Wenn man auf den Beginn der geistesgeschichtlichen Literaturforschung vor 100 Jahren zurückschaut, ist man doppelt überrascht: zum einen darüber, wie scharf und überzeugend die Beteiligten erste große Studien in dieser Richtung kritisiert haben; zum anderen darüber, dass diese Kritik, so berechtigt sie heute erscheint, den Erfolg solcher Studien nicht gebremst hat. Mein Beispiel dafür ist Fritz Strichs Buch Deutsche Klassik und Romantik, das 1922 zum ersten Mal erschien und mit fünf Auflagen (die letzte 1962) die Germanistik bis in die 1970er-Jahre prägte. Strich versteht Klassik und Romantik als gegensätzliche Stil- und Weltanschauungsformen. Er schafft damit genau die Verbindung, die das Vorwort zum ersten Band der DVjs 1923 programmatisch fordert: »Neben der geistesgeschichtlichen Richtung […] soll besonders die form- und stilanalytische gepflegt werden. Gerade die Vereinigung dieser beiden Methoden erscheint fruchtversprechend und wegweisend.«Footnote 1 Indem er Diltheys Weltanschauungslehre mit Wölfflins stilanalytischen Grundbegriffen überein zu bringen versucht, scheint Strich diesem Programm in idealtypischer Weise zu entsprechen.

Was man genau zehn Jahre später in derselben Zeitschrift über Strichs Buch lesen konnte, ist jedoch ein Verriss. Und zwar ein so gründlicher, dass man ihn als einen generellen Widerspruch gegen das DVjs-Programm auffassen kann. Das erstaunt umso mehr, als der Verfasser, Benno von Wiese, sich später seinerseits als philosophisch-geistesgeschichtlicher Literaturinterpret einen Namen gemacht hat. Seine Strich-Kritik von 1933 ist allerdings so vehement und grundsätzlich, dass sie die Position der Zeitschrift, in der sie erschien und zu deren Mitherausgebern Strich ja zählte, überhaupt in Frage zu stellen scheint. In den Folgejahren wird sich von Wiese ideologisch mit den Nationalsozialisten verbinden, um dann nach dem Krieg ganz im Geiste der Adenauerzeit an den Universitäten Münster und Bonn Karriere zu machen. Sein Anfang 1933 gedruckter Verriss liegt davor und zeigt einen so scharfsinnigen wie angriffslustigen Intellektuellen. Er ist keine Rezension, die es in der DVjs ja nicht gibt, sondern eine Abhandlung unter dem Titel »Zur Kritik des geistesgeschichtlichen Epochebegriffes«. Der Sache nach aber ist es eine Besprechung von Strichs Klassik-Romantik-Buch. Sie lässt kein gutes Haar daran und formuliert ihre Kritik so einschlägig prägnant, dass die spätere, seit den 1970er-Jahren einsetzende Aufarbeitung der geistesgeschichtlichen Schule und ihrer Methoden es nicht genauer sagen konnte. Von Wiese trifft ins Schwarze, wenn er Strichs Klassik- und Romantik-Begriff im Sinne der Kantischen Kritik als »Hypostasierungen«Footnote 2 bezeichnet, die das eigene Gedankenprodukt mit der Wirklichkeit verwechseln. Strich legt seinen wissenschaftlichen Anspruch darein, dass er Klassik und Romantik als von ihm unterschiedene polare Weltanschauungstypen aus literarischen Stilphänomenen ableiten könne. Er hält sich dazu an Heinrich Wölfflins »Kunstgeschichtliche Grundbegriffe«, die (wie zum Beispiel »malerisch« vs. »linear«, »Tiefe« vs. »Fläche«) bildliche Darstellungsweisen auf ihre objektiven, in der Sache liegenden formalen Bedingungen hin strukturieren. Gegenüber der vorangehenden Germanistik, die im Blick auf die Klassik von nationalem Prestigedenken und von der Verehrung der Weimarer Dioskuren und im Blick auf die Romantik von engagierter Parteilichkeit Für und Wider geprägt war, tritt Strichs Ansatz als Versuch zur Verwissenschaftlichung auf. Das Reden über Klassik und Romantik sollte so aus den weltanschaulichen Bekenntnissen heraus auf eine objektive stilanalytische Basis gegründet werden. Genau das haben sich wohl auch die Gründer und Herausgeber der DVjs versprochen, als sie für die Verbindung der Geistesgeschichte mit der Form- und Stilanalyse eintraten.

