodische Publizistik und moderne politische Subjektivität – bürgerliche wie revolutionäre – in der Geschichte der Moderne aufeinander bezogen sind.Footnote 13

Mit der Serialität ist zugleich die Hauptachse benannt, auf der die spezifische Produktivität von Zeitschriften traditionell verortet wurde: ihre Zeitlichkeit. Denn dass sie aufgrund ihrer periodischen Erscheinungsweise ein Medium ›der‹ Zeit oder ›ihrer‹ Zeiten sei, dass sie Zeiterfahrungen spiegele und Eigenzeit habe, sind seit jeher Leitmotive sowohl der publizistischen Praxis als auch ihrer Erforschung.Footnote 14 Das lässt sich unschwer mit Blick auf die erste Hochphase der neuzeitlichen Zeitschrift um 1800 bestätigen, die, folgt man der Sattelzeitthese Reinhart Kosellecks, zugleich die erste Hochphase des neuzeitlichen Zeitbewusstseins war.Footnote 15 Zwischen Klassik und Romantik entstand im deutschen Sprachraum ein semantisches Feld an Titeln, Metaphern und Begriffen, mit denen damals das Verhältnis zwischen der Zeitschrift und der Subjekt gewordenen historischen Zeit symbolisiert wurde. Im literarisch-ästhetischen Bereich wurden Schillers Horen, Goethes Propyläen, die Zeitschriften der Gebrüder Schlegel, Kleists und Müllers Phöbus und viele weitere Periodika um 1800 zu Medien »historischen Schwellenbewusstsein[s]«, das nicht selten im »Pathos des absoluten Anfangs« ausgestellt wurde, wie Ernst Osterkamp gezeigt hat.Footnote 16 Aber auch stärker politisch orientierte Zeitschriften versuchten inmitten der Umwälzungen im postrevolutionären Europa, das Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungsraum publizistisch zu verarbeiten. Das gilt beispielsweise für das von 1805 bis 1820 in Halle erschienene »chronopoetische« Journal Die Zeiten. Archiv für die neueste Staatengeschichte und Politik, das, wie Nora Ramtke rekonstruiert hat, die »Geburtswehen« der Epoche in der chaotischen Schwellensituation nach 1800 zu lindern suchte, indem es die »Überfülle« historischer Ereignisse fortlaufend in geschichtliche Zusammenhänge einordnete.Footnote 17 Nicht weniger bedeutsam, aber prekärer archiviert als die großen Journale jener Jahre ist die unregelmäßigere »Tagesliteratur«, deren diskontinuierliches Erscheinen gewissermaßen den diskontinuierlichen Zeiterfahrungen Form gab.Footnote 18 Auf diese schon um 1800 vorhandene Spannbreite von dauerhaften wie ephemeren Periodika lässt sich eine typologische Unterscheidung von Roland Barthes beziehen, der als Zeitschriftenmacher der Überzeugung war, dass nicht nur die zu »Institutionen« gewordenen Revuen in der Geschichte intellektuellen »Lebens und Sterbens« bedeutsam seien, sondern auch kurzlebige Schwellenmedien, »ephemere, flüchtige, transitorische Zeitschriften, die von wichtigen historischen Momenten zeugen; an einem bestimmten Punkt verschwinden sie, und das ist nichts Schlimmes«.Footnote 19

Ausbuchstabierte Zeitbezüge und Abbildkonzeptionen finden sich auch in den Zeitschriften des Deutschen Idealismus. So veröffentlichte Schelling 1813 im Gründungseditorial seiner »Wissenschaft, Kunst und Bildung« gewidmeten Allgemeinen Zeitschrift von Deutschen für Deutsche eine Vorrede, die zwischen den Polen schöpferischer Prägekraft und getreuer Wiedergabe eine Mittelposition formulierte: Die gelungene Zeitschrift habe eine »doppelte Seite«, schrieb der Philosoph »inwiefern sie einerseits auf die Zeit wirkt, andrerseits selbst wieder ein Bild der Zeit seyn will«.Footnote 20 »Voraus vor der Zeit zu seyn« sei mehr die Aufgabe des monografischen Einzelwerks als der Zeitschrift, auch wenn in Letzterer »mancher Gedanke sich einzeln hervorwagen kann, zu dessen vollkommner Begründung und allseitigen Ausbildung die Mittel noch abgehen« (iv).Footnote 21 Die Allgemeine Zeitschrift, die Beiträge zu Philosophie, Philologie, bildenden Künsten, Geschichte, Religion, Sprach- und Naturwissenschaften versammelte, sollte dem Selbstverständnis nach »auf der Höhe« der aktuellen geistigen Problemlagen sein, also in einem repräsentativen Verhältnis zu diesen stehen: »Denkt sie auf die Zeit überhaupt zu wirken, so muß sie das wahrhaft und wesentlich Allgemeine derselben ergreifen; nicht die Außenseite, nicht dieses oder jenes Besondre, sondern das Innere, das was Geist und Herz der Zeit ist« (v). Die Zeitschrift sei dabei der Sammlungsort für dezidiert »Verschiedenes, das in ihr selber auch seinen Widerspruch findet«, dessen Konzeption deshalb aber nicht wahllos sei, sondern »Beschränkung« erfordere (xii). Mit diesem Rahmen, der Aufnahmefähigkeit ebenso wie Abgrenzung indiziert, beschreibt Schellings Vorrede die zweite Achse, auf der sich die spezifische Produktivität von Periodika bestimmen lässt: Gemeint sind ihre spezifischen materiellen und räumlichen Kapazitäten, die historisch in die Semantik des »Magazin«-Begriffs eingelassen sind, der entweder synonym zur »Zeitschrift« verwendet wurde oder aber zur Bezeichnung »kleiner« oder »populärer« Formen derselben.Footnote 22