Was Strich jedoch vorlegt, wird diesem Anspruch nicht im Mindesten gerecht. Denn sein Buch enthält nur sporadische, sehr allgemeine Stilbeobachtungen, die Wölfflins Begriffe metaphorisch mit einigen literarisch-sprachlichen Phänomenen in Verbindung bringen. Was er vor allem bietet, ist die polare Konstruktion zweier Lebenshaltungen und zugehöriger Wertvorstellungen, die er auf die Begriffe »Vollendung« und »Unendlichkeit« bringt. Die Seiten füllen sich dabei mit nicht stilistisch, sondern motivisch-inhaltlich betrachteten Dichterzitaten, die Strich auf seine beiden konträren Fluchtpunkte hin anordnet. Der auf Vollendung setzende Klassiker und der sich nach Unendlichkeit sehnende Romantiker sind aus vielen traditionellen Topoi zusammengesetzte gegensätzliche Charakterklischees, die Strich mit viel Material von Goethe und Schiller einerseits, Schlegel, Novalis, Brentano, Kleist, Tieck, Hölderlin und Jean Paul andererseits ausfüttert. Von Wiese zieht das genau richtige Fazit: »Damit ist aber eine metaphysische Sinngebung in eine objektive Aussage umgedeutet, die an Erfahrungsbeispielen, ästhetischen Stilvergleichen das erweisen will, was sie aller Erfahrung schon vorher zugrunde gelegt hat.«Footnote 3 Mit Strichs Buch werde »eine Wissenschaft der Geistesgeschichte vor[ge]täuscht, wo nur von einer metaphysischen Konstruktion des Geistes die Rede sein kann.«Footnote 4

Von Wiese stand mit seiner kritischen Diagnose nicht allein. Schon kurz nach dem Erscheinen von Strichs Buch sprach Rudolf Unger, seinerseits ein Vertreter der geistesgeschichtlichen Methode, von der »mythologisierenden Steigerung« der Strichschen Stiltypen »ins Übergeschichtliche«Footnote 5 und setzte sich Theodor A. Meyer in einer langen Abhandlung über »Form und Formlosigkeit«Footnote 6 kritisch mit Strichs Buch auseinander, auch wenn er im Ton viel konzilianter ist als von Wiese. Julius Petersen, von Wieses Lehrer, erhob »ernste Bedenken« gegen »die wissenschaftliche Tragkraft des Ganzen«Footnote 7, war zugleich aber voller Anerkennung für Strichs Buch. Es habe einen »so hinreißenden Schwung, daß der bestechende Reiz und die glänzende Form dieses geistreichen Buches als schriftstellerische Leistung die größte Bewunderung verdient.«Footnote 8 Ein halbes Jahrhundert vor der postmodernen Rede von den ›großen Erzählungen‹ klingt das wie deren Vorwegnahme; eine nonchalante Vorwegnahme allerdings, ohne Widerspruch gegen den Status und Anspruch von Wissenschaft. Im Gegenteil. Der »so hinreißende Schwung« des Schriftstellers Strich ist für Petersen der Grund, den Wissenschaftler Strich trotz »ernster Bedenken« ernst zu nehmen. Der große, weit ausgreifende Erklärergestus kam offenbar nicht nur (wie Spenglers Sensationserfolg) auf dem Buchmarkt, sondern auch in der akademischen Welt gut an.

In einem methodologischen Aufsatz aus den Anfangsjahren der Vierteljahrsschrift erklärt der schon erwähnte Rudolf Unger das ›große Ganze‹ prinzipiell zur Sache der Geistesgeschichte. Sie sei »nicht etwa ein besonderes Gebiet« neben der Philosophie‑, Literatur‑, Religions- oder anders fokussierter Kulturgeschichte, sondern ziele auf den »einheitlichen Gesamtgeist« einer Kultur. Und weiter: »Die Grundvoraussetzung dabei ist die der wesentlichen Einheitlichkeit des jeweiligen ›Kulturgeistes‹ und daher der organischen Bezogenheit aller seiner Gebilde auf einen gemeinsamen innersten Sinngehalt.«Footnote 9

Fritz Strich entspricht genau diesem Programm. Denn obwohl er als Literaturwissenschaftler im Wesentlichen nur von der deutschsprachigen Literatur der Goethezeit handelt, kommt ihm diese disziplinäre Begrenzung an keiner Stelle zu Bewusstsein. Um die Literatur als solche, um deren spezifische mediale, soziale oder historische Bedingungen geht es ihm nicht. Stattdessen verwendet er die Literatur als Dokumente für die integrale Größe, die die geisteswissenschaftliche Schule mit ihrem ›Geist‹-Begriff meint. Und in Übereinstimmung mit Unger sieht Strich seine wissenschaftliche Arbeit darin, diesen ›Geist‹ als emphatischen Singular zu erweisen, als »einheitlichen Gesamtgeist« einer bestimmten Kultur. Mit Ungers Worten gesagt, erklärt Strich ›Vollendung‹ und ›Unendlichkeit‹ zu den »innersten Sinngehalten«, auf die die deutsche Klassik und Romantik insgesamt bezogen sind. Zwar blitzt an einer Stelle seines Vorworts einmal kurz die Einsicht in die Partialität des eigenen Ansatzes auf. »Andere Fragen, andere Antworten«, hält Strich dort so knapp wie einsichtig fest, nachdem er seine eigene Perspektive zuvor so markiert hat: »Ich selber fragte nach dem Verhältnis zur Zeit.«Footnote 10 Im Verlauf des Buches ist von der Pluralität möglicher Fragen dann aber nicht mehr die Rede. Die Polarität von Vollendung und Unendlichkeit wird vielmehr zum Generalschlüssel der menschlichen Kultur. Alle anderen Fragen, so gibt Strich zu verstehen, beantworten sich von hier aus.

Der all-integrative Geistbegriff und dessen emphatische Singularisierung rücken die geistesgeschichtliche Methode heute aus dem Bereich der Wissenschaft hinaus. Mit ihrem integrativen kulturwissenschaftlichen Anspruch ging sie den heutigen Geisteswissenschaften zwar voraus. Doch so, wie sie ihn einzulösen versuchte, schuf sie vor allem metaphysische Konstruktionen. Es ist bemerkenswert, dass die Zeitgenossen dies in konkreten Einzelfällen gesehen und kritisiert haben, ohne dadurch aber die methodische Ausrichtung auf den einen »Geist« und dessen »innersten Sinngehalt« generell in Frage zu stellen.

Für das, was Petersen den »hinreißenden Schwung« nennt, hat Thomas Mann die Gattungsbezeichnung des »intellektualen Romans«Footnote 11 gefunden. Er bezieht sie auf Ernst Bertrams Nietzsche- und Friedrich Gundolfs Goethe-Buch sowie (darum geht es Mann vor allem) auf Spenglers Untergang des Abendlandes. Zu dieser Gattung kann man auch Strichs Klassik-Romantik-Buch zählen, auch wenn es in seinem ästhetischen Eindruck und seiner Resonanz hinter Manns Beispielen zurücksteht. Dennoch trifft es zu, dass auch Strich romanhaft schreibt, indem er seine beiden Epochenbegriffe wie Helden behandelt. Die klassische und die romantische Literatur erscheinen als die beiden Antagonisten, deren Wettstreit die Kulturgeschichte ergibt. So wird sie zu einer Geschichte im romanhaften Sinne: »So ging die klassische Dichtung mit innerer Notwendigkeit über die Lyrik, aus der Lyrik heraus, zu anderen Gattungen und zur letzten Stufe apollinischer Objektivation: zum Epos. […] Die romantische Dichtung aber löste die apollinische Gestaltenwelt wieder auf und tauchte in das Element der Musik, den mütterlichen Schoß zurück.«Footnote 12 Am Ende weitet Strich diese Heldengeschichte ins Mythische: »Aber auch die Romantik wird einmal wiederkommen. Denn Romantik ist nicht nur ein Zeitliches, Einmaliges, ein vorübergerauschter Strom, sondern ein ewiges Element, das ewige Meer, in welches der Menschengeist immer wieder eintauchen muß als in ein heiliges Bad der Verjüngung, der ewig mütterliche Schoß, aus dem alle Geburt und alle Gestalt immer wieder geboren werden muß, wie Plastik aus Musik, und wie nach griechischem Mythos die Göttin der Schönheit aus dem Meere steigt.«Footnote 13