Die Formulierung Max Wehrlis, dass Geistesgeschichte in einer »Spannweite zwischen Weltgeist und Zeitgeist« operiert habe, lässt sich treffend mit den geschichtsphilosophischen Selbstverständnissen gelehrter Zeitschriften in und nach dem deutschen Idealismus in Verbindung bringen.Footnote 23 Drei Jahrzehnte nach Schelling theoretisierte auch Arnold Ruge das Verhältnis zwischen Zeitschrift, Zeitgeist und Weltgeist, als er in den von ihm herausgegebenen Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst von 1842 der Frage nachging, in welchem Verhältnis das Medium zur Zeit stehe.Footnote 24 Ähnlich wie für Schelling stand für den Junghegelianer fest, dass die Zeitschrift »auf Ewigkeit keinen Anspruch« habe und das Epoche-Machen nicht ihre Aufgabe sei; vielmehr müsse sie, »so lange sie leben und ihre Bestimmung erfüllen will, […] der Dialektik des Geistes – der theoretischen Revolution –, die unsere Zeit hervorbringt, folgen, und wo sie es vermag, ihr vorangehen« (2). Auch für Ruge war die Rolle des Journals vor allem »repräsentativ« zu bestimmen, als ein Zwischenort, an dem das »Zusammenwirken« von Gelehrten den »Proceß« des Geistes »mehr darstellen, als machen« werde (2). Bezogen auf den Bereich der Literatur sekundierte Ruges Genosse im selben Jahr mit einem defensiven Verständnis der diskursiven Prägekraft von Zeitschriften: »Niemals aber kann die Zeitschrift die Zeit beherrschen und regieren; sie kann nicht lebendig machen, was die Zeit getötet hat, sie kann nicht tödten, was in der Zeit lebendig ist. […] Die Litteraturgeschichte, um es kurz zu sagen, wird nicht innerhalb unsrer Journale gemacht, sondern sie selbst sind nur ein Stück der Litteraturgeschichte.«Footnote 25

Auch wenn die Zeitschriftentheorie des Hans Paeschke derartiger geschichtsphilosophischer Aufladungen entbehrt, lässt sich über die Frage, in welches Verhältnis Publizistik sich zu Zeitgeist und/oder Weltgeist setzt, eine Linie zwischen ansonsten weit entfernten Beispielen ziehen. Anders als die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zeit des Nachkriegs keine Zeit für »schöpferische« Zeitschriften, wie der Merkur-Herausgeber in seinem Aufsatz zum »Geist des Auslandes« festhielt: Jener, kämpferische Typus der Avantgarde-Zeitschrift, »der nach dem ersten Weltkrieg so üppig ins Kraut schoß«, habe nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in Deutschland als auch international an Bedeutung verloren.Footnote 26 Stattdessen regiere in der Gegenwart des Jahres 1951 »eine Art Synkretismus, also ein Neben- und Durcheinander verschiedenster, oft in sich gegensätzlicher Stilformen«, das sich entsprechend auch in Gestalt und Konzeption der meisten Literatur- und Kulturzeitschriften niederschlage (576). Speziell im deutschen Fall komme hinzu, dass sich neugegründete oder fortgesetzte Zeitschriften nach der zwölfjährigen »Isolation«, wie Paeschke sie nannte, tendenziell eher der Sammlung und Sichtung verschrieben als dem »Halt programmatischer Ordnungen«.Footnote 27