Diese Sätze sind keine stilistischen Oberflächenphänomene, kein rhetorischer Ornatus über einer wissenschaftlich-rationalen Abhandlung. Das Romanhafte und Mythische an ihnen ist die Art, wie Strich Klassik und Romantik denkt: nicht als Vokabular zur Selbst- und Fremdbezeichnung der historischen Akteure oder Werke, auch nicht als Ordnungskategorien der Literaturgeschichtsschreibung, sondern als geistige Wesen, die sich in der Kulturgeschichte offenbaren. Bloße Oberflächenphänomene bleiben bei Strich dagegen Wölfflins Grundbegriffe. Zwar beruft er sich explizit darauf, doch kommen sie nur an ganz wenigen Stellen sporadisch, metaphorisch, ohne evidenten Sachbezug vor. Strichs Anspruch ist es, mithilfe von Wölfflins Begriffen seine Klassik-Romantik-Polarität stilphänomenologisch nachzuweisen. Tatsächlich aber geht es ihm nur ganz am Rande und beiläufig um literarisch stilistische Phänomene. Seine Klassik- und Romantikdeutung ist überhaupt nicht phänomenologisch, sondern resultiert aus einer dogmatisch gesetzten Ideenlehre: »Ewigkeit also heißt der oberste Grundbegriff menschlicher Kultur. […] Die eine Grundidee der Ewigkeit zerteilt sich also in die beiden Grundideen der Vollendung und Unendlichkeit, und diese sind die Grundideen aller menschlichen Kultur und Kunst.«Footnote 14 Was Strich an Wölfflins Begriffen interessiert, ist vor allem die Kompositumsbildung, die auf Fundamentales verweist. Mit Wölfflins phänomenologischem Ansatz hat er nichts zu tun. Die im letzten Zitat zu beobachtende Verschiebung vom ›Grundbegriff‹ zur ›Grundidee‹ belegt aufs Knappste, dass sein (im Nachwort sehr stark betonter) Wölfflinbezug nichts als eine rhetorische Strategie ist, um seiner spekulativen Ideenkonstruktion ein ›fundamentum in re‹ zu erschwindeln.

Im Vorwort zur fünften Auflage 1962 versucht Strich, seine Verwendung von Wölfflins Grundbegriffen gegen aufgetretene Missverständnisse zu klären. Dazu aber führt er nichts anderes an als einen stillschweigenden Autoritätsbeweis: »Grundbegriffe sind nichts anderes als Bezeichnungen für wesentliche Grundhaltungen des menschlichen Geistes, für jene Strebungen, die überhaupt den Geist zum Geiste machen. Sie sind die menschlichen Urphänomene.«Footnote 15 An dieser Aussage ist nichts klar, als dass sie zwei implizite Goetheverweise enthält: auf das (faustische) Streben als Auszeichnung des Menschen und auf den Begriff ›Urphänomen‹, mit dem der Naturforscher Goethe die sinnliche Offenbarung von Naturgesetzen meint. Bei Goethe kann man diesen Begriff am ehesten als eine forschungsethische Position verstehen, die sich mit gleichsam religiöser Demut an die sinnliche Evidenz der Natur hält und davon abstrahierende, mathematische Theoriebildung ablehnt. Der erkenntnistheoretische Status und die Frage, was das Ur- von jedem anderen Phänomen unterscheidet, bleibt unklar. Wenn Strich dieses Goethewort einsetzt, trägt es zur sachlichen Klärung in seinem Zusammenhang nichts bei. Es dient nur dazu, den eigenen Grundsätzlichkeitsanspruch mit klassischer Urwort-Aura zu umgeben. Die hier entscheidende Frage, was die Grundbegriffe mit Stilphänomenen zu tun haben, bleibt unbeantwortet. Die Rede von den »Strebungen«, die »den Geist erst zum Geiste machen«, führt stattdessen genau gegenläufig von aller sinnlichen Wahrnehmung ab.

Warum soll man sich heute, nach so vielen Jahren, mit einem längst vergangenen Germanisten befassen, der literaturwissenschaftliche Begriffe zu Romanfiguren macht und sich mit Klassikeranleihen über die Ungenauigkeit des eigenen Denkens hinweghilft? Die Antwort: weil sein erklärter Anspruch, Stilphänomenologie mit Ideengeschichte zu verbinden, nach meiner Ansicht der überzeugendste Ansatz ist, dem alten Titel »Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« heute einen vernünftigen Sinn zu geben. Es ist nur verblüffend zu sehen, wie konsequent Fritz Strich seinem eigenen Anspruch ausweicht.

›Geistesgeschichte‹ ist ein veraltet wirkender Ausdruck. Die Gesamtperspektive auf die von Menschen gestaltete Wirklichkeit, für die er vor 100 Jahren stand, wird heute besser durch den Kulturbegriff erfasst. Denn er vermeidet den impliziten Idealismus. Wenn man den alten Titel nach dieser Regel in »Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte« ändern wollte, verlöre er jedoch alles Spezifische. Denn dass sich die Literaturwissenschaft in der Erforschung ihres Gegenstands auf weitere kulturhistorische Horizonte öffnet, gilt generell. Um nicht alles Spezifische aufzugeben, ist es also besser, den alten Ausdruck zu erhalten und neu zu deuten. Damit er wissenschaftlichen Ansprüchen standhält, muss man ihn von dem hier mit Strich und Unger Vergegenwärtigten ablösen: von der Spekulation auf einen ›einheitlichen Gesamtgeist‹, auf ›wesentliche menschliche Grundhaltungen‹ oder ›Strebungen‹, überhaupt von dem Fundamentalismus der ›Grund‹- und ›Ur‹-Komposita sowie von den Metaphern der ›organischen Bezogenheit‹ und des ›innersten Sinngehalts‹. Um Strichs Anspruch, den Zusammenhang von Geist und Stil zu verstehen, zu einem wissenschaftlichen Programm zu machen, muss man all diese Anschwellungen des Geistbegriffs vermeiden und schlichter nach dem Zusammenhang von Denken einerseits und Darstellen/Wahrnehmen andererseits fragen. Terminologisch gelehrter kann man von ›noesis‹ und ›aisthesis‹ sprechen. So verstanden, ist das Verhältnis von Geist und Stil die ästhetische Dimension des Denkens; von der Literaturwissenschaft aus gesehen: der sprachästhetischen Dimension.

Das ist ein breites Forschungsfeld mit etablierten Bereichen: der Metaphorologie etwa, der Narratologie im Blick auf Geschichtswissenschaft und Anthropologie, den literarischen Formen der Philosophie – auch das Programm der ›Poetik/Poetologie(n) des Wissens‹ gehört dazu. Diese Forschungen werden häufig einseitig von der Literaturwissenschaft aus betrieben und stellen mitunter den Anspruch, von dieser einen Seite aus alles zu verstehen; als wäre alles, was im wissenschaftlichen Denken sprachliche Darstellung sei, auch erschöpfend als solche zu verstehen. Ein Rezensent hat an der Formulierung ›Poetologien des Wissens‹ einmal gelobt, dass damit das »leidige ›Und‹«Footnote 16 der konventionellen Titelmöglichkeit ›Literatur (oder Kunst) und Wissenschaft‹ vermieden werde. Dessen notorische Vagheit, was denn das Verbindende und das Trennende der beiden Seiten sei, werde durch den klaren Blick auf die sprachliche Hervorbringung überwunden.

Das Verhältnis von Literatur oder richtiger: literarischen Formen und dem wissenschaftlichen Denken kann aber nicht klarer oder besser verstanden werden, solange man es nur von der einen Seite aus untersucht. Wenn die Geistesgeschichte als intellektuale Romanschriftstellerei weitgehend Vergangenheit ist, wäre es ein neuer Fehler, das, was auch eine sprachlich darstellerische Dimension hat, nur in dieser Dimension zureichend erklären zu wollen. Der alte Titel »Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« kann deshalb am besten neu als ein Kooperationsgebot verstanden werden: der Literaturwissenschaft mit all den Disziplinen, aus denen sich die intellektuelle Geschichte aufbaut. So wird das leidige zum richtungsweisenden Und.