Wollte man eine Zeitleiste der (Kultur‑)Zeitschriftengeschichte erstellen, ließe sich wohl mit einigem Recht, wenn auch in schematischer Verkürzung behaupten, dass ein Jahrzehnt später programmatischer Halt wieder höher im Kurs stand, als Bewegungen des Geistes zunehmend unter dem Schlagwort der »Theorie« firmierten. In Abgrenzung zur klassischen Verwendung des Theorie-Begriffs bezeichnete dieser Kollektivsingular ab den 1960er-Jahren ein neues Gattungs- und Lektürephänomen, für dessen Konjunktur Zeitschriften, neben Verlagsorten wie Merve und Buchreihen wie Suhrkamps Theorie im deutschsprachigen Raum, eine maßgebliche Rolle spielten.Footnote 28 Periodika wie Das Argument, alternative, neue kritik oder Kursbuch, die sich als Foren der Neuen Linken und der Studentenbewegung gegründet hatten, wurden für ihre Leserinnen und Leser damals zu intellektuellen Orientierungsmedien, in denen nicht nur Theorie, sondern auch deren Relevanz für die Praxis diskutiert wurde.Footnote 29 Diese war je nach Gegenstandsbereich literarisch, wissenschaftlich oder pädagogisch gefasst, immer aber politisch und gesellschaftlich gerahmt – eine Konstellation, für die sich das Medium Zeitschrift zweifellos als Leitmedium anbot. Wie Kulturzeitschriften generell besetzten auch die theorielastigen Zeitschriften der 1960er-Jahre Zwischen- und Beobachtungspositionen zwischen fachwissenschaftlichen Publikationen, politischen Blättern, Literaturzeitschriften und dem Feuilleton, und nicht zuletzt waren die Positionsbestimmungen in ihnen Akte generationeller Selbstbestimmung.

An den Theoriezeitschriften lässt sich der Beitrag von Zeitschriftenforschung zur Intellectual History mustergültig ausbuchstabieren. Marxismen, Strukturalismen, Literatursoziologie, russischer Formalismus, psychoanalytische oder feministische Theorie konnten hier nicht nur in schneller, sondern auch in kontinuierlicher Folge publiziert werden, was der zeitgenössischen Bedeutung der »Diskussion« als einer »kommunikativen Gattung« Rechnung trug.Footnote 30 Einerseits verfolgten Theoriezeitschriften – im Sinne der Unterscheidung Paeschkes – avantgardistische, etwa auf den Literatur- oder Wissenschaftsbetrieb bezogene Ziele, andererseits boten sie unterschiedlichen Stimmen eine Bühne, sodass theoretische Kontroversen in ihnen überhaupt erst dargestellt und erklärt werden konnten, bevor es zu ihrer Austragung kam. Davon zeugt beispielsweise die Rezeptionsgeschichte des französischen Strukturalismus, dessen Begriffe und Kategorien vorgestellt und nach ihren politischen wie wissenschaftlichen Implikationen befragt wurden.Footnote 31 Kontroversen, die zuvor in Frankreich geführt worden waren – wie beispielsweise die wichtigen Auseinandersetzungen, die sich Sartre und andere Marxisten, Existenzialisten oder Humanisten in französischen Kulturrevuen und Feuilletons mit dem mouvement structuraliste lieferten –, wurden in den linken Theoriezeitschriften in selektiver Auswahl, aber mit dokumentarischer Geste präsentiert und so in die bundesrepublikanische Debattenlandschaft eingepasst. Kleine bzw. journalistische Formen wie das Editorial, das Interview oder Rezensionen spielten eine wichtige Rolle für die Zuspitzung der verhandelten Problemstellungen – und hatten damit maßgeblichen Anteil an den theoretischen Konjunkturen und Wenden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Geschichte der Theorie und intellektuelle Geschichte überhaupt lassen sich aber nicht nur entlang von Zeitschriftenblüten erzählen, in denen kraftvolle Anfänge gemacht und turns programmatisch zum Ziel erklärt werden. Zeitschriften – und ihre Archive – bieten nicht zuletzt auch Quellenmaterial für andere, oft schwieriger zu beleuchtende zeitliche Momente intellektueller Geschichte, die nicht selten in Metaphern von Leben, Sterben und Nachleben erzählt werden: Phasen des Spannungsverlusts, des Auseinanderdriftens, des Endes und schließlich des Erbes geistiger Bewegungen. Im Falle der von 1964 bis 1982 von der Germanistin Hildegard Brenner herausgegebenen alternative lässt sich in den letzten Jahrgängen eine besondere Form der Metaisierung ausmachen, insofern dort das Ende der Theoriekonjunktur, die die Redaktion einst forciert hatte, zum finalen Gegenstand der Zeitschrift wurde. Ein Medium, das mittels Theorie politische Erwartungen an Literatur und Wissenschaft gestellt hatte, wurde so zu einem Dokument der Verarbeitung von Ernüchterungen, die nicht zuletzt mit der Suche nach kohärenten Erzählungen für eine kontingente Geschichte einherging.Footnote 32 Derartige Verlaufsgeschichten und -narrative stellen die Forschung nicht zuletzt vor die Herausforderung, intellektuelle Geschichte nicht nur im Rückgriff auf Zeitschriften zu ergründen, sondern immer auch im Abgleich mit den Selbstauslegungen, die Zeitschriften von sich vor anderen ausbreiten. Am ehesten benennt deshalb womöglich die Metapher der Bühne – mehr noch als die des Spiegels – das perspektivische Potenzial, das die Periodical Studies für die Intellectual History bereithalten: In einer Geschichte, die von Strömungen, Konjunkturen und Wenden handelt, bietet sich das allgegenwärtige, aber keineswegs banale Medium Zeitschrift zur Rekonstruktion wie zur Dekonstruktion dessen an, was als Bewegung des Geistes in Raum und Zeit imaginiert wurde